Kommentar
Terror in Israel: Schlimmes Erwachen
Es ist ein mehrfacher Albtraum: Der «Islamische Staat» (IS) findet in Israel nicht nur Sympathisanten unter der arabischen muslimischen Bevölkerung – das war bekannt –, diese sind auch bereit, in seinem Namen zu töten. Und sie finden Nachahmer in den Palästinensergebieten. Der dritte Attentäter, der am Dienstag in einem Vorort von Tel Aviv zuschlug, kam aus dem Westjordanland.
Damit kehrt die Angst nach Israel zurück, auch angesichts des beginnenden Ramadan, des gesegneten Monats für viele Muslime und Musliminnen – und für radikale Rekrutierer eine besonders fruchtbare Zeit. Der direkte Trigger ist jedoch in der Politik zu finden. Israel feiert einen grossen diplomatischen Erfolg: wichtige Normalisierungsschritte mit einem Teil der arabischen Staaten. Das hat Folgen. War der direkte Kampf gegen «die Zionisten» in den Jahren, als der IS seinen perversen «Staat» zwischen dem syrischen Raqqa und dem irakischen Mossul aufbaute, für die Terrororganisation nicht prioritär, so hat sich das offenbar jetzt gewandelt.
Ob das mit der Übernahme des IS durch eine neue Führung zu tun hat, ist noch nicht klar. Es kann durchaus sein, dass sich «einsame Wölfe», die es potenziell in vielen Ländern gibt, selbst ermächtigt fühlten zuzuschlagen. Wie im November 2020 in Wien: Und erstaunlicherweise waren die IS-Attentäter offenbar auch in Israel den Geheimdiensten bereits zuvor bekannt.
Paradigmenwechsel
Eine traurige Facette ist, dass erst die Attentatsserie – genau genommen der zweite Anschlag, in Hadera – dazu führte, dass es der Negev-Gipfel bis in die Schlagzeilen der internationalen Medien schaffte. Das ist dem Krieg in der Ukraine geschuldet und allzu verständlich. Die Überlegung ist dennoch legitim, wie die Meldung, dass sich vier arabische Aussenminister auf israelischem Territorium mit ihrem israelischen Amtskollegen treffen, vor einigen Jahren aufgenommen worden wäre. Der im Nahen Osten vor sich gehende Paradigmenwechsel nach den «Abraham-Abkommen» von 2020 und 2021 ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die äusseren Umstände – ein US-Präsident, Donald Trump, der als Politikformat nur den «Deal» kennt; die Bedrohung durch den Iran; arabische Regimes, die ihre Bevölkerung nicht einbinden müssen – ändern nichts daran, dass die Integration Israels in den Nahen Osten einen Schub bekommen hat.
Gleichzeitig zeigt vor allem das dritte Attentat den Pferdefuss auf. Die Palästinenser und Palästinenserinnen verschwinden nicht von der Landkarte. Ihre politische Zukunft ist völlig offen. Die Vereinigten Arabischen Emirate hefteten sich beim Friedensschluss mit Israel auf die Fahnen, dass sie die von der damaligen Regierung von Benjamin Netanjahu geplanten und von Trump abgesegneten Annexionen im Westjordanland verhindert hätten. In der jetzigen disparaten israelischen Regierung werden keine Entscheidungen zu den Palästinensern fallen. Aber dass das nicht gleichbedeutend mit Ruhe und Frieden ist, ist nun wieder sehr schmerzlich klar.
Dieser Beitrag erschien zuerst im «Standard».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin des österreichischen «Standard» und unterrichtet Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Mich erstaunt immer wieder, wie die Ängste der jüdischen Bevölkerung Israels Besorgnis erregen, während der palästinensischen Bevölkerung ganz offenbar keinerlei Anlass für Ängste zugestanden wird. In den ersten Monaten dieses Jahres wurden von der israelischen Armee bereits 20 palästinensische Jugendliche erschossen, die allesamt Mutter, Vater und Geschwister hatten. Who cares? Und wer berichtet darüber?
«…Aber dass das nicht gleichbedeutend mit Ruhe und Frieden ist, ist nun wieder sehr schmerzlich klar.»
Seltsame Aussage. Denn dies ist allen PalästinennserInnen immer sehr schmerzlich klar.
Jeden Monat werden Menschen aus der palästinensichen Bevölkerung getötet. Es zeigt sich zum x-ten Male, dass das Leben und die Befindlichkeiten der PalästinennserInnen einfach nicht wahrgenommen werden und dem Westen eigentlich nichts wert sind!
Und:
«Die Palästinenser und Palästinenserinnen verschwinden nicht von der Landkarte.»
Ach ja? Bedauerlich, nicht, Frau Gudrun Harrer?