TV-Moderator Michael

TV-Moderator Michael Rauchenstein am 28. Mai: «Das neue Gesetz will NGOs und Medien stärker kontrollieren.» © srf

So oberflächlich haben Medien über das Agentengesetz informiert

Urs P. Gasche /  Fernsehen und Zeitungen verbreiteten Befürchtungen georgischer Demonstranten als Wahrheiten, ohne über das Gesetz zu informieren.

Es musste auffallen: Mehrmals berichteten Medien über die Demonstrationen in der georgischen Hauptstadt Tiflis, wo gegen ein geplantes und inzwischen verabschiedetes «Agentengesetz» protestiert wurde. Doch darüber, was in diesem Gesetz genau steht, wurde nicht informiert. Selbst in den Online-Ausgaben von SRF, NZZ oder den Tamedia-Zeitungen suchte man vergeblich nach einem Link zu den ersten Entwürfen oder zum jetzt verabschiedeten Gesetz.

Berichtet wurde mehrmals über das Veto der Präsidentin Salome Surabischwili. Das Veto wurde vom Parlament unterdessen überstimmt. Sie sei zum Schluss gekommen, dass das Gesetz «verfassungsfeindlich, anti-georgisch, anti-europäisch und anti-demokratisch» sei. Gegen welche Verfassungsartikel oder europäischen Normen das Gesetz verstossen soll, präzisierten die Medien nicht.

Grundsätzlich geht es darum, ob die Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt wird. Zu dieser Freiheit kann auch die Pflicht gehören, mögliche Interessenkonflikte offenzulegen.

Damit man sich eine eigene Meinung bilden kann, wären Informationen über die wichtigsten Paragraphen des Gesetzes die Grundvoraussetzung gewesen. Georgien ist ein Rechtsstaat, in dem sich Politik und Gerichte an die Gesetze halten müssen.

Deshalb hier die wichtigsten Paragraphen dieses «Agentengesetzes», das eigentlich «Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflüsse» heisst:

Artikel 1 – Zweck und Anwendungsbereich des Gesetzes

  1. «Um die Transparenz der ausländischen Einflussnahme zu gewährleisten, regelt dieses Gesetz die Registrierung einer Organisation, welche Interessen einer ausländischen Macht verfolgt, und andere Fragen, die mit der Transparenz der Aktivitäten einer Organisation zusammenhängen, welche Interessen einer ausländischen Macht verfolgt. 
  2. Dieses Gesetz schränkt die Tätigkeit einer registrierten Organisation nicht ein.» 

Unterstellt sind diesem Gesetz nicht-kommerzielle juristische Personen sowie Medien, die mehr als 20 Prozent der nicht-kommerziellen Einnahmen und geldwerten Leistungen von einer ausländischen Macht erhalten. Als «ausländische Macht» gelten ausländische Regierungsbehörden, Personen mit ausländischem Pass sowie Stiftungen, Vereine und andere Organisationen, die aufgrund ausländischen Rechts gegründet wurden.

Artikel 4 Abs. 3dEintrag als Organisation, welche Interessen einer ausländischen Macht verfolgt

  1. «Offenlegung der Finanzierung: […] Informationen über die Quelle, den Betrag und den Zweck von Geld und anderen
  2. geldwerten materiellen Leistungen, die der Antragsteller [vom Ausland] erhalten hat.»

Artikel 5 – Öffentlichkeit

  1. «Informationen, die in das Register einer Organisation eingetragen sind, welche die Interessen einer ausländischen Macht verfolgt, müssen öffentlich zugänglich sein.»

Weitere Paragraphen regeln die Meldeformalitäten und Bussen bei Nicht-Beachtung.

Es gibt in Georgien sehr viele NGOs und etliche Medien, die sich jetzt registrieren müssen, weil sie zu mehr als 20 Prozent vom Ausland finanziert werden. Gemeinsam haben sie sich gegen das Gesetz vehement, jedoch vergeblich gewehrt.

Die Bürgerinnen und Bürger Georgiens haben am kommenden 26. Oktober die Möglichkeit, die Regierungsparteien abzuwählen.

