Kommentar
Staatliche Morde sind organisiertes Verbrechen
Ein Justizminister ist normalerweise der oberste Verteidiger des Rechtsstaats. Ein Wächter an der Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei. Damit legitimiert er das Gewaltmonopol des Staates. Nicht so in den USA.
Im Wertekanon des Westens stehen Menschenrechte ganz oben. Aus der in der amerikanischen und französischen Revolution zum ersten Mal formulierten Erkenntnis, dass alle Menschen ohne weitere Begründung unveräusserliche Rechte haben, folgern wir den Anspruch, Staaten und Regierungen zu kritisieren, die dem nicht beipflichten.
Das fundamentalste Recht ist das auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit. Begrenzt durch Sanktionen bei Regelverstössen. Es gibt unzivilisierte Staaten, zu denen die USA gehören, die sich das Recht nehmen, die Todesstrafe zu verhängen. Immerhin für einen allgemein bekannten und begrenzten Katalog von Verbrechen. Die vorher begangen und in einer mehr oder weniger gewissen Regeln folgenden Gerichtsverhandlung nachgewiesen wurden. Einen Schritt weiter in Richtung Barbarei geht der US-Justizminister.
Der Strafverfolger Eric Holder
Eric Holder ist der Justizminister der USA. Genauer ist er der United States Attorney General, der Generalbundesanwalt, der oberste Strafverfolger. Und Eric Holder ist ein Wiederholungstäter. Schon 2002 verteidigte er, damals Vizegeneralbundesanwalt unter Bush, den Begriff «ungesetzlicher Kombattant». Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde damit ein rechtsfreier Raum geöffnet, der es der Bush-Regierung erlaubte, des Terrorismus verdächtige Personen im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba einzukerkern, ohne dass diese Zugang zu fundamentalen rechtsstaatlichen Mitteln hätten.
Sie wurden und werden dort jahrelang unter unmenschlichen Bedingungen gehalten, ohne Verteidigung, ohne Anklage, ohne Prozess. Sie unterliegen nicht einmal der Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen. Sie haben also wegen eines vermuteten Verstosses gegen das Recht selbst alle Rechte verloren. Aber immerhin werden sie zwar gelegentlich zum Selbstmord getrieben, jedoch nicht umgebracht.
Putativnotwehr
Juristen sind bekanntlich problemlos in der Lage, auf einer Glatze eine Locke zu drehen. Deshalb erfanden sie den Begriff Putativnotwehr. Jeder Mensch hat das Recht, sich gegen einen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit auch mit Gewalt zu wehren. Jemand richtet eine Pistole auf mich, ich erschiesse ihn. Notwehr. Jemand kauft sich eine Pistole und kündigt an, sie auf mich richten zu wollen. Ich erschiesse ihn. Putativnotwehr. Eine heikle Sache, wenn es sich auf individueller Ebene abspielt.
Es ist ungeheuerlich, wenn ein Staat dieses Unrecht für sich in Anspruch nimmt. Dann wird eine im Einzelfall zu beurteilende mögliche Straftat zur Doktrin erhoben, entsteht organisiertes Verbrechen, das nicht mehr beurteilt oder sanktioniert werden kann, weil es vom Besitzer des Gewaltmonopols ausgeübt wird. Damit verliert der Staat seine Legitimation, die er mit solchen Methoden zu schützen vorgibt.
Gezielte Tötung
In einem Vortrag vor Jura-Studenten in Chicago hat US-Generalbundesanwalt Eric Holder die gezielte Tötung von «mutmasslichen Terroristen» durch die USA verteidigt, wenn der Betroffene eine «unmittelbare Gefahr eines Anschlags auf die USA» darstelle. Zudem unabhängig davon, ob er US-Bürger ist oder nicht. In jedem Rechtsstaat würde ein solcher Justizminister mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt. Und vor den internationalen Gerichtshof in Den Haag gestellt. Denn er stellt die Todesstrafe vor das Verbrechen.
Letzteres kann Holder nicht passieren, weil die USA diese Jurisdiktion nicht anerkennen. Ersteres passiert ihm auch nicht, obwohl er damit den letzten Rest von rechtsstaatlichem Bewusstsein gekippt hat, das am besten im Wildwest-Verständnis eines guten Prozesses à la USA auf den Punkt gebracht wird: Give them a fair trial – then hang them. Was bleibt, ist: Hängt sie auf. Sogar ohne kurzen Prozess.
Die Antwort ist Nein
Bei besonders widerlichen Tötungsdelikten wie gerade auch wieder in der Schweiz, bei Wiederholungstätern, von Massenmördern und Terroristen ganz zu schweigen, kommt es verständlicherweise immer wieder zu den gleichen Diskussionen. Sollte nicht auch hierzulande die Todesstrafe wieder eingeführt werden? Ist der Schutz der Allgemeinheit nicht höher zu gewichten als das Recht eines Einzelnen, von einer Terrororganisation ganz zu schweigen, erst nach der begangenen Tat verurteilt zu werden? Ist es nicht besser, den Angehörigen einer terroristischen Bande umzubringen, bevor er viele Unschuldige tötet? Ist nicht Folter erlaubt, wenn nur so Erkenntnisse gewonnen werden können, die grosses Unheil verhindern? Solche Fragen strapazieren unser Rechtsverständnis bis zur Belastungsgrenze. Dennoch ist die Antwort ein klares Nein.
Die feine rote Linie
Die Frage aller Fragen ist immer wieder: Mit welchen unmenschlichen Mitteln dürfen wir unsere Menschlichkeit verteidigen? Wie barbarisch dürfen wir uns gegen Barbaren wehren? Heiligt der Zweck die Mittel? Und ab wann zerstören die Mittel den Zweck? Für den Staatsbürger werden solche Fragen durch die Staatsmacht beantwortet, der er sich zu unterwerfen hat, ob es ihm passt oder nicht. Und von der er zur Rechenschaft gezogen wird. Wer aber kann den mächtigsten Staat der Welt zur Rechenschaft ziehen, der einen solchen Justizminister hat?
—-
Dieser Beitrag erschien auf journal21.ch
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. René Zeyer, ist Autor des Bestsellers «Bank, Banker, Bankrott». Er arbeitete als Journalist für den «Stern», «Geo», «FAZ», «Das Magazin», «Schweizer Illustrierte» und war mehrere Jahre Auslandkorrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung». Als langjähriger Kommunikationsberater in der Finanzbranche gehört er zu den Insidern. Zeyer lebt in Zürich.
Man mag mit dem Autor in vielem einverstanden sein, aber dennoch lässt der Artikel insbesondere im Abschnitt «Die Antwort ist Nein» sehr zu Wünschen übrig. Während in diesem Abschnitt als Parole ein «klares Nein» zu Todesstrafe und anderen möglichen (zu von der Bevölkerung zu Recht kontrovers diskutierten) staatlichen Handlungen herausgibt, enthält er uns sogar jeglichen Versuch einer Begründung für seine Parole vor. Damit fehlt die kritische Auseinandersetzung zum Thema; ein Hauptteil des Artikels lässt sich als plumpes «Der Autor ist dagegen, ‹den Angehörigen einer terroristischen Bande umzubringen, bevor er viele Unschuldige tötet› und er ist gegen die Todesstrafe» zusammenfassen…