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Loyale Milizen und Revolutionswächter demonstrieren für Präsident Ahmadinejad © deep_think61/Flickr

Warum die Opposition im Iran verstummt ist

Erich Gysling /  Iran ist aus den Schlagzeilen geraten. Doch innerhalb komplexer Strukturen gärt es weiter. Eine Analyse der Machtverhältnisse.

Schon eineinhalb Jahre vor den ersten Volksprotesten gegen die Herrschenden in der arabischen Welt waren die Iranerinnen und Iraner auf die Strasse gegangen und forderten: Schluss mit der Manipulation der Machtverhältnisse durch Mahmud Ahmadinejad, Schluss auch mit dem Missbrauch von Autorität durch die oberste geistliche Führung!
Bis ins Frühjahr 2011 gab es regelmässig Demonstrationen gegen das Regime – welche die «Ordnungskräfte» ebenso regelmässig unterdrückt haben. Heute ist es in Iran relativ ruhig – warum?
Überall Spitzel eingeschleust
Nach der zweifelhaften Wiederwahl Ahmadinejads zum Staatspräsidenten ging das Regime mit Härte gegen die Opposition vor, verhaftete Tausende, verurteilte Hunderte zu Gefängnis, einige sogar zum Tod. Seither infiltrierte das Regime die intellektuellen Zirkel, vor allem in den Universitäten, mit Gefolgsleuten. Das sind vor allem Angehörige der Basiji-Milizen, auch der Pasdaran-Parallelorganisation. Diese Revolutionswächter hat Ahmadinejad zu einer ihm selbst gegenüber loyalen Macht innerhalb des Staats aufgebaut.
Ein Gerangel um Macht ist vorprogrammiert
Irans politisches System ist hoch komplex. Theoretisch entscheidet der religiöse Führer, also Ayatollah Khamenei, über alles Wesentliche in diesem Land mit seinen mehr als 75 Millionen Menschen. Der Staatspräsident, Mahmud Ahmadinejad, hat eingeschränkte Kompetenzen – am klarsten definiert sind sie noch in Bezug auf die Aussenpolitik (in deren Bereich mehrheit-lich auch die Atomstrategie fällt). Darüber hinaus muss er sich aber ständig mit der hohen Geistlichkeit und anderen Instanzen im Netzwerk der Islamischen Republik verständigen.
Das Gerangel um Macht ist in dem von Ayatollah Khomeini erfundenen System vorpro-grammiert – einem System, das zig-fach komplexer ist als, beispielsweise das amerikanische System von «Checks and balances».
Je nach Gutdünken eines Richters
Es gibt die nur theoretisch unumschränkte Autorität des geistlichen Führers, es gibt Kontroll-instanzen wie den Wächterrat oder das Parlament, den Staatspräsidenten mit seinem Apparat etc. Alle kontrollieren, theoretisch, alle. Und Alle sollten sich, gemäss Verfassung, der sozia-len Gerechtigkeit wie auch der Beachtung von islamischen Grundsätzen verpflichtet fühlen.
So weit, so schön oder so problematisch. Was ist mit Jenen, die sich den Doktrinen der Füh-rung widersetzen? Man kann sie als gesetzeswidrig verurteilen. Man kann sie aber auch, je nach dem Gutdünken eines Richters tolerant auslegen. Richter ist in Iran normalerweise ein Mann, der die islamischen, schiitischen Richtlinien jahrzehntelang studiert hat: Alle Mullahs, alle Würdenträger sind letzten Endes religiöse Juristen.
«Kein Mensch hat das absolute Wissen»
Die Schi’a, die in Iran gültige Version des Islams (12-er Schia), ist sehr beweglich, man könnte auch sagen tolerant. Grundlage des Denkens und des Urteilens ist: Kein Mensch hat das absolute Wissen, alle können irren, nur nicht der eines Tages als Mahdi wiederkehrende 12. Imam (der im 8. Jahrhundert ermordet wurde, der aber, so der Glaube, nicht tot ist, sonder in der «grossen Verborgenheit» lebt).
So konnten sogar Entscheidungen von Ayatollah Khomeini über den Haufen geworfen wer-den. Prominentester Fall: das Todesurteil gegen den Autor Salman Rushdie, der von Khomei-ni wegen angeblich ketzerischer Worte im Roman «Die satanischen Verse» verurteilt wurde, dessen Todesurteil aber durch spätere «Erkenntnisse» wieder aufgehoben werden konnte. Ent-scheidend über die Frage, ob ein Urteil rechtskräftig ist oder nicht, ist schliesslich der Mei-nung der Gläubigen überlassen. Also eine Art von Demokratie?
