Reise durch Iran: Die Probleme bleiben unsichtbar
Wer jetzt durch Iran reist, erlebt eine überraschend entspannte Gesellschaft – überraschend, weil die von den USA verhängten Sanktionen bereits greifen, mit all ihren Verzweigungen. Vor allem mit den Auswirkungen auf den Handel und die (aufgrund des US-Diktats) blockierten Finanzströme auch der europäischen Unternehmen und mit der erzwungenen Reduktion der Erdölexporte Irans: von 2,6 Millionen Barrel pro Tag auf weniger als eine Million. Europa importiert überhaupt nichts mehr, und die Exporte nach China und in andere asiatische Länder kompensieren den Verlust nur teilweise.
Das drückt auf den Haushalt des Staates, und das wird belastend weitergegeben an die privaten Haushalte. Artikel des täglichen Bedarfs, von Nahrungsmitteln über Kleidung bis zu elektronischen Geräten, sind massiv teurer geworden. Angeboten wird aber weiterhin praktisch alles, was das Herz oder der Konsum begehrt – die Iraner finden offenkundig immer einen Weg, Sanktionen zu umgehen. Nur gibt es jetzt noch mehr Zwischenhändler als zuvor, vor allem in den benachbarten Arabischen Emiraten oder in Oman. Die wollen alle etwas verdienen.
Solidarische Hilfe
Sichtbar ist nur ein Teil der Realität. Nicht auf Anhieb erkennbar ist, dass das Gedränge in den Basars doch etwas geringer ist als beispielsweise noch vor einem Jahr. Alle Händler sagen: Ja, es gibt einen Rückgang, auch wenn er nicht (noch nicht) dramatisch ist – man kann, rein geschätzt, davon ausgehen, dass er im Kleinhandel gut zehn Prozent ausmacht. Deutlicher wahrnehmen kann ein ausländischer Besucher, eine Besucherin aus Westeuropa, dass der Wechselkurs des iranischen Rial zum Euro täglich stark schwankt, ja dass er sogar an ein und demselben Tag von Wechselstube zu Wechselstube unterschiedlich ist. Klar, das muss so sein, bei einer Jahresinflation von rund 70 Prozent. Diesem Teufelskreis entziehen kann sich nur, wer sein Gehalt oder einen Teil davon in westlicher Währung erhält, und das sind nur wenige.
Aber noch funktioniert generell die Solidarität: Erfährt jemand, dass ein Verwandter in Not gerät, wird im Rahmen des Möglichen geholfen. Daher ist Armut noch immer selten sichtbar. Wie lange das noch so gehen kann, weiss allerdings niemand.
Politische Machtkämpfe
Allen Iranern, allen Iranerinnen ist klar, dass es im politischen Gefüge des Landes zumindest Differenzen, vielleicht sogar Machtkämpfe gibt. Der Aussenminister Mohammed Jawad Zarif reichte seinen Rücktritt ein, weil er sich von ganz hoch oben übergangen fühlte – er wurde nicht mit einbezogen, als der syrische Präsident Assad für Konsultationen nach Teheran geholt wurde. Der oberste religiöse Führer, Ayatollah Khamenei, arrangierte die Zwangs-Visite offenkundig nur in Absprache mit dem tonangebenden Kommandanten der al-Quds-Brigaden, General Qassem Soleimani (für viele Iranerinnen und Iraner ist Soleimani ein Held, für andere ein eigenmächtiger Haudegen).
Die al-Quds-Einheiten stehen in Irak im Einsatz gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat, in Syrien im Wesentlichen zugunsten des Assad-Regimes. Soleimani anderseits setzte sich nach dem Assad-Besuch, öffentlich dafür ein, dass Zarif im Amt bleiben müsse. Also engagierte er sich plötzlich für einen der Gemässigten innerhalb des Regimes. Auch eine Mehrheit der Mitglieder des sonst eher passiven Parlaments erklärte öffentlich, Jawad Zarif müsse unbedingt Aussenminister bleiben.
Ausserdem nehmen Iranerinnen und Iraner auch wahr, dass ein Erzkonservativer, Ebrahim Raisi, in der komplexen Hierarchie aufsteigt – der 58-jährige Kleriker wurde Justizchef und hat somit noch bessere Chancen als bisher, eines Tages Nachfolger des religiösen Führers Khamenei (80-jährig) zu werden.
Heisst das, dass Hardliner an Einfluss gewinnen zulasten der Gemässigten, der so genannten Reformer? Vielleicht ja, aber Iran beachtet weiterhin, das bestätigte eben die Internationale Atomenergie-Agentur, das im Jahr 2015 unterzeichnete Abkommen, das den Verzicht auf die Entwicklung einer Atombombe garantiert – auch wenn das Land nur wenig als Belohnung für seine Unterschrift und seine Vertragstreue erhalten hat. Mehrheitlich blieben die internationalen Sanktionen in Kraft, jene der USA ohnehin, und dennoch wurde US-Präsident Trump vertragsbrüchig. Das Atomabkommen («der schlechteste Deal, den die USA je unterschrieben haben») sei ja nur ein Teil des amerikanisch-iranischen Problems, twitterte Trump, es gehe vielmehr darum, dass Iran seine ganze Verhaltensweise im Mittleren und Nahen Osten korrigiere. Also: keine Raketentests mehr, keine iranischen Einheiten mehr in Irak und Syrien, Schluss mit der Solidarität mit Hizb-Allah in Libanon und ein Ende der Unterstützung der Huthi-Rebellen in Jemen. Mit anderen Worten: Unterordnung unter die US-amerikanischen Pax Americana (korrekter wäre: unter das Diktat Washingtons).
Das weist die iranische Führung kategorisch zurück – auch mit Verweis übrigens auf die Beteiligung am erfolgreichen Kampf gegen die Terroristen des Islamischen Staats in Irak und teils auch in Syrien. Und erklärt, oft etwas pathetisch, Iran lasse sich seinen Weg von keinem ausländischen Staat diktieren.
Forderung nach Reformen
Irans Führung ist das eine, das Volk das andere. Nur ist es nicht so, dass die beiden Pole sich immer total unerbittlich gegenüber ständen. Die «da oben» nehmen, in Grenzen, wahr und manchmal auch ernst, was «die da unten» fordern. Der oberste Führer, Ayatollah Khamenei, berät sich zumindest regelmässig mit den islamischen Gelehrten in Qom. Das sind zwar auch mehrheitlich Konservative, aber sie nehmen auch abweichende Meinungen zur Kenntnis. Die Konservativen mussten ja auch, wahrscheinlich grollend, vor den letzten Parlamentswahlen zur Kenntnis nehmen, dass es «unten» eine mächtige Forderung gab, auch Reformer für die Wahlen zuzulassen. Also willigten sie ein, die Listen wurden korrigiert. Und fast überall wurden die Reformer gewählt, sodass sie jetzt im Parlament die Mehrheit stellen. Was leider nicht viel bewirkte – das Parlament nimmt seine Kompetenzen kaum jemals wahr; die Voten zugunsten Zarifs bilden die Ausnahme. Überall dort, wo sich viