Juan Cole, Professor für Geschichte des modernen Nahen Ostens

Juan Cole, Professor für Geschichte des modernen Nahen Ostens © DemocracyNow (Archivbild)

USA betreiben im Sicherheitsrat eine reine Heuchelei

Juan Cole /  Das höchste UN-Gremium fordert dank Stimmenthaltung der USA den sofortigen Waffenstillstand in Gaza. Doch dies sei «nicht bindend».

upg. Juan Cole ist Professor für Geschichte an der University of Michigan. Er veröffentlichte mehrere Bücher zum Nahen Osten und ist Übersetzer für Arabisch und Persisch. Diesen hier leicht gekürzten Beitrag verfasste er als Chefredaktor von Informed Comment.


Die USA betreiben eine reine Heuchelei: Sie hatten sich auf «verbindliche Resolutionen» des UN-Sicherheitsrats berufen, um in den Irak einzumarschieren. Jetzt halten sie die Forderung nach einem Waffenstillstand im Gazastreifen für «unverbindlich».

Es war Matthew Miller, Sprecher des US-Aussenministeriums, der die Resolution 2728 des UN-Sicherheitsrats, die einen sofortigen Waffenstillstand im Gaza-Konflikt fordert, als «unverbindlich» bezeichnete. Das Gleiche sagte die US-Botschafterin bei der UNO, Linda Thomas-Greenfield.

China wies die USA zurecht: «Resolutionen des Sicherheitsrates sind bindend», sagte Lin Jian, ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums.

Peking hat recht, was das Gesetz angeht. Die Regierung Biden ist unaufrichtig. Wenn Präsident Biden nicht wollte, dass eine Waffenstillstandsresolution verabschiedet wird, hätte er sein Veto einlegen müssen. Indem er sich der Stimme enthielt und die Weltgemeinschaft über die Angelegenheit abstimmen liess, hat Biden eine verbindliche Entscheidung herbeigeführt. Seine Beamten sollten aufhören, darum herumzutanzen.

Die Rechtslage ist eindeutig: In Artikel 25 der UN-Charta, die auch die USA, China und Israel unterzeichnet haben, heisst es: «Die Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichten sich, die Beschlüsse des Sicherheitsrates in Übereinstimmung mit dieser Charta anzunehmen und auszuführen.»

Hier der Wortlaut der jüngsten Resolution:

«Der UN-Sicherheitsrat fordert einen sofortigen Waffenstillstand für den Monat Ramadan, der von allen Parteien respektiert wird und zu einem dauerhaften und nachhaltigen Waffenstillstand führt. Er fordert ferner die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln sowie die Gewährleistung des Zugangs für humanitäre Hilfe, um ihre medizinischen und sonstigen humanitären Bedürfnisse zu befriedigen. Er fordert ferner, dass die Parteien ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf alle Personen nachkommen, die sie festhalten.»

Resolution 2728 des UN-Sicherheitsrats

Man muss sich schon sehr verrenken, um aus der mehrfachen Verwendung des Verbs «fordern» zu schliessen, der Sicherheitsrat sehe den Waffenstillstand nicht als verbindlich an. Der UN-Sicherheitsrat schlägt nichts vor. Er hofft nicht. Er fleht nicht an. Er fordert.

Die Heuchelei Washingtons in dieser Angelegenheit ist legendär und umwerfend.

Nach dem Golfkrieg von 1990 bis 1991 hatte der UN-Sicherheitsrat Resolutionen verabschiedet, in denen er die Abrüstung des Iraks forderte. Wir wissen heute, dass der Irak dieser Forderung nachkam. Doch die USA und andere Grossmächte weigerten sich, den diesbezüglichen Beteuerungen oder sogar Dokumenten Bagdads Glauben zu schenken.

Einer der Gründe, die George W. Bush dann für den Einmarsch in den Irak anführte, war, dass die Resolutionen des Sicherheitsrats nicht eingehalten worden seien. Bush vertrat die Ansicht, dass die USA nicht nur für eigene Ziele handelten, sondern dass sie mit dem Angriff die Autorität des UN-Sicherheitsrats aufrechterhalten würden.

