Sprachlupe: Die Geschichte und der Konjunktiv
«Die Geschichte kennt kein Wenn.» Dieser Satz des deutschen Historikers Karl Hampe ist bei gebildeten Russen zum geflügelten Wort geworden – in einer Form, die von Josef Stalin überliefert ist: «Die Geschichte kennt keinen Konjunktiv.» Derzeit aber kennt die laufende russische Geschichtsschreibung nicht einmal den Indikativ, jedenfalls nicht als Wirklichkeitsform, die diesen Namen verdient. Der Krieg in der Ukraine darf ja in russischen Medien nicht einmal Krieg genannt werden. Die Sprachverdrehungen begannen schon im Vorfeld und überschlagen sich jetzt in der «Sonderoperation» von «Friedenstruppen»; sie entlarven sich damit selber.
Zu viel oder zu wenig getan?
Indessen betrachten manche westlichen Stimmen die Vorgeschichte des Kriegs eben doch im Konjunktiv – mit Spekulationen darüber, wie der russische Angriff hätte verhindert werden können. Das Verhalten westeuropäischer und amerikanischer Regierungen stösst dabei auf Kritik aus entgegengesetzten Richtungen. Es wird mit Einschätzungen beschrieben, die einander ausschliessen: Je nach Sicht wäre der Krieg demnach ausgeblieben, wenn der Westen keine «Provokation» durch Anbindung der Ukraine betrieben hätte oder aber kein «Appeasement» durch Duldung früherer russischer Übergriffe. Sollte auch hier die Wahrheit in der Mitte liegen, dann hätte weder mehr Entgegenkommen noch mehr Abschreckung den Krieg verhindert – aber auch das bleibt ein Konjunktiv.
Selbst wer die westliche Unterstützung für Demokratie und/oder Aufrüstung der Ukraine als Aufreizung Russlands einschätzt, distanziert sich heute von Putins Angriff. Erst recht tun das jene, die meinen, der russische Machthaber sei durch eine zu weiche Haltung des Westens zur Invasion ermuntert worden. Das behaupten nicht nur der amerikanische Ex-Präsident Trump und ihm nahestehende Kreise. Auch der besonnene britische Osteuropa-Historiker Timothy Garton Ash bringt «Appeasement» ins Spiel, das «man meistens leider erst im Rückblick» erkenne («Echo der Zeit», 28. Februar).
Das versteckte «Wenn»
Nun wäre ja «Besänftigung» eine gute Sache, wenn sie denn funktionieren würde. Aber mit «Appeasement» erinnert man an die Politik des britischen Premiers Chamberlain, der 1938 glaubte, er habe «Frieden für unsere Zeit» gesichert, als Grossbritannien und Frankreich Hitler die Annexion des tschechischen Sudetenlandes zugestanden. Das Scheitern ist seither bei «Appeasement» quasi inbegriffen.
Garton Ash sprach denn auch von einer «versäumten Chance», dass man nach den russischen Übergriffen auf Georgien 2008 und die Ukraine 2014 nicht mit starken Sanktionen und militärischer Hilfe reagierte. Mit Blick auf amerikanische Stimmen, Präsident Biden hätte sogar die Entsendung eigener Truppen «auf dem Tisch lassen» sollen, hatte das «Echo» bereits resümiert: «Tatsache ist, dass die USA und der Westen in der Abschreckung des russischen Angreifers versagt haben.» Ein knallharter Indikativ, hinter dem sich aber der Konjunktiv verbirgt, stärkere Abschreckung hätte funktioniert.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Lieber Herr Goldsteiin. Könnten Sie für uns auch den jüngsten Zumach-Bericht auf Konjunktiv-vs-Indikativ, aber auch auf Inuendos untersuchen ?
Aus politilogischer Sicht erscheint der sprachliche «bias» unübersichtlich.
Russland ist allerdings keineswegs allein mit einem «mangelnden Indikativ»; dem Beispiel Deutschlands folgend, könnte es sich damit noch etliche Monate und Jahre Zeit lassen.
Der Afghanistan-Einsatz (ISAF) wurde 2003 unter NATO-Oberkommando gestellt; aber erst am 4.4.2010 räumte – erstmalig! – ein deutscher Verteidigungsminister (Guttenberg) ein, man könne «umgangssprachlich von Krieg» in Afghanistan reden. Zuvor hatte Guttenberg schon mit der Tradition seines Vorgängers Franz Josef Jung («Stabilisierungseinsatz») gebrochen und war in der Formulierung weiter gegangen: «Kriegsähnliche Zustände» nannte Guttenberg die Lage in Afghanistan. Die Regierung benutzte seit Februar 2010 eine andere Formulierung: «bewaffneter Konflikt».
https://www.spiegel.de/politik/ausland/tabu-bruch-guttenberg-spricht-von-krieg-in-afghanistan-a-687235.html
Je mehr versucht wird, Probleme mit Drohungen und Gewalt zu lösen, desto mehr Probleme wird es geben. Bis jetzt habe ich wenig Kompetenz lesen können welche Lösungsorientiert wären, aber sehr viel Begehrlichkeiten nach noch mehr Krieg und Massenmord. Es wird nie möglich sein, die ganze Welt zu einem Imperium nach den Wünschen einiger elitären Kräfte zu machen. Eine Welt, ein Reich, ein Weltherrscher, ganz vorne die Usa mit dem Schlagstock Nato, das hatten wir doch schon alles. Es sieht aus wie eine De-Evolution mit Politikern so verrückt wie damals Kaiser Nero. Wo bleibt der konstruktive Kompromiss. Ueber die 8 Jahre «leisen» Krieg im betroffenen Gebiet regte sich vorher keiner auf, aber jetzt sollen die, welche mit weiterer Gewalt diese Gewalt beenden wollen, die alleinigen «Bösen» sein, wobei sie dasselbe tun wie es die Usa schon immer gemacht hatte, mit dem Segen der Nato? Eine sehr verlogene Situation, geprägt von Selbstgerechtigkeit und manipulierendem Elitärismus.
Die heutige Situation ist das Resultat eines drei Jahrzehnte lang gehätschelten und gewachsenen strukturellen Pazifismus. Frau Baerbock «ist in einer anderen Welt» aufgewacht. Aber hallo? «Wer spricht, schiesst nicht». Aber hallo?
Als erwachsener Mann habe ich den kalten Krieg bewusst erlebt. Das steht uns bevor inklusive eiserner Vorhang.
Guten Morgen, Frau Baerbock. Gut geschlafen? Naivität ist nicht strafbar. Es ist eine Schande, wie Deutsche Politiker rumlabern.