Kinder Opfer Streubomben.IKRK

Kinder werden häufig Opfer von Streubomben, sagt das IKRK. © IKRK

Streubomben für die Ukraine missachten humanitäres Völkerrecht

Andreas Zumach /  Die Beschwichtigungen der USA und der Ukraine sind grob verharmlosend und irreführend. Das zeigt die Geschichte der Streubomben.

Nicht explodierte Sprengkörper oder «Blindgänger» aus Streubomben, welche die USA vor über fünfzig Jahren in Vietnam, Laos und Kambodscha sowie vor zwanzig Jahren im Irakkrieg eingesetzt hatten, fordern noch heute jährlich hunderte Todes- und Verstümmelungsopfer unter der Zivilbevölkerung der betroffenen Länder.

Humanitäre Hilfsorganisationen wie Handicap International, die sich bei der Räumung dieser Munition engagieren, rechnen mit bis zu weiteren fünfzig Jahren bis zu ihrer vollständigen Beseitigung. Eine ähnliche, möglicherweise jahrzehntelange Gefährdung droht der ukrainischen Zivilbevölkerung. 

Verantwortlich dafür ist zunächst die Streumunition, welche die russischen Angreifer seit Kriegsbeginn in hunderten wohldokumentieren Fällen, aber auch die ukrainischen Verteidigungsstreitkräfte in bisher noch deutlich geringerem Umfang einsetzten. Die jetzt von der Biden-Administration geplante Lieferung von Streubomben an Kiew wird die ukranische Zivilbevölkerung noch stärker gefährden. 

In der Realität lag die Blindgängerquote viel höher als nun angegeben

Bis zu 3,7 Millionen über zwanzig Jahre alte Streubomben mit je 72 oder 88 Sprengkörpern könnte das Pentagon der Ukraine zur Verfügung stellen. Die von Präsident Bidens nationalem Sicherheitsberater Jake Sullivan demonstrierte «Zuversicht», von diesen insgesamt rund 300 Millionen Sprengköpfen würden lediglich «weniger als 2,35 Prozent» als nicht explodierte Blindgänger liegenbleiben, ist grob verharmlosend und irreführend. Denn das wären immer noch rund sieben Millionen Blindgänger. Zudem sind die 2,35 Prozent das Ergebnis von Labortests. In realen Kriegen, in denen diese US-Streubomben in den letzten zwanzig Jahren zum Einsatz kamen – Irak, Libyen oder durch Saudiarabien im Jemen – lag die Blindgängerquote zwischen 20-40 Prozent.

Die Biden-Administration hat sich vor ihrer Entscheidung zur Lieferung von Streubomben an die Ukraine «schriftliche Zusicherungen» des Verteidigungsministeriums in Kiew über die Verwendung dieser Bomben geben lassen, die der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev, am Wochenende so zusammenfasst: «Keine Nutzung auf russischem Gebiet; keine Nutzung in Stadtgebieten; strenges Monitoring der Einsatzzonen; Priorisierung dieser Zonen bei der Minenräumung; transparente Berichterstattung an Partner».

Dokumentierte Einsätze in städtischen Zonen

Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksji Resnikow zitierte die Zusicherung seiner Regierung an Washington mit folgenden Worten:

«Streumunition wird nur auf Feldern eingesetzt werden, wo es eine Konzentration russischen Militärs gibt. Sie wird genutzt, um Verteidigungsstellungen des Feindes mit minimalem Risiko für das Leben unserer Soldaten zu durchbrechen. Die Ukraine wird den Einsatz dieser Waffen und ihrer Einsatzorte genau dokumentieren. Auf Grundlage dieser Dokumente werden nach der Beendigung der Besatzung unseres Staatsgebietes und nach unserem Sieg diese Gebiete für Minenräumung priorisiert. Dies wird uns ermöglichen, das Risiko von unexplodierten Submunitionen zu eliminieren.»

Clustor Bombs Toronto Star
Streubomben führen häufig zu Verlusten von Armen oder Beinen.

Nach allen bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz von Streubomben und der Beseitigung von Blindgängern im bisherigen Verlauf des Ukrainekrieges sowie während und nach vergangenen Kriegen sind grösste Zweifel an diesen Zusicherungen angebracht. Erstens erfolgten die bislang dokumentierten Einsätze von Streubomben durch die ukrainischen Streitkräfte überwiegend gegen städtische Zonen zur Bekämpfung der dortigen russischen Besatzungssoldaten. Dabei kam es zu Opfern unter der ukrainischen Zivilbevölkerung, beispielsweise beim von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentierten Einsatz zwischen März und September 2022 gegen die damals von russischen Truppen besetzte ostukrainische Stadt Izium.

