Wenn Ökologie politisch gefährlich wird
«Umweltbewegung» oder «Klimabewegung» sind Begriffe, die man nicht in der Einzahl verwenden sollte. Zu unterschiedlich sind Herkunft, Ausprägung und Zielsetzung dessen, was wir als Ökologie bezeichnen. Meist verortet man Bewegungen und Parteien mit dem Begriff «grün» im Namen deutlich links der politischen Mitte – doch das ist eine in historischer Sicht junge Erscheinung. Denn es gab und gibt immer noch auch ein konservatives bis bräunliches Grün. Diese Traditionslinie reicht weit zurück und dauert bis in die Gegenwart. Einer der Väter ist der Biologe und Philosoph Jakob Johann von Uexküll (1864-1944): Er hat den Begriff Umwelt in die Biologie eingeführt – und war gleichzeitig tief in den Nationalsozialismus verstrickt.
«Wegbereiter der Ökologie» mit dunkler Seite
Baron von Uexküll wurde in Estland geboren und entstammte einem alten deutsch-baltischen Adelsgeschlecht. Noch 2014 konnte der Deutschlandfunk einen Beitrag zum 150. Geburtstag des «Wegbereiters der Ökologie» veröffentlichen, ohne dessen dunkle Seite auch nur anzutönen. Heute wäre das nicht mehr so leicht möglich. Denn nun sind Unterlagen aufgetaucht, welche den Ruf des Öko-Pioniers arg ramponieren. Bis vor Kurzem unbekannte Dokumente zeigen eine viel engere Beziehung Uexkülls zum Nationalsozialismus als bisher angenommen. Aufgezeigt haben dies Florian Spengler, Professor am Institut für Medienwissenschaft an der Ruhr Universität Bochum, und Gottfried Schnödl sowohl in einem Buch mit dem Titel «Uexkülls Umgebungen – Umweltlehre und Rechtes Denken» als jüngst auch in einem Beitrag auf der Plattform Geschichte der Gegenwart. Uexkülls Lehre wird oft anerkennend als ein Nachdenken über nicht-menschliche Lebensformen gelesen. Dabei wird ihr struktureller Konservatismus, ihre identitäre Logik, nach welcher alles an seinem Platz bleiben und sich nichts vermischen soll, häufig nicht beachtet. Und vor allem wurde bisher die Nähe zum Nationalsozialismus nicht beleuchtet. Die beiden Autoren stellen solche Fragen ins Zentrum und eröffnen damit einen neuen Blick auf Uexkülls Umweltlehre.
Uexkülls «Staatsbiologie»
Diese Lehre ist zutiefst irritierend. Denn die Idee, dass jedes Lebewesen in seiner Umweltzelle an einem festen Ort in der Ordnung der Natur lebt, den es nicht verlassen soll, hat Konsequenzen. Die postulierte Planmässigkeit der «Schöpfung» kollidiert auch mit dem Darwin’schen Konzept der Anpassung. Die Evolutionstheorie ist gemäss Uexküll unnötig und demokratischer Unsinn, propagiert vom «Weltparasiten» England. Damit werden auch die politischen Konsequenzen dieser Lehre offensichtlich. In seinem Werk mit dem Titel «Staatsbiologie» von 1920 beschreibt Uexküll den Staat als monarchischen Organismus; sein Ideal ist ein demokratiefreier Ständestaat, wie Florian Spengler festhält: «Mit dem Rassisten Houston Chamberlain tauschte sich Uexküll schon in den 1920er Jahren über ein von Juden gebildetes ‹parasitäres Netz› aus, ‹das die staatlichen Gebilde zersetzt und die Völker in gärende Stoffhaufen verwandelt›. Diese Rhetorik auszurottender Parasiten passt auf den ersten Blick nicht in die Umweltlehre, die alle Umwelten gleichrangig behandelt. Dieser Widerspruch sollte hellhörig machen.»
