hunde1

Misshandelte Hunde: Auch in China rufen solche Bilder Tierschützer auf den Plan © Animals Asia/Flickr/cc

Viel Aufregung um «duftendes Knusperfleisch»

Peter G. Achten /  Ein kulinarisches Sommerfest in der Stadt Yulin sorgt jedes Jahr weltweit für Aufruhr. Zu Recht?

Die internationalen Schlagzeilen jeweils zur Sonnenwende verdient sich die südchinesische 6-Millionen-Einwohner-Metropole Yulin in der autonomen Zhuang Provinz Guangxi nicht wegen des ersten Teils des Festivals, das den köstlich süssen Litschi-Früchten gewidmet ist. Der zweite Teil allerdings hat es in sich: das Schlachten, Zubereiten und der Verzehr von Hundefleisch. Zu Tausenden besuchen Einheimische und Touristen zwischen dem 21. und 30. Juni die Spezialitäten-Restaurants, wo Hundefleisch in allen möglichen Zubereitungsarten aufgetischt wird.
Im Jade-Wald (Yulin) beruft man sich auf eine lange Tradition. Schon vor über 500 Jahren, so die Stadtväter, wurden in der Region und in Yulin Hunde verzehrt. Doch erst in den 1990er Jahren wurde daraus informell eine Festlichkeit und ab 2009 eine offizielle und von den Behörden abgesegnete Touristen-Attraktion. Die Stadtregierung begründete das Vorgehen als «Pflicht zur Erhaltung von alten Gebräuchen».

