Armut

Die Welt ist bei der Bekämpfung von extremer Armut und Hunger nicht auf Kurs. © Carl Waldmeier/Flickr/CC

Zwischenziel krachend verfehlt

Andreas Zumach /  Erster UNO-Gipfel zur Bilanz der „Agenda 2030“ nachhaltiger Entwicklungsziele offenbart Stagnation und Rückschritte.

Je mehr UNO-Gipfel zu globalen Herausforderungen stattfinden, umso besser geht es der Welt. Würde diese Gleichung zutreffen, könnte die diesjährige UNO-Generalversammlung in New York echt Hoffnung für die Zukunft machen. Nach den beiden Gipfeltreffen zu Klima und Gesundheit am Montag und Dienstagmorgen kamen die Staats- und Regierungschefs oder Aussenminister vieler der 193 UNO-Mitgliedstaaten sowie VertreterInnen von Wirtschaftsunternehmen und von Nichtregierungsorganisationen (NRO) am Dienstagnachmittag und Mittwoch erstmals zu einem Nachhaltigkeitsgipfel zusammen.

Auf der Tagesordnung stand eine erste Zwischenbilanz der 2015 beschlossenen „Agenda 2030“ mit insgesamt 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals, SDG), mit denen „extreme Armut und Hunger“ bis zum Jahr 2030 überwunden und „allen BewohnerInnen dieser Erde bis zum Jahr 2030 ein Leben in Wohlstand und Würde ermöglicht werden“ soll. Heute und am Freitag folgen noch zwei Gipfel zur bislang völlig unzureichenden Entwicklungsfinanzierung sowie zum Samoa-Prozess, der besonders gefährdeten Inselstaaten helfen soll, sich an den Klimawandel anzupassen.

Zum Auftakt des SDG-Gipfels machte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres deutlich, dass die Diskrepanz zwischen den auf UNO-Ebene verbindlich beschlossenen Zielen und dem tatsächlichen Handeln der Mitgliedsstaaten mindestens ebenso gross ist wie beim Thema Klimaschutz. „Wir sind bei der Umsetzung der SDG nicht auf Kurs und weit entfernt von dem Zwischenziel, an dem wir heute sein müssten“, erklärte Guterres. Bei der Verpflichtung, Gleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen, habe „keiner der 193 Mitgliedsstaaten das Zwischenziel erreicht“, unterstrich der UNO-Generalsekretär. Und ohne die Umsetzung dieses Zieles würden „auch alle anderen Ziele nicht erreicht werden“. Mit Blick auf einige der 17 SDG habe es seit 2015 „sogar Rückschritte gegeben“, beklagte Guterres.

Zahl der Hungernden erneut gestiegen

Laut dem Mitte September veröffentlichten Bericht einer vom UNO-Generalsekretär einberufenen Expertengruppe ist die weltweite Zahl der Hungernden 2018 das dritte Jahr in Folge gestiegen. Jeder Neunte geht mit leerem Magen zu Bett – insgesamt etwa 815 Millionen Menschen. Jeder Dritte weltweit leide an Mangelernährung. Im Ergebnis der Anstrengungen der 2000 von einem UNO-Gipfel beschlossenen „Milleniumsziele zur Halbierung der Armut“ –dem Vorläufer der SDG – war die Zahl der weltweit Hungernden bis 2015 ebenso wie der Menschen in extremer Armut zunächst zurückgegangen.

Drastisch angestiegen ist in den letzten 18 Jahren zudem die Zahl der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen – von rund 23 Millionen im Jahr 2000 über rund 44 Millionen 2015 auf inzwischen knapp 70 Millionen. Laut dem Expertenbericht der UNO hat zudem mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Umweltzerstörung, Artensterben und der Ausstoss von klimaschädlichem Kohlendioxyd haben seit 2015 zugenommen.

