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Erdogan und Trump: Grobe Drohungen und üble Verwünschungen © gk/msnbc

Wenn Erdogan träumt und Trump twittert

Amalia van Gent /  Trump will sich aus Nordsyrien zurückziehen und Erdogan will eine türkische Sicherheitszone errichten. Können sie es auch?

Will ein Journalist heutzutage über die türkisch-amerikanischen Beziehungen berichten, sieht er sich plötzlich in eine Art Pythia des Delphi-Orakels verwandelt: wie auch bei jedem Orakelspruch bleibt die Deutung einer politischen Entwicklung bis zuletzt unklar und für mehrere Interpretationen offen. So beispielsweise beim letzten türkisch-amerikanischen Streit über die Zukunft Nordsyriens.

Noch bis letzten Montagabend wurden zwischen Washington und Ankara grobe Drohungen und üble Verwünschungen ausgewechselt. «Wir werden die Türkei wirtschaftlich in den Ruin treiben, zerstören, sollte sie sich trauen, unsere kurdischen Alliierten in Syrien anzugreifen», twitterte letzten Sonntag der amerikanische Präsident Donald Trump und löste in Ankara blanke Entrüstung aus.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan griff rasch zum Wort: «Wir werden uns den Amerikanern wohl nicht beugen», sagte er vor dem Parlament und liess seinen Verteidigungsminister Hulusi Akar gleich deklarieren, die Türkei werde das östliche Nordsyrien von «allen Terroristen zur rechten Zeit säubern», was der Sprachregelung in Ankara zufolge die Säuberung der Dschihadisten des IS, aber auch der kurdischen YPG-Kämpfer, d.h. der Alliierten der USA, bedeutet.

Die USA würden es nicht zulassen, dass die «Türkei Kurden abschlachtet», warnte auch der amerikanische Aussenminister Mike Pompeo. Was die regierungsnahe Presse, und die macht heute fast 90 Prozent aller Presseorgane aus, fast völlig ignorierte. Das türkische Regierungsblatt «Yeni Safak» meldete statt dessen ausführlich, dass die Türkei mit 80’000 Soldaten entlang der türkisch-syrischen Grenze bereit stehe, um «die grösste Operation in der türkischen Geschichte ausserhalb der Landesgrenze zu führen». Dabei würden die türkischen Soldaten in einem Gebiet vorstossen, in dem noch rund 2000 amerikanische Soldaten stationiert sind. Von einem «in jeder Hinsicht kranken Benehmen», sprach der türkische Vize-Regierungschef Numan Kurtulmus und meinte ausschliesslich das Benehmen der USA gegenüber der Türkei.

Einigung von historischer Bedeutung?

In Wirklichkeit waren die gegenseitigen Drohungen beispielslos für zwei Mitgliedstaaten der Nato-Allianz. Dies als Anzeichen einer tiefen, bilateralen Krise wahrzunehmen, wäre allerdings weit gefehlt. «Wir haben eine Einigung von historischer Bedeutung erreicht», sagte Erdogan im türkischen Parlament keine 24-Stunden nach dem ärgerlichen Tweet Trump’s. Diesmal tönte Erdogan konziliant.

Die Einigung sei während eines Telefonanrufs mit seinem amerikanischen Amtskollegen Trump zustande gekommen, erklärte der türkische Präsident einem leicht verwirrten Publikum. Und keine 24 Stunden später vermochte er selbst seine mittlerweile an seine rasch wechselnden Launen gewohnte parlamentarische AKP-Gruppe zu überraschen. Die Türkei werde «in Nordsyrien in Absprache mit den USA eine Sicherheitszone errichten», erzählte er fast jubilierend. Und schon träumte der türkische Präsident laut vor der Presse: das türkische Amt für Wohnungsbau (TOKI) werde in dieser Zone zweistöckige Häuser mit grossen Gärten für syrische Flüchtlinge bauen, die aus der Türkei nach Syrien zurückkehrten. Die Kosten dafür – keine Sorge – die USA und europäische Länder müssten sie tragen.

Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu Agency malte sich indes die «Zone» aus, welche künftig unter der Kontrolle der türkischen Armee stehen sollte. Demnach werde sie sich entlang der gesamten syrisch-türkischen Grenze erstrecken, bis 20 Meilen (32.2 Kilometer) tief ins syrische Territorium reichen und die wichtigsten, von Kurden beanspruchten Städte wie Manbidsch und Kobane miteinschliessen. Die Türkei habe mit «ihren kurdischen Brüdern» kein Problem, erläuterte Erdogans politischer Berater Ibrahim Kalin. Ganz im Gegenteil. Die Türkei wolle die Kurden lediglich vor der «Tyrannei der YPG» retten. Die «Sicherheitszone» gehöre von Dschihadisten und YPG-Terroristen gesäubert, bekräftigte einmal mehr Erdogan.

Kurden lehnen eine türkische Sicherheitszone ab

Hat Trump tatsächlich all dies versprochen, wie Erdogan es behauptet? Oder handelt es sich einmal mehr um einen Dialog der Taubstummen? Noch bleibt vieles unklar. Die syrischen Kurden zeigten sich jedenfalls vom neuesten Einfall Trumps und Erdogans verblüfft: «Wenn eine Sicherheitszone in Nordsyrien überhaupt, dann nur unter der Kontrolle der Vereinten Nationen», erklärte der diplomatische Sprecher der syrischen Kurden Aldar Xelil. Eine Sicherheitszone unter türkischer Kontrolle könne «von uns aber keinesfalls akzeptiert werden».

Ein türkisches Sprichtwort besagt: «Hüte Dich vor den eigenen Wünschen.» Am 19. Dezember 2018 hatte der amerikanische Präsident – auch damals nach einem Telefonat mit Erdogan – den Sieg über die Dschihadisten des IS in Syrien erklärt und wünschte sich, «unsere Boys» so schnell wie möglich «nach Hause» zu holen. Als wollte der IS Trumps Ankündigung Lügen strafen, detonierte letzten Mittwoch die Bombe eines IS-Dschihadisten in Manbidsch, ausgerechnet vor dem Hauptquartier der USA und der Anti-IS-Allianz, und riss 16 Menschen, darunter vier Amerikaner, in den Tod. Ob und wie dieser Anschlag die Rückzugsentscheidung Trumps beeinflussen wird, bleibt ebenso unklar.

Vor genau einem Monat wähnte sich der türkische Präsident Erdogan vor der Erfüllung seiner gewagten Syrien-Pläne. Trump hatte ihm während ihres gemeinsamen Telephongesprächs am 14. Dezember faktisch grünes Licht für eine dritte türkische Militäroperation in Syrien erteilt. Noch war Erdogans Regierung davon überzeugt, die türkische Armee könne mit einem Schlag Nordostsyrien besetzen und Dschihadisten des IS sowie YPG-Kurden den Garaus machen. Einen knappen Monat später muss auch er realisieren, wie wenig die türkische Armee im Gebiet willkommen ist.
Gegen eine türkische Sicherheitszone haben sich Israel, aber auch die Regierungen von Syrien und Ägypten, von Saudiarabien und den Vereinten Arabischen Emiraten ausgesprochen. Und Russland, nach der Rückzugsentscheidung von Trump faktisch der wichtigste Machtfaktor in Syrien, hat Erdogan bereits zu verstehen gegeben, dass Nordsyrien nach einem Abzug der US-Truppen unter der Kontrolle von Damaskus stehen soll – und also nicht unter der Kontrolle Ankaras.

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