Gründen eine eigene Allianz: General Abdourahamane Tiani aus Niger, Oberst Assimi Goïta aus Mali und Hauptmann Ibrahim Traoré aus Burkina Faso (v.l.n.r.). Bild: X (ehemals Twitter) / Capitaine Ibrahim Traoré

Sie wollen keine «Haus-Sklaven» des Westens sein

Philippe Stalder /  Mali, Niger und Burkina Faso wenden sich endgültig von Frankreich und den USA ab – und gründen eine eigene Allianz.

Drei wichtige Delegationen fehlten, als am Sonntag, den 7. Juli, das Treffen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) in Abuja, Nigeria, stattfand. Die Staatschefs der Sahelstaaten Mali, Burkina Faso und Niger blieben dem Gipfeltreffen fern.

Die Ecowas zählt 14 Mitglieder (inkl. Mali, Burkina Faso und Niger) und ist ein wichtiger Handelspartner der Schweiz. Wir importieren jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 15 Milliarden US-Dollar aus ihren Mitgliedstaaten. Ausserdem hängen europäische Sicherheits- und Migrationsinteressen in Westafrika stark vom Einfluss der Ecowas auf die drei Sahelstaaten ab, wo die zentralen Landrouten nach Europa verlaufen.

Stattdessen trafen sich Oberst Assimi Goïta aus Mali, Hauptmann Ibrahim Traoré aus Burkina Faso und Nigers General Abdourahamane Tiani einen Tag zuvor in Niamey, der Hauptstadt von Niger. 

Die Militärs, die sich zwischen 2020 und 2023 an die Macht geputscht hatten, riefen eine eigene Konföderation aus: Die Alliance des États du Sahel (AES). Die AES umfasst rund 72 Millionen Menschen und wird im ersten Jahr von Mali präsidiert. «Unser Volk hat der Ecowas unwiderruflich den Rücken gekehrt», proklamierte General Tiani vor einer jubelnden Menge.

Unter der Kontrolle ehemaliger Kolonialherren

Die Gründung der neuen Allianz formalisiert den Ecowas-Austritt, den die AES-Länder bereits im Januar bekanntgaben. Ecowas stehe noch immer unter der Kontrolle der ehemaligen Kolonialherren, begründeten die Sahelstaaten damals ihren Austritt. Tatsächlich übt insbesondere Frankreich noch immer viel Macht über seine ehemaligen Kolonien aus.

Etwa durch den CFA, der Währung der sieben frankophonen Ecowas-Mitgliedstaaten, die von der französischen Zentralbank gedruckt und kontrolliert wird. CFA steht heute für Franc de la Communauté financière africaine. Ursprünglich stand die Abkürzung jedoch für Franc des Colonies françaises d’Afrique.

Oder durch die Präsenz zahlreicher westlicher Militärmissionen in den Mitgliedstaaten. Als Goïta, Tiani und Traoré verfassungswidrig die Macht ergriffen, lösten sie bald französische und US-amerikanische Militärstützpunkte auf ihrem Territorium auf und schickten die westlichen Soldaten nachhause.

Die neuen Machthaber sahen den Westen nicht mehr als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems: als vorgeblichen Helfer in der Not, der in Wahrheit seinen Zugriff auf regionale Ressourcen wie Uran, Gold und Erdöl sichern und sich Flüchtlinge vom Hals halten will. Ersetzt wurden die westlichen Soldaten durch private Militärunternehmen, allen voran den russischen Wagner-Söldnern.

Ecowas hoffte auf Rückkehr

Obwohl die Ecowas-Führer zwischenzeitlich wirtschaftliche Sanktionen gegen die Militär-Juntas der abtrünnigen Staaten verhängten, hofften sie zuletzt auf ihre Rückkehr. Der frisch gewählte senegalesische Präsident Faye wurde gar zum Sondergesandten für Mali, Burkina Faso und Niger ernannt. Faye forderte in seinem Wahlkampf ebenfalls, die alten Allianzen mit Frankreich zu überdenken.

«Wir können nicht tatenlos zusehen», sagte Faye am Sonntag in Bezug auf den Austritt der drei Sahelstaaten und betonte, dass sie auf dem Papier noch ein weiteres Jahr Mitglied der Ecowas blieben, wie es in Artikel 91 der Organisation heisse.

Die Reden der Militärführer von Mali, Niger und Burkina-Faso lassen aber keinen Zweifel daran, dass sie genug von der Ecowas und ihrer westlichen Allianzen haben. So begründen sie ihren Austrittsentscheid:

«Imperialisten betrachten Afrika als Herrschaftsgebiet»

Der erst 36-jährige Staatschef Burkina Fasos, Ibrahim Traoré, übte scharfe Kritik an den westlichen Allianzen der Ecowas-Mitglieder und schimpfte sie «Haussklaven», eine Bezeichnung für afrikanische Führer, die seiner Meinung nach immer noch unter dem Einfluss oder der Kontrolle ehemaliger Kolonialmächte stehen:

«Die Imperialisten betrachten Afrika als ihren Herrschaftsbereich und glauben, dass sie unsere Menschen, unser Land und unsere Ressourcen besitzen würden. Nach der formellen Unabhängigkeit, die den afrikanischen Nationen seit den 1950er Jahren gewährt wurde, setzten sie lokale Vertreter ein, um ihre Kontrolle weiter aufrechtzuerhalten. Wir bezeichnen diese Vertreter als ‹Haussklaven› – Menschen, deren einziges Bestreben es ist, ihren Herren nachzueifern und ihnen zu dienen.»

