Bieler Westast: Wie der Autobahnkompromiss unterlaufen wird
Es war die erste Aktion seit Abschluss des erfolgreichen Bieler Dialogprozesses: Am letzten Wochenende haben rund 100 Velofahrerinnen und Velofahrer samt Kind und Kegel während einer halben Stunde den Autoverkehr ausgebremst – auf der Nationalstrasse N5 am idyllischen Bielersee. Mit dem «sonntäglichen Augenschein» mit Picknick protestierten mehrere Organisationen, darunter Pro Velo und Pro Natura, gegen die lebensgefährlichen Baustellen, die Betonierung der geschützten Reblandschaft – und gegen die Bieler Stadtregierung, welche «ungestört bauen lässt, ohne die Interessen der eigenen Bevölkerung zu verteidigen», wie es in einer gemeinsamen Medienmitteilung heisst. Die Strecke werde für Velofahrende und Fussgänger:innen immer gefährlicher, warnten Verbände und Bürgerbewegungen: «Stoppt das Betonmonster, bevor es Tote gibt!»
Das Astra greift von Westen an
Vor eineinhalb Jahren war in einem breit abgestützten Dialog ein historischer Kompromiss mit 60 Empfehlungen beschlossen worden, der landesweit positive Schlagzeilen machte. Doch inzwischen ist die Ernüchterung gross, so gross, dass derzeit mehrere Gruppierungen laut über einen Ausstieg aus dem Folgeprozess nachdenken. Während die regionalen Behörden sich weitgehend ergebnislos um Zuständigkeiten und den Kostenteiler streiten, macht das Bundesamt für Strassen (Astra) Nägel mit Köpfen – im Alleingang: Es baut derzeit für über 100 Millionen Franken die bestehende Nationalstrasse mit Zusatzspuren aus, mitten durch Rebberge und Wohnquartiere. «Sie wollen vollendete Tatsachen schaffen», befürchtet Boris Fistarol vom Komitee «N5 Bielersee so nicht», «mit einer grossen Einfallschneise von Twann nach Biel – bis der geplante Autobahnanschluss in der Stadt doch noch gebaut werden kann.» Für ihn ist klar: «Jetzt greift der Westast von Westen an!» Die Stadt Biel schaut weg.
Offenbar haben die regionalen Behörden ihre Niederlage beim Bieler Westast noch nicht verdaut und auch keine Lehren gezogen. Nach rund 50 Jahren Planung ohne Volk war das bis zum letzten Schachtdeckel skizzierte Ausführungsprojekt mit zwei offenen Autobahnschneisen im Stadtzentrum im Dezember 2020 offiziell versenkt worden. Seither geht fast gar nichts mehr, und wenn, dann waten die Behörden tief im alten Fahrwasser. Ihr Vorgehen ist ein Lehrstück in Sachen Bürokratie und Opportunismus.
Städtebauexperten fanden kein Gehör
Von 60 fein austarierten Massnahmen im Schlussbericht wurden erst zwei, zum Glück die wichtigsten, umgesetzt: Das Generalsekretariat von Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga hat die beiden Anschlüsse im Stadtzentrum blitzschnell abgeschrieben – und der Enteignungsbann, der die Entwicklung des Bahnhofgebiets im Perimeter des alten Projekts seit Jahrzehnten blockiert hatte, wurde aufgehoben. Doch anstatt wie empfohlen das nun brachliegende, mehrere tausend Quadratmeter grosse «Filetstück» zwischen Bahnhof und See dank einer «Zone mit Planungspflicht» mit einem Masterplan grosszügig und stadtverträglich zu gestalten, will die Stadt historische Häuser abreissen, andere werden einzeln verkauft oder von Privaten aufwändig renoviert – und der Kanton Bern hortet Parzellen für den Fall, dass doch noch ein Autobahnanschluss kommt. Alle machen, was für sie grad passt. Städtebau geht anders.
