Wem der Grund und Boden im Gazastreifen gehört
Die Frage, wem im Gazastreifen welches Stück Grund gehört, wurde in den vergangenen Jahren vor allem dann massiv gestellt, wenn es an den Wiederaufbau nach Kriegsrunden zwischen Hamas und Israel ging: Immobilienentwickler, mit der offensichtlichen Ausnahme von US-Präsident Donald Trump, wollen im Allgemeinen gerne wissen, auf wessen Land sie ihre Gebäude errichten. Selbstverständlich hat das Land im Gazastreifen Eigentümer: Von ihnen könnte es Trump, wenn sie denn zustimmen, käuflich erwerben – falls er nicht die Absicht hat, sie zu vertreiben. Es stimmt aber auch, dass die Gesetzeslage, welcher Boden wem gehört, im Gazastreifen in vielen Fällen konfus ist. Was nicht heisst, dass ihn niemand beansprucht.
Der Norwegian Refugee Council (NRC) veröffentlichte 2015 nach dem Gazakrieg von 2014 einen Guide, der den Status von Land im Gazastreifen erklärt. An der Lage hat sich seitdem nicht viel geändert. Demnach ist bei privatem Landbesitz zwischen jenem zu unterscheiden, der beim entsprechenden Amt der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) registriert ist, und dem nicht registrierten. Abgesehen davon, dass die PA von der Hamas 2007 aus dem Gazastreifen hinausgeworfen wurde, geht die Schwierigkeit, Land registrieren zu lassen, darauf zurück, dass sich die alte «Eigentümerkette» nicht immer leicht nachweisen lässt. Das liegt wiederum an der Abfolge unterschiedlicher Gesetze, die die jeweiligen Herren in den Gazastreifen mitbrachten. Viele haben einen Eigentumstitel aus der osmanischen Zeit.
Eine Herrschaft nach der anderen
Auf die Osmanen, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs den Vorderen Orient beherrschten, folgte die britische Mandatszeit, danach 1948, im Zuge des ersten arabischen Kriegs gegen Israel, die ägyptische Verwaltung und 1967 nach dem Sechstagekrieg die israelische Militärbesatzung. 1994 gehörte der Gazastreifen zu den ersten Gebieten, die im Rahmen des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses (Oslo-Prozess), namentlich des «Gaza-Jericho-Abkommens», unter die palästinensische Selbstverwaltung fielen. Das nahm allerdings die israelischen Siedlungen aus, die erst 2005 geräumt wurden. Laut NRC gibt es diesbezüglich etliche Streitfälle zwischen der PA, die das ehemalige Siedlungsland als staatliches palästinensisches Land ansieht, und Privaten, die ihre alte Eigentümerschaft bei Gericht einklagen.
Nach der Machtergreifung erliess die Hamas im Jahr 2013 ihre eigenen Gesetze und Regeln zu Grund und Boden. Die Bevölkerung musste sich, ob sie nun wollte oder nicht, danach richten. Die Frage, welche Gesetze gelten würden, wenn die Palästinenserbehörde in Gaza doch wieder die Verwaltung übernimmt – was die israelische Regierung strikt ablehnt –, ist auch in anderen Bereichen völlig ungeklärt.
Prinzipiell gibt es im Gazastreifen also privates registriertes und nicht registriertes Land, staatliches Land, Waqf-Land (islamisches Stiftungsland) sowie Land mit Sonderstatus oder -verwendung: Dazu zählt neben dem ehemaligen israelischen Siedlerland etwa der Boden, auf dem nach 1948, also unter ägyptischer Verwaltung, die Lager für palästinensische Flüchtlinge aus dem heutigen Israel entstanden. Dazu kommt noch Land, zu dem der Zugang beschränkt ist, die Access Restricted Areas (ARA). Das ist die auf dem Gebiet von Gaza errichtete Pufferzone vor dem israelischen Sicherheitszaun, den die Terroristen am 7. Oktober 2023 überwanden. Aber sogar dort gibt es teilweise registrierte Eigentümer.
Dieser Artikel ist zuerst im «Standard» erschienen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin des österreichischen «Standard» und unterrichtet Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Der Artikel ist sehr wichtig, denn er wirft eine der vielen ungelösten Fragen auf. Wer will diesen Wirrwar entflechten? Selbst wenn es so etwas wie einen Kataster gegeben hätte – wo sollte der in dieser Trümmerwüste noch auffindbar sein. Möglicherweise schon das ein Motiv für die israelische
Zerstörungswalze. Ich möchte schon aus diesem Grund für den genannten Landtausch Gaza/Westbank eintreten mit dem Zusatz, daß ein zukünftiger homogen zusammenhängender funktionsfähiger Palästinenser-Staat in der Westbank einen radikalen Schritt macht und das ganze zukünftige Land dieses Staates als staatlichen Grundbesitz erklärt. Den zukünftigen Bewohnern wird dann Land verpachtet nach sozialen Gesichtspunkten. Keine einfache Lösung – aber wer hat eine bessere? Trump etwa – na ich weiß nicht ! Jedenfalls kann und sollte Deutschland beim Aufbau DIESES Staates helfen – aber auf keinen Fall beim Aufbau der Wüster Gaza unter US/Israel-Herrschaft.