Titelbild.

Busbahnhof Paris Bercy Seine im Mai 2024: Sieben Millionen Reisende passieren diese Halle jedes Jahr. © Nora Züst

Liberalisierte Busse mit maroden Stationen und Qualitätsmängeln

Nora Züst /  Der Fernbusverkehr wie mit Flixbus nahm in Frankreich stark zu. Die EU verlangt auch von der Schweiz eine Liberalisierung.

Der Reisebus des Transportunternehmens Flixbus rollt über eine dicke Rampe in den Bahnhof Bercy Seine. Der abrupte Ruck weckt auch die letzten dösenden Reisenden. Im Busbahnhof, der eher einer grossen Lagerhalle ähnelt, sammeln sich die Menschen vor kleinen Bildschirmen oder stehen Schlange vor einem Bus. 

Für den stellvertretenden Bürgermeister von Paris ist dieser Bahnhof eine «unzivilisierte Müllhalde». Die Verantwortlichen hätten es nicht geschafft, ihn richtig zu verwalten, weshalb er im letzten Jahr die Schliessung des Bahnhofs ankündigte – ohne sich allerdings auf ein Datum festzulegen. Ein Flixbus-Fahrer zeigt sich verständnislos: «Wo sollen alle diese Busse hin?» Alternativen sind bisher nur der alte Busbahnhof Pershing sowie weitere Standorte in der Banlieue. Einen einzigen Busbahnhof zu finden, den jährlich sieben Millionen Reisende besuchen können, ist schwierig. 

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Der Eingang des Busbahnhof Paris Bercy Seine im Mai 2024: Die Reisenden sind nur eine Metrohaltestelle vom Pariser Zugbahnhof Gare de Lyon entfernt.

Die mangelnde Infrastruktur zeigte sich auch bei den Olympischen Spielen, wo die vorübergehende Verschiebung des Busbahnhofs in den Pariser Stadtteil Vincennes laut lokalen Medienberichten für Unmut sorgte. Mangels Infrastruktur mussten die Busse mehrere hundert Meter der Strasse entlang parkieren, statt Bildschirmen gaben Mitarbeitende Wegbeschreibungen mit Megafonen.

Macron-Bussen fehlt die Infrastruktur

Hinter dieser fehlenden Infrastruktur steckt ein strukturelles Problem. Seit 2015 ist die Anzahl Reisender pro Jahr von circa 800’000 auf 10 Millionen gestiegen. Damals liberalisierte der damalige Wirtschaftsminister und heutige Präsident Emmanuel Macron den Busverkehr. Die sogenannten «Macron-Busse» verbreiteten sich und zogen mit attraktiven Preisen immer mehr Reisende an. 

Passagiere «Macron-Busse»
«Macron-Busse»: Die Entwicklung der absoluten Zahl an Passagieren sowie die Anzahl Personenkilometer der Autobusse in Frankreich seit der Liberalisierung im Jahr 2015. Die Jahre 2020 und 2021 waren die Corona-Jahre.

Die Busbahnhöfe sind aber teils immer noch solche, in der einst Busse parkiert oder Reisebusse ihre Touristen abgeladen haben. «Die Linien der ‹Macron-Busse› haben sich spontan und anarchisch entwickelt», sagt Michel Quidort, Präsident des Nationalen Verbands der Verkehrsnutzerverbände (FNAUT). Der grösste Player der «Macron-Busse» ist das deutsche Transportunternehmen Flixbus, das um die 70 Prozent der Reisenden nutzen, direkt gefolgt von Ouibus-Blabla-Car mit 30 Prozent. 

Idee des öV für alle

Emmanuel Macron versprach mit der Liberalisierung des Autobus-Verkehrs Zehntausende neue Arbeitsplätze und erschwingliche Preise auch für ärmere Bevölkerungsgruppen. Die Kosten für Busreisen sind im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln tatsächlich tiefer. Während der Preis für eine Reise von Lille nach Paris mit dem TGV bei mindestens 40 Euro liegt, ist diese mit dem Flixbus für 8 Euro zu haben. «Jedoch schuf die Reform viel weniger Arbeitsplätze als vorgesehen, momentan etwa 2000», so Quidort. 

Die Infrastruktur hinkt hinterher

Die FNAUT als Vertreterin der Benutzerinnen und Benutzer hatten die Liberalisierung des Fernbusverkehrs grundsätzlich begrüsst, aber die mangelnde Infrastruktur an den Busbahnhöfen schon früh kritisiert. «Es braucht dringend Haltestellen mit einem gewissen Mindest-Service, der gewährleistet werden muss, zum Beispiel Schalter, um Billette zu kaufen, einen Warteraum, Bildschirme mit Infos und einen Ruheraum für die Angestellten», so Quidort. Das sei heute noch nicht einheitlich geregelt. Deshalb habe die französische Verkehrsaufsichtsbehörde nun eine Arbeitsgruppe gebildet, um die Busbahnhöfe stärker zu regulieren. Das Ziel sei es, die Bahnhöfe zu vereinheitlichen und gewisse Mindeststandards zu erfüllen. 