Infosperber hat letzte Woche zum dritten Mal Einblick genommen in die Akten der Organisation mit dem hochtrabenden Namen «Espace Biel/Bienne.Nidau» (EBBN), welche die Umsetzung der Massnahmen aus dem Westast-Dialog koordinieren sollte. Die Dokumente zeigen, dass die beiden im Stadtratsantrag vorgestellten Projektteams «Richtplan Städtebau» sowie «Koordinierte Gesamtsicht» gar nie eingesetzt und städtebauliche Überlegungen schon nach fünf Monaten zugunsten einer reinen Strassenplanung aufgegeben wurden. Ausgerechnet die Bieler Stadtplanerin Florence Schmoll, die als Raumplanerin einen breiten Horizont sowie ein Flair für den Städtebau haben müsste, setzte sich in den Sitzungen wiederholt dafür ein, dass «primär der Strassenraum beplant wird, wie es der Kanton will». Es müsse klar sein, dass der Planungsauftrag nur den «Strassenraum von Fassade zu Fassade» umfasse. Vergeblich engagierten sich die Verkehrs- und Städtebauexperten aus dem Dialogprozess, Fritz Kobi und Han van de Wetering, für einen Masterplan für das einzigartige Gebiet zwischen Bahnhof und See und kämpften für ein Verkehrskonzept, welches beide Bielerseeufer miteinbezieht. Sie fanden kein Gehör, im Gegenteil: Schmoll forderte eine weitere «Verschlankung» der Karte.
Damit wird klammheimlich ein wichtiger Paradigmenwechsel aus dem Dialogprozess gekippt: An Dutzenden von Sitzungen war ausgehandelt worden, dass in der ganzen Region künftig nicht mehr nur aus Strassenperspektive gebaut wird, um den Schaden anschliessend mit flankierenden Verkehrsmassnahmen zu begrenzen; man wollte vielmehr – so der innovative Ansatz – Städtebau und Lebensqualität künftig gleich hoch gewichten wie die Bedürfnisse des motorisierten Individualverkehrs. Dieses ganzheitliche Vorgehen ist heute wieder vom Tisch.
Partizipation als teure Alibiübung
Der Vorgang verlief hinter verschlossenen Türen und wurde bisher nie kommuniziert, auch nicht am bisher einzigen Partizipationsanlass vom letzten November. Die Ausstellung «Rendez-vous» war für 100’000 Franken realisiert und dann an drei Nachmittagen unter der Woche geöffnet worden, ohne dass man dafür Werbung gemacht hätte. Das Echo war bescheiden: Rund 350 Personen nahmen teil, fast die Hälfte davon Politiker:innen und Behördenmitglieder. Ziel des Anlasses: Man wollte das einstimmig verabschiedete Zukunftsbild aus dem Westast-Dialog mit Bevölkerung und Behörden «verfestigen». Wenig überraschend forderten zahlreiche Ausstellungsbesucher:innen noch mehr Grünraum, freien Zugang zum ganzen Seebecken sowie weniger Parkplätze und mehr Fussgängerzonen in der Innenstadt. Das Zukunftsbild wurde von den beiden Experten entsprechend leicht ergänzt.
Doch kaum waren die aufwändigen Arbeiten an diesem seit 2020 entwickelten Zukunftsbild fertig, verschob Stadtpräsident Erich Fehr dessen Publikation und erklärte am 24. Februar 2022 in einer Sitzung im engsten Kreis, das erweiterte Zukunftsbild dürfe «von der Behördendelegation nicht verabschiedet» werden: «Eher ist es eine Kenntnisnahme». Als dies in der Projektkommission bekannt wurde, protestierte die sonst so zurückhaltende externe Projektleiterin, wörtlich: «Es wäre schon sinnvoll, wenn sich die Behördendelegation auch mal inhaltlich comitten würde, ob der Input von unten eine Leitschnur für die weiteren Arbeiten sein kann / soll und damit auch Eingang in die behördenverbindlichen Instrumente finden kann.» Sie drang damit nicht durch, vielleicht auch weil Erich Fehr mitten im Wahlkampf um einen Sitz in der Berner Regierung steckte.
Aufwändiges Zukunftsbild soll nicht umgesetzt werden
Als das Zukunftsbild dann zwei Monate später schliesslich doch noch der Begleitgruppe, «Reflexionsgruppe», genannt, vorgelegt wurde, betonte deren Leitung, Erich Fehr und Sandra Hess, gleich mehrfach, dieses sei «nicht behördenverbindlich». Das kam nicht an. Die Reflexionsgruppe verlangte einstimmig, dass das Zukunftsbild nun «möglichst konsequent umgesetzt wird» und liess die Aufforderung wörtlich protokollieren. Was jetzt passiert, steht in den Sternen: Das Zukunftsbild ist noch immer nicht offiziell publizirt worden. Die Reflexionsgruppe wurde in ihren Kompetenzen beschnitten. Sie hat bestenfalls noch konsultative Aufgaben.
