UNO-Bericht: Regierung warf Chlorbomben auf Aleppo
In der Schlacht um die einstige nordsyrische Wirtschaftsmetropole Aleppo in der zweiten Jahreshälfte 2016 haben die syrischen und russischen Bodentruppen und Luftstreitkräfte in grossem Umfang Kriegsverbrechen begangen, in geringerem Masse auch diverse Rebellenmilizen und Kämpfer der Terrororganisation Al-Kaida.
Opfer dieser Kriegsverbrechen wurden Zivilisten auf beiden Seiten der Stadt, die von 2014 bis Ende Dezember letzten Jahres geteilt war zwischen syrischen Regierungstruppen im Westen und diversen gegnerischen sowie terroristischen Gewaltakteuren in den östlichen Stadtteilen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht der Syrien-Untersuchungskommission des UNO-Menschenrechtsrates, der heute in Genf veröffentlicht wurde.
Abwurf von Chlorbomben auf Wohngebiete
«Die Schlacht um die Kontrolle Aleppos wurde mit unerbittlicher Gewalt geführt», heisst es im UNO-Bericht. Syrische Regierungstruppen hätten «als Teil einer Strategie, ihre Gegner zur Aufgabe zu zwingen, ab Ende Juli den Ostteil der Stadt eingeschlossen und die Versorgung der dort lebenden Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten unterbunden».
Gemäss Feststellung der UNO-Untersuchungskommission haben syrische und russische Luftstreitkräfte «zwischen Juli und Dezember täglich Luftangriffe auf Aleppo geflogen, die hunderte Todesopfer forderten und Hospitäler, Schulen und Markthallen in Schutt und Trümmer verwandelten». Die syrischen Luftstreitkräfte hätten durch den Abwurf von Chlorbomben auf Wohngebiete hunderte Zivilisten getötet. Zudem hätten die syrischen und russischen Luftstreitkräfte in grossem Umfang Streumunition verschossen, die inzwischen fast weltweit verboten ist durch ein internationales Abkommen, dem allerdings Russland und Syrien bislang nicht beigetreten sind. In Folge dieser Angriffe seien heute weite Teile Aleppos durch unexplodierte Streumunition «verseucht», die eine grosse Gefahr für die Bevölkerung bedeutet.
Bombardierung eines humanitären Hilfskonvoys
Die Regierungen in Moskau und Damaskus haben den Einsatz von Chlorgas während der Schlacht um Aleppo sowie den Beschuss von Krankenhäusern und anderen zivilen Einrichtungen bislang stets bestritten. Als einen «besonders ungeheuerlichen Angriff» kritisiert die UNO-Kommission die Bombardierung eines ausserhalb der Stadt Aleppo wartenden humanitären Hilfskonvoys durch die syrische Luftwaffe. Bei dem Angriff wurden am 19. September mindestens 14 MitarbeiterInnen humanitärer Hilfsorganisationen getötet, zwölf weitere schwer verletzt und lebenswichtige Versorgungsgüter für die notleidende Bevölkerung Aleppos zerstört.
Laut dem Untersuchungsbericht hatte «die Regierung Assad zuvor eine schriftliche Autorisierung für den Hilfskonvoi erteilt, und sie wusste genau, wo sich der Konvoi zum Zeitpunkt des Angriffs der syrischen Luftwaffe befand». Dieser Angriff habe «zur Unterbrechung sämtlicher Hilfslieferungen in ganz Syrien geführt und die Versorgung der Zivilbevölkerung mit lebenswichtigen Gütern verhindert».
Bei der Rückeroberung Ostaleppos im Dezember haben Regierungstrupppen gegnerische Kämpfer exekutiert, obwohl diese sich bereits ergeben hatten, heisst es im Bericht weiter. Auch seien Zivilisten wegen angeblicher Unterstützung für Rebellengruppen exekutiert worden. «Hunderte Männer und Jungen wurden von ihren Familien getrennt und von der syrischen Armee zwangsrekrutiert.» Der Verbleib vieler anderer Menschen sei bis heute ungeklärt.
Zivilisten als menschliche Schutzschilde
Gegnerische bewaffnete Gruppen sowie Kämpfer der Al-Kaida haben nach Erkenntnis der Untersuchungskommission «ständig Zivilisten im Westteil Aleppos beschossen» und dabei «insbesondere durch den ungezielten Einsatz selbstgebauter Waffen Dutzende Menschen getötet und verwundet, darunter Frauen und Kinder». Mit dem Abschuss von Waffen «ohne ein eindeutiges militärisches Ziel wurde die Zivilbevölkerung absichtsvoll terrorisiert», hält die UNO-Kommission fest.
Als die Lage in Ostaleppo für die Zivilbevölkerung immer unerträglicher wurde, hätten einige bewaffnete Gruppen Zivilisten mit Gewalt an der Flucht aus Ostaleppo gehindert und sie als menschliche Schutzschilde gegen Angriffe der Regierungstruppen missbraucht.
Die die zwangsweise Umsiedlung der Zivilbevölkerung aus Ostaleppo in den Westteil der Stadt sowie in die Provinz Idlib, die Ende Dezember unter russisch-türkischer Federführung zwischen der syrischen Regierung und diversen Rebellenmilizen vereinbart wurde, ist nach Feststellung der UNO-Kommission ebenfalls ein Kriegsverbrechen.
Da die Regierung Assad der 2011 vom UNO-Menschenrechtsrat geschaffenen Untersuchungskommission nach wie vor den Zugang nach Syrien und jegliche Kooperation verweigert, war die Kommission auf die telefonische und persönliche Befragung von Zeugen in Aleppo sowie ausserhalb Syriens angewiesen. Der Bericht stützt sich auf die Befragung von 291 Zeugen sowie auf Informationen von im Raum Aleppo präsenten UNO-Hilfsorganisationen und auf Satellitenaufnahmen verschiedener westlicher Staaten und Russlands. Mitglieder der Untersuchungskommission sind der Brasilianer Paulo Sergio Pinheiro, die Schweizerin Carla del Ponte und der Jordanier Karen Koning AbuZayd.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Andreas Zumach arbeitet als Korrespondent bei der UNO in Genf u.a. für die «Tageszeitung» (taz Berlin) und «Die Presse» (Wien).
UNO berichte ueberzeugen schon lange nicht mehr. auch und gerade wenn carla ponte beteiligt war (heutschi). fidibus