Abbruchfieber auch in der Stadt Bern
Wie leichtfertig man in Zürich mit dem architektonischen Erbe umgeht – darüber berichtete der pensionierte Architekt Heinrich Frei auf Infosperber. In Bern ist es nicht besser. Auch Bern sündigt. Und zwar schon lange. Die negativen Auswirkungen reichen bis in die Gegenwart. Nehmen wir als Beispiel das alte Wankdorfstadion und den Neubau, bei dem bereits nachgebessert werden muss.
Das «Wunder von Bern»
1954 gewann Deutschland den Final der Fussball-WM gegen Ungarn überraschend mit 3:2. Das Spiel ging als «Wunder von Bern» in die Geschichte ein. Für viele Deutsche war das Stadion fortan so etwas wie ein Heiligtum. Die Berner liebten es wegen seiner unverkennbaren Uhrentürme. Und die Denkmalpflege stufte es als «erhaltenswert» ein.
Eine Zumutung
Doch das Stadion wurde vernachlässigt. Die WCs waren eine Zumutung. Und die Kapazität musste aus Sicherheitsgründen schrittweise von 64’000 auf 22’000 Plätze reduziert werden. Unterbliebene Renovationen und mangelhafter Unterhalt vergällten den Bernern und Bernerinnen die Freude am legendären Stadion zusehends. Es war nicht mehr zu retten. 2001 wurde das Stadion schliesslich gesprengt. Einer der vier Flutlichtmasten hielt dem Sprengstoff stand. Er musste separat abgerissen werden.
Allerweltsbau
Doch was seit 2005 dort steht, befriedigt nicht. Es ist ein reiner Zweckbau mit eingebautem Einkaufszentrum. Zum alten Stadion sind keinerlei Bezüge erkennbar. Alles wurde ausgelöscht. Nur eine Matchuhr, die zwei Jahre später aus dem Lager einer Baufirma gerettet und vors Stadion gestellt wurde, erinnert an die glorreichen Zeiten.
Grossspurig wurde der neue Allerweltsbau auf den Namen «Stade de Suisse» getauft, obwohl er weniger Zuschauerplätze aufweist als der «St. Jakob» in Basel. Der gesichtslose Bau könnte irgendwo auf der Welt stehen. Und er hat gravierende Mängel.
Die Zuschauer frieren
Mit dem Kunstrasen hat sich bis heute kaum jemand wirklich anfreunden können. Der Wind pfeift so sehr durchs Stadion, dass die Zuschauer und Zuschauerinnen – ausser im Hochsommer – erbärmlich frieren.
YB fehlen die Trainingsfelder
Dem Neubau sind damals auch zwei Trainingsfelder und eine Turnhalle zum Opfer gefallen. Beim BSC Young Boys trauert man den beiden Trainingsfeldern noch heute nach. Die Klubverantwortlichen versuchen seither vergeblich, anderswo ein Trainingszentrum aufzubauen. Seit mehr als 15 Jahren weichen die Fussballer fürs Training mal hierhin, mal dorthin aus. Champions-League-würdig ist das nicht.
Doch jetzt soll nachgebessert werden. Beschönigend schreibt die Stadt: «Inzwischen hat sich gezeigt, dass der Windschutz des Stadions ungenügend und die bauliche Ausnutzung des Leerraums im Stadion optimierbar ist.» Als ob das etwas Neues wäre.
Abstimmung in zwei Jahren
Dabei war von Anfang an klar, dass das Gelände schlecht ausgenutzt ist. Und alle, die zwei Wochen vor der Eröffnungsfeier beim Spiel zwischen YB und Olympique Marseille dabei waren, wussten bereits, dass es im Stadion unangenehm zugig ist.
Fürs Nachbessern braucht es nun eine neue Überbauungsordnung. Und damit eine Volksabstimmung. Sie findet voraussichtlich 2025 statt.
16 Tiere und drei Menschen
Wenig Gespür für die Bedeutung von Zeitzeugen zeigte die Stadt Bern auch beim Schulhaus Wylergut. Seit 1949 zierte ein Wandalphabet dessen Treppenhaus. Es diente Erstklässlern beim Erlernen des Alphabets. Das Problem: Neben 16 Tieren wie Dachs, Fisch und Gans zeigt das Wandbild auch 3 Menschen. C steht für Chinese, I für Indianer, N für Neger.