Auf die Ermahnung des UNO-Generalsekretärs reagierten einige Regierungen mit mehr oder weniger verbindlichen Zusagen für die verbleibende Zeit bis 2030. Mexiko will bis dahin Internetzugang für seine gesamte Bevölkerung schaffen, ausdrücklich auch in den armen Regionen des Landes. Griechenland sagte „grünes Wachstum“ durch Umstrukturierung seiner Volkswirtschaft zu. Finnland versprach, bis 2035 den CO2-Ausstoss auf Null zu bringen. Und Konzerne aus 25 Staaten machten dasselbe Versprechen bis zum Jahr 2050. Deutschland kündigte bei dem Gipfel gemeinsam mit Ghana und Norwegen einen „Globalen Aktionsplan“ an, mit dem das SDG-Ziel der Gesundheitsversorgung für alle Menschen bis 2030 erreicht werden soll.

Oxfam und andere NRO hatten insbesondere die wohlhabenden Industriestaaten im Vorfeld des Gipfels vergeblich zu deutlich weitergehenden Zusagen und Massnahmen aufgefordert. Unter anderem zur Schliessung von Steueroasen und zur gerechten Besteuerung von Grosskonzernen. Zudem müssten alle Industriestaaten das bereits 1977 von der UNO-Generalversammlung vereinbarte Ziel erfüllen, die Mittel zur Entwicklungsfinanzierung auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes anzuheben. 2018 haben lediglich die drei skandinavischen Staaten Schweden, Norwegen und Dänemark sowie Luxemburg diese Verpflichtung umgesetzt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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4 Meinungen

  • am 26.09.2019 um 11:55 Uhr
    Permalink

    "Im Ergebnis der Anstrengungen der 2000 von einem UNO-Gipfel beschlossenen „Milleniumsziele zur Halbierung der Armut“ –dem Vorläufer der SDG – war die Zahl der weltweit Hungernden bis 2015 ebenso wie der Menschen in extremer Armut zunächst zurückgegangen."

    Familie West hat es gerne warm. Mit einem ausgeklügelten Wärmepumpensystem ziehen sie Wärme aus der Wohnung von Familie Süd ab um in der eigenen Wohnung bei 30°C in kurzen Hosen rumlaufen zu können. Familie Süd beschwert sich: «Wir müssen frieren, damit ihr schwitzen könnt?» Familie West sieht das Problem und verspricht Massnahmen. Fünf Tage später ist es in der Wohnung von Familie Süd nicht mehr 5°C sondern nur noch 8°C kalt. Familie West engagiert eine PR-Firma, welche im ganzen Land verkündet: «Dank den wirkungsvollen, technischen und ökonomischen Massnahmen von Familie West, konnte die Wohnsituation von Familie Süd deutlich verbessert werden. Familie West bedankt sich für die staatlichen Unterstützungen und die zahlreichen Subvention. Wir haben bewiesen, für welch humanitäre Leistung der Kapitalismus im Stande ist."

    Danke für den Artikel. Ich halte es im gegenwärtigen System für ausgeschlossen, dass Armut und Hunger jemals beseitigt werden können. Man kann nicht Kapital aus Afrika abziehen, und gleichzeitig den Reichtum der Afrikaner erhöhen. Ich halte das Westliche Tun im Ganzen, wo man Kapital klaut und dann sogenannte Entwicklungshilfe leistet, für heuchlerisch und zutiefst zynisch.

  • am 26.09.2019 um 18:59 Uhr
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    Solange das Konkurrenzdenken das Verhalten der Gesellschaft bestimmt, wird sich kaum etwas ändern. Im Tierreich macht das Sinn, denn da geht es um die Revierverteidigung bzw. Paarung. Mit diesem Denken wäre es uns aber nie gelungen, aus den Bäumen in Hochhäuser umzuziehen. Inzwischen haben wir unser hochentwickeltes Gehirn missbraucht, um unsere Artgenossen zu unterdrücken oder verhungern zu lassen. Ob man das „Amerika first“, „Britain first“ oder „Switzerland first“ nennt ist nebensächlich, denn wir haben auch Waffen entwickelt, mit denen wir, tierisch handelnd, uns im Namen der Konkurrenz gegenseitig vernichten können. Die Überlebensfrage unserer Zivilisation lautet daher, was bringt uns weiter – Konkurrenz oder Kooperation?

  • am 28.09.2019 um 18:20 Uhr
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    Diese Gleichung sitzt. Danke Herr Stöckli.

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