Slum Afrika Nairobi Kenia Kibera

Wo die Lebensbedingungen prekär sind, sterben mehr Menschen an Krankheiten, insbesondere Kinder. Daran ändern die Gentech-Projekte nichts. © menierd / Depositphotos

Afrika als Versuchslabor für umstrittene Gentechnik

Josef Estermann / Martina Frei /  Genveränderte Mücken sollen Malaria ausrotten. Risikoabschätzung und Aufklärung fehlen, Bedenken werden vom Tisch gewischt.

Die Entdeckung von Genscheren, für die die beiden Wissenschaftlerinnen Emanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2020 den Nobelpreis erhielten, eröffnet völlig neue Möglichkeiten. Eine davon sind «Gene Drives». 

Beim «Gene Drive» wird nicht allein ein gewünschtes Gen in einen Organismus eingebracht, sondern zugleich ein Kopiermechanismus. Er sorgt dafür, dass das eingebrachte Gen fast immer an die Nachkommen weitergegeben wird. 

Breiteten sich Genveränderungen früher über viele Generationen hinweg nur peu à peu in einer Population aus, geht es mit den «Gene Drives» viel rasanter, bis schliesslich alle Nachkommen das gewünschte Gen tragen. Bei Mücken könnte ein solches Gen beispielsweise dazu führen, dass eine Art ausstirbt, weil sie mittels «Gene Drive» unfruchtbar gemacht wurde. 

US-Militär zählt zu den grössten Sponsoren

Schädlingsbekämpfung, Ausrotten invasiver Arten, Biowaffen – «Gene Drives» sind für viele Forscherinnen und Forscher interessant. Könnte man zum Beispiel Anophelesmücken, die Überträger der Malaria, mit Hilfe von «Gene Drives» ausrotten, würde dies jährlich Hunderttausende Menschen vor dem Malariatod bewahren und Hunderte von Millionen Menschen vor einer Malaria-Erkrankung. So die Hoffnung – die laut dem «Gen-Ethischen Netzwerk» jedoch «unbegründet und fragwürdig» sei. 

Nach nunmehr zehn Jahren des Experimentierens und einzelner Freisetzungsversuche werden nun die Bedenken gegenüber den Auswirkungen und der Wirksamkeit dieser neuen Gen-Technologie lauter. 

Die Forschungen würden aber weitergeführt, die Kritik verhalle grösstenteils ungehört, und Afrika werde einmal mehr zum Ort eines gigantischen und gefährlichen neokolonialen Experiments, befürchtet das «Gen-Ethische Netzwerk» und weist darauf hin, dass die «Defense Advanced Research Projects Agency» des US-Militärs, also die Forschungsabteilung des US-Militärs, eine der grössten Geldgeber*innen für die Erforschung von Gene Drives ist.

Stiftung des Facebook-Milliardärs macht Tempo

Die Afrikanische Union sprach sich für die Gentechnologie aus.

An der Spitze der Organisationen, die «Gene Drives» für die Malariabekämpfung befürworten, stehe die «AU Development Agency – New Partnership for Africa‘s Development» (AUDA-NEPAD). Sie werde über die Stiftung «Open Philanthropy Project» finanziert, die Dustin Moskovitz, ein Mitbegründer von Facebook, gegründet hat. Laut dem «Gen-Ethischen Netzwerk» führt AUDA-NEPAD in verschiedenen afrikanischen Regionen Veranstaltungen für Entscheidungsträgerinnen und -träger durch. Das Ziel: Schnellere Einführung von «Gene Drives» «in Verbindung mit zulässigen rechtlichen Rahmenbedingungen».

Das Projekt «Target Malaria» ist bereits in mehreren Ländern Afrikas im Gang, darunter Burkina Faso, Ghana, Uganda, Mali, das sich aber zurückzog, und seit Kurzem auch in Kap Verde, das die WHO im Januar 2024 für malariafrei erklärte. «Target Malaria» gilt als das erste Projekt, das eine Gene-Drive-Anwendung für die Bekämpfung der Malaria zur Freisetzung entwickelt hat. 