Horror-Videos zeigten Wirkung

Anfänglich wurden während des zehn Tage dauernden Fests noch über 10‘000 Hunde geschlachtet. In den Folgejahren wurde der Protest in China, vor allem aber im Ausland, immer lauter. In den sozialen Medien kursierten Horror-Videos. Hunde wurden erhängt, ertränkt, lebendig gehäutet, mit Elektroschocks und mit Knüppelhieben getötet. Auch chinesische Tierschützer begannen sich aktiv einzumischen. Transporte wurden gestoppt, Hunde und Katzen mit «Lösegeld» gerettet. Tierschützer stürmten Hundemetzgereien und Lastwagen, die gefangene Hunde transportierten.
Es stellte sich heraus, dass viele, wenn nicht die meisten zum Verzehr bestimmten Hunde und Katzen von Banden gestohlen oder als Streuner eingefangen und weiterverkauft werden. Viele dieser Tiere sind infiziert. Bei einer Razzia beschlagnahmte die Polizei vor einem Jahr 1300 Hunde, von denen fast die Hälfte krank waren. Der Volkskongress-Abgeordnete Zhen Xiaohe setzte sich für ein Verbot des Hundefleischhandels ein und wurde von Millionen von Chinesinnen und Chinesen unterstützt. Vor zwei Jahren unterzeichneten elf Millionen Menschen eine Online-Petition, die ein Verbot für den Verkauf von Hundefleisch forderte.
Fleisch ist Fleisch – von welchem Tier auch immer
Organisatoren des kulinarischen Sommerfests in Yulin sind nicht die Behörden, sondern Private – vor allem natürlich Restaurants, Märkte und Metzgereien. Die Schlagzeilen im In- und Ausland haben dafür gesorgt, dass die Festivitäten in den letzten Jahren eingeschränkt wurden. Jetzt fallen nicht mehr 10’000 Hunde den Geniessern zum Opfer, sondern nur noch knapp 3000, wie es offiziell heisst. Zudem werden die Tiere angeblich weniger brutal geschlachtet. Allerdings zeigen Videos in den sozialen Medien, dass auch heute noch viele Hunde ein qualvolles Ende finden.
Im übrigen rechtfertigen sich die Organisatoren, das Essen von Hunden sei nichts anderes als das Essen von Schweine-, Hühner-, Rind- oder Kalbfleisch. Der Yulin-Bewohner Wang Yue lässt sich von der britischen Nachrichten-Agentur zitieren: «Die Szenen von Hunde-Schlächterei, die man online sieht, sind blutig. Das Töten von irgendeinem Tier ist blutig. Ich hoffe, dass die Leute das objektiv beurteilen.»
Tierschutz in China im Vormarsch
Chinesische Tierschützer fordern mit breit angelegten Aufklärungs- und Informations-Kampagnen nicht nur mehr Respekt für Hunde und Katzen, sondern ganz allgemein für alle Tiere. Sogar die amtliche Nachrichten-Agentur «Neues China» (Xinhua) stellte sich auf die Seite der Tierschützer. In einer vor zwei Jahren durchgeführten Xinhua-Umfrage unter 15- bis 50-jährigen Chinesen und Chinesinnen sprachen sich 65 Prozent für ein Verbot des Yulin-Festivals aus. Begründet wird das nicht nur mit den internationalen Schlagzeilen, die China schaden würden. Vielmehr, so Xinhua, gebe es heute in allen Städten Chinas «einen gebildeten und informierten Mittelstand». Diese neue Generation und Millionen von Einzelkindern liebe Hunde, Katzen und Haustiere, kurz «sie verstehen das Konzept tierischer Rechte».
Einst verpönt, heute ein Milliardengeschäft
Der wachsende Wohlstand hat in der Tat die Einstellung vieler Chinesen und Chinesinnen zu Haustieren von Grund auf verändert. Zu Maos Zeiten war das Halten von Haustieren noch tabu; es galt als bürgerlich und konterrevolutionär. Bis in die späten 1990er Jahre war es in China aus hygienischen Gründen verboten, Hunde, Katzen oder andere Haustiere zu halten.
Kaum legalisiert und offiziell erlaubt, schwoll die Zahl der Haustiere in den Städten drastisch an. So wurden zum Beispiel in Peking im Jahr 2002 bereits 140‘000 Hunde registriert – obwohl dies nicht billig ist. Noch heute zahlt man bei der Registrierung 1000 Yuan (umgerechnet 150 Franken), hinzu kommen jährlich 500 Yuan. 2014 wurden in der Hauptstadt 1,24 Millionen registrierte Hunde gezählt, und Ende 2016 waren es 2 Millionen.
Die Pekinger Tieraktivistin Lin Kun schätzt die Zahl der Pekinger Hunde sogar auf drei bis vier Millionen. Aus einem einfachen Grund: Viele alte Pekinger können sich die Registrierung schlicht nicht leisten. Landesweit weisen die Statistiker derzeit rund 30 Millionen Hunde aus, wobei auch hier die Schätzungen bis zu 100 Millionen und höher gehen. Und bei den Katzen, die nicht registriert werden müssen, sollen es laut Schätzungen gar 150 Millionen sein.
Nicht nur Tierschützer profitieren von der zunehmenden Sensibilisierung für die Rechte der Tiere. Auch die Zahl der Tierfachgeschäfte hat in den letzten zwei Jahrzehnten rasant zugenommen. Vor vier Jahren belief sich laut «Weissbuch 2016 für Chinas Haustiergewerbe» der Umsatz für Haustierbedarf und -handel auf umgerechnet 10 Milliarden Franken. Vor drei Jahren waren es bereits 14,5 Milliarden, und für 2020 wird mit rund 28 Milliarden gerechnet. Das ergibt in einem Jahrzehnt ein jährliches Wachstum von satten 32,8 Prozent. In Peking – wo meine Dackel-Dame Meimei (kleine Schwester) die schönsten Jahre ihres langen Lebens verbrachte – gab es 2006 erst 500 Tierfachgeschäfte. Im vergangenen Jahr waren es fünf Mal mehr.
Bei uns alles besser?
Statt empörte Schlagzeilen in westlichen Medien, wäre etwas Selbstreflexion angezeigt: Wie wird bei uns geschlachtet? Wie werden bei uns Tiere gehalten? Was ist mit unsern westlichen Fleischfabriken? Als Journalist habe ich im Verlauf von Jahrzehnten immer wieder Schlachthäuser besucht. Das erste in Buenos Aires in den 1960er Jahren. Danach war Fleischkonsum zwei Jahre unmöglich. Das letzte Schlachthaus besuchte ich in Vietnam in Hanoi – das nach meiner Einschätzung wohl beste, wo das Tier (einigermassen) mit Respekt ins Jenseits befördert wurde.
Was Hundefleisch betrifft, sollte Toleranz gelten. In Vietnam musste ich als Ehrengast immer am Eingang des Restaurants am Damm über dem Roten Fluss den Hund zum Schlachten aussuchen. Es war schrecklich. Der Dackel-Dame Meimei konnte ich zu Hause nicht mehr in die traurigen Augen sehen.
An der Fussball-Weltmeisterschaft in Südkorea 2002 berichtete ich fürs Radio über ein Hunde-Restaurant, das auf Bernhardiner spezialisiert war. Der Küchenchef sagte im Interview: «Ihr esst doch in der Schweiz auch die herzigen Kälbchen, warum sollten wir nicht sorgfältig gezüchtete Bernhardiner essen?» Der Chef in Seoul kreierte für mich danach auf meinen Wunsch ein köstliches vegetarisches Gericht

