Kommentar

Autobahn-Ausbau: Behauptungen und Unwahrheiten

Gabriela Neuhaus © zvg

Gabriela Neuhaus /  Auch wenn es die Befürworter ständig behaupten – der Autobahn-Ausbau würde keine Probleme lösen.

Im Abstimmungskampf um die Autobahnmilliarden ziehen die Ausbaubefürworter alle Register. Die Palette reicht von falschen Behauptungen über unhaltbare Vergleiche bis zur Missachtung wissenschaftlicher Fakten.

Tatkräftig unterstützt einmal mehr von den grossen Medien in unserem Land. Nicht nur die Arena-Sendung von SRF zeigte beängstigend Schlagseite in Richtung Autobahn-Ausbau – auch die Sonntagspresse bläst ins gleiche Horn. Dabei wäre es journalistische Pflicht, die Behauptungen und Argumente der Befürworterschaft auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen.

So behaupten Bundesrat Rösti und Co. unverdrossen, die Autobahnkapazitäten entsprächen dem Bedarf einer Sechs‑Millionen-Schweiz – in den letzten 30 Jahren habe man es verpasst, die Infrastruktur der wachsenden Bevölkerung anzupassen. Ein Blick in die Zahlen des Bundesamts für Statistik macht deutlich: Falsch. Stimmt nicht!

Kräftig investiert

In den letzten 30 Jahren wurde nämlich kräftig am Schweizer Nationalstrassennetz weitergebaut: Heute haben wir in der Schweiz insgesamt 1549 Kilometer Autobahn. Das sind über 350 Kilometer mehr als noch 1995 – im Klartext: Eine Zunahme von fast 30 Prozent (entspricht der Strecke St. Gallen – Genf). Hinzu kommen all die Spurerweiterungen vom Grauholz bis zur dritten Röhre am Baregg und am Gubrist sowie der Neu- und Ausbau von Autobahnanschlüssen.

Ein weiterer Punkt, den die Promotoren des Fünf‑Milliarden-Franken-Kredits unterschlagen: Die sechs Ausbauprojekte, über die wir am 24. November abstimmen, sind nur ein Teil einer viel umfassenderen, teils bereits laufenden Kapazitätserweiterung. So wird ab Frühjahr 2025 im Kanton Solothurn die A1 zwischen Luterbach und Härkingen auf einer Strecke von 22 Kilometern von heute vier auf sechs Spuren ausgebaut. Die Vorarbeiten sind bereits im Gang. Budgetierte Baukosten: 1,06 Milliarden Franken.

Es wird so oder so weitergebaut

Auf der Website des Bundesamts für Strassen (Astra) finden sich weitere Ausbauprojekte, die separat aufgegleist werden. So etwa die umstrittene Erweiterung der A1 zwischen der Verzweigung Birrfeld und Aarau-Ost auf sechs Spuren – Länge 14 Kilometer, Kosten rund 770 Millionen Franken.

Mit anderen Worten: An unseren Nationalstrassen würde auch bei einem Nein zum Autobahn-Ausbau munter weitergebaut. Zudem ist zu bedenken, dass damit die jährlichen Unterhaltskosten weiter steigen. Je mehr Strassenfläche wir haben, desto teurer wird es, diese instand zu halten. Dies gilt ganz besonders für die Tunnel, deren Betrieb und Unterhalt beträchtliche Kosten (und Stau während der Renovierung) verursachen.

Kommt hinzu: Kapazitätserweiterungen führen erfahrungsgemäss zu mehr Verkehr. Irgendwo staut es dann von neuem. «Freie Fahrt für freie Bürger» endet so zwangsläufig im Stau – insbesondere während den Spitzenzeiten.

Zürcher Nordumfahrung brachte mehr Verkehr

Das Internetportal Mobimag nennt dazu ein aktuelles Beispiel: Auf der Nordumfahrung Zürich, wo die Autobahn zwischen Zürich-Affoltern und der Verzweigung Zürich-Nord in beide Richtungen von zwei auf drei Spuren erweitert wurde, hat der Verkehr massiv zugenommen. Die Gemeindestrassen wurden dadurch nur teilweise entlastet – auf einigen nahm der Verkehr sogar deutlich zu. «Von einer grossflächigen Entlastung durch den Ausbau der Autobahn kann keine Rede sein», folgert Mobimag.

