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Das Weisse Haus machte Migrantinnen und Migranten für die Gesundheitskrise verantwortlich © pixabay

USA: Der Fall der grössten Gesundheitsorganisation der Welt (3)

Tobias Tscherrig /  Die Einmischung von Trump, ein Virus und das Versagen der eigenen Führung führten zum Fall der wichtigsten US-Gesundheitsbehörde.

In einer vierteiligen Serie zeichnet «Infosperber» den Fall der CDC nach. Teil eins zeigte, wie sich das Weisse Haus in die Angelegenheiten der Gesundheitsbehörde einmischt und auf ihrem Rücken Politik betreibt. Teil zwei beleuchtete die internen Probleme der Gesundheitsbehörde, den mangelnden Informationsaustausch zwischen China und den USA und zeigte, wie sich die Kluft zwischen der US-Regierung und der CDC stetig vergrösserte. Auch die fehlerhaften Covid-19-Tests der USA waren Thema. Der dritte Teil handelt von Versäumnissen der Kreuzfahrtindustrie und einem Präsidenten, dessen Show immer weitergehen muss. Ausserdem zeigt er, wie Migrantinnen und Migranten zum Sündenbock der Covid-19-Pandemie gemacht wurden. Als Hauptquelle dient eine 23-seitige Recherche, die «Pro Publica» veröffentlich hat.

Kreuzfahrtschiffe und «menschliche Maden»
Als das Virus um den Globus ging, wurden Kreuzfahrtschiffe bald zu frühen Symbolen der Pandemie. Über Nacht verwandelten sie sich von Bastionen der Freizeit in Ausgestossene des Meeres, schwimmende Hotspots voller kranker und gesunder Touristen, darunter viele Amerikanerinnen und Amerikaner. Die Frage, was mit diesen Menschen geschehen soll, fiel ebenfalls in die Kompetenz der CDC. «ProPublica» hat unter anderem auch mit dem CDC-Mitarbeiter gesprochen, der für die Lösung dieses Problems verantwortlich war.

Ein ziemliches Dilemma, denn die CDC besitzen wenig gesetzliche Autorität. Ihr Einfluss liegt in der Fähigkeit, die Öffentlichkeit dazu zu bewegen, im kollektiven Interesse der Nation zu handeln. Aber die Behörde hat eine gewaltige Macht: die Fähigkeit, die Grenzbewegungen während eines Ausbruchs zu kontrollieren und die Menschen ihrer Freiheit zu berauben, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.

Eine Macht, die in der Vergangenheit bereits missbraucht worden war. Zum Beispiel als in den USA 1892 Cholera und Typhus ausbrachen. Als Folge wurden viele jüdische Einwanderer in New York misshandelt und stigmatisiert. Sogar eine Gruppe, die zur Hilfe geschickt wurde, nannte sie «menschliche Maden». Die Behörden schoben sie auf eine Quarantäneinsel ab, wo sie Elend und Isolation ertrugen. Einige starben.

So auch beim Coronavirus: Die Autorität der CDC wurde untergraben, missbraucht und politisiert.

Provisorische Plastikplane als Schutz vor Ansteckung
Während die US-Touristen auf den betroffenen Kreuzfahrtschiffen ausharrten, versicherten US-Diplomaten den Passagieren, dass niemand mit dem Virus die Evakuierungsflüge benutzen dürfe. Doch nachdem die amerikanischen Passagiere in Bussen zu ihren Flügen transportiert worden waren, erfuhren die Beamten, dass 14 von ihnen positiv getestet worden waren. Das Aussenministerium drängte trotzdem darauf, dass alle Passagiere – nicht infizierte und infizierte – gemeinsam ausfliegen sollten.

Jay Butler, damaliger Leiter des Teams, das sich in den USA mit der Pandemie auseinandersetzte und Anne Schuchat, eine Spitzenwissenschaftlerin der CDC, lehnten dies ab. Aber Robert Kadlec, der verantwortliche Beamte des Ministeriums für Gesundheitspflege und Soziale Dienste (HHS) und ehemaliger Oberst der Luftwaffe, stellte sich auf die Seite des Aussenministeriums. Kadlec sagte, die Priorität sei es, die Amerikaner nach Hause zu bringen. In einem der Flugzeuge war das Einzige, was die Infizierten von den Nicht-Infizierten trennte, eine fadenscheinige Plastikfolie.

