Wie Schrottschiffe in Billigländer verschoben werden
Männer, die barfuss auf riesigen Schiffswracks herumklettern oder im Schlick waten, um Teile davon an Land zu ziehen – so oder so ähnlich portraitiert der Film «Eisenfresser» die Arbeit in der bengalischen Abwrackwerft in Chittagong, Bangladesch. Seit «Eisenfresser» (Trailer) 2007 veröffentlicht wurde, hat sich daran auch nicht viel geändert. Die schlecht bezahlten Arbeiter gehen dabei ein hohes Risiko ein, Giftstoffe aus den Wracks gelangen ungehindert direkt ins Meer.
Arbeitsschutz gibt es selten bis nie, Unfälle sind häufig. Um gesundheitliche Folgen kümmert sich niemand. Das ginge auch anders, aber immer noch wird ein Grossteil aller ausgedienten Fracht- und Tankschiffe so verschrottet – zum Schaden der Umwelt und der Menschen, die diese gefährliche Arbeit tun.
Umwelt- und menschenfeindliche Verschrottungspraxis
90 Prozent der weltweiten Fracht wird mit dem Schiff transportiert. Schiffe sind überlebenswichtig für die Weltwirtschaft. Wie wichtig, konnte man sehen, als ein querliegender Frachter Anfang April tagelang den Suez-Kanal blockierte und Engpässe in der Versorgung Europas auslöste.
Nach etwa 30 Jahren auf den Weltmeeren tritt ein Frachter seine letzte Reise an, meist zu einer Abwrackwerft in Asien, obwohl die Gesetze in den Industrieländern es verbieten. Ein Schiff besteht zu 95 Prozent aus Stahl, der meist in Handarbeit zerlegt wird. Oft liegt das Wrack dabei im Wasser direkt am Strand, der Ölteppich ist teilweise auf Satellitenbildern sichtbar.
Neben Stahl enthält ein Schrottschiff tonnenweise Blei, Quecksilber, Asbest und Pestizide, zählt ein Artikel in «nature» auf. Eine Liste von Greenpeace führt noch Cadmium, Arsen, Organozinn, Zink und Chrom aus den Anstrichen auf, dazu PCB in Dichtungen, Dioxine sowie Öl- und Schmierstoffreste, die beim Zerlegen in die Umwelt gelangen. Die Arbeiter sind nicht geschützt und wissen nichts von den Gefahren. Dazu kommen bekannte Probleme wie die Ausbeutung von Wanderarbeitern und Kinderarbeit.
Derzeit sei bei den Abwrackunternehmen besonders viel los, schreibt die «Süddeutsche Zeitung» in einer Reportage über eine türkische Abwrackwerft. Corona hat die Reedereien hart getroffen, es wandern sogar Kreuzfahrtschiffe in die Verschrottung.
Müllexporte in Drittweltländer
Solcher Mülltourismus ist eigentlich verboten. Das Basler Übereinkommen zum Handel mit gefährlichen Abfällen, das aufgesetzt wurde, um die Verschiebung von Müll in Drittweltländer zu verhindern, verbietet ihn. Die EU-Länder und auch die Schweiz müssen sich danach richten. Die europäische Schiffsrecycling-Verordnung von 2019, nach der Schiffe nur von zertifizierten Betrieben recycelt werden dürfen, gilt ebenfalls.
Die IMO (International Maritime Organisation), die ILO (International Labour Organisation) und die ICS (International Chamber of Shipping) haben Richtlinien zum Umgang mit Schrottschiffen, überlassen die Ausgestaltung aber den Ländern, in denen die Schiffe registriert sind. Davon profitieren die Reedereien.
Der Grossteil aller Fracht- und Tankschiffe weltweit gehören zwar Eigentümern in der EU, den USA, Südkorea und Japan, ist aber zunehmend in anderen Ländern registriert. Dieser Vorgang nennt sich «Ausflaggung». Seit Anfang des Jahrtausends gebe es einen regelrechten Boom, stellte eine Studie fest, die Daten kommerzieller Frachtanbieter ausgewertet hat.
Um Kosten zu sparen, melden Reeder ihre Schiffe bei der Ausflaggung in anderen Ländern an. Etwa weil dort die Steuersätze niedriger, die «Heuer», also die Gehälter der Seeleute, günstiger oder die Regulierungen weniger streng sind. Um eine Zulassung zu bekommen, reicht in manchen Ländern schon eine Briefkastenfirma im betreffenden Staat. So kann ein Reeder aus den Niederlanden seine Schiffe unter panamaischer Flagge fahren lassen.
Ausflaggung (Flags of Convenience, FOCs)
«Flags of Convenience», wie diese Operation auf Englisch heisst, werden deutsch oft als «Billigflaggen» bezeichnet. Für die Länder, die die offene Schiffsregistrierung anbieten, ist diese oft eine wichtige Einkommensquelle. Die BBC erklärt das in diesem Artikel von 2014 am Beispiel von Panama. Möglichkeiten, Verstösse gegen internationales Recht oder beispielsweise auch Unfälle zu untersuchen, haben diese Länder oft nur in geringem Masse.
Ausflaggung steht manchmal in Verbindung mit Umweltverbrechen, illegaler Fischerei oder Steuerhinterziehung. Sie ist legal und wird von Reedereien auch immer wieder angedroht, um in Steuerdebatten Einfluss zu nehmen. Sie verschleiert die Besitzverhältnisse, und es ist unter Umständen schwer, den wirklichen Eigentümer eines Schiffs zu finden.