«Schritt ins prorussische Lager»

Fernsehen und grosse Medien übernahmen unkritisch Slogans der Demonstrierenden, die übertrieben waren. Es bestehe die «berechtigte Befürchtung, dass mit diesem Gesetz eine echte Annäherung an die EU ausgeschlossen» sei, meinte David Nauer, SRF-Korrespondent in Wien. Georgien könnte «ins prorussische Lager kippen, was ein Sieg für den Kreml wäre». 

NZZ-Korrespondent Markus Ackeret zitierte in Tiflis zwei junge Demonstrantinnen, laut denen die Tätigkeit von NGOs gegen häusliche Gewalt, für Minderheitsrechte oder für die Versorgung von Kranken gefährdet sei. 

Die NZZ zitierte jedoch auch einen «langjährigen Politbeobachter», der sagte, man müsse «das Unbehagen über die unüberschaubare Zahl der Nicht-Regierungsorganisationen mit viel politischen Einfluss verstehen». 

«NGOs bangen um ihr Überleben»

Frank Nienhuyser, Redaktor der Süddeutschen Zeitung, informierte in den Tamedia-Zeitungen unter dem Titel «NGOs in Georgien bangen um ihr Überleben»: «Die Zivilgesellschaft (in Georgien) kann ohne Unterstützung von aussen schwer arbeiten.» Nienhuyser zitierte die Vertreterin einer NGO, die «vielen Frauen geholfen habe, Beautysalons zu eröffnen, Cafés oder kleine Betriebe». Damit könnte es bald vorbei sein. Gemäss einem EU-Bericht gebe es in Georgien zwischen 1200 und 2300 Zivilorganisationen.

Zu diesen schweren Vorwürfen, die Existenz vieler NGOs oder Medien sei gefährdet, konnten die georgischen Regierungsbehörden weder im Fernsehen noch in der NZZ oder den Tamedia-Zeitungen Stellung nehmen. 

Diese Medien haben nicht darüber informiert, dass die Regierung laut Transparenzgesetz die Tätigkeiten von registrierten Organisationen gar nicht einschränken darf.

Um sich eine eigene Meinung zu bilden, wären unter anderem folgende Informationen relevant gewesen:

  • Die wichtigsten Paragraphen des neuen Gesetzes.
  • Aus welchen Gründen befürchten die Gegner, die Regierung könne gegen dieses Gesetz verstossen und es dazu missbrauchen, die Tätigkeit der registrierten Organisationen und Medien doch einzuschränken.
  • Ein Vergleich mit Transparenzgesetzen in anderen Ländern, namentlich mit der geplanten Transparenzrichtlinie, das in der EU in Vorbereitung ist, und dem Foreign Agents Registration Act in den USA. [In den USA müssen die Behörden zum Schluss kommen, dass der ausländische Geldgeber auf die finanzierte Institution einen erheblichen Einfluss ausübt, während in Georgien eine 20-Prozent-Beteiligung an den Finanzen genügt.]

_____________
Zum letzten Gesetzesentwurf in Englisch, den eine Kommission des Europarats noch sprachlich redigiert hat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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10 Meinungen

  • am 31.05.2024 um 11:50 Uhr
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    Es ist bestürzend.wie einseitig wir seit dem Ukraine Krieg informiert werden. Journalistische selbständige Recherchen sind kaum noch zu finden. Eine gefahrenvolle Entwicklung.

  • am 31.05.2024 um 11:55 Uhr
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    Ähnliche Gesetze gibt es in sehr vielen westlichen Ländern, nicht zuletzt gab es gerade in den USA grosse Diskussionen darüber, ob es bei den Präsidentschaftswahlen zur Einflussnahme von Drittländern gekommen ist. Dieses Gestz soll sicherstellen, dass das legitimierte Volk frei entscheidet und nicht andere Länder oder Lobbys, so sollte eigentlich Demokratie funktionieren.