Beteiligte CDC-Beamte sagten gegenüber «ProPublica», dass sie sowohl über die Entscheidung als auch über ihre schlampige Durchführung entsetzt gewesen seien. «Oben am Duschvorhang, den Sie von ‹Home Depot› gekauft haben, ist eine vier Fuß große Lücke – und Sie nennen das einen Quarantänebereich?», sagte einer. Sprecher des Aussenministeriums und der HHS sagen dagegen, dass Diplomaten und Gesundheitsexperten bei den Evakuierungsflügen strenge Vorsichtsmassnahmen getroffen hätten. 

Wie die «Washington Post» später berichtete, verlangte Schuchat, dass alle Hinweise auf die CDC betreffend der Rückführung der amerikanischen Touristinnen und Touristen gelöscht wurden.

The show must go on
Obwohl die Ansteckungsgefahr auf Kreuzfahrtschiffen längst bekannt war, verluden auch Tage nach der ersten Evakuierung Kreuzfahrtgesellschaften Hunderte Menschen und fuhren mit ihnen auf das Meer hinaus. Nur Tage nach der Evakuierung der «Diamond Princess» stach ein Schiff der gleichen Gesellschaft, die Grand Princess, von San Francisco aus zu einer weiteren unglückseligen Reise in See. Am 5. März musste ein Militärhubschrauber zu dem Schiff fliegen, um Tests durchzuführen, nachdem die Passagiere krank geworden waren.

Am nächsten Tag flog Trump nach Atlanta zu einer improvisierten Besichtigung der CDC-Laboratorien. Trump, der eine rote «KEEP AMERICA GREAT»-Mütze trug, lobte die Tests der CDC als «perfekt» und sprach über die rekordverdächtig hohen Bewertungen für seinen kürzlichen Auftritt bei «Fox News». Von einem Reporter über Kreuzfahrtschiffe befragt, sagte der Präsident, er ziehe es vor, dass die Passagiere der Grand Princess an Bord blieben, da ihre Ankunft einen Anstieg der US-Fallzahlen verursachen würde. «Ich brauche es nicht, dass sich die Zahl der Fälle wegen eines Schiffes verdoppelt», sagte er.

Während die CDC händeringend versuchten, Trumps Regierung von Massnahmen zu überzeugen, die es ermöglichen würden, die amerikanischen Touristinnen und Touristen ohne weitere Ansteckungen nach Hause zu bringen, leistete auch die Kreuzfahrtindustrie Widerstand. Sie legte einen Plan vor, der es den Unternehmen ermöglichen würde, mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen weiter zu fahren. Am Tag nach Trumps Auftritt in Atlanta trafen sich Pence und Redfield in Florida mit Führungskräften der Kreuzfahrtindustrie. Nachdem Pence den «Geist der Zusammenarbeit» gelobt hatte, sagte der Vorsitzende der grössten Handelsgruppe der Branche gemäss «Pro Publica»: «Angesichts der Bedeutung von Reisen und Tourismus ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Amerikaner weiter reisen.»

Als die CDC am 14. März schliesslich ein Schifffahrts-Verbot von 30 Tagen erliessen, schlossen sie die Mehrheit der Kreuzfahrtveranstalter aus – weil ihre Handelsgruppe, die «Cruise Lines International Association», am Vortag freiwillig zugestimmt hatte, während dieser Zeit keine neuen Schiffe mehr aus US-Häfen auslaufen zu lassen. Die Regierung lobte diesen «freiwilligen Verzicht» und dankte der «Cruise Lines International Association» für das «Engagement, das sie für den Schutz der Gesundheit sowohl der Kreuzfahrtpassagiere als auch der breiten Öffentlichkeit zeigt.»

Kreuzfahrtindustrie vor Menschenleben
Die CDC arbeiteten zudem an einem weiterreichenden Auslauf-Verbot für Kreuzfahrtschiffe, in dem auch das Versagen der Branche zur Sprache kommen sollte. Die Forderung: Kreuzfahrtunternehmen sollen sich selber um die 79’800 Besatzungsmitglieder auf Schiffen kümmern – ohne die Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens weiter zu belasten.