Schliesslich rechnen die Behörden durch Stau verursachte volkswirtschaftliche Verluste in Milliardenhöhe herbei, um die Ausbaupläne zu rechtfertigen. Allerdings basiert die angebliche Zahl der sogenannten Staustunden wie auch der dadurch «verlorenen Zeit» auf ziemlich wackligen Annahmen und Hochrechnungen. Wenn Ökonomen das Ganze dann noch in verlorene Schweizer Franken umrechnen, landen sie endgültig im Märchenland.

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Im grünen Bereich: Kaum Stau auf den Schweizer Autobahnen.

So lautet die Definition von Stau beim Astra: «Wenn auf Hochleistungsstrassen oder Hauptstrassen ausserorts die stark reduzierte Fahrzeuggeschwindigkeit während mindestens einer Minute unter 10 km/h liegt und es häufig zum Stillstand kommt.» Wie der Stau gemessen und zu Staustunden zusammengerechnet wird, ist ziemlich abenteuerlich.

Tatsache ist, dass die Zunahme von Staus in den letzten Jahren längst nicht so dramatisch war, wie die Ausbaubefürworter behaupten. Wer genau hinschaut, findet beim Astra Zahlen, die sogar belegen, dass zum Beispiel am Grauholz der Verkehr von 2018 bis 2023 abgenommen hat!

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«Überschätzung»: Die Annahmen des Astra waren falsch.

«Es ist davon auszugehen», ist auf der Webseite des Bundesamts für Statistik nachzulesen, «dass ein Teil der zusätzlich gemessenen Staustunden auf eine verbesserte Erfassung des Verkehrsgeschehens zurückzuführen ist.» Dies, weil das Astra während Monaten nicht in der Lage war, zuverlässig funktionierende Messgeräte zu installieren und zu betreiben (siehe Jahresbericht Astra 2018).

Plattform für Rösti

All diese Fakten finden in den grossen Medien kaum Beachtung. Stattdessen erhält Bundesrat Rösti am 4. November in der «NZZ» eine weitere ganzseitige Plattform für seine Autobahnwerbung. Dabei stellt er nicht nur in Abrede, dass die Ausbauprojekte zu einem höheren Benzinpreis führen könnten, sondern weist auch die Frage nach höheren Abgaben für Automobilist:innen zur Deckung der durch den Strassenverkehr verursachten externen Kosten weit von sich. Da fragt sich die informierte Leserin: Kann Rösti eigentlich nicht rechnen?

Und der «Blick» versucht es gleichentags mit Emotionen: Er begleitete eine Lastwagen-Chauffeurin auf ihrer ärgerlicherweise weitgehend staufreien Fahrt von Altishofen nach Vevey, wo sie ihre Ware pünktlich ablieferte.

Das gleiche «Problem» hatte eine Woche zuvor bereits das Reportageteam der «Rundschau». Es begleitete ebenfalls einen Chauffeur. Trotz stockendem Verkehr bei einer Ausfahrt lieferte auch er seine Ware pünktlich ab.

Also werden die Stauerlebnisse bloss geschildert. Sie sei schon bis zu zwei Stunden im Stau gestanden, erzählte die Chauffeurin dem Blick. Wie oft das vorkommt, wird in der Zeitung allerdings nicht erwähnt. Zudem nutzt die kluge Frau ihre Zeit unterwegs «um Musik zu hören, mit Freunden zu telefonieren oder Sprachen zu lernen».

Verlorene Zeit?


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6 Meinungen

  • am 11.11.2024 um 11:09 Uhr
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    Amüsanter, ideologisch gefärbter Beitrag. Natürlich löst der Ausbau nicht alle Probleme: Der Nicht-Ausbau aber noch viel weniger.