Politisch sehr anpassungsfähig
1933 wandte sich Uexkülls Position definitiv Richtung Nationalsozialismus. Uexküll, der nichts von biologischer Anpassung hielt, war in politischer Hinsicht sehr anpassungsfähig. In der Neuauflage der «Staatsbiologie» widmete er sich noch expliziter der Pathologie des von Parasiten befallenen und von der freien Presse ausgehöhlten Staates. «Die Hoffnung liege auf ‹Adolf Hitler und seiner Bewegung›, um ‹der Überfremdung der Staatsorgane durch eine fremde Rasse Einhalt zu gebieten›. Mit der These der Unvereinbarkeit der Umwelten unterschiedlicher Völker rechtfertigte er implizit den nationalsozialistischen Umbau des Staates», schreibt Spengler. Folgerichtig unterzeichnete Uexküll das «Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat». 1934 wurde er in den Ausschuss für Rechtsphilosophie der «Akademie des Deutschen Reichs» berufen, wo er mit dem Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg, dem unheimlichen Juristen Carl Schmitt und dem eigenartigen Philosophen Martin Heidegger in bester Gesellschaft war.
Ablehnung der Demokratie
Spengler betont, dass Uexkülls Überlegungen und seine Nähe zum NS-Regime keine «bedauernswerten Beigaben zu einem ansonsten unproblematischen Werk» waren. Seine Umweltlehre führe «zu einer ganzheitlich begründeten Ablehnung der Demokratie und entlädt sich in einer identitären Logik, in der alles planmässig an seinem Platz ist und alles, was nicht hier hingehöre, verschwinden soll. (…) Er zollte den Umwelten der Juden höchsten Respekt und forderte zugleich die Nazis dazu auf, sie aus Deutschland zu entfernen, weil hier nicht der richtige Ort für ihre ‹ortlosen› Umwelten sei.» Spengler kritisiert, dass Uexküll «in der aktuellen Forschungsliteratur immer noch als unbedenklicher, weil allenfalls zeitweise irrender Aristokrat» gelte.
Ein «heimlicher Star»
Florian Spenglers Erkenntnisse sind deshalb relevant, weil Uexküll zu einem «heimlichen Star eines – liberalen – ökologischen Nachdenkens über den Menschen in der Natur aufgestiegen» ist. Gleichzeitig greift auch die Neue Rechte auf Uexküll zurück, so etwa, um eine rassistische Bevölkerungspolitik zu einem ökologischen Thema zu machen. Neu ist das nicht. Es ist ohnehin ein weit verbreitetes Missverständnis, Umweltschutz sei eine exklusiv links-grüne Domäne. Im Gegenteil: Von der deutschen Romantik (unter anderem eine Reaktion auf Aufklärung und industrielle Revolution), über den Beginn des modernen Kapitalismus zwischen 1870 und 1914 bis in die jüngste Vergangenheit, also bis etwa 1980, ist Umweltschutz eine vorwiegend konservative Bewegung gewesen. Schliesslich war der Konservatismus historisch die Gegenströmung zum Liberalismus und später zum marxistischen Sozialismus.
Koppelung mit Bevölkerungspolitik
In den Siebzigerjahren wurde die Ökologie durch das rechte politische Spektrum dann mit der Einwanderungs- und Bevölkerungsfrage gekoppelt (siehe Infosperber). Die «Nationale Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat» lancierte fremdenfeindliche Initiativen und forderte eine massive Reduktion der ausländischen Bevölkerung. Parteipräsident Valentin Oehen postulierte gleichzeitig beispielsweise ein Ende des Wachstumszwangs und bleifreies Benzin. In den Siebzigerjahren gründete er die Arbeitsgemeinschaft für Bevölkerungsfragen (ab 1987 unter dem heutigen Namen Ecopop). Oehen wird nach seinem kürzlichen Tod mit knapp 91 Jahren im Ecopop-Bulletin vom Juni 2022 mit folgenden Worten gewürdigt: «Oehen war ein Pionier der schweizerischen Ökobewegung und hat sich zeitlebens gegen die Überbevölkerung unseres Planeten und gegen das schnelle Bevölkerungswachstum in der Schweiz eingesetzt.» Etwas präziser müsste man wohl von einem «Pionier der rechten schweizerischen Ökobewegung» sprechen. Denn bis ins hohe Alter trat er an Versammlungen der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) auf.
