Warum Entwicklungshilfe Afrika nicht hilft
Die internationale Entwicklungshilfe in Afrika macht abhängig und lethargisch. Sie zerstört jede Motivation zur Eigeninitiative – und verhindert letztlich Entwicklung: Das ist die Botschaft des Dokumentarfilms «Süsses Gift», der kürzlich auf «Arte» zu sehen war. Regisseur Peter Heller realisiert seit 30 Jahren Filme in und über Afrika. In seiner Dokumentation überprüft er anhand konkreter Beispiele in Kenia, Mali und Tansania, was die internationale Entwicklungshilfe den Menschen dort tatsächlich gebracht hat. Das Ergebnis ist ernüchternd: Nach drei Jahrzehnten sind viele Menschen ärmer als zuvor.
Nutzlose Fischfabrik für ein Hirtenvolk
Im Nordwesten Kenias wollte man den unter Dürre leidenden Turkana helfen. So wurde das Hirten- und Nomadenvolk kurzerhand vom trockenen Hinterland an den See umgesiedelt. Die Menschen sollten fortan vom Fischfang leben.
Die Norweger schossen viel Geld in das Projekt und errichteten Anfang der 1980er-Jahre eine hochmoderne Fischfabrik, um den Fang zu vermarkten. Doch das Projekt ging gründlich schief: Es gab weder Strom, um die Fische zu kühlen, noch ausreichend sauberes Wasser, um sie zu reinigen. Nach nur sechs Wochen wurde die Hightech-Fabrik wieder geschlossen. Und: Die norwegischen Helfer hatten auch die Mentalität und Kultur der Turkana komplett unterschätzt. Kaum hatten sie mit dem Fischfang etwas Geld verdient, kauften sie Vieh – das sie bei der nächsten Dürre wieder verloren. Heute sind die meisten Turkana dauerhaft abhängig von Hilfslieferungen aus dem Westen.
Stausee verschluckt fruchtbares Land
Ein weiteres drastisches Beispiel für fehlgeleitete Entwicklungshilfe zeigt Peter Heller in Mali. In der Region Manantali errichteten deutsche Unternehmen in den 1980er-Jahren einen riesigen Staudamm, der dem Land und seinen Nachbarstaaten Elektrizität bringen sollte. 34 Dörfer wurden geflutet, die Menschen umgesiedelt – in weniger fruchtbare Gebiete. Doch vom versprochenen Fortschritt keine Spur. Die umliegenden Dörfer wurden gar nie ans Stromnetz angeschlossen. Die Ernten sind magerer als zuvor, denn das Kanalsystem zur Bewässerung der Felder wurde nie fertig. Und wo es Wasser gibt, müssen die Bauern nun dafür bezahlen. Heute haben die meisten Männer die Region verlassen, viele sind nach Europa gegangen. Die verbliebenen Frauen und Kinder hungern.
Intensive Landwirtschaft hat Menschen arm gemacht
Auch in Tansania wurde ein Hilfsprojekt zum Flop. Baumwolle für den Weltmarkt sollte den Menschen in Muhenda Fortschritt und Wohlstand bringen. Die Landwirtschaft wurde Ende der 1970er-Jahre nach westlichem Vorbild intensiviert, die Felder mit Dünger und Pestiziden auf hohe Erträge getrimmt. Die Regierung in Tansania unterstützte die «grüne Revolution» mit Hilfsgeldern aus dem Westen. Etliche Jahre ging das gut, doch dann brach der Weltmarktpreis für Baumwolle ein – unter anderem weil die USA die Baumwollexporte stark subventionierte. Da konnten die Afrikaner nicht mehr mithalten und Tansania strich die Subventionen. Die Folge: Die Baumwollbauern konnten die hohen Kosten für Traktoren, Chemikalien und Sprühpumpen nicht mehr finanzieren. Heute wachsen auf den Feldern nur noch ein paar kümmerliche Pflanzen. Die riesigen Lagerhallen stehen leer. Die Familien im Dorf überleben mit ein paar Cents am Tag.
Hilfe als profitables Geschäft
Sicher, es gäbe auch andere, hoffnungsvolle Beispiele von gelungener Entwicklungszusammenarbeit. Vor allem Nichtregierungsorganisationen leisten mit kleinen, lokalen Projekten teilweise Beachtliches. Der Film prangert denn auch primär die staatliche Entwicklungshilfe der Industrienationen an, die nicht selten eigenen Interessen dient.
In den vergangenen 50 Jahren erhielt Afrika mindestens 1000 Milliarden US-Dollar «Hilfsgelder». Doch die drei Beispiele zeigen: Die Menschen, denen damit geholfen werden soll, gehen häufig leer aus. Von den millionenschweren Investitionen in Afrika profitieren vor allem die Unternehmen der Industrienationen. Zugleich hält das Geschäft eine ganze Hilfsindustrie am Leben – etwa 40’000 Mitarbeiter ausländischer Hilfsorganisationen sollen laut Schätzungen in Afrika beschäftigt sein, berichtet Peter Heller.