Noch beim Abschluss des Dialogprozesses und während der Finanzierungsdebatte vor dem Bieler Stadtrat hatte Stadtpräsident Fehr die grosse Bedeutung der Mitwirkung betont – Partizipation ist ein Megatrend, dem man sich hierzulande kaum mehr entziehen kann. Doch was kümmert ihn seine Rede von gestern? An den bisher fünf Sitzungen wurden die Vorschläge und Kritikpunkte der Reflexionsgruppe, welche die frühere Dialoggruppe ablöste, bestenfalls protokolliert, aber kaum je umgesetzt.
Mitsprache wird schrittweise reduziert
Beispiele? Am 6. April 2022 durfte die über 20-köpfige Reflexionsgruppe an einem World Café während über eineinhalb Stunden Vorschläge machen, welche Grundlagen für ein zuverlässiges, zeitgemässes und umfassendes Verkehrsmonitoring nötig sind – eine alte Forderung, welche Befürworter und Kritikerinnen schon im Dialogprozess unisono erhoben und im Schlussbericht festgehalten hatten. Denn die bisherigen Methoden des Astra, das nur Autos an den Ausfallstrassen zählt, sind grob fehlerhaft und unzuverlässig; auch das Gesamtverkehrsmodell des Kantons Bern (GVM), das von 2010 stammt, hatte immer wieder zu krassen Fehlprognosen geführt, zuletzt 2018 bei der Eröffnung des Bieler Ostasts (Infosperber berichtete). Schon vor drei Jahren hatte die Kerngruppe im Dialogprozess daher präzisere Informationen dank Handydaten und Wegtracking verlangt. Die Forderung war schon damals unbestritten. Endlich sollte dieses Ziel jetzt umgesetzt werden, die Mitglieder der Reflexionsgruppe hatten frühzeitig verlangt, dass sie einbezogen werden.
Detailtreue Verkehrszahlen sind zentral, weil auf deren Basis Entscheide über die Notwendigkeit einer Tunnellösung und die Platzierung der Zufahrten gefällt werden. Doch was steht in den Akten des Tiefbauamts, die Infosperber mit Verweis aufs Öffentlichkeitsgesetz herausverlangt hat? Das zuständige Projektteam hatte unter Federführung des Bieler Infrastrukturleiters Roger Racordon schon zehn Wochen vor dem World Café entschieden, dass man weiterhin mit dem viel kritisierten Gesamtverkehrsmodell und den Zahlen des Astra arbeiten wolle: Diese Daten sollten bloss punktuell mit Zusatzerhebungen durch ein externes Büro ergänzt werden.
Empfehlungen im Schlussbericht ignoriert, Kritik unter den Tisch gewischt
Das Vorgehen von Racordon ist doppelt problematisch: Es ignoriert die Empfehlungen im Schlussbericht, wonach ein neues regionales Monitoring für alle Verkehrsformen erstellt werden soll, das dank Wegtracking Trends und neue Mobilitätsformen erfasst (das GVM erfasst laut eigenen Angaben im Factsheet weder die Auslastung des öffentlichen Verkehrs noch liefert es verlässliche Zahlen zum Fuss- und Veloverkehr). Und es degradiert das World Café von Anfang April zur Farce – schliesslich hatte man schon zehn Wochen zuvor ein anderes Vorgehen gewählt, was jedoch in den vorab verschickten Unterlagen verschwiegen wurde.
Es gibt weitere Beispiele dafür, wie die Behörden die Mitglieder der Reflexionsgruppe vertrösten und auflaufen lassen. So wurden Vorgehenskonzepte für drei Strassenprojekte zunächst für August, dann für Dezember 2021 und später für April 2022 angekündigt. Die Präsentation eines ersten Konzepts folgte schliesslich im Mai, nachdem sich die Behörden an mehreren kontroversen Sitzungen auf ein Vorgehen geeinigt hatten – und die Reflexionsgruppe nichts mehr daran ändern konnte: Sie wurde vor vollendete Tatsachen gestellt und konnte nur noch protestieren.
