Plastikindustrie will «Recycling» neu definieren
Das Jahr 2024 scheint das Jahr der erfolglosen Verhandlungen zu sein. Nach den umstrittenen Ergebnissen der Weltklimakonferenz COP29 in Baku, die am 23. November zu Ende ging, schlugen eine Woche später in Südkorea auch die UN-Verhandlungen zur Verringerung von Plastikmüll fehl. Die fünfte Verhandlungsrunde hätte nach zehn Jahren den Durchbruch hin zu einer Welt mit weniger Plastik bringen sollen.
Auf eine Produktionsobergrenze, englisch «Plastic Cap», konnten sich die teilnehmenden Länder aber nicht einigen. Mehrere Ölstaaten hatten sich dagegengestellt und drangen stattdessen auf eine Verbesserung der Abfallwirtschaft, sprich: des Recyclings. Umweltorganisationen wie der WWF kritisierten den Widerstand einer «lautstarken Minderheit» gegen das gemeinsame Ziel von mehr als 200 Staaten.
Hinter dem Zerwürfnis steht mindestens zweierlei: ein Geschäftsmodell, das weiter Erdöl als Rohstoff braucht. Und eine schwammige Definition des Begriffs «Recycling» beziehungsweise «recycelbar».
Theoretisch, thermisch, toxisch: Was ist «recycelbar»?
Ist alles recycelbar, was zumindest theoretisch recycelt werden könnte? So sieht es die plastikherstellende Industrie. Oder nur das, was realistisch gesehen auch eine Chance hat, wiederverwertet zu werden?
Zwischen theoretisch recycelt und praktisch wiederverwertet liegen Tonnen von Mikroplastik, Tiere, die an Plastiktüten verenden, Zusatzstoffe, die als Umweltchemikalien im Wasser landen, viel Deponieplatz und der giftige Rauch von Müllverbrennungsanlagen.
Streit um Definitionen
Versuche, Plastikprodukte als kreislauffähig darzustellen, gibt es, seit es die Plastikmüll-Diskussion gibt. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang zum Beispiel das dreieckige Recycling-Label, das anzeigt, aus welchem Kunststoff ein Gegenstand besteht. Über dessen Kreislauffähigkeit ist damit aber noch nichts gesagt. Konsument:innen setzen das Symbol oft irrtümlich mit seiner Recycling-Eignung gleich (Infosperber berichtete). Sogar die US-Umweltagentur EPA will inzwischen, dass die «Chasing Arrows» abgeschafft werden.
Ein ähnlich irreführender Begriff ist «thermisches Recycling». Das bedeutet schlicht, dass Plastikabfall verbrannt, aber immerhin die Abwärme genutzt wird. Nur etwa 5 Prozent des Plastikabfalls in den USA werden tatsächlich recycelt. Der grösste Teil wird deponiert oder verbrannt.
Dennoch wollen US-Unternehmen, dass als recycelbar bezeichnet wird, was theoretisch recycelbar ist, auch wenn das nie geschehen wird, kritisiert das US-Medium «Pro Publica», das sich seit Jahren mit Plastik und seiner Verwertung beschäftigt. Dasselbe gelte für den Begriff «kompostierbar».
Kritik, die auch hierzulande zutrifft. In der Schweiz werden 9 Prozent des Plastikabfalls recycelt und 85 Prozent verbrannt. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Plastik ist dabei einer der höchsten der Welt. Die EU hat ein Recycling-Ziel und eine Verwertungsquote von durchschnittlich 40 Prozent (2022, Statista), in der verbrannter Plastikabfall aber einbezogen ist. In einzelnen Ländern ist die Recyclingquote deutlich höher. In Deutschland liegt sie bei 60 Prozent.
Ob Recycling oder Greenwashing kommt auf die Perspektive an
Mehrere Unternehmen haben bei der US-Handelskommission beantragt, dass die Kann-Definition in die sogenannten «Green Guides» aufgenommen wird, darunter Öl- und Verpackungskonzerne. «Green Guides» sind kein Gesetz, sondern eine Sammlung von Vorschriften, die Greenwashing verhindern sollen.