«Ein gutes Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass man noch eine Phase dranhängen kann», gibt ein afrikanischer Agronom die Worte eines europäischen Entwicklungshelfers wieder. Doch das fortwährende Geben und Nehmen macht die Menschen abhängig und lähmt jede Motivation, selber tätig zu werden. Der Film macht deutlich: Allzu häufig verfallen die Afrikaner in Lethargie, sobald die Helfer abgezogen sind. Unfähig, ein Projekt weiterzuführen, warten sie, bis neue Hilfe kommt. Denn: Warum soll man sich auf den Feldern abrackern, wenn Essen aus Flugzeugen vom Himmel fällt? So verkommt die oft zitierte «Hilfe zur Selbsthilfe» zur leeren Phrase.
Eigeninitiative statt Geschenke
Heller verzichtet in seiner Dokumentation auf Einschätzungen und Kommentare von «westlichen Experten». Der Autor lässt fast ausschliesslich Afrikaner sprechen – und darin liegt die besondere Stärke dieses Films. Ihre Aussagen machen nachdenklich und lassen aufhorchen, denn sie zeigen: Es gibt auch die anderen Afrikaner, die nicht auf Geschenke aus dem reichen Norden warten, sondern sich unabhängig machen wollen von der Hilfe der Industriestaaten.
Im Film kommen afrikanische Ökonomen, Agronomen, Journalisten und Korruptionsbekämpfer zu Wort, die Entwicklungshilfe eher für einen Fluch als für einen Segen halten. Leider ist nicht immer klar, wer in welcher Funktion spricht. Doch die Botschaft ist deutlich: Staatliche Entwicklungshilfe ist schädlich und gefährlich, sie führt zu Verschuldung und festigt die Bettlermentalität. Sie fördert Korruption und zementiert raffgierige Regierungen, weil sie die Machteliten von ihrer Verantwortung entbindet.
Vorkämpfer eines neuen afrikanischen Selbstbewusstseins sind überzeugt: Fortschritt für Afrika kann nur von den Afrikanern selbst kommen. Durch bessere Bildung, mehr Investitionen in Landwirtschaft und kleine Betriebe, durch mehr lokale Wertschöpfung, Markt und freien Handel. 50 Jahre nach der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten sei es Zeit, selber Verantwortung zu übernehmen, nicht nur zu warten, bis Hilfe kommt.
Bis das in den Köpfen der Menschen angekommen ist, dürfte es noch eine Weile dauern. Am Ende des Films sind wir wieder bei der alten Fischfabrik am Turkana-See. Ein Investor will die Fabrik modernisieren und den Fischhandel neu beleben. Die alten Fischer schöpfen Hoffnung, dass ihre Not nun ein Ende habe. Doch zuerst soll der Betreiber ihnen grosse Boote geben, Sprit, Netze und Kühlboxen, fordern sie, damit sie für ihn fischen könnten.
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«Arte» zeigt den Film am Donnerstag, 10. April um 2.35 Uhr als Wiederholung.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Staudammprojekte und Baumwollanbau können wohl kaum als Hilfsprojekte bezeichnet werden. Interessant wäre vielmehr zu wissen, was hat man in den vergangenen 35 Jahren gelernt? In den achtziger Jahren war Entwicklungsarbeit eine andere als heute. Heute gibt es ja auch andere Ansätze wie Hilfe zur Selbsthilfe, fairer Handel nach Marktprinzipien etc. Was bleibt davon? Es ist etwas billig, das Beispiel einer Fischfabrik anzuführen. Ein Punkt allerdings behält seine Gültigkeit: Hilfe geliefert zu bekommen, lähmt.
Ich kann das nur unterschreiben. Zwar habe ich nach zehn Jahren Tätigkeit an der Uni von Burundi und im Handelsministerium von Bujumbura die Genugtuung, ehemalige Studenten in allen möglichen Organisation der Welt wiederzufinden, und auch die lokale Entwicklung scheint sich langsam von den historischen Fehlern der Geberländer zu erholen. Die ‹weissen Elephanten› der Geberländer, Schweiz inbegriffen, grasen aber immer noch vor Ort und erschweren die Arbeit der auf echte Partnerschaft ausgerichteten lokalen Verantwortlichen.
Meine Arbeit «l’mpossibilité de remboursement de la dette» beim CH-Nationalfonds, welche im Jahre 1993 die perverse Wirkung der westlichen Entwicklungshilfe dokumentierte, wurde ‹mangels Interesse› nie veröffentlicht. Die Weltbank und der IWF haben zwar etwas Wasser in ihren Wein gegossen, selber trinken würden aber auch sie ihr eigenes Gebräu nicht.