Ein anderes Beispiel betrifft Organigramm und Pflichtenhefte: Als mehrere Personen die fehlenden Mitbestimmungsmöglichkeiten und die dominante Rolle des Bieler Stadtpräsidenten kritisierten, wurde dies von der Leitung «zur Kenntnis genommen», schriftliche Stellungnahmen erbeten und eine Überprüfung in Aussicht gestellt – die aber folgenlos blieb: Die Behörden hielten ohne Begründung an ihrem ursprünglichen Vorgehen fest. Stattdessen hiess es in der nächsten Sitzungseinladung: Wer erscheint, akzeptiert automatisch alle Rahmenbedingungen – eine fast schon nötigende Haltung.
Überforderte und zerstrittene Behörden
Warum dieses Vorgehen? Warum scheinen die Behörden nichts gelernt zu haben, obwohl sie allein seit Abschluss des Dialogprozesses bei vier weiteren Vorlagen (neues Stadtquartier Agglolac, Abriss des barocken Robert-Hauses und des historischen Schlachthofs sowie Umnutzung eines kleinen Parks) in öffentliche Kritik gerieten und vom eigenen Stadtparlament ausgebremst wurden?
Das Vorgehen der Behörden ist wohl ein verzweifelter Versuch, das Heft nach dem Dialogprozess wieder in die Hand zu nehmen und kritische Bürgerbewegungen zwar einzubinden, aber mit Dutzenden von Unterlagen einzudecken und zu beschäftigen. Dabei erscheinen die lokalen Behörden selber massiv überfordert. Die Protokolle der 30 Sitzungen von Behördendelegation und Projektkommission geben ein trauriges Bild ab: Die Behörden feilschen unter der Schirmherrschaft des Bieler Stadtpräsidenten über den Ausschluss lästiger Bürgerbewegungen, streiten sich über Zuständigkeiten bei juristisch komplexen Dossiers sowie über das richtige Vorgehen bei einem Landsicherungsverfahren für den Porttunnel. Schon nach zwei Sitzungen muss der verantwortliche Regierungsrat Christoph Neuhaus eine Aussprache zwischen Gemeinden und Kanton anberaumen, mit mässigem Erfolg. Nur acht Monate nach Start verhandeln die Gremien schon wieder an fast jeder Sitzung über die nächste Budgettranche und den Kostenteiler für die weiteren Arbeiten. Das liegt auch daran, dass die Initialfinanzierung von 820’000 Franken schneller aufgebraucht ist als erwartet und fast alle Arbeiten ausgelagert wurden: vom Projektmanagement übers Sekretariat und die Kommunikation bis hin zu fachlichen Arbeiten. Dabei wird die Umsetzung konkreter Verkehrsprojekte separat finanziert.
Stadtpräsident delegiert heikle Aufgaben
Eigentlich käme Stadtpräsident Erich Fehr in seiner Mehrfachfunktion als Chef der Exekutive, Leiter von EBBN und der Behördendelegation sowie als Co-Leiter der Reflexionsgruppe eine Schlüsselrolle zu: Der Sozialdemokrat müsste die Führung übernehmen und den Prozess sauber gestalten. Doch Fehr war nie ein Visionär und scheut umstrittene Themen – erst recht in den ersten fünfzehn Monaten nach dem Dialogprozess, als er im Wahlkampf für den Berner Regierungsrat steckt. Er backt kleine Brötchen, ohne Blick fürs Ganze. Die 60 Empfehlungen aus dem Dialogprozess werden höchst selektiv und willkürlich angepackt, wodurch der historische Kompromiss gefährdet und entwertet wird. Heikle Aufgaben werden wegdelegiert an Gremien, die sich zum Teil neu mit dem Dossier befassen oder aber ein eigenmächtiges Vorgehen gewohnt sind:
- Um die kurz- und mittelfristigen Massnahmen – darunter viele Verbesserungen für Velofahrer:innen und Fussgänger:innen – sollen sich primär die einzelnen Gemeinden der Region selber kümmern, beschliesst die Behördendelegation, mit finanzieller Unterstützung des Agglomerationsprogramms und unter Federführung der Plattform «seeland.biel/bienne», die 61 Gemeinden vernetzt. Konkrete Umsetzungen sind bisher keine bekannt – auch nicht bei jenen Massnahmen, die laut Schlussbericht vom Dezember 2020 «sofort angepackt, geplant und teils auch rasch umgesetzt werden» sollten wie beispielsweise ein Transitverbot für den Schwerverkehr, ein sicherer Zugang zum Bahnhof für den Langsamverkehr oder zusätzliche Stopps der Schnellzüge mit den Uhrenarbeiter:innen aus dem Berner Jura zu Pendlerzeiten. Für die letzten drei «Quick wins» wäre die Stadt Biel zuständig, die bisher keine Resultate lieferte.