Zwischen 2002 und 2019 hat der Anteil der Schiffe, deren Eigentümer in der EU sitzen und die in Ländern mit geringem Einkommen registriert sind, von 46 Prozent auf 96 Prozent zugenommen. Die Inselstaaten der Komoren und Palau haben dabei Panama and Liberia als beliebteste Flaggen abgelöst.
Praktisch läuft die Verschrottung eines Fracht- oder Tankschiffs so: «Die Reederei beauftragt einen Broker, der einen Käufer für das Schiff sucht», erklärte Patrizia Heidegger von der Nichtregierungsorganisation «Shipbreaking Platform» 2015 in einem Interview. Eine Mittelsperson kauft das Schiff, registriert es unter einer Billigflagge und verkauft es an eine Abwrackwerft weiter. Auch andere Tricks kommen vor, ein Schiff verlässt zum Beispiel angeblich zu Wartungsarbeiten europäische Gewässer.
Gewinne auf Kosten der Umwelt
Schrottschiffe werden nach Tonnen Stahl bezahlt. In Bangladesch, Indien und Pakistan, wo 80 Prozent der weltweiten Frachtflotte zerlegt werden, sind die Umweltgesetze lax und die Arbeit günstig, die Gewinne also am höchsten.
Ein Schiff in einer zertifizierten europäischen Werft abzuwracken, wo auf Umwelt- und Sicherheitsstandards geachtet wird, wäre teurer. Einige grosse Reedereien haben sich trotzdem verpflichtet, keine Schiffe mehr auf asiatischen Stränden abzuwracken. Wie ein Beispiel der dänischen Grossreederei Maersk zeigt, das die «Shipbreaking Platform» dokumentiert hat, halten sie sich aber nicht immer daran.
PS vom 29. April 2021: Unser Leser Oliver Classen weist auf die Schweizer Beteiligung am globalen Abwrackgeschäft hin, über das «Public Eye» eine ausführliche Reportage publiziert hat. Die Schweiz hat zwar keinen Meerzugang, ist aber der Sitz mehrerer Reedereien, die ihre Schiffe in Asien verschrottet haben oder das immer noch tun, unter anderen des Container-Giganten MSC (Mediterranean Shipping Company).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Bangladesch ist ein armes Land mit wenig eigenen Ressourcen.
Statt die Schiffe nicht mehr dort abzuwracken wäre dem Land und der Umwelt deutlich besser geholfen, wenn man dafür sorgt, dass die Schiffe in Bangladesch nach hiesigen Standards abgewrackt werden.
Dann muss man halt wie bei Elektroschrott eine vorgezogene Recycling Gebühr verlangen auf neuen Schiffen! Die Redereien können dann die Schiffe nach Gebrauch gratis entsorgen! Natürlich braucht es dazu Weltweite Einigkeit!
Danke für diesen Bericht. Da müssen Sie gar nicht so weit gehen. Da meine Erzieher mittellos waren und mich mit 17 samt einem Rucksack auf die Strasse gestellt hatten (Gewaltfamilie, Alkohol, usw) habe ich 6 Jahre in den Rheinhäfen Schicht geleistet um mir eine Ausbildung zu finanzieren. 2 Jahre als Akkord-Umschlagsarbeiter und 4 Jahre als Kranführer. 1981 stand ich im Quecksilber beim Schrottumschlag, ohne irgendwelchen Schutz. Niemand wusste oder wollte wissen wie giftig dieses Zeugs ist, das da aus dem Elektronikschrott im Schiffsraum auslief. Es folgte eine jahrelange Odysee bis ein Arzt die Schwermetallvergiftung entdeckte. Noch heute sind trotz Nutzung aller Möglichkeiten erhöhte Werte messbar in meinen Haaren und im Blut. Man bekommt nie alles raus. Meine Gesundheit ist hinüber, seit 1997 ging es nur noch abwärts. Ich machte das Beste daraus, ich bildete mich weiter in den Sozialbereich, (Vorher Informatiker Bereich Sicherheit) Heute mit 62 Jahren lebe ich von der IV und mache gelegentlich im Nahfeld ehrenamtliche Einsätze. Das solche Dinge geschehen, hat mit Raubtierkapitalismus und Korruption zu tun. Das diese Ereignisse stattfinden können, ist systemimmanent. Es mangelt an Gesetzen und an einem Weltethos. Ich gönne jedem Wohlstand und Reichtum, sofern dieser nicht auf kosten Dritter geht. Das Grundeinkommen wäre ein Anfang, ebenso wie der Verzicht auf jede Form von Gewalt welche sich jenseits von Notwehr befindet, auch auf nationaler Ebene.
Was ich schon bei, «Anstatt die Emissionen der kommerziellen Schifffahrt zu begrenzen, kuschelt die zuständige Regulierungsbehörde mit der Industrie.», gesagt habe, gilt auch hier.
https://www.infosperber.ch/umwelt/klimaschutz-un-regulierungsbehoerde-beugt-sich-industrie/
Solange sich der globalistische Ausbeuterkapitalismus weiter inszeniert darf, wird sich vermutlich an der Verschmutzung der Meere, durch grosskalibrige alte Dreckschleudern nichts ändern. Das System einer Demokratie der Reichen, sprich Plutokratie, schliesst jede Möglichkeit aus, etwas gegen Verschmutzung zu unternehmen, wenn diese Aktionen, die Gewinne dieser Gierzombies, auch nur ein wenig schmälern würde.
Um da mal Marx zu zitieren:
Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.