«Überbevölkerung» als «Mutter aller Umweltprobleme»
Heute ist die Umweltkrise – in erster Linie die Klimaerhitzung – ein politisches Topthema erster Güte. Die krisenhafte Entwicklung zwingt die Akteure praktisch aller politischen Lager zum Handeln. Dass die Antworten unterschiedlich ausfallen, liegt in der Natur des demokratischen Prozesses. Problematisch wird es, wenn völkische und rechtsextreme Bewegungen, Gruppierungen und Parteien versuchen, ihre antidemokratischen bis rassistischen Positionen in umweltpolitische Forderungen zu verpacken. Der Deutsche Naturschutzring (DNR), der Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen, warnt in einem Grundsatzdokument, dass rechtsextreme Umweltschutzkonzepte in der Zivilgesellschaft Fuss fassen könnten. Es gibt mittlerweile kaum noch ökologische Themen, die nicht auch von antidemokratischen Kräften besetzt werden. «Auch rechte Akteure und Akteurinnen engagieren sich gegen das Artensterben und für Landschafts- und Tierschutz, protestieren gegen Gentechnik und Atomkraft, betreiben ökologischen Landbau, haben Interesse an nachhaltigen Energie- und Mobilitätskonzepten, an veganer Ernährung und fordern regionale Wirtschaftskreisläufe.» Allerdings werden diese Themen gemäss DNR häufig «benutzt, um völkisches Gedankengut zu verbreiten». Der Subtext laute fast immer: Naturschutz ist Heimatschutz und deshalb auch «Volksschutz». Und nicht selten werde die «Überbevölkerung» als «die Mutter aller Umweltprobleme» bezeichnet.
DNR fordert Perspektivwechsel
Die Position, dass Bevölkerungswachstum verantwortlich für Naturzerstörung sei, dass es einen Bevölkerungsrückgang brauche und dafür Bevölkerungskontrollpolitik nötig sei, findet sich in zahlreichen Publikationen aus dem Themenfeld Nachhaltigkeit und Ökologie – nicht nur bei Akteuren und Akteurinnen der extremen Rechten. Hier ist nach Auffassung des DNR «ein genereller Perspektivwechsel angezeigt, der sich in aller Deutlichkeit von einer Tragfähigkeitskonzeption verabschiedet, die optimale Bevölkerungszahlen erreichen will bzw. für errechenbar hält. Stattdessen muss die Aufmerksamkeit von der individuellen auf die strukturelle Ebene und damit auf die naturzerstörerischen Folgen des derzeitigen Wirtschaftssystems gelenkt werden.»
Soziale und ökologische Gerechtigkeit gehören zusammen
Der DNR macht zudem darauf aufmerksam, dass rechte Akteure und Akteurinnen mit zweierlei Mass messen: Einerseits erklären sie das Bevölkerungswachstum in Schwellen- und Entwicklungsländern zum grössten Problem für den Umweltschutz und wollen Entwicklungspolitik an Bevölkerungskontrollpolitik koppeln. Andererseits stehen sie im eigenen Land für die Förderung kinderreicher Familien ein, um der angeblichen «Überfremdung» entgegenzuwirken. Der DNR fordert, dazu nicht zu schweigen, sondern eine klare Gegenposition zu vertreten: «Menschenverachtende, rassistische, völkische Ideologien haben im demokratischen Natur- und Umweltschutz keinen Platz. Soziale und ökologische Gerechtigkeit gehören zusammen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
1. Im wissenschaftlichen Mainstream wird die Klimaerwärmung zurückgeführt auf das «menschengemachte CO2». Dessen Grösse ergibt sich durch die Multiplikation von Anzahl Menschen und CO2-Ausstoss pro Mensch. Der CO2-Ausstoss ist hoch korreliert mit dem Energieverbrauch pro Mensch, und dieser mit dem Wohlstand. Die Anzahl Menschen aus der Klimadiskussion auszuschliessen, ist Unsinn.