Studenten zahlen die Professoren nach freiem Ermessen
In merkwürdiger Weise Ja, aber dieses Ja entspricht nicht unseren westlichen Kriterien. De-mokratie gibt es in Iran beispielsweise (das mag absurd wirken) in der höchsten religiösen Hochschule, jener von Qom. Geistliche Professoren (die können Titel haben, wie sie wollen: Ayatollah oder sogar Gross-Ayatollah) sind total abhängig vom Goodwill ihrer Studierenden. Sie, die Studenten, zahlen nach freiem Ermessen das Studiengeld. Ist der Lehrende unbeliebt, kann er die Hochschule verlassen – er erhält nicht mehr mal so viel, dass er seinen Lebensun-terhalt bestreiten könnte.
Rafshanjanis Raffgier war zu gross
Solche Mitsprache von unten widerspricht anderseits dem autoritären Gehabe von oben. Wer innerhalb der Islamischen Republik eine Machtstellung erlangt hat, kann diese auch in kapita-listischer Weise ausnutzen. Das beste Beispiel dafür ist Hashemi Rafshanjani: ehemaliger Parlamentspräsident, ehemaliger Staatspräsident, vom Westen längere Zeit als Hoffnungsträ-ger für eine Liberalisierung des iranischen Systems umschmeichelt.
Beim Kampf ums Amt des Staatspräsidenten, im Jahr 2005, unterlag er aber, zur Überraschung westlicher Beobachter, gegen Mahmud Ahmadinejad. Warum? Weil die Iraner mehr-heitlich Anstoss an der hemmungslosen Bereicherung Rafsanjanis und dessen Familie nahm, weil sie fand, Ahmadinejad sei letzten Endes doch der bessere Politiker – einer, der sich für die Belange der Armen einsetzen werde.
Das tat Ahmadinejad dann allerdings nur in engen Grenzen – mehrheitlich blieben seine Ver-sprechen, die unteren Schichten aus der Armut zu befreien, doch nur Makulatur. Dafür orga-nisierte er sich eine Hausmacht bei den Pasdaran, den Revolutionswächtern, die in den letzten neun Jahren nicht nur zu einer politischen, sondern auch zu einer wirtschaftlichen Kraft wur-den.
Opposition gegen Gefolgsleute Ahmadinejads
Ab etwa 2005 wollte Ahmadinejad über sich selbst hinauswachsen: er begann, immer wieder von einem spirituellen Direkt-Kontakt zum 12. Imam zu sprechen. Damit wollte er sagen: Ihr, die jetzt ganz oben Herrschenden (Ali Khamenei in erster Linie), ihr habt eigentlich keine wirkliche Legitimation, denn der wirklich Erleuchtete, der bin ich.
Die hohe Geistlichkeit ging kurz nach der mindestens teilweise manipulierten Wiederwahl (2009) auf Distanz vom Populisten Ahmadinejad. Noch stärker wurde Ahmadinejad in den letzten Monaten isoliert, als er versuchte, Gefolgsleute in entscheidende Positionen zu hieven. Mit solchen Manövern befassen sich nun immer wieder die Gerichte – mit Rückverweisen, klar, auf einen «wahren» Islam.
Opposition vertritt liberal verstandenen Islam
Auf einen «wahren» Islam beruft sich anderseits auch die Opposition. Die Manifestanten rie-fen ja schon immer «Allahu-akbar», d.h. sie legitimierten sich mit einem religiösen Anspruch, nicht mit einem pro-westlichen oder eindeutig pro-demokratischen. Befragt man einzelne von ihnen nach dem tieferen Sinn dieses Slogans, sagen sie: «Wir wollen, dass die wahren, die wesentlichen Inhalte des Islams beachtet werden – die jetzt Herrschenden, die haben den Is-lam in seinem Kern verraten.»
Ist das gleich zu setzen mit der Forderung nach westlich geprägter Demokratie? Kaum. Eine Mehrheit möchte wohl eine Öffnung des Systems, aber innerhalb eines liberal verstandenen Islams.
Jetzt ist es relativ ruhig in Iran. Die Opposition wartet darauf, dass Ahmadinejad weiter iso-liert wird, möglicherweise auch darauf, dass die alte Geistlichkeit abstirbt. Die jetzige Ruhe bedeutet also nicht, dass man sich mit dem status quo abfindet. Weitere Auseinandersetzun-gen werden kommen – nicht morgen oder übermorgen, auch nicht in einigen Wochen oder Monaten, aber im Rahmen eines weiter gedehnten Zeithorizonts.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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