Gemäss «GeN» zählen die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung (BMGF), die Stiftung «Open Philanthropy Project» und die Forschungsabteilung des US-Militärs zu den grössten Geldgebern von «Target Malaria». Bei dem Vorhaben sollen als Testlauf zuerst sterile männliche Mücken ohne «Gene Drives» freigesetzt werden, danach Mücken mit «Gene Drives».

Zahlreiche Bedenken übergangen

Diese zweite Stufe erfolgte erstmals am 1. Juli 2019 in Burkina Faso. Im Dorf Bana liess «Target Malaria» mit Zustimmung der nationalen Biosicherheitsbehörde gentechnisch veränderte Anopheles-Mücken der Art «Anopheles Gambiae» los. 

«Die Freisetzung – die erste auf dem afrikanischen Kontinent – erfolgte, obwohl afrikanische zivilgesellschaftliche Organisationen mehrere Jahre lang zahlreiche ernsthafte Bedenken und Warnungen geäussert hatten, dass das Projekt Afrika zu einem Testgelände für riskante Technologien machen würde», schreibt das «Gen-Ethische Netzwerk». 

Eines der vorgebrachten Argumente war, dass mehrere Anopheles-Mückenarten Malaria übertragen können. Beseitige man eine davon mittels «Gene Drive», könnten möglicherweise die anderen Arten an ihre Stelle treten. Die Malaria würde so nicht ausgerottet, das Freiluftexperiment lasse keinerlei Nutzen für die Malariabekämpfung erwarten und sei ausgesprochen unethisch.

Keine Risikobewertung veröffentlicht

«Target Malaria» lässt sich durch die Widerstände und Kritik aber nicht beirren und hält an der Vision fest, Malaria durch die Gene-Drive-Technologie endgültig ausrotten zu können. Eine weitere Genehmigung für Burkina Faso liege bereits vor. 

Das «Gen-ethische Netzwerk» bemängelt: «Es wurde auch keine umfassende Risikobewertung veröffentlicht, die Gegenstand einer offenen und transparenten Konsultation war, wie es das Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit (CPB) – dem auch Burkina Faso beigetreten ist – vorschreibt. Die Freisetzung erfolgte also, ohne dass die internationale Verpflichtung zur vorherigen Zustimmung nach Aufklärung erfüllt wurde.»

Dabei mangele es an Daten, kritisiert das «Gen-ethische Netzwerk» weiter: «So auch im Fall von Anopheles Gambiae, wo es immer noch an Beweisen für die Wirksamkeit fehlt. Gleichzeitig zeigen Studien, dass Resistenzen gegen die durch Gene Drives ausgelösten Veränderungen in der DNA entstehen, wodurch wieder neue Konstrukte entwickelt werden müssen. Dies wird auch durch einen kürzlich von der WHO veröffentlichten Bericht aus dem Jahr 2022 bestätigt, in dem auf die Probleme mit den Gene-Drive-Mücken von Target Malaria hingewiesen wird. Das Fazit des Berichts ist, dass diese Technologie zum Scheitern verurteilt ist und viele afrikanische Bevölkerungsgruppen unnötig riskanten Technologien ausgesetzt werden.»

«Nicht bekannt, wie andere Organismen reagieren»

Auch das Kleinreden von Risiken seitens der Entwickler hält das «Gen-ethische Netzwerk» für falsch: «Die Behauptungen der Entwickler*innen von Gene-Drive-Technologien, dass Risiken unwahrscheinlich seien – einschliesslich ökologischer Risiken und Risiken für die menschliche Gesundheit –, bleiben ebenfalls unbelegt, da bei den geplanten Projekten nicht bekannt ist, wie andere Organismen im Ökosystem, zum Beispiel Pflanzen, Fische, Fledermäuse und Insekten, auf die Freisetzung von Gene-Drive-Mücken reagieren könnten. Die derzeitigen Methoden zur Risikobewertung sind für die Einschätzung von Gene Drives unzureichend», findet das «Gen-ethische Netzwerk». 

«Target Malaria» ist nicht das einzige Vorhaben, bei dem genveränderte Mücken gegen Malaria zum Einsatz kommen. Auch eine britische Firma namens «Oxitec» entwickle gentechnisch veränderte Stechmücken, um die Malaria zu bekämpfen. Laut dem «Gen-ethischen Netzwerk» sei allerdings ungewiss, ob dabei «angemessene demokratische Konsultationen mit den Communities stattgefunden haben und welche Verfahren der biologischen Sicherheit, wenn überhaupt, […] eingehalten wurden.»