Geht der Vorschlag durch, dürften Unternehmen mit dem Begriff «recycelbar» werben, auch wenn nichts recycelt wird. Umweltorganisationen sowie einige US-Bundesstaaten fordern strengere Regeln, damit nur tatsächlich recycelbare Produkte so gekennzeichnet werden dürfen.
Pyrolyse und andere Versprechen der Industrie
Aus gebrauchtem wieder neues Plastik zu machen, sei sehr schwierig, führt «Pro Publica» aus. Dafür seien Kunststoffe und ihre Additive oft zu giftig. Dazu kommt die Problematik der Verbundstoffe, die mit vernünftigem Aufwand nicht mehr getrennt werden können und deshalb verbrannt werden.
Ein besonders schlechtes Beispiel von Recycling ist Pyrolyse oder «chemisches Recycling», eine ineffiziente und sehr umweltbelastende Methode. Plastikabfälle werden dabei mit hohem Druck und Hitze aufgespalten. Die aufgereinigten Bruchstücke können wieder zu neuen Polymeren werden oder zu Treibstoffen wie E-Fuels. Dabei entstehen etliche gesundheitsschädliche Nebenprodukte.
Die Optionen sind allerdings begrenzt. Ein Plastikartikel enthält etliche Additive wie Flammschutzmittel, Farbstoffe oder Weichmacher, die giftig sind oder zu Giften werden können, wenn sie erhitzt werden. Dazu kommen solche, die einer Weiterverwertung im Weg stehen. Das schränkt die Zahl der möglichen Produkte ein.
Mehr Etiketten statt weniger Plastik
Niemand erwarte, dass durch Pyrolyse in naher Zukunft eine relevante Menge Plastikmüll recycelt würde, schreibt «Pro Publica». Dennoch propagieren Unternehmen wie Exxon Pyrolyse dies gerne als Lösung für das Plastikproblem. Das Verfahren wird von allen Umweltorganisationen abgelehnt.
Fachleute warnen, dass «Recycling»-Labels auf praktisch allen Produkten die Plastikflut verstärken könnten. Sie fordern, Recycling realistisch zu bewerten und stärker auf echte Reduktion von Plastikmüll zu setzen. Studien zeigen: Wer denkt, dass Dinge recycelt werden, konsumiert mehr und macht mehr Müll.
Vor allem die Verpackungsindustrie möchte aber gerne «recycelbar» sein. Recycling sei nie absolut garantiert, argumentiert die Industrie. Plastik könne verschmutzt sein und auch andere Umstände könnten sich ändern. Die Covid-Pandemie beispielsweise habe Einrichtungen dazu gezwungen, technisch recycelbares Material zu entsorgen.
Der Weg zu echten Lösungen
Weniger Gegenstände mit «recycelbar» zu labeln, könnte sogar zu einem Rückgang wirklich recycelbarer Produkte führen, da es die Konsument:innen so verwirre, dass sie gar nichts mehr in Recyclingtonnen würfen.
Umweltverbände wie Greenpeace bezeichnen solche Argumentationsmuster als «Recycling-Lüge». Sie dringen auf eine Begrenzung des globalen Plastikaufkommens und eine Stärkung von Mehrweglösungen. Ohne Gegenmassnahmen, so der Tenor, werden wir in wenigen Jahrzehnten an Plastik ersticken. Nach Prognosen werden die G20 schon bis 2050 doppelt so viel Plastik verbrauchen wie jetzt, wenn die Produktion nicht reguliert wird.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ich empfehle die Arte-Doku «Plastik – Die Recyclinglüge». Echtes Recycling gibt es bei Plastik mit Ausnahme von PET fast nicht, weil für die meisten Produkte frisches Plastik verwendet wird.