2. Wir Menschen bezeichnen mit dem Wort «Umwelt» die Umgebung des Menschen, die auf diesen einwirkt und von diesem beeinflusst wird. Je mehr Menschen es im gegebenen Raum der Erde gibt, desto stärker die gegenseitigen Einwirkungen. Die Anzahl Menschen aus der Umweltdiskussion auszuschliessen, ist Unsinn.
3. Das alles hat mit «links» oder «rechts» nichts zu tun, sondern mit Primarschul-Mathematik.
Die Argumentation des Artikels ist leider nicht sehr konsistent. Einerseits wird Uexküll Nähe zu den Nazis vorgeworfen, andererseits seine Staatstheorie als mit Darwin unvereinbar abgetan. Als ob die Nazis nicht dem Sozialdarwinismus gehuldigt hätten… Wenn Uexküll widerlegen, bitte nicht mit Darwin.
Es scheint, dass es einfacher ist, Ecopop in eine braune Ecke zu stellen, als sich mit dessen Argumenten auseinanderzusetzen. Für Ecopop gilt jedenfalls nicht, dass sie nur das Bevölkerungswachstum in Afrika sähen. Sie sehen vielmehr einen Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum (bei uns) und der Begründung für Wirtschaftswachstum.
Die strukturelle Ebene der Umweltzerstörung sollte zwar auch meiner Meinung nach an erster Stelle kommen, aber wenn das Bevölkerungswachstum auf linker Seite oft nicht «ferner liefen» behandelt wird, nehmen es die rechten Umweltschützer genüsslich auf.
Von mir aus gesehen ist dieser Artikel ein krasses politisch motiviertes Ablenkungsmanöver:
Die gesamten Klimawandel, Klimawarner, Fridays for Future, Extinction Rebellion, Greta-Thunberg-Bewegungen sind offen deklariert sozialistische Bewegungen, die den Kapitalismus abschaffen, den system change herbeiführen und das alles unter Umgehung der demokratischen Entscheidfindung.
Dazu kommt, dass der Name Uexküll für uns Ökologen und Umweltnaturwissenschaftler komplett exotisch ist. Er kommt in meiner gesamten, mehrere tausend Bände umfassenden Privatbibliothek ganze fünfmal vor und zwar im Zusammenhang eines wenig beachteten, reichlich obskuren Spezialgebietes der Informationstheorie (Biosemiotik).
Falls es etwas zum Warnen gibt, dann die durch den Alarmismus des IPCC hervorgebrachte, ökofaschistische Gesinnung der roten und grünen Klimabewegungen.
Zu ecopop und deren Einordnung als «rechte schweizerische Ökobewegung» seitens Jürg Müller-Muralt hier ein Auszug aus der Geschichte der ecopop, verfasst von Anne-Marie Rey (1937 – 1916, alt- Grossrätin SP BE) :
«..und so fand sich am 5. Juni 1970 in Bern eine Gruppe von Leuten zusammen. Unter ihnen, neben Prof. Flückiger und mir, der Ökologe Prof. Pierre-André Tschumi vom Zoologischen Institut der Universität Bern, der Gynäkologe Prof. Heinrich Stamm, Chefarzt in Baden, LdU-Nationalrat Jakob Bächtold (bis 1969 Präsident des Schweizerischen Bundes für Naturschutz), Valentin Oehen (Ing.agr. ETH, damals Mitglied beim Jungen Bern1) und zwei Journalisten.
1 Das „Junge Bern“, bei dem auch Mani Matter damals mitmachte, wurde später zur „Grünen Freien Liste“ (GFL) und gehört heute zur Grünen Partei. Wer die frühere Mitgliedschaft Oehens als Beweis der rechtsextremen Gesinnung einer Gruppierung verwendet, würde auch die GPS einer solchen Haltung bezichtigen.»