Obwohl diese härtere Anordnung gemäss führenden Gesundheitsbeamten «dringend notwendig» gewesen wäre, weigerte sich das Heimatschutzministerium, den Befehl abzuzeichnen. Nach vier Tagen Gerangel stimmte das Ministerium für Innere Sicherheit (DHS) schliesslich zu, die Anordnung zu unterzeichnen. Allerdings erst nachdem sämtliche Kritik an der Kreuzfahrtindustrie zensiert oder abgeschwächt worden war. Ein Abschnitt mit dem Titel «Versäumnis der Kreuzfahrtindustrie einen Reaktionsplan zu entwickeln und umzusetzen» wurde zum Beispiel zu «Kritischer Bedarf an weiterer Zusammenarbeit und Reaktionsplanung».

Im September schlugen die CDC vor, das Auslaufverbot bis Februar 2021 zu verlängern, aber die Corona-Task-Force des Weissen Hauses stellte sich stattdessen auf die Seite der Kreuzfahrtindustrie und wählte als Enddatum den 31. Oktober.

Migrantinnen und Migranten als Sündenbock
Zur gleichen Zeit, als es die deutliche Kritik an der Kreuzfahrtindustrie unterband, drängten das Weisse Haus und das DHS Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der CDC, sich auf Quarantänebefugnisse zu berufen – um ein Problem zu stoppen, das kaum existierte: die Verbreitung des Coronavirus durch Migranten, die versuchten, die Grenze zwischen den USA und Mexiko zu überqueren.

Zwei Tage nach dem Auslaufverbot für Schiffe setzte Trumps leitender Berater Stephen Miller ein Treffen zur Erörterung der «Notfall-Grenzplanung» an. Miller war eine treibende Kraft hinter Trumps Dekret, in dem Bürgerinnen und Bürger aus mehrheitlich muslimischen Staaten die Einreise in die USA verboten wurde. Miller stand auch hinter der Politik der Familientrennung und den Bemühungen um den Bau einer Mauer, die die Grenze zwischen den USA und Mexiko trennen sollte. In einem Aufruf vom 17. März drängte er die Verwaltung, die Befugnisse der CDC zu nutzen, um die Grenze sofort zu schliessen, weil «die Südgrenze in einer Krise steckt und diese sich verschlimmern wird, wenn sich COVID-19 in Mexiko ausbreitet».

Also schickte ein HHS-Anwalt einen Vorschlag für eine Anordnung an die CDC, dank der die Grenzen zu Mexiko und Kanada weitgehend geschlossen werden konnten. Eine Mitarbeiterin der CDC beklagte sich zwar beim Stabschef der Behörde, dass der Befehl «falsch dargestellte und unvollständige Daten» zitierte, um die Bedrohung überzubewerten. Ausserdem weigerte sich der zuständige CDC-Mitarbeiter, den Auftrag zu unterzeichnen. «Ich werde mich nicht daran beteiligen», sagte er zu einem Kollegen. «Es ist moralisch falsch, eine öffentliche Behörde zu benutzen, die niemals auf diese Weise benutzt wurde. Es geht einzig darum, Hispanoamerikaner aus dem Land fernzuhalten. Das ist falsch.»

Dieser Widerstand blieb aber nur Makulatur. Schliesslich unterzeichnete Redfield den Befehl höchstpersönlich. Zum ersten Mal seit der Verabschiedung des Flüchtlingsgesetzes von 1980 wurden Menschen, die an die Grenze kamen und sagten, dass sie Verfolgung oder Folter in ihren Heimatländern befürchteten, abgewiesen – ohne dass sie die Möglichkeit hatten, ihren Asylantrag zu stellen.

Ken Cuccinelli, ein hochrangiger Beamter des Heimatschutzes, prahlte später vor einem Kongressausschuss, dass Grenzbeamte «90 Prozent der Ausländer innerhalb von zwei Stunden, nachdem sie ihnen begegnet waren, über die Südgrenze abgeschoben hatten – eine unglaubliche Leistung und von entscheidender Bedeutung für die öffentliche Gesundheit und den Schutz unserer Arbeitskräfte als Reaktion auf COVID». Unter den Abschiebungen befanden sich viele unbegleitete asylsuchende Kinder, die auch zurückgewiesen wurden, wenn ihre Testergebnisse negativ waren.
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In einer vierteiligen Serie zeichnet «Infosperber» den Fall der CDC nach. Der vierte und letzte Teil wird den Kampf um die Gesundheitsdaten und die Schulschliessungen in den USA behandeln. Weiter wird er beschreiben, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler endgültig zum Feindbild des Weissen Hauses wurden.
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Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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