Die USA wollen ihre Führung in der Chip-Technologie nicht verlieren.Nikkei Asia

Die USA wollen ihre Führung in der Chip-Technologie nicht verlieren. © Nikkei Asia

US-Sanktionen könnten Chinas Chip-Aufholjagd beschleunigen

Pascal Derungs /  Chinas KI-Industrie soll die der USA nicht einholen. Doch gerade das könnten Sanktionen bewirken, warnt die US-Chipindustrie.

Vor einem Jahr schränkte die Biden-Regierung den Export von ultramodernen Halbleitern nach China erstmals ein. Nun erwägt sie zusätzliche Restriktionen. Es geht darum, Peking die Technologie zu verweigern, die für moderne Waffen und für modernste Technologie entscheidend ist. Besonders heikel ist dabei der Bereich der KI, der künstlichen Intelligenz. 

Doch in den letzten Monaten haben die drei grossen US-Chipunternehmen Nvidia, Intel und Qualcomm unverblümt gewarnt: Eine weitere Einschränkung ihrer Verkäufe nach China würde ihre Geschäfte aushöhlen und dem Plan der Regierung, neue Halbleiterfabriken in den Vereinigten Staaten zu bauen, die Finanzierungsgrundlage entziehen. Das berichten drei Autoren in der New York Times. 

Lobbykampagne der Chipriesen gegen die eigene Regierung

Aus Interviews mit zwei Dutzend Beamten aus Regierung, Industrie und politischen Organisationen gehe hervor, dass die drei Chiphersteller eine eigentliche Kampagne gegen das Weisse Haus gestartet hätten. Bei Treffen mit hohen Beamten wie Aussenminister Antony J. Blinken und Handelsministerin Gina M. Raimondo hätten sie die Kompetenz der Regierung in Fragen der nationalen Sicherheit in Frage gestellt. Sie hätten führende Politiker in ganz Washington aufgefordert, zusätzliche Chip-Kontrollen zu überdenken. Sie wollten Denkfabriken für ihre Sache einspannen.

Exportverbote könnten zum Bumerang werden

Die Unternehmen hätten davor gewarnt, dass ein restriktives Verhalten der USA Chinas Entwicklung einer unabhängigen Chipindustrie eher beschleunigen als behindern könnte. Dies könne zu einer Welt führen, die eher von chinesischen als von amerikanischen Chips dominiert würde. «Was man riskiert, ist, die Entwicklung eines Ökosystems voranzutreiben, das von Konkurrenten angeführt wird», zitiert die NYT Tim Teter, General Counsel des Chip-Giganten Nvidia, der die Lobbykampagne mit geleitet hat. «Und das kann sich sehr negativ auf die Führungsrolle der USA in den Bereichen Halbleiter, Spitzentechnologie und KI auswirken.»

US-Regierung in Verteidigungshaltung

Die Kampagne scheint erste Erfolge zu zeitigen. Sie habe bereits zur Verzögerung und Abschwächung neuer Beschränkungen beigetragen, hätten zwei mit den Vorbereitungen vertraute Personen berichtet. Sprecher des Handelsministeriums und des Nationalen Sicherheitsrates, die das Verfahren der Regelsetzung leiten, sagten, sie würden ihre Pflicht zum Schutz sensibler Technologie wahrnehmen. «Der Zeitpunkt und der Umfang von Exportkontrollentscheidungen sind sorgfältig zu planen, um die grösstmögliche Wirkung zu erzielen», sagte Sarah Weinstein, eine Sprecherin des Handelsministeriums.

Subventionen sollten Chipindustrie stärken

Der Vorstoss der grossen Chipkonzerne habe einige nationale Sicherheitsexperten, Gesetzgeber und Halbleiterrivalen verärgert, schreibt die NYT. Viele würden eine Konfrontation mit Peking befürworten und fänden es geschmacklos, dass die Unternehmen die Politik des Weissen Hauses in Frage stellten. Dies kurz nachdem die Regierung durch den «CHIPS and Science Act» über 50 Milliarden Dollar Subventionen und 24 Milliarden Steuererleichterungen für die Industrie zugesagt hat, um die amerikanische Chipproduktion zu stärken und China entgegenzuwirken. 

Die Anbieter von Chips, ihre Zulieferer und die sie vertretenden Handelsverbände hatten im vergangenen Jahr zusammen 59 Millionen Dollar für Lobbyarbeit ausgegeben, um diese Finanzierung durch den Kongress zu sichern. Das fand OpenSecrets heraus. Das Milliarden-Manna stecken die Konzerne gerne ein. Aber sie möchten sich das Geschäft mit China nicht zu stark vermiesen lassen.

Der Streit offenbart das grundlegende Dilemma

Die Warnungen der Unternehmen vor zu starken Einschränkungen zeigen die Spannungen zwischen nationalen Sicherheitsbedenken und kommerziellen Interessen, schreiben die NYT-Autoren. Die Biden-Regierung stecke in einem Dilemma: Die seit Jahrzehnten vertiefte wirtschaftliche Verflechtung der Vereinigten Staaten und Chinas bedeute, dass jede Massnahme Washingtons, Peking zu konfrontieren, Gefahr laufe, im eigenen Land Schaden anzurichten.