Falsches «Hasen-Ragout» und «duftendes Fleisch»
Unterdessen haben verschiedene Länder den Hund als Lebensmittel leicht reguliert. Taiwan – die «abtrünnige» chinesische Provinz – beispielsweise hat den Verzehr, Verkauf und Besitz von Hunde- und Katzenfleisch verboten. Bei Zuwiderhandlungen gibt es Bussen bis zu umgerechnet 8000 Franken. In Südkorea ist das Schlachten von Hunden und Katzen verboten. In China, Südkorea und – ja – der Schweiz hingegen ist der Verzehr von Hundefleisch absolut legal. Nur der kommerzielle Handel ist in der Schweiz verboten.
Aber Achtung: Bis Mitte des letzten Jahrhunderts galt Hundefleisch zum Beispiel im Rheintal und im Appenzell durchaus als gut und akzeptabel. Noch Anfang der 1960er Jahre erlebte ich als Küchengehilfe in einem militärischen Wiederholungskurs Gewöhnungsbedürftiges: Der Küchenchef, im zivilen Leben Metzger, beschaffte sich auf Bauernhöfen Katzen, schlachtete sie und verarbeitete sie zu köstlichem «Hasen-Ragout». Alle wussten es, und niemand reklamierte.
Im Lichte dieser militärischen Erfahrung ist das Plädoyer von «Renmin Ribao» (Volkszeitung) – das Sprachrohr der allmächtigen Kommunistischen Partei – vernünftig. Zu Recht wird für einen «respektvollen Kompromiss» geworben. Ganz im Sinne der britischen Qualitäts-Zeitung «The Independent», die angesichts von jährlich im Vereinigten Königreich «brutal geschlachteten» 1,9 Millionen Tieren anmerkte: «Die westliche Unterscheidung zwischen Hunden und Farm-Tieren ist komplett willkürlich.» Haustiere – so Chinas Volkszeitung – und Lebensmittel-Tiere seien eine Dualität, die nicht mit Polemik gelöst werden könne.
Was Yulin betrifft, titelte die Pekinger Tageszeitung «Beijing News» vielsagend: «Wo ist die Grenze?» Die Restaurants in Yulin nehmen sich inzwischen als Organisatoren sehr weit zurück. Wo noch vor einem Jahr das Restaurant-Schild für «duftendes Hunde-Knusperfleisch» warb, ist mittlerweile das Zeichen für duftendes Hundefleisch (Xiang Gourou) verschwunden und durch Xiangrou (duftendes Fleisch) ersetzt worden. Wohl bekomms!