«Koloniale Stereotypen»
Eugen Jordi und Emil Zbinden, die das Werk erschaffen haben, waren alles andere als Rassisten. Trotzdem entstand in Bern plötzlich eine grosse Diskussion um das Bild. Die Stadt Bern schrieb: «Das Wandalphabet im Schulhaus Wylergut enthält Darstellungen von Menschen, die heute als koloniale Stereotypen erkannt werden.»
Bedingung: Das Wandbild bleibt
Die Denkmalpflege stufte das Wandbild als «erhaltenswert» ein. Die Stadt Bern führte 2020 einen Wettbewerb durch. Dessen Ziel: Das – aus heutiger Sicht – problematische Wandbild «in unserer Zeit verorten und zu schulinternen und öffentlichen Debatten anregen.» Die Bedingung: Das Wandbild bleibt erhalten.
Doch dann übermalten Vandalen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die drei Buchstaben C, I und N des Alphabets. Die Stadtregierung verzichtete auf eine Anzeige, weil sie «die Ungeduld und Wut, die hinter dem Protest stehe, nachvollziehen könne», wie die Berner Zeitung damals schrieb.
Wettbewerbssieger: «Das Wandbild muss weg»
Obwohl eine Wettbewerbsbedingung war, dass das Wandbild erhalten bleibe, gewann das Projekt mit dem brachialen Titel «Das Wandbild muss weg.» Kern des Projekts: Das Wandbild soll – so schonend es geht – entfernt und in einem Museum ausgestellt werden.
Etwas abgehoben steht im Projektbeschrieb: «Lesbar als Konzept- und Aktionskunst, als künstlerische Forschung und politische Intervention, adressiert das Projekt vielfältige Demontagen und Dislozierungen von Kunstwerken im öffentlichen Raum.»
Auch Opposition in letzter Minute nützte nichts mehr. Das Wandbild wird — so schonend es geht — entfernt.
Bald eingelagert
Inzwischen ist klar: Das Wandbild wird im Historischen Museum in Bern ausgestellt. Ebenso klar ist: Nicht für lange.
Museumsdirektor Thomas Pauli-Gabi sagt, nach der Ausstellung werde das Wandbild im Frühling 2025 «auseinandergenommen und sorgfältig geschichtet im Depot gelagert».
Wohlverstanden — ein solches Wandalphabet dürfte heute an keiner Schulhauswand mehr angebracht werden. Aber das Wandalphabet im Wylergut ist ein Zeitzeuge. Muss ein solches Werk unbedingt verschwinden? Gehört es in einen Museumskeller? Aus den Augen, aus dem Sinn? Damit verhindern Stadt und Aktivisten genau das, was sie angeblich angestrebt hatten: Die Auseinandersetzung mit Rassismus und Kolonialismus.
Vernachlässigtes Hallenbad
Ungewiss ist das Schicksal des einzigen Hallenbads in der Berner Innenstadt. Es wurde 1928/29 erbaut und 1939 erweitert Zuerst hiess es «Badanstalt Sommerleist», später «Hallenbad Hirschengraben». Tout Berne nennt es «Muubeeri», weil es an der Maulbeerstrasse steht – noch.
Obwohl es als «schützenswert» eingestuft ist, vernachlässigte die Stadt Bern den Unterhalt. Sie schrieb 2015: «Die Investitionen werden auf das absolut Notwendige beschränkt.» So ersetzte die Stadt Bern damals die Filteranlage mit einer «Occasionsanlage aus einem stillgelegten Hallenbad in Luzern».
Herunterstürzende Deckenteile
Fünf Jahre später mussten Dach und Decke das Lehrschwimmbecken mit seitlichen Stützen und einem Querträger abgestützt werden. Trotzdem stürzten im Jahr darauf Deckenteile in den Ruhebereich neben dem Lehrschwimmbecken. Die Stadtregierung entschied schliesslich, das Bad «im Zuge des Haushaltentlstungspakets FIT II» zu schliessen.