- Mit der Machbarkeit einer langfristigen Lösung soll sich das Tiefbauamt des Kantons Bern (TBA) befassen, welches das gescheiterte Projekt konzipiert hatte; das TBA begann zunächst eigenmächtig mit der Detailplanung des von ihm favorisierten Juratunnels samt Anschlüssen in der Seevorstadt – und wurde nach einer Publikation von Infosperber zurückgepfiffen. Derzeit erstellt das Ingenieurbüro Transitec eine Analyse zu möglichen Streckenführungen einer Seelandvariante. Das ist ausgerechnet jenes Büro, das bereits Anfang 2020 einen unsorgfältigen Variantenvergleich erstellt hatte, der von der Kerngruppe zurückgewiesen wurde – da er bei mehreren Varianten grobe Fehler sowie falsche Zahlen zu Baukosten und Landbedarf enthielt und beim offiziellen Projekt den Halbanschluss Seevorstadt schlicht vergessen hatte. Das fehlerhafte Transitec-Papier wurde damals aus den Materialien entfernt.
- Das Projekt Autobahnzufahrt Porttunnel soll von Sandra Hess, Stadtpräsidentin von Nidau, koordiniert werden, die im Dialogprozess oft durch Abwesenheit geglänzt hatte; auch hier sind keine Aktivitäten zu vermelden.
Noch kleinteiliger ist das Vorgehen bei der Hauptstrecke zwischen Brügg und dem Bereich Rusel auf Twanner Gemeindegebiet – also in jenem Kernbereich der Nationalstrasse N5, in welchem die Westastautobahn ursprünglich vorgesehen war und wo eindeutig Handlungsbedarf besteht: dort, wo sich heute morgens und abends die Autos stauen und für Velofahrende lebensgefährliche Zustände mit zu viel zu schmalen Velostreifen und kaputten Fahrbahnen bestehen. Dennoch wird nicht ganzheitlich geplant, wie im Dialog postuliert, im Gegenteil: Auf den drei Teilstücken der nur sechs Kilometer langen Strecke sind nacheinander drei verschiedene politische Ebenen verantwortlich: Kanton, Gemeinde und Bund (vgl. Skizze). Während die Stadt Biel auf einer kurzen Strecke in Seenähe einen stadtverträglichen Boulevard mit zusätzlichen Grünflächen und Sitzgelegenheiten plant, will der Bund auf derselben Strasse nur wenige Meter weiter die noch verbliebenen Grünstreifen opfern, um mehr Platz für einen weiteren Fahrstreifen zu schaffen und die Neuenburgstrasse quer durch das einst pittoreske Winzerquartier Vingelz auf bis zu 21 Meter Fahrbahn zu verbreitern.
Wieso also lässt die Stadt Biel dies zu – auf dem eigenen Stadtgebiet? Gerne verweist Erich Fehr trotz seiner führenden Rolle an die grüne Bieler Verkehrsdirektorin Lena Frank, die neu im Amt ist und im Februar erklärt hatte, sie kenne die Astra-Pläne noch nicht und wolle sich rasch für ein Gespräch und ein gemeinsames Vorgehen mit dem Astra einsetzen. Was hat sie im Schatten von Fehr erreicht? Eine erneute Anfrage liess sie diese Woche unbeantwortet. Dank Akteneinsicht nach Öffentlichkeitsgesetz war lediglich in Erfahrung zu bringen, dass ein «Austausch» zwischen der Stadt Biel und dem Astra für «Mitte 2022» erwogen werde. Erich Fehr rechtfertigt sich zudem, ihm seien die Hände gebunden: Das Astra könne über den Ausbau alleine bestimmen, da es sich um eine Nationalstrasse handle und das Land im Besitz des Bundes sei.