Schrumpfen Umsatz und Gewinn, droht Innovation zu erlahmen

Allein bei Nvidia, Intel und Qualcomm entsprechen ihre China-Geschäfte etwa einem Drittel des globalen Halbleitermarktes und einem kombinierten Jahresumsatz von mehr als 50 Milliarden Dollar. Die Unternehmen würden nun davor warnen, dass der Verlust dieser Einnahmen zu Kürzungen bei der Technologieentwicklung, den Arbeitsplätzen und den Ausgaben für Halbleiterfabriken in Arizona, Ohio und New York führen könnten. 

Die ersten Handelsbeschränkungen vom 7. Oktober 2022 habe die Branche noch stillschweigend akzeptiert, die Unternehmen hätten ihre Geschäfte angepasst. Nvidia zum Beispiel entwickelte speziell für den chinesischen Markt eine leistungsreduzierte Version seines fortschrittlichsten KI-Chips. Doch Regierungsbeamte hätten schon damals den Verdacht geäussert, Nvidias Chip für China könnte gegen den Geist der Regeln verstossen, erinnert die NYT.

China seinerseits erliess Gegenmassnahmen und verbot einige Produkte von Micron Technology, einem US-Speicherchip-Unternehmen. Seither würden sich die Verluste der US-Chipindustrie wegen der Handelseinschränkungen anhäufen. Im Juli hätten die drei Vorstandsvorsitzenden – Patrick Gelsinger von Intel, Jensen Huang von Nvidia und Cristiano Amon von Qualcomm – die US-Regierung gewarnt, dass sie zu Investitionskürzungen in den Vereinigten Staaten gezwungen sein könnten.

Das Seilziehen zwischen Regierung und Industrie geht weiter

Die Unternehmen weiteten ihre Kampagne auch auf Forscher von Denkfabriken aus. In diesem Sommer habe sich Jensen Huang von Nvidia mit den Leitern solcher Organisationen getroffen, darunter das auf Sicherheit ausgerichtete Center for Strategic and International Studies und der Atlantic Council. Beide beraten die Regierung, indem sie die Szenarien zu den Folgen von Exportbeschränkungen entwickeln. In Washington seien Befürchtungen laut geworden, dass Nvidia diese Forschung torpedieren und diskreditieren wolle, berichtet die NYT. 

Die Vorstandsvorsitzenden der Chip-Riesen trafen sich auch mit Eric Schmidt, dem ehemaligen CEO und Vorsitzenden von Google. Seit seinem Rücktritt als dessen Vorstandsvorsitzender im Jahr 2018 hat sich Schmidt zu einem einflussreichen Akteur in Washington entwickelt, ist in zwei Beratungsgremien des Verteidigungsministeriums tätig und finanziert seine eigene Denkfabrik, das Special Competitive Studies Project. Auch hat er sich dafür ausgesprochen, Chinas Zugang zu Halbleitern amerikanischer Entwicklung einzuschränken. Gelsinger, Amon und Huang hätten mit Schmidt über die Fallstricke von Chip-Limits diskutiert, weiss die NYT. 

Die Behörden und Unternehmen würden sich im Hinblick auf kommende Entscheide bedeckt halten. Klar sei einzig, dass das letzte Wort dazu noch nicht gesprochen sei.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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3 Meinungen

  • am 18.10.2023 um 14:32 Uhr
    Permalink

    Betreffend: «US-Sanktionen»
    Die UN besitzen auf internationaler Ebene das formale Monopol auf legitime Gewaltanwendung und anderer Zwangsmaßnahmen.
    1945 wurden Sanktionen auch in die Charta der Vereinten Nationen aufgenommen. Die verpflichtet die Mitgliedstaaten in Artikel 2 zur Beilegung internationaler Streitigkeiten durch friedliche Mittel (Absatz 3) und verbietet „jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“ (Absatz 4).
    Artikel 41 der UN-Charter sieht vor, dass der UN-Sicherheitsrat Sanktionen verhängen kann, wenn eine Gefahr für Frieden und Sicherheit in der Welt besteht.

  • am 18.10.2023 um 14:43 Uhr
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    Das letzte Wort ist hier sicher noch lange nicht gesprochen. Wir erinnern uns: Wenn Chips fehlen, stehen Fabriken von wichtigen Branchen still. (Autoindustrie während und kurz nach Corona). Einen Aspekt haben sie ausgelassen: Die extrem dominierende Rolle von Taiwan bei der Herstellung von Halbleiterchips. Und zwar vor allem bei der Herstellung der modernsten, höchstintegrierten Chips. Mittlerweilen ist es soweit, dass diese weder in den USA oder Europa produziert werden können. Viele Firmen die Chips entwickeln, produzieren diese schon lange nicht mehr selber (Fabless..), sondern lassen sie bei TSMC in Taiwan produzieren. Genau darauf zielt der «Chips and science act» ab. Man hat erkannt, dass im Falle eines Angriffes von China auf Taiwan plötzlich viele Chips nicht mehr erhältlich wären. Das wäre fatal für die europäische und amerikanische Industrie. Darum hat man begonnen mit staatlichen Subventionen, in Kooperation mit TSMC! neue Fabriken in USA und Europa zu bauen.

  • am 20.10.2023 um 14:17 Uhr
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    Ich habe in den 90-igern für eine deutsche GO in China Seminare für Führungskräfte aus der Industrie und Lehre gegeben. Mir wurde damals klar, dass die Menschen dieses Landes die Intelligenz, Hunger, Willen und die Manpower besitzen, um voranzukommen. Hindernisse sind dabei ein Anreiz. So wird diese US-Massnahme wahrscheinlich zu einem «Schuss in den Ofen» – Schwächung der eigenen Industrie und Förderung der Konkurrenz.

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