Robert McMahon von Radio Free Europe/Radio Liberty schrieb damals im Jahr 2002: «US-Präsident George W. Bush drückte seine Frustration und seine Besorgnis aus und sagte, dass die lange Missachtung der Abrüstungsresolutionen der Vereinten Nationen durch den Irak die Glaubwürdigkeit der UNO in Frage gestellt habe.»

Die Missachtung einer Resolution des UN-Sicherheitsrats ist also nach Ansicht Washingtons eine so ernste Angelegenheit, dass sie zu einer Invasion und zum Sturz einer Regierung führen kann. 

Es ist offensichtlich, dass die USA die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats damals nicht für unverbindlich hielten.

Auch im Jahr 2007 nicht, als der UN-Sicherheitsrat aus Enttäuschung über die Nichteinhaltung der Forderungen an den Iran, seine zivilen nuklearen Anreicherungsaktivitäten einzustellen, ein Embargo gegen Waffenverkäufe aus Teheran beschloss. Um diesen Beschluss gegen den Iran durchzusetzen, erlaubte der UN-Sicherheitsrat sogar das Anhalten von Schiffen auf hoher See, die im Verdacht stehen, iranische Waffen zu transportieren.

Der UN-Sicherheitsrat erlaubte in einem anderen Fall sogar das Entern von Schiffen, die nordkoreanische Waren transportieren. Normalerweise ist die Freiheit der Schifffahrt auf hoher See ein absolutes internationales Recht. Aber der UN-Sicherheitsrat kann tun, was er will. Er verhängte gegen Pjöngjang umfangreiche Wirtschaftssanktionen.

Vor der Abstimmung über die Gaza-Resolution im Sicherheitsrat äusserten sich einige Länder klar:

Carolyn Rodrigues-Birkett aus Guyana: «Die Forderung [des Sicherheitsrates] kommt zu einem wichtigen Zeitpunkt, da die Palästinenser den heiligen Monat Ramadan begehen.» 

Sie sprach von einer «Forderung» und sagte, dass «nach mehr als fünf Monaten eines Krieges des absoluten Terrors und der Zerstörung ein Waffenstillstand den Unterschied zwischen Leben und Tod für Hunderttausende von Palästinensern und anderen Menschen bedeutet».

Das klingt nicht nur nach einem höflichen Vorschlag.

Chinas Zhang Jun erklärte: «Der aktuelle Entwurf ist unmissverständlich und richtig in seiner Richtung und fordert einen sofortigen Waffenstillstand, während der vorherige Entwurf ausweichend und zweideutig war.»

Hwang Joonkook aus Südkorea sagte: «Die Situation muss vor und nach dieser Resolution anders sein. Das wird nur möglich sein, wenn sowohl Israel als auch die Hamas diese Resolution respektieren und getreu umsetzen.»

Eben nicht freiwillig, sondern verbindlich.

Es ist sonnenklar: Die Resolution 2728 des UN-Sicherheitsrates zu Gaza ist verbindlich. «Unverbindlich» wird sie nur in der Praxis: Die Biden-Regierung würde im Namen der USA ein Veto einlegen, falls der UN-Sicherheitsrat versuchte, Israel für seine Missachtung zu sanktionieren, so wie er es mit dem Irak, dem Iran und Nordkorea tat. Mit einem solchen Veto würden die USA die derzeitige faschistische Regierung in Israel schützen.

Das ist keine hohe Diplomatie, sondern eine willkürliche und abstossende Parteinahme, die dem Völkerrecht und den ethischen Grundsätzen Hohn spricht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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2 Meinungen

  • am 2.04.2024 um 15:35 Uhr
    Permalink

    Wer «konstruierte» UNO und die anderen «Weltorganisationen»? USA? Wieso dann wundern? Ich fordere seit Jahren von der Schweiz Initiative für Gründung einer «Echt-UNO», die das verwirklicht, was die «schönen Worte» versprechen.

  • am 3.04.2024 um 11:31 Uhr
    Permalink

    War doch schon immer so – die Mächtigen predigen Waser und trinken Wein. Oder auf englisch: «Do as I say, not as I do.»

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