Es ist an der Zeit ehrliche Partner auch in südlichen Ländern ‹auf Augenhöhe› als Partner zu sehen und die Entwicklungshilfe nicht nur als Dumpingplatz für unerwünschte Überschüsse zu betrachten.
Diese Darstellung von Entwicklungszusamamenarbeit hat, wie von den Mitkommentatoren schon bemerkt, mit der heutigen Realität herzlich wenig zu tun. Entwicklungshilfe von NGOs in der Schweiz, wie sie etwa Solidar Suisse betreibt, geht von folgenden Prinzipien aus: Partzipation (die Bevölkerung bestimmt selbst, was sie braucht); Partnerschaft (durch die enge Zusammenarbeit mit lokalen Trägerschaften findet Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe statt); Nachhaltigkeit (die Projekte sind so aufgebaut dass sie sich auch nach Beendigung der finanziellen Unterstützung weiterentwickeln) und schliesslich Empowerment (Betroffene organisieren sich, Ausgegrenzte erhalten eine Stimme, politische Auseinandersetzungen werden ausgetragen mit allen Beteiligten). Damit tritt das Gegenteil von Lähmung und Abhängigkeit ein.
Ich wohne seit 30 Jahren im Zielgebiet von innerschweizerischer Entwicklungshilfe und sehe hier laufend was damit passiert: Die «mächtigen Eingeborenen» leiten das Geld auf ihre Mühlen um. Es ist extrem viel Geld, im Vergleich zum übrigen verfügbaren. Das «geschenkte» Geld wird für Dinge verpulvert, die keinen Nutzen für die Allgemeinheit haben. Wer versucht auf eigenen Füssen zu stehen, wird gegen über den Entwicklungshilfebezügern zur Witzfigur. Wenn ich diese Erkenntnisse aus den «ordentlichen» Verhältnissen hier in noch schwierigere Umgebungen extrapoliere, dann wird mir klar, was in der internationalen Entwicklungshilfe abgeht.
Die Geldgeber wollen sich nur ein gutes Gewissen erkaufen. Sie wollen aber sonst nichts mit den Problemen im Zielgebiet zu tun haben.
Entwicklungszusammenarbeit soll und muss kritisch hinterfragt werden. Nur so werden wir klüger. Die Geschichte zeigt ja, dass sich das Verständnis von «richtiger EZA» in den letzten 50 Jahren mehrmals grundsätzlich verändert hat. Es ist gut möglich, dass wir auch heute noch auf dem Holzweg sind.
Leider leider leider wird die Kritik in der Regel in zwei völlig unbrauchbaren Formen vorgetragen:
a) Anhand von Einzelfällen – wie im beschriebenen Film. Einzelfälle ohne weitere Einordnung sind schlicht nur Unterhaltung und bringen die Diskussion nicht voran.
b) Anhand der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas in den letzten 50 Jahren ("Afrika erhielt 1000 Mia US$ Hilfsgelder – und heute geht es immer noch Millionen von Menschen schlecht"). Diese Sichtweise überschätzt die Möglichkeiten der EZA masslos. EZA alleine wird kein Dorf und schon gar keinen Kontinent retten.
Alter Hut? Der Film hat mit der heutigen EZA nichts mehr zu tun? Ich denke doch, weil vor allem Afrikaner selbst sprechen. Das ist leider viel zuwenig der Fall. Ich kenne Afrika und Entwicklungshilfe in 7 afrikanischen Ländern seit Ende der 60er Jahren des vorherigen Jahrhunderts bis heute. Seither bekomme ich aufgrund meines Buches sehr viele Zuschriften von Entwicklungshelfern und vor allem Afrikanern , die mir zustimmen. Sie berichten leider nur aus wenigen Ländern von Verbesserungen. Die Entwicklungshilfeorganisationen entwickeln eine Art Immunabwehr gegen Neues und Veränderungen. Denn Neues stört das innerbetriebliche Gefüge. Bei den deutschen Organisationen funktioniert die Immunabwehr erstaunlich gut. Ständig wird verkündet , dass Afrika ein Pflegefall und auf unsere Hilfe angewiesen ist. Deshalb gibt es so viele Akteure, die miteinander um irgendwelche Projekte konkurrieren. Also was tun? Die African Medical and Research Foundation(AMREF) z.B. baut seit 1957 einen Basisgesundheitsdienst in Ostafrika auf. Allein die Tatsache, dass von allen Mitarbeitern 95 % von AMREF ausgebildete Afrikaner sind zeigt, dass richtige Lösungen gefunden wurden: Afrikaner helfen Afrikanern. Die “Flying Doctors” wie sie auch genannt werden, betreuen über 240 Krankenstationen. Rund 20 000 Krankenschwestern wurden von ihnen ausgebildet. Volker Seitz, Botschafter a.D.