Die Stadt hat keinen Plan
Seit diesem Sommer ist es nun tatsächlich geschlossen. Was damit geschieht? Die Stadt hat keinen Plan. Von 2024 bis 2026 soll es als Kletteranlage genutzt werden. Was danach geschieht, ist offen. Die Stadt spielt auf Zeit.
Noch ein Sündenfall?
Ein weiterer Sündenfall droht im 1919 eingemeindeten Bümpliz. Dort steht die erste genossenschaftlich finanzierte Wohnsiedlung der Stadt Bern. Sie wurde von 1949 bis 1955 erbaut. Der Schweizer Heimatschutz schreibt: «Das Frühwerk des Architektenpaars Hans und Gret Reinhard fand bereits zur Bauzeit landesweit Beachtung. Prototypisch wurde hier geplant, was Stadtplanerinnen und Stadtplaner heute noch anstreben: günstige Wohnungen, eine gute soziale Durchmischung, eine hohe Nutzungsvielfalt und lebenswerte Freiräume für alle.»
Von nationaler Bedeutung
Im Inventar schützenswerter Ortsbilder der Schweiz ist die Siedlung als «von nationaler Bedeutung» verzeichnet. Die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege kam 2015 zum Schluss, «dass die Siedlung Meienegg insgesamt ein bedeutendes, zwingend zu erhaltendes Objekt» sei. Sie empfahl der Stadt Bern, die Siedlung von «erhaltenswert» auf «schützenswert» aufzustufen. Doch die Stadt tat das nicht.
«Transformiert»!
Vielmehr beschloss die Stadtregierung vier Jahre später, «dass kurz- bis mittelfristig zwei Drittel bis drei Viertel der Siedlung transformiert werden können». «Transformiert» heisst: Abgebrochen.
Denkmalpfleger opponiert
Das ist absurd. Denn für Fachleute sind nicht die einzelnen Häuser schützenswert, sondern das ganze Ensemble. Der städtische Denkmalpfleger sagte denn auch gegenüber der Berner Zeitung: «Ein Abbruch oder eine Teilabbruch der Siedlung ist aus denkmalpflegerischer Sicht keine Option.» Für ihn ist bereits klar, dass sein Amt «einen ablehnenden Amtsbericht zu einem Abbruch oder Teilabbruch der Meienegg schreiben wird». Und dass er sich damit gegen die Stadtregierung stellt.
Weiterführende Informationen:
Infosperber: Stadt Zürich im Abbruchfieber
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Als Historiker/Archivar ist mir Kulturgut sehr wichtig. Aber manches wird mit der Zeit halt einfach untragbar. Z.B. ein Wandalphabet mit N wie Neger in einer Primarschule. Wie man das nicht erkennen kann, ist mir schleierhaft.
Wie in Bern sollen auch in Zürich Bilder entfernt werden. Der Stadtrat von Zürich will «koloniale und rassistische Inschriften und Bilder», von Hausfassaden entfernen lassen. Damit will er ein Zeichen gegen Rassismus und Kolonialismus im öffentlichen Raum setzen. Beginnen soll diese Säuberung bei Gebäuden im Niederdorf, auf denen die Bezeichnung «Mohr» zu sehen ist: «Zum Mohrenkopf», «Zum Mohrenkönig», «Zum kleinen Mohren», «Zum Mohrentanz» – Bis jetzt wurde zum Glück nichts entfernt.
In Zürich-Oerlikon ist ein neues Sportzentrum geplant. «Zürich kann sich das leisten», heisst es. obwohl jetzt doppelt so teuer, wie geplant. Derweil stehen an der Europaallee neben den Gleisen immer noch Menschen für Essen an. Immer mehr gewöhnliche Menschen in Zürich müssen den Gürtel enger schnallen: die Miete, die Krankenkassenprämie usw.
Das Hallenbad Oerlikon wurde 1978 durch den Architekten Karl Kollbrunner gebaut. Dieses Bad wurde 2006 umfassend saniert und 2015 die Technik erneuert.