Zweitens wurden diese Zusicherungen in jenen wenigen Kriegen der Vergangenheit nicht eingehalten, in denen es überhaupt Zusagen der einen und/oder anderen Konfliktpartei gab zur Dokumentation der genauen Einsatzorte und Ziele von Streumunition oder auch von Land- und Antipersonenminen (zum Beispiel in den Kriegen in Bosnien und Kroatien Anfang der 1990er Jahre) sowie zur Räumung von Blindgängern.

Spanische Verteidigungsministerin ist gegen die Lieferung

Die Entscheidung der Biden-Administration zur Lieferung von Streubomben an die Ukraine kritisieren nicht nur eine Reihe demokratischer Abgeordneter und Senatoren im US-Kongress, sondern international auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sowie NATO-Verbündete wie Spanien und Grossbritannien, die sich ansonsten an der Lieferung von Waffen und Munition an die Ukraine beteiligen. Die spanische Verteidigungsministerin Margarita Robles erklärte, sie sage zwar «Ja zur legitimen Verteidigung der Ukraine», aber «Nein zu Streubomben». Ihr Land vertrete den Standpunkt, dass bestimmte Waffen und Bomben unter keinen Umständen geliefert werden dürften.

Die deutsche Bundesregierung zeigte hingegen Verständnis für die Entscheidung der USA. In der Ukraine bestehe «eine besondere Konstellation» da «die Ukraine eine Munition zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung einsetzt», erklärte der Berliner Regierungsprecher Steffen Hebestreit. Zudem habe «Russland bereits in grossem Umgang Streumunition eingesetzt». 

Die deutsche Bundesregierung missachtet das humanitäre Völkerrecht und ihre Verpflichtungen

Mit dieser Haltung missachtet die Bundesregierung das humanitäre Völkerrecht. Denn dessen Bestimmungen zum Schutz der Zivilbevölkerung gelten unterschiedslos sowohl für den Angreifer wie für den Angegriffenen in einem Krieg. In der Logik ihrer Position im aktuellen Fall könnte die Ampelkoalition demnächst auch die bereits im Februar von der Regierung Selensky geforderte Lieferung von Phosphorwaffen an die Ukraine rechtfertigen, sollte Russland derartige Waffen einsetzen.

Zudem missachtet die Bundesregierung ihre Verpflichtungen aus dem Oslo-Abkommen zum Verbot von Streumunition. Danach müsste die Bundesregierung «sich nach besten Kräften bemühen, Staaten, die dem Abkommen nicht angehören (wie die Ukraine, die USA und Russland, A.Z), vom Einsatz von Streumunition abzubringen» und «diese Staaten ermutigen, diesem Abkommen beizutreten und es  zu ratifizieren».

IKRK: Mehrfache Explosions- oder Splitterverletzungen

Menschen, die die Explosion einer Submunition überleben, haben wahrscheinlich schwere, oft mehrfache Explosions- oder Splitterverletzungen. Zu diesen Verletzungen gehören nicht nur Schäden an lebenswichtigen Organen, sondern auch der Verlust von Händen und Füssen. Auch Augenverletzungen sind häufig.

Hier zur Dokumentation des IKRK.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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8 Meinungen

  • am 10.07.2023 um 10:58 Uhr
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    Die EU-Staaten stecken bis zum Hals in der USA-NATO-Propaganda und haben mittlerweile alle Bedenken über Bord geworfen. Dröhnendes Schweigen aus Deutschland zur Streumunition – das gleiche Land, dessen Regierung und Religionsgemeinschaften NGOs im Mittelmeer unterstützen und sich als flüchtlingsfreundlich geben, hilft nun bei der Produktion von Krüppeln und traumatisierten Kriegsflüchtlingen indem es nicht deutlich und klar gegen diesen Munitionswahnsinn Stellung bezieht. Bigotterie par excellence, demonstriert von unseren ach so heiligen westlichen demokratischen Rechtsstaaten. USA und EU werden durch den Einsatz dieser Munition noch mehr Ansehensverlust erleiden. Steinmeiner, Chefmoralist im Präsidentenamt (übrigens wieder einmal nicht vom Volk gewählt), hat sich gerade unsäglich durch seine Zustimmung zur Lieferung kompromittiert; früher musste man für sowas noch zurücktreten.