Als sich der nigrische General Abdourahamane Tiani im Juli 2023 an die Macht putschte, drohte die Ecowas mit einer militärischen Intervention, um den gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum wieder einzusetzen. Burkina Fasos Staatschef Traoré verwies in diesem Zusammenhang auf den militärischen Aspekt der neuen Allianz: «Wir haben ihnen dann gesagt: Wer Niger angreift, bekommt es mit uns zu tun. Wir werden gegen jeden vorgehen, der uns angreift.»

Vereint im Kampf gegen Dschihadismus

Der nigrische General Tiani kritisierte die Ecowas ausserdem für ihr angebliches Versagen im Kampf gegen terroristische Bedrohungen. Die Allianz der Sahelstaaten könne den Dschihadismus in der Region besser als andere internationale Organisationen bekämpfen. So habe die AES eine grenzüberschreitende Militärtruppe zusammengestellt, um dschihadistische Aktivitäten zu bekämpfen, sagte Tiani. 

Seidik Abba, Vorsitzender des Internationalen Zentrums für Studien und Überlegungen zur Sahelzone (CIRES), erklärte gegenüber Radio France International: «Zuvor konnten die Dschihadisten ein Land angreifen und sich in ein anderes zurückziehen. Jetzt können die drei Länder dank gemeinsamer Geheimdienstinformationen und gemeinsamer Anstrengungen koordiniert zurückschlagen.»

Wirtschaftliche Zusammenarbeit und gemeinsame Identität

Auch wirtschaftlich würden die drei Länder enger zusammenarbeiten, wie der militärische Führer Malis verkündete, Oberst Assimi Goïta. Er bedankte sich bei seinem nigrischen Amtskollegen für die Unterstützung Malis mit Kohlenwasserstoff.

Im April erklärte sich Niger bereit, Mali mit 150 Millionen Litern Kohlenwasserstoff zu versorgen – zum halben Marktpreis. Diese Vereinbarung zielt darauf ab, Malis Kraftwerke langfristig zu versorgen und den häufigen Stromausfällen entgegenzuwirken.

Goïta betonte zudem, dass die Allianz zwischen den drei Nachbarländern eine gemeinsame Identität unter den Bürgern schaffen solle: «Wir gehen über einzelne nationale Identitäten hinaus. Anstatt Bürger von Mali, Burkina Faso oder Niger zu sein, werden wir uns als Menschen der AES bezeichnen. In diesem Bündnis wird sich ein Burkiner oder Nigrer in Mali zu Hause fühlen und umgekehrt, ohne auf administrative Barrieren zu stossen.»

Eine neue Ordnung

Die von der Ecowas gegen die drei Sahelstaaten verhängten Sanktionen sollten Druck auf ihre Regierungen ausüben, um sie zu einer Rückkehr zur Wirtschaftsgemeinschaft zu bewegen. Stattdessen führten sie zu einer Neuordnung der geopolitischen Allianzen in Westafrika. Eine Neuordnung, in der Russland auf Kosten des Westens an Einfluss gewinnt. Bei seinem Staatsbesuch in Moskau sagte Ibrahim Traoré zu Putin: «Wir wollen keine neuen Partner, wir wollen eine neue Politik.»

Ob Traorés Rechnung aufgeht – oder ob sein Land für den russischen Machthaber bloss ein Spielball im globalen Machtrennen darstellt – muss sich allerdings erst noch zeigen.

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2 Meinungen

  • am 17.07.2024 um 12:28 Uhr
    Permalink

    Sehr gut gemacht. Endlich, endlich haben sich vorerst drei Länder von den USA und Frankreich abgekoppelt.
    Vor allem Frankreich gehört vor die Türe gesetzt. Seit der Unabhängigkeit der westafrikanischen Staaten hat Frankreich nichts für deren Entwicklung getan, im Gegenteil, unter immer neuen , schwurbeligen Bezeichnungen, wollte und will es die Ausbeutung dieser Länder fortsetzen.
    P.S. Wir können nur darauf warten, bis es zu Unruhen in diesen drei Ländern kommt, Unruhen, die wie üblich von den USA orchestriert werden. Dies alles unter dem » Pseudonym» Freiheit und Demokratie.

  • am 18.07.2024 um 07:15 Uhr
    Permalink

    Dass einige Afrikaner ihr Schicksal endlich in die eigene Hand nehmen ist natürlich sehr zu begrüssen. Vergessen wir nicht, dass unser Schweizer Nationalmythos genau diese Geschichte erzählt. Die Gründung der Eidgenossenschaft war ein blutiger Putsch dreier Stände gegen die damals herrschende Ordnung. Wenn unsere Patrioten am kommenden 1. August ihre vaterländischen Reden schwingen, könnten sie das vielleicht erwähnen.
    Zudem ist diese Unabhängigkeit wohl auch der einzige realistische Weg, dass wir uns, wie es der Autor formuliert, «Flüchtlinge vom Hals halten». Vergessen wir nicht, dass im Moment tausende lieber im Mittelmeer ersaufen, als unter den üblen Bedingungen in Afrika zu leben. Dabei ist Afrika ja nicht arm, im Gegenteil, es ist einer der reichsten Kontinente.
    Ich hoffe nur, dass sich die «Abtrünnigen» mit Russland und China nicht einfach neue Unterdrücker aufhalsen. Das Risiko ist es aber wohl wert, denn schlimmer kann es kaum werden.

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