  • am 11.11.2024 um 12:45 Uhr
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    Die Autolobby ist enorm potent. Dem unterordnen sich zuviele kritiklos. Um Stau’s zu verhindern gäbe es heute schon andere Möglichkeiten, z.B. Mobility Pricing. Für Strassenausbau- Fan’s sind solche Ideen natürlich des Teufel’s weil sie daran nichts mehr verdienen können. Im Baselbiet reicht die WIKA grad eine uralt-Idee ein : Ein Tunnel von Liestal nach Arlesheim, weil selbst die merkten, dass die 4 spurige Hagneckautobahn ständig verstopft ist.

  • am 12.11.2024 um 10:49 Uhr
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    Werde voraussichtlich Ja stimmen, obwohl ich gar kein Auto habe. Eine vernünftige Infrastruktur gehört zu jedem modernen Land. Die Autobahnen sind vor einigen Jahrzehnten gebaut worden, wo die Einwohnerzahl wahrscheinlich die Hälfte betrug und viel weniger Autos unterwegs waren. Höchste Zeit dies anzupassen, wer abundzu auf der A1 unterwegs ist, weiß was ich meine. Auch die Züge nach Zürich sind fast immer voll, sprich, es gibt praktisch keinen Spielraum für Menschen, die auf den ÖV umsteigen möchten. Auch glaube ich, dass wir noch in 100 Jahren mit dem Auto unterwegs sein werden. Deshalb, ideologische Scheuklappen ablegen und verantwortungsvoll
    mit Ja abstimmen.

  • am 12.11.2024 um 11:03 Uhr
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    Wenn Stau eintritt, gibr es zwei grundsätzliche Möglichkeiten: entweder mehr Fahrspuren oder weniger Autos. In Zeiten der Klimaerwärmung, wo der CO2-Ausstoss der mit Erdölprodukten betriebene motorisierte Individualverkehr einer der Haupttreiber ist, hat der Bundesrat den Auftrag, eine Reduktion des Klimagasausstosses zu verfolgen. Dies geht mit mehr Autos sicher nicht. Also muss die Anzahl Fahrzeuge, ob in den Städten und Dörfern, aber auch auf der Autobahn reduziert werden. Pro Fahrzeug mindestens 2 Personen verringert die Anzahl der rollenden Objekte um 50 Prozent. Auch wenn dies gegen das absolute Prinzip der persönlichen Freiheit geht, müssen solche und ähnliche Massnahmen verwirklicht werden. Sonst wird meine persönliche Freiheit auf saubere Luft, weniger Lärm und blechfreie Flächen, gerade in den Wohnquartieren, beschnitten. So betrachtet steht der Anspruch „Freie Fahrt für freie Bürger“ dem Bedürfnis auf gesunde Luft, Ruhe und Lebensqualität für Bewohnende gegenüber!

  • am 12.11.2024 um 11:22 Uhr
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    Die Klimaerwärmung resultiert massgeblich aus dem CO2- Ausstoss des motorisierten Verkehrs. Stau kann vordergründig mit zusätzlichen Spuren, auf Autobahnen, bekämpft werden. Oder man reduziert die Anzahl Autos. Beispielsweise mit dem Grundsatz mindestens zwei Personen pro Fahrzeug. Konsequent umgesetzt, wären 50 Prozent weniger Autos unterwegs. Der Bundesrat hat den Auftrag, gemäss Klimaschutzgesetz vom Juni 2023, alles zu tun, um der weiteren Erwärmung zu begegnen. Deshalb muss er alles in Bewegung setzen, um einem Haupttreiber nicht noch den roten Teppich für eine Ausweitung des Strassennetz auszurollen. Der Anspruch „ Freie Fahrt für freie Bürger“ steht dem Bedürfnis vieler BewohnerInnen in Dörfern und Städten auf saubere Luft, weniger permanenter Verkehrslärm, und mehr Platz, jenseits von Autospuren und Parkfeldern, gegenüber. Also, Rösti und Co: Ausbau von Strassen ist ein Holzweg, auch wenn darüber noch so viel Teer gegossen wird!

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