Faktor 100: Postauto-Expansion und Strom-Debakel
Am Mittwoch rief SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner empört in den Nationalrats-Saal: «Es ist ein Riesenskandal, was hier passiert.» Er habe «den Unsinn» des Ablegers von Postauto Schweiz in Frankreich «auch nicht gesehen» und sei erst hellhörig geworden, «als der französische Staat geklagt hat, weil Sie und ich mit schweizerischem Geld den französischen Postautobenutzer finanzieren. Wir! Wir subventionieren den französischen Postautohalter mit 12 Millionen Franken Gründungskosten.»
Giezendanner wetterte mit dem Rückhalt der SVP-Fraktion, die mit einer dringlichen Interpellation vom Bundesrat wissen wollte: «Wie rechtfertigt er den Geldtransfer zu Car Postal France, welche in Frankreich verurteilt wurde und wo Defizite versteckt wurden?»
Peanuts gegen Strom-Milliarden
Postauto hat in Frankreich tatsächlich nichts verloren, aber im Vergleich zu den Milliarden-Beträgen, welche die Strombranche in der ersten Dekade des Jahrhunderts in den EU-Sand gesetzt hat, sind die 12 Postauto-Millionen Peanuts, also mindestens um den Faktor 100 kleiner (siehe Infosperber: Wie die Alpiq 1,7 Milliarden in den Sand setzte; 500 Millionen in den italienischen Sand; Wo sind die Wasserkraft-Milliarden geblieben?).
Die Stromkonzerne Alpiq, Axpo, BKW und Repower fuhren in den goldenen Jahren Milliarden-Gewinne ein und statt die Wasserkraftwerke zu amortisieren, finanzierten sie damit die Stromproduktion in gleich mehreren EU-Ländern.
Dennoch war von der EU-kritischen SVP kein Widerstand ersichtlich. Auch im National- und Ständerat gab es keinen grossen Aufschrei. Im Gegenteil, die Strombranche wurde anfänglich mit Millionen-Subventionen überhäuft – unter dem Vorwand der Unterstützung der Wasserkraft.
Allen voran weibelte der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband (SWV), der von SVP-Präsident Albert Rösti präsidiert wird, für Wasserkraft-Subventionen und forderte und fordert eine Reduktion der Wasserzinsen.
Fazit: Die Expansionen von Postauto und Strombranche verliefen in umgekehrter Richtung: Postauto erhielt zuerst Subventionen und investierte dann ein paar Millionen in Frankreich. Die Stromkonzerne hingegen investierten zuerst Milliarden im Ausland und wurden anschliessend für diese expansive Misswirtschaft vom Parlament mit Millionen-Subventionen belohnt. Erstaunlicherweise war der Grad der Empörung im Parlament umgekehrt proportional zur Höhe der Ausland-Investitionen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)