Qualitätsmängel bleiben unentdeckt

Neben der Infrastruktur wird oftmals die mangelnde Qualität von Flixbus und Co. kritisiert. Eine Umfrage in einem Netzwerk von internationalen Studierenden in Lille führt Qualitätsdefizite bei Flixbus zutage. Reisende berichten von Verspätungen von einer bis zwei Stunden ohne Entschädigung, von stinkenden Bussen, nicht funktionierenden Toiletten oder unfreundlichen Fahrern. Solche Berichte zeigt auch die Bewertungsplattform Tripadvisor, bei der das Busunternehmen nur 1,5 von 5 Sternen bekommt. Eine Interviewanfrage an Flixbus Frankreich blieb unbeantwortet.

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Viele Studierende nutzen in Lille Busanbieter wie Flixbus. Die Strecke Lille–Paris ist die meistbefahrene Strecke der Macron-Busse.

Solche Qualitätsmängel würden leider nicht systematisch erfasst, so FNAUT-Präsident Quidort. «Es gibt keine national übergreifende Evaluierung des Service». Viele Probleme, besonders im Kundenkontakt, seien auf das Geschäftsmodell von Flixbus zurückzuführen. Denn das Unternehmen besitze selbst fast keine Busse, sondern beschäftige lokale KMU, welche die Buslinien betreiben. Deren Angestellte seien nicht einheitlich geschult. Quidort beschreibt es so: «Es gibt einen kulturellen Gap zwischen dem Unternehmen Flixbus und den verschiedenen Partnern». Zudem gibt es keine Möglichkeit, Subunternehmer direkt zu bewerten, wie das zum Beispiel bei den Fahrern des Transportunternehmens Uber der Fall ist. 

Schweiz als europaweites Vorbild

Auch die Koordination des Verkehrs müsse sich mit einer gezielten Verkehrsplanung verbessern. Hierbei gelte die Schweiz als europaweites Vorbild. «Für eine Tagung in Saas-Fee fuhr ich von Paris nach Lausanne, von Lausanne nach Brig und dort wartete direkt das Postauto, das mich nach Saas-Fee brachte – mit einem einzigen Ticket», sagt Quidort. In Frankreich existieren für jedes Verkehrsunternehmen unterschiedliche Apps – der Ticketkauf wird so zum Jonglieren. 

Es gibt zwar private Anbieter wie Trainline oder Omio, mit denen Reisende eine ganze Reise buchen können, aber die lokalen Busnetze oder Metronetze sind dabei nicht inbegriffen. Aufgrund der Grösse der Schweiz und deren ausgebautem Verkehrsnetz seien hierzulande Reisebusse wie Flixbus wohl weniger nötig, sagt Quidort.

Flix-Chaos bald auch in der Schweiz?

Trotzdem will Flixbus auch in der Schweiz Fuss fassen. Aufgrund des Kabotageverbots dürfen Busse und Züge von Privatunternehmen Reisende nicht innerhalb der Schweiz befördern, ausser sie erhalten eine Konzession. Das Bundesamt für Verkehr erteilte im Jahr 2018 das erste Mal eine Konzession an Domo, das kurze Zeit später von Eurobus übernommen wurde. Die Vorschriften sind aber restriktiv, und das Monopol der SBB ist stark. Eurobus stellte den Betrieb aufgrund fehlender Nachfrage wieder ein. 

Diese restriktive Praxis des Bundes könnte sich aber ändern. Die EU verlangt in den Verhandlungen um den neuen EU-Rahmenvertrag eine Liberalisierung des Personenverkehrs, was in den meisten EU-Ländern schon Praxis ist. Laut der NZZ unterstützt die EU-Kommission ein Pilotprojekt der Flix-Zugsparte Flixtrain von München nach Zürich. Schriftlich teilt Flixbus mit, dass das Flixtrain-Angebot die internationalen Direktverbindungen in die Schweiz ergänzen könnte. 

Diverse Schweizer Akteure zeigen sich dennoch alarmiert angesichts einer Liberalisierung des Schienenverkehrs. Die Gewerkschaften warnen vor der Gefährdung des gut funktionierenden öffentlichen Verkehrs in der Schweiz. Auch die SBB befürchten eine Einschränkung des Schweizer Taktfahrplans sowie der Pünktlichkeit. Bundesrat Albert Rösti betonte im Mai gegenüber Radio SRF, dass der Schweizer Taktfahrplan weiter Vorrang habe, aber eine Ausweitung der internationalen Städteverbindungen im Interesse der Schweiz liege.


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Der Stellenwert, den Bahn, Busse oder Trams haben sollen. Der Nutzen, die Kosten, die Preise.

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Eine Meinung zu

  • am 28.08.2024 um 11:04 Uhr
    Permalink

    Die «Liberalisierung» des öffentlichen Verkehrs führt zu Zuständen, wie wir sie mit Entwicklungsländern assoziieren.
    Private Busunternehmer kümmern sich nur um genau ihre Strecke. Das System als Ganzes interessiert sie nicht. Sie bauen, soweit möglich, auf vorhandene, staatlich finanzierte Infrastruktur, ohne aber selber etwas dazu beizutragen. Solange diese Infrastruktur noch da ist, funktioniert es einigermassen. Je mehr dann die Infrastruktur mangels Unterhalt verlottert, desto schlechter wird der Service.
    Ein funktionierendes ÖV-Netz hat, wie alle Netze, Monopolcharakter. Konkurrenz führt dazu, dass das Netz zerfällt. Dies ist für mich ein weiteres Thema, bei dem die EU auf dem Holzweg ist.

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