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

Flagge_China

Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

3 Meinungen

  • am 29.06.2018 um 12:33 Uhr
    Permalink

    Wenn man Tiere verspeist, weshalb nicht alle, die für den Verzehr geeignet sind? Nur schon bei Pferdefleisch scheiden sich die Geister, obwohl das Fleisch – wie bei Hunden und Katzen – gut schmecken soll und bekömmlich sei. Ich kanns nicht beurteilen, ich lebe im 31. Jahr vegan. Als Kind war ich Vegetarier; weil mir Fleisch nicht schmeckt. Die ethische Haltung, nichts zu verspeisen, das mich als Lebewesen wahrnehmen kann, kam erst später hinzu.
    Doch grundsätzlich habe ich nichts gegen seriöse Nutztierhaltung einzuwenden. Gerade in den Alpen oder in Steppenregionen kann so aus Gras und dergleichen Nahrung produziert werden. Jedoch sollten m.E. Nutztiere weder mit Kraftfutter gedopt, noch in (weit entfernten) Schlachthöfen getötet werden. Weidehaltung und Hofschlachtung finde ich unabdingbar: Reduktion der Menge zugunsten der Qualität.
    Noch zu Vegetarismus: Vegetarier sind scheinheilig. Um Milch zu produzieren, müssen Kälber gezeugt werden. Als Jungkälber werden sie nach 7 Tagen den Mutterkühen entzogen – was die Kühe stresst und sichtlich traurig macht – und geschlachtet. Also: Wer Milch konsumiert, sollte auch Kalb-, Schaf- und Ziegenfleisch essen. Und bitte, auch deren Innereien und andere wenige begehrte Stücke. Alles andere ist Selbstbeweihräucherung. Abgesehen davon, Milch ist es höchst ungesund für erwachsene Menschen, das ist inzwischen erwiesen (Emmi und Co. hält da dagegen, weils ein Riesengeschäft ist).
    Fazit: Entweder isst man jegliches Fleisch, oder man lebt vegan.

  • am 29.06.2018 um 16:12 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank für den objektiven Bericht. Meine Erkenntnis aus dem grauslichen Treiben dort in Asien ist, dass wir hier in Deutschland selbst große Defizite in uns tragen. Fleisch für den Grill muss so billig wie möglich sein und man nimmt gerne in Kauf, dass unsere Nutztiere aus Massentier-qual-haltung stammen.
    Dabei leben wir im Jahr 2018, sind aufgeklärt durch Medien und trotzdem ändert sich nicht viel an unserer Konsumeinstellung ! Es wird sich nicht viel ändern, weil es wie überall auf der Welt nur ums Geld geht !

    Zu Yulin: Willkommen in der Hölle wo Menschen aus der Hölle leben !

    Menschen, die Tiere qualvoll unterwerfen müssen um sich selbst zu erheben, gehören nicht an die Schlachtbank. Ganz gleich in welchem Land !
    Der Schlächter, der das Tier als persönlichem Frustabbau quälerisch missbraucht oder aus empfundener Freude quälend richtet, ist abartig veranlagt und diese Personen gehören zum Abschaum der Menschheit.

    Guckt man in die Gesichter dieser Personen, findet man keine menschliche Emotion, keine Regung.
    Die Aussage von Asiaten: «Ein Tier hat keine Seele, deshalb kann es keine Schmerzen empfinden» kann man zurückgeben und sagen: «Ein Tierquäler hat keine Seele und empfindet deshalb keine innerlichen Schmerzen»

    Wer Tiere quält, kann keine Liebe empfinden. In der Hölle gibt es keine Liebe.

  • am 29.06.2018 um 22:38 Uhr
    Permalink

    In den muslimischen Ländern werden gewöhnlich keine Hunde und Katzen verzehrt, da nach einem Prophetenwort der Verzehr des Fleisches von Landtieren mit Reißzähnen und Vögeln mit Greifklauen untersagt ist. Nach der im Maghreb vorherrschenden mâlikitischen Rechtsschule wird dies jedoch nicht als strenges Verbot, sondern nur als verpönt (unerwünscht) aufgefaßt. Da Hunde jedoch zumindest als teilweise unrein gelten und Hundehaltung im Islam nur zu bestimmten Zwecken (Hirten-, Wach-, Jagd- und neuerdings auch Blindenhund) erlaubt ist, gibt es zahlreiche streunende herrenlose Hunde. In einigen Großstädten (Karatschi, Kabul) werden sie erschossen.
    Während des Syrienkrieges wurden für die Bewohner der belagerten und ausgehungerten Städte von islamischen Gelehrten eigens Rechtsgutachten (Fatwas) zur ausnahmsweisen Erlaubnis des Verzehrs von Katzen- und Hundefleisch erteilt.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...