Streubomben gegen Zivilisten im Jemen
«Nach fünf Monaten Krieg sieht der Jemen bereits aus wie Syrien nach fünf Jahren Krieg», sagte Peter Maurer, Chef des Internationalen Roten Kreuzes, nach einem Besuch im Jemen bereits im September 2015.
Seit fast einem Jahr befindet sich das Land in einem Mehrfrontenkrieg. Politische Lösungsansätze sind bisher gescheitert. Schiitische Huthi-Rebellen kämpfen gegen Anhänger der sunnitisch geprägten Regierung, die von einer Allianz aus mehreren arabischer Staaten unter Führung Saudi-Arabiens unterstützt wird. In der sicherheitspolitisch desolaten Lage gewinnen radikalislamische Gruppierungen an Einfluss.
Human Rights Watch weist mindestens fünf Streubombenangriffe nach
Während der syrische Machthaber Assad die Bevölkerung Syriens mit Fassbomben terrorisiert, setzt Saudi-Arabien Streubomben aus den USA gegen die Zivilbevölkerung im Jemen ein. Beweise dafür legte die Organisation «Human Rights Watch» (HRW) am 14. Februar vor. Ein Bericht dokumentiert fünf Angriffe, die von Fotos, Augenzeugenberichten, Videodokumenten sowie von Amnesty International und der UN gestützt werden.
Ein Zeuge berichtet über das Bombardement des Hafens Al-Hayma neben dem gleichnamigen Fischerdorf Al-Hayma, der vor allem militärisch aber auch von Fischern und Schmugglern genutzt wird:
«Ich sass mit sechs Freunden aus dem Dorf..auf einem kleinen Hügel und sah das Bombardement. Plötzlich sahen wir in der Luft etwa 20 weisse Fallschirme, die auf den Hafen fielen. Weniger als eine Minute später stieg von jedem eine schwarze Rauchwolke auf, sie näherten sich dem Boden und explodierten. Es sah aus wie eine Serie aus vielen Bomben nebeneinander. Weniger als fünf Minuten später passierte es wieder. Eine andere Bombe entliess etwa 20 Fallschirme und das Gleiche geschah. Wegen des Winds fielen die Fallschirme plötzlich in Richtung unseres Dorfs.»
Ein Dorfbewohner, dessen Haus getroffen wurde:
«Etwas traf die Wand und brach hindurch. Ich liess mich sofort auf den Boden fallen. Das seltsame Ding landete etwa fünf Meter weit weg von mir. Es sah aus, wie eine kleine silberne Rakete. Ich hatte grosse Angst und versuchte, wegzukriechen. Ich wusste, es konnte jeden Moment explodieren. Aber als ich mich bewegte, folgte es mir. Es bewegte sich nicht in meine Richtung aber mit mir, wie in Zeitlupe. Etwa eine Minute später explodierte es.»
Mehrere Dorfbewohner wurden bei diesem Angriff durch Metallsplitter verletzt. Einer Frau musste der Unterschenkel amputiert werden.
Human Rights Watch ist überzeugt, dass die meisten, wenn nicht alle Angriffe im Jemen von Saudi-Arabien ausgeführt wurden, da nur Saudi-Arabien die nötige Technologie besitzt, um Streubomben einzusetzen.
Aus humanitären Gründen verboten
Eine Streubombe besteht aus einem Hauptelement, das mehrere kleine Explosivladungen freisetzt. Diese verteilen sich über eine grosse Fläche und explodieren autonom. Etwa ein Drittel aller Submunitionen oder «Bomblets» explodieren nicht und werden zu Blindgängern. Ähnlich wie Landminen stellen Streubomben über Jahre oder Jahrzehnte eine Gefahr für Menschen dar.
Ein gekürztes Video über die Funktionsweise der Clusterbombe CBU-105 der US-Firma Textron. (Original auf YouTube)
Der Einsatz von Streu- oder Clusterbomben gegen Zivilisten ist seit 2008 aus humanitären Gründen international geächtet. Nach dem Übereinkommen über Streumunition, das bisher von 97 Staaten ratifiziert und von 20 unterschrieben wurde, sind Einsatz und Verkauf verboten.
Klare Missachtung der US-Gesetze
Die Hauptausrüster Saudi-Arabiens, die USA, gehören nicht zu den Unterzeichnern, halten aber Beschränkungen ein. Das US-amerikanischen Exportgesetz bestimmt, dass Streubomben nicht in bewohntem Gebiet eingesetzt werden dürfen. Nach dem Bericht von Human Rights Watch hat Saudi-Arabien dieses Gesetz klar missachtet.
Seit 2008 gilt das Übereinkommen über Streumunition. 97 Länder haben das Abkommen ratifiziert (dunkelgrün), 20 haben es unterschrieben (hellgrün).Grössere Auflösung.
Für den Export zugelassen sind weiter nur Sprengsätze, die zu mindestens 99 Prozent explodieren und keine Blindgänger erzeugen. Derzeit ist das nur ein einziger Typ, «CBU-105 Sensor Fuzed Weapon» hergestellt von dem US-amerikanischen Unternehmen Textron. CBU-105 ist einer der sechs Streubomben-Typen, die im Jemen eingesetzt werden.
«Sauberes Schlachtfeld»
Textron wirbt damit, dass sich nicht explodierte Bomben «binnen Sekunden» selbst deaktivieren und ein «sauberes Schlachtfeld» hinterlassen. Die Realität sieht anders aus. Bilder von Human Rights Watch und anderen Quellen zeigen etliche Bomblets, die sich entweder nicht vom Hauptelement gelöst haben oder nicht explodiert sind.
Bilder einer Streubombe aus Al-Amar, Saada Gov., an der noch zwei Submunitionen hängen (li.) sowie Werbung des Herstellers für die Bomblets namens BLU-108.(grössere Auflösung).
Auch das ist ein klarer Verstoss gegen die US-amerikanischen Gesetze. Die dokumentierten Angriffe seien nicht «das erste Mal, dass Saudi-Arabien oder seine Alliierten illegale Waffen» einsetzten, sagt beispielsweise Rooj Alwazir, Aktivist im Yemen. Auch der Einsatz von Streubomben ist schon länger bekannt. Im Januar richtete die Cluster Munition Coalition, das internationale Bündnis gegen Streumunition, einen Appell an Präsident Obama, die mutmasslichen Rechtsbrüche untersuchen zu lassen.
«Eine Waffe, mehrere Ziele» wirbt die Herstellerfima aus Rhode Island. 2013 schloss Textron mit der U.S. Air Force einen Vertrag über die Fertigung von 1’300 Bomben für Saudi-Arabien ab. Gesamtumfang: 641 Millionen Dollar.
Den Preis zahlt die Zivilbevölkerung des Jemen. Zwischen März 2015 und Januar 2015 starben nach Angaben der UN 2’800 Menschen. 2,3 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Wegen der Blockade der Häfen kommen kaum noch Lebensmittel oder Treibstoff ins Land. Im Januar warnten die Vereinten Nationen vor einer Hungersnot, die vor allem die Schwächsten treffen wird: 43 Prozent der Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt.
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Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts von Human Rights Watch und anderer US-Quellen erstellt. Medien in der Schweiz haben bisher kaum darüber berichtet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine