merkleynielsen

Kirstjen Nielsen, US-Ministerin für innere Sicherheit, lüge wie gedruckt, sagt Senator Jeff Merkley. © Videoscreenshot

«Wir hatten nie eine Richtlinie zur Familientrennung…»

D. Gschweng /  … sagt US-Ministerin Kirstjen Nielsen. Geleakte Dokumente beweisen: Die Trump-Regierung hat das inhumane Vorgehen lange geplant.

Ein Dreivierteljahr ist es her, dass Donald Trump die Null-Toleranz-Politik gegenüber Einwanderern ankündigte. Bilder von weinenden Kindern, die von der US-Behörde von ihren Eltern getrennt worden waren, gingen um die Welt. Das ging selbst den konservativen Amerikanern zu weit, sogar die First Lady Melania Trump kritisierte die Politik der Verwaltung.

Geht es nach der amerikanischen Ministerin für innere Sicherheit, Kirsten Nielsen, ist das alles bestenfalls aufgebauscht, berichtete unter anderen die Zeitung «The Nation». Nielsen behauptet, eine Politik der Familientrennung habe es nie gegeben. Ein Senator verlangt aufgrund gegenteiliger Informationen jetzt eine Untersuchung wegen Meineids.

Zwei Aussagen und zwei Dokumente

«Wir hatten noch nie eine Richtlinie zur Familientrennung», verteidigte sich Nielsen am 20. Dezember 2018 vor dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses, nachdem ein Abgeordneter sie eine Lügnerin genannt hatte. Bereits am 17. Juni 2018 hatte sie behauptet: «Wir haben keine Richtlinie zur Trennung von Familien an der Grenze. Punkt.»

Das ist besonders erstaunlich, wenn man interne Dokumente kennt, die inzwischen an die Öffentlichkeit gelangt sind.

Am 17. Januar hatte das US-Gesundheitsministerium einen Report publiziert, der festhielt, dass die Zahl der von ihren Familien getrennten Kinder bereits im Sommer 2017 stark zugenommen hatte. Am 18. Januar war über die «NBC» ein anderes Dokument aus dem Ministerium für innere Sicherheit und dem Justizministerium ans Licht gekommen. In diesem ist festgehalten, dass die Verwaltung schon im Dezember 2017 den Plan gehabt hatte, eine humanitäre Krise an der Grenze zu provozieren. Von kriminellen Banden und Drogenhändlern, von denen Trump sonst spricht, ist darin kaum die Rede. Aus dem Dokument geht eindeutig hervor, dass das Ministerium schon damals die Asylsuchenden kriminalisieren wollte. Der Plan wurde schrittweise umgesetzt, die Trump-Administration kündigte jedoch erst im April 2018 eine Gesetzesänderung an.

Ein Brief und ein möglicher Meineid

«[Ministerin Nielsen und] die Verwaltung lügen. Punkt.» kontert Senator Jeff Merkley (Dem, Oregon), der das Dokument von einem Whistleblower erhalten haben will. Merkley, der eine wichtige Rolle dabei spielte, das Geschehen an der US-Grenze ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, beantragte beim FBI eine formelle Untersuchung wegen Meineids. «Trotz dieser Tatsache [der neu bekanntgewordenen Fakten] hat Ministerin Nielsen vor dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses unter Eid unmissverständlich gesagt: ‚Ich bin keine Lügnerin, wir hatten nie eine Politik der Familientrennung‘», schrieb er in einem Brief an FBI-Direktor Christopher Wray.


Ausschnitt aus dem geleakten Dokument, das auf den 17. Dezember 2017 datiert ist (DOJ, Dep. of Justice, DHS, Dep. of Homeland Security, HHS, Dep. of Health and Human Services, OPA Office of Public Affairs).

Der Antrag eines Abgeordneten, ein wichtiges Mitglied von Trumps Kabinett zur Rechenschaft zu ziehen, weil es über das Vorgehen der Regierung lüge, stellt, so «The Nation», eine «dramatische Entwicklung» dar. Es zeigt, wie tief die Gräben in der US-Politik sind, nicht nur zwischen Demokraten und Republikanern, sondern auch zwischen Exekutive und Legislative.

Eine Präsidialverfügung und eine Frist

Ob Nielsen im Wortlaut gelogen hat, wird am Ende womöglich ein Richter entscheiden. Was jedoch feststeht: Im Rahmen der «Zero Tolerance Policy» wurde die unerlaubte Einreise in die USA, bis dahin eine Ordnungswidrigkeit, neu als Straftat behandelt. Da Kinder nicht mit ihren Eltern inhaftiert werden dürfen, wurden spätestens ab April 2018 Tausende von ihren Eltern getrennt.

Grosses Aufsehen erregte ein von der CNN dokumentierter Fall, in dem die US-Behörden einer stillenden Mutter ihr Kind wegnahmen. Sprecher des Heimatministeriums bestritten das. Für den beschriebenen Vorfall habe man keine Beweise, Kinder unter fünf Jahren würden nur in Ausnahmefällen von ihren Bezugspersonen getrennt, gab das Ministerium in einer Stellungname gegenüber «Public Integrity» an.

Am 20. Juni unterschrieb Trump auf Druck der Öffentlichkeit einen präsidialen Erlass, der die Trennung von Familien beendete. Eine Woche später ordnete ein US-Gericht die Wiederzusammenführung binnen höchstens 30 Tagen an. Das Chaos begann. Nicht nur gibt es mehrere Orte in den USA, an denen unbegleitete Kinder betreut – oder besser: festgehalten – werden. Einen Plan, um Kinder wie Eltern zentral zu registrieren, hatte die Verwaltung von Anfang an nicht gehabt. Einen Plan B hatte es nie gegeben. Anwälte und Nichtregierungsorganisationen arbeiteten fieberhaft daran, die Kinder zu finden.

USA erwägen Wiederaufnahme der inhumanen Praxis

1‘400 von mehr als 2‘500 Kindern seien wieder mit ihren Familien vereint, gab die Nachrichtenagentur «Reuters» am 26. Juli bekannt, bei 711 Kindern sei das nach Ansicht der Regierung nicht möglich oder nicht angeraten. Ob das alle sind, kann niemand sagen. Nach dem Report aus dem Gesundheitsministerium könnten es Tausende mehr sein, schreibt der «Guardian».

Noch schlimmer ergeht es Kindern, die entweder allein in die USA gekommen sind – beispielsweise, weil ein Elternteil dort lebt – oder deren in den USA lebende Verwandte bei der Einwanderungsbehörde nicht dokumentiert sind. Sie befinden sich teilweise seit Monaten in Auffanglagern. Für ihre Familien ist das schwierig. Unter Umständen werden dann ganze Familien ausgewiesen, wenn die nötigen Papiere fehlen. Die Organisation «Southern Poverty Law Center» hat gegen diese Praxis geklagt.

Die Trump-Administration hat trotz dieser Ereignisse nicht ausgeschlossen, die Familientrennung in einer anderen Form wieder einzuführen, einschliesslich einer «binären Wahl», die den Eltern die Möglichkeit geben würde, sich freiwillig zu trennen oder jahrelang gemeinsam festgehalten zu werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20170115um09_51_27

US-Politik unter Donald Trump

Weichenstellungen: An seinen Entscheiden ist Trump zu messen, nicht an seinen widersprüchlichen Aussagen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.