  • am 10.07.2023 um 15:24 Uhr
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    Das Gerede über Streubomben ist mir zu scheinheilig. Man beachte, dass solche bereits seit 2014 von Kyiv mehrmals eingesetzt worden sind – ein paar Mal direkt gegen Zivilisten. Aufgeregt darüber hat sich niemand. Auch nicht aufgeregt hat man sich über die PFM-1 ‹Schmetterlingsminen›, welche von der Ukraine in Charkow und Cherson massenweise verstreut wurden – oft in von Zivilisten bewohnten Gebieten. Da gibt es ebenfalls viele Blindgänger und Fallen auf Zeit. Ebenso spricht niemand von der von den UK und US gelieferten DU Munition und deren Langzeitfolgen für Mensch, Tier und Landwirtschaft. Und davon, dass Kyiv bereits chemische Kampfstoffe eingesetzt hat – dies nach Darstellung der Symptome von betroffenen Soldaten – hört man nichts, es wird ignoriert. Niemand fand all dies der Rede wert. Und nun plötzlich, wegen ein paar Bomblets kommen alle und verweisen auf ‹humanitäres Völkerrecht›. Sprengung eines Staudamms, Beschuss eines AKWs durch Kyiv? Keine Reaktion von diesen ‹Experten›.

  • am 10.07.2023 um 15:38 Uhr
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    Es fehlt die Begründung der NATO, wonach sie ein Problem mit der Waffenlieferung habe, sprich: ihr die Mordgeräte langsam ausgehen.

    Immer wieder interessant, wie mit Begriffen jongliert wird. « … wird die ukranische Zivilbevölkerung noch stärker gefährden.» Wird doch immer mit «Ukraine», ausschliesslich die Westukraine gemeint und die russischsprachige Ostukraine wird negiert, (gibt es nicht).
    Hat denn Selensky die Absicht die Streumunition gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen? Dito Uranmunition.

  • am 10.07.2023 um 16:30 Uhr
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    Wer für den schnöden Mammon über Leichen geht, schreckt auch nicht vor dem Einsatz von Streumunition gegen die Zivilbevölkerung ein.

    Im Westen ist immer noch der grösste Teil der Bevölkerung für den Ukrainekrieg, in welchem die völlig unschuldige Zivilbevölkerung in einem endlosen Stellungskrieg bis zum letzten Ukrainer verheizt wird, nur damit die Aktionäre der Rüstungs- und Frackingindustrie Geld verdienen.

    • am 11.07.2023 um 04:39 Uhr
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      Schade, dass man nicht mehr «Daumen hoch» anklicken kann.
      Möchte den vier Kommentaren vor mir gerne zustimmen.
      Das Ganze ist ein Wahnsinn!
      Danke für den Bericht.

  • am 10.07.2023 um 17:44 Uhr
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    Weder Russland,China die USA noch Brasilien haben die Konvention über Nichtverbreitung von Streumunition unterzeichnet. Genauso wenig alle angrenzenden kleineren Staaten an Russland und China. Und das hat schon seinen guten Grund. Kanada und Mexiko haben dagegen auch unterschrieben.
    Russland und seine Söldnertruppen benutzen seit 2014 Streumunition in der Ukraine. Wowar der Aufschrei?
    Russland muss diesen Ûberfall auf die Ukraine sofort beenden und sich aus allen besetzten Gebieten zurück ziehen.
    Die Forderung nach Atomwaffen für die Ukraine hat der Berliner Politologe Herfried Münkler bereits 2022 ins Spiel gebracht, als er ein Atom-Uboot im Schwarzen Meer mit ukrainischem Kommando vorschlug. Leider versteht die Mafia im Kreml nur die Sprache der Stärke. Putin beginnt zu verhandeln und zückt sein Checkbuch wenn er unterDruck gesetzt wird.

  • am 11.07.2023 um 08:14 Uhr
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    Ja, Herr Wimmer. Sprechen wir doch mal über die Zukunft. Sollen auch noch Millionen Russen aus der Krim flüchten? Wollen wir aus Russland ein zweites Nordkorea machen? Oder komplett verstrahen (schade um die «Rohstoffe» ). Oder doch lieber demokratisierung und privatisieren (Fette Beute). Und China und die» übrige» Welt sollen – wie so oft – nur zuschauen. Seit 1999 sind diese übrigen Länder nicht nur stärker auch klüger geworden. Sie können selber denken und haben auch einen Kopf. Es ist nicht der Herr, der den Sklaven «ernährt». Es ist umgekehrt.

    • am 11.07.2023 um 20:04 Uhr
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      Leider wurde der Mehrheit der Menschen das Denken abgenommen…
      Die begreifen auch nicht das die Politdarsteller unser Angestellten sind deren
      Luxus-Leben mit unsere Steuern ermöglicht wird.
      Am Ende werden die Menschen den Herrschern zu Füßen liegen und sagen:
      «Macht uns zu euren Sklaven, aber füttert uns»
      Die Sklaven werden ihre Knechtschaft lieben.

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