Viel lobbyiert, aber bewusst keine PR

Bisherige von «Oxitech» genveränderte Mücken (Gv-Mücken) hätten die in sie gesetzten Erwartungen jedenfalls nicht erfüllt, so das «GeN». «So wurden die Gv-Mücken von Oxitec in Mexiko aufgegeben, nachdem es zu unbeabsichtigten Kreuzungen mit Nicht-gv-Mücken kam. Auf den Kaimaninseln bestätigte der Umweltgesundheitsminister 2018, dass die Versuche von Oxitec mit Gv-Mücken gescheitert seien. Ähnliche Fälle von abgebrochenen Versuchen mit Gv-Mücken gab es in Malaysia und Panama. In Indien ruhen die Gv-Mücken-Projekte der Oxitec-Tochtergesellschaften seit mehreren Jahren. Die weltweiten Freisetzungsversuche von Oxitec, einschliesslich in Florida und Brasilien, setzen Gemeinschaften und Umwelt weiterhin unnötigen Risiken aus.» 

In der Landwirtschaft würden diverse Anwendungen von «Gene Drives» ins Auge gefasst, «mit stiller Unterstützung» grosser Landwirtschafts-Unternehmen. Das berichtete das «African Centre for Biodiversity» schon 2019 in einem Bericht. Um zu vermeiden, dass es Widerstand gebe – so wie es bei den Gentech-Pflanzen geschah – würde nun bewusst keine Werbung für diese Vorhaben gemacht, bei denen es darum gehe, unerwünschte Pflanzen wieder empfänglich für Pflanzengifte zu machen, Viehbestände zu verändern oder Schädlinge zu dezimieren.

Die Kirschessigfliege im Visier

Es gebe bereits «verschiedene Patente für landwirtschaftliche Anwendungen, und das Lobbying der Agrarindustrie für eine freizügige Gene-Drive-Politik hat bereits stattgefunden, ohne dass es eine öffentliche Diskussion […] gab. In den USA wird bereits an der Entwicklung von gentechnisch veränderten Fruchtfliegen gearbeitet, um die kommerziell wichtige Kirschessigfliege, Drosophila suzukii, zu verändern, die in Nordamerika und Europa ein grosser Schädling ist.»

Letztlich geht es bei Target Malaria und anderen «Gene-Drive»-Technologie-Projekten um viel Geld und Macht. Die hehre Absicht, Malaria in Afrika auszurotten, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kontinent zum neokolonialen Versuchslabor für weitere, vor allem in der Landwirtschaft und im Militär zu erwartende Projekte in Billionenhöhe wird. Die Agrarindustrie betreibt eine immense Lobbyarbeit für eine permissive «Gene-Drive»-Politik, ohne dass eine öffentliche Diskussion darüber stattfindet.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

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Afrika: Ausbeutung und Hilfe

Die Industriestaaten profitieren von Hungerlöhnen und Kinderarbeit. An Korruption sind sie oft beteiligt.

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Landwirtschaft

Massentierhaltung? Bio? Gentechnisch? Zu teuer? Verarbeitende Industrie? Verbände? Lobbys?

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Genveränderte Nahrungs- und Futtermittel: Was ist erlaubt, was verboten. Wer haftet für Langzeitschäden?

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Eine Meinung zu

  • am 4.09.2024 um 11:12 Uhr
    Permalink

    Verzichtet doch bitte auf unsinniges Gendern. Geldgeber sind meistens juristische Personen, es macht auch keinen Sinn Wörter wie Gesellschaft oder Freundschaft zu gendern. Denke jeweils ich lese ein Manifest eines jungen Uniabsolventen, bei solch inszenierten Wortkreationen. Es stört den Lese- und Gedankenfluss deutlich und sollte doch bitte vermieden werden. Plattformen und Medien, wo junge Gutmenschen sich präsentieren können, gibts zur genüge, belassens wir hier doch auf das vermitteln von Informationen.

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