  • am 31.05.2024 um 12:53 Uhr
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    Das mag alles sein. Jedoch berichten diese Medien (ich gehört auf SRF oder ZDF/ARD) auch von übler Repression der Regierungsseite in Georgien, bis hin zu physischer Gewalt (nicht der Regierung, aber geduldet oder angestachelt.) Es geht also nicht so sehr um das Gesetz selbst, sondern um die Repressionen. Soll ich diese Meldungen nicht glauben?

    • am 2.06.2024 um 13:57 Uhr
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      Nein!

  • am 31.05.2024 um 13:52 Uhr
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    Primär. Solange die (Massen-) Mediengesetze nicht richtiggestellt werden, sehe ich das Ankommen Objektiver Vierter Gewalt beim Demokratiekonsumenten etwa via Infosperber nur schon marktanteilmässig als Tropfen auf den heissen Stein verdunsten. Leider aussichtslos. Dabei dachte ich früher, allein die Mitteilung darüber müsste einen laufenden gesellschaftlichen Wahnsinn aufhalten können.

  • am 31.05.2024 um 15:13 Uhr
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    Die Berichterstattung in fast allen europäischen Medienhäusern ist antirussisch. Es geht um «Amerikas Strategie der Vorherrschaft» (Brzezinski), und Russland steht der im Weg. Die Europäer laufen amerikanischen Weltanschauungen blind hinterher und möglicherweise direkt in den nächsten Weltkrieg hinein. Die Europäer werden ihn mit dem Leben bezahlen und nicht die Amerikaner. Wehalb haben viele namhafte Politgrössen gegen die endlose NATO-Osterweiterung vergebens angeredet?

    • am 3.06.2024 um 00:37 Uhr
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      @Ruth Obrist – In grossen Medien (Artikeln und Leserkommentaren) finde ich eine starke Mehrheit gegensätzlicher Meinung als grundsätzlich im Infosperber. Bräuchte es nicht eine andere Strategie? Etwa eine neue Partei? Psychologische Phänomene? Pulitzer-Preisträger Chris Hedges im Beobachter 25/2020: «Menschen ziehen es vor, die Augen vor der bitteren Realität zu verschliessen, das liegt einfach in unserer Natur.» Selbst angesichts des möglichen Untergangs? «Ja – wir sind so.» Kognitive Dissonanz, Abilene-Paradox, Stockholm-Syndrom, Normopathie? Eine Psychologie-Studie (zur Leugnung augenfälliger Tatsachen) titelte die Aussage einer Probandin: «Ich würde es nicht glauben, selbst wenn es wahr wäre.»

  • am 1.06.2024 um 01:18 Uhr
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    Die georgischen Demos, so wie unsere Berichterstattungen beweisen doch, dass der Westen in Georgien massiv mitmischelt und die Demonstranten mobilisieren. Dasselbe hat die Ukraine auch mit dem Maidanaufstand erlebt.

  • am 1.06.2024 um 04:14 Uhr
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    Man will die Europäer bewegen, Russland in seinem Kernland zu treffen. Dazu passt wie die Faust aufs Auge («wie gerufen») die aktuelle Schlagzeile: Russischer «Schattenkrieg» Brandstiftungen in Europa – immer mehr Spuren führen nach Moskau (bluewin.ch). Basler Zeitung titelt über Olaf Scholz: «Zeit, dass er sich dreht». Vergleiche Gladio NATO’s Stay-Behind Armies, Tonkin etc. Cui bono.
    Unlogisch. Unglaublich. Für mich ein Theaterstück mit massenhaft Regisseuren, weil es noch nie in der Erdgeschichte um so viel, ums Ganze ging. Für die Weltmacht USA. Wider Multipolarität, wider Gleichberechtigung, aber das widerfuhr den Indianern bereits. NBC 12.01.2018 — President Donald Trump referred to African countries, Haiti and El Salvador as «shithole» nations.
    Bei Putin undenkbar, finde ich «heutiger Indianer».

  • am 3.06.2024 um 07:22 Uhr
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    Sehr guter Artikel. Man muss auch hervorheben, dass hier nur eine Registrationspflicht besteht, und (noch) keine Beschränkungen der Tätigkeiten festgelegt worden sind.

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