Biel kuscht, Winterthur bietet dem Astra die Stirn
Andere Städte zeigen indes, dass man überdimensionierte Bauprojekte des Astra nicht einfach hinnehmen muss. In Winterthur etwa wollten die Strassenbauer des Bundes die Autobahn auf sechs Spuren erweitern, mit schweren Folgen, vor allem fürs Tössquartier: Dort sollte die Strasse auf 32 Meter verbreitert werden. «Inakzeptabel», fand die Stadtregierung. «Die Interessen der Stadt wurden viel zu wenig berücksichtigt», lässt sich der Stadtbaumeister im «Landboten» zitieren. Stadt und Kanton wandten sich daraufhin gemeinsam ans Astra und erreichten, dass das Projekt sistiert wurde. Sie erstellten einen eigenen «Masterplan Winterthur Süd», der eine «Stadtreparatur» beinhaltet – mit neuer Streckenwahl, einem Tunnel, mit Lärmschutz, einem neuen Quartierbahnhof sowie attraktiven Verkehrsverbindungen für Fussgänger, Velos und Busse. Es könnte ein Vorbild für Biel werden. Mitentwickelt hat die neue Vision übrigens der bekannte Städteplaner Han van de Wetering, dessen Empfehlungen aktuell nur wenig Anklang finden.
Bieler Trio trägt die Hauptverantwortung
Wie weiter? In Biel prägen seit Jahren drei Personen die Stadtentwicklung: Stapi Erich Fehr, der auf vielen Hochzeiten tanzt, sowie zwei hohe Verwaltungsangestellte: Stadtplanerin Florence Schmoll, die Fehr direkt unterstellt ist, und deren Lebenspartner, Infrastrukturleiter Roger Racordon. Diese politische und persönliche Machtballung ist in Biel schon seit Jahren Gesprächsthema, sorgt inzwischen aber für offene Kritik, zumal sich im Zuständigkeitsbereich des Trios die Probleme häufen. Alle drei sind mit Grossprojekten wie Westast und Agglolac gescheitert – und haben Fehlplanungen wie den klimafeindlichen Betonplatz «Esplanade» zu verantworten. Ob die neu gewählte 32-jährige Bau- und Verkehrsdirektorin Lena Frank (Grüne), eigentlich die Vorgesetzte von Racordon, aus dem Schatten des Trios treten kann, muss sich noch weisen. Die Hoffnungsträgerin wirkt derzeit eher als Musterschülerin.
So hält die Bürgerbewegung «Westast so nicht» den Druck mit einem Ampelsystem hoch, welches den schleppenden Prozessfortschritt nach Ende des Dialogs in Biel aufzeigt: Fast alles ist tiefrot. Das «Komitee Bielersee so nicht» warnt weiterhin vor dem Autobahnausbau vor den Toren Biels, vor «Beton-Patchwork» und Grossbaustellen während zwei Generationen. Und der «Veloausflug» der «Freund:innen der Bielerseerundfahrt» sollte ein Schuss vor den Bug der Behörden sein.
«Velofahrende haben mit ihrer Demo für Verkehrchaos gesorgt – ist das akzeptabel?», lautet die Frage der Woche des «Bieler Tagblatt». Die Umfrage erzielt bis heute Rekordwerte, deren Verlauf weist Unregelmässigkeiten auf, in den sozialen Medien finden sich grobschlächtige Kommentare. Keine Frage: Die Westast-Debatte, welche die Bieler Politik über Jahre prägte, ist zurück – und der historische Kompromiss droht an Bürokratie, Mutlosigkeit und Opportunismus zu scheitern.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Catherine Duttweiler ist Journalistin und Dozentin. Sie war als Vertreterin des Komitees «Westast so nicht» Mitglied der Kerngruppe zum Bieler Westast, welche den Kompromiss aushandelte. Heute wirkt sie in der Reflexionsgruppe mit und hält Vorlesungen und Seminare zum Thema Partizipation.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Warum wird für den motorisierten Individualverkehr immer wieder der rote Teppich ausgerollt? Gewinnmargen von Beteiligten…Windschutzscheiben-Optik…Ideologie?
Ein BLick in die Welt genügt: Überall Strassen ausgebaut, überall immer Stau. Also was soll dieses Getue ?
Tragisch, das Ganze. Dabei hätte Biel alle Voraussetzungen, um eine Musterstadt des Langsamverkehrs zu werden (günstige topografische Voraussetzungen, hervorragendes urbanes Potential). Aber man muss wohl Vorsatz annehmen, wenn man sieht, mit welcher Mutwilligkeit gute Ansätze und hoffnungsvolle Initiativen aus der Bevölkerung wegprojektiert und zubetoniert werden. Täterentlastend dürfte man wohl anführen, dass von den Dilettierenden niemand eine Ahnung hat, wie man solche Projekte zum Wohle der Bevölkerung steuert und managt:
– Ein Berner Regierungsrat mit der einzigen Qualifikation, dass er all seine Ämtli seiner Eigenschaft als Parteiapparatschik verdankt;
– Ein Stadtpräsident mit der Qualifikation, der Sohn des Vaters zu sein und vorher einen Bürokratie-Job gehabt zu haben (irgendwas mit Steuern) – und mit einem Wikipedia-Eintrag voller Beweihräucherung.
– Eine Gemeinderätin mit den Qualifikationen jung und grün (ja, einen CAS in Kommunikation hat sie auch noch!).
Hätte man die Autobahn fertig bauen können wie geplant, so hätten die Velofahrer genügend Platz bekommen und weniger Verkehr in der Stadt gehabt. Aber nein man bekommt in dieser Stadt den Hals nie genug voll man will immer noch mehr! Der West-ast ist dringend notwendig mit der Zuwanderung in die Schweiz wird dies nicht besser! Die Städte werden immer voller da braucht man mehr Kapazitäten. Nur den linken und grünen ist dies nicht bewusst, dass mehr Menschen mehr verkehr ergeben! Viele geben sich eben nicht mit einem Velo zufrieden! Da kann jetzt Pro Velo und Konsorte lange träumen ändern wird sich das kaum mehr!
Es ist kein Naturgesetz dass mehr Menschen automatisch mehr Verkehr gibt .Wird diesen Menschen mehr Strassen angeboten werden sie es auch nutzen. Auch das ist kein Naturgesetz sondern einfach Windschutz-Scheibe-Optik.
@Ruedi Basler Auf welchem Planeten leben Sie? Mehr Menschen verursachen mehr Verkehr, dies ist ein Naturgesetz! Menschen sitzen nicht nur zuhause rum und blasen Trübsal! Sie wollen Party machen, Sport treiben, Ferien geniessen, Abfall produzieren, Energie verbrauchen und und und. Dafür Braucht es massiv Infrastruktur wie Stromnetze, ÖV Angebote, Strassen, Velowege, Entsorgungsmöglichkeiten, usw. Wir können die Probleme auf der Strasse, beim Strom, und Umwelt nur Lösen wenn wir weniger Menschen sind in der Schweiz. Ansonsten kommt es ohne Ausbau der Infrastruktur zu einem Kollaps den wir jetzt schon teilweise erleben! Ich bin eigentlich gegen einen Ausbau aber die Hausgemachten Probleme mit der Überbevölkerung bei uns sind nun mal da! 7mio Menschen in der Schweiz wären mehr als genug!
Wenn Sie das Überbevölkerung zuschieben wenden Sie sich doch bitte an die Rechtsbürgerlichen Parteien. Deren WirtschaftsvertreterInnen holen Ausländer zum arbeiten in die Schweiz. Sie wissen das vielleicht : Pro Jahr stellt die Privatwirtschaft um die 60’000 AusländerInnen in der Schweiz an. Diese arbeiten zum grossen Teil in Nidrig-Lohn-Branchen. Ohne Zuwanderung würde in der Schweiz kein Spital, kein Alters-oder Pflegeheim, kein Restaurant, kein Hotel funktionieren. Es würde kein Meter Strasse gebaut, keine Strasse gewischt, keine Früchte oder Gemüse geerntet, kein Müll abgeholt, kein Park gesäubert, es gäbe keine Putzinstitute, keine Garten-oder Waldarbeiten, kein Tankstellenshop wäre offen, Paketpostverteilzentren werden nicht funktionieren, FliessbandarbeiterInnen gibt es keine, die Lebensmittelbranche kann schliessen.
Die Stadt Biel ist potthässlich. Ein wüstes Durcheinander von Industriebrachen und verfallenden Immobilien. Und rings um Biel herum wuchernde Industrie, Shoppingmalls, Doppel-Kreisel und halbfertige Autobahnen. Kommt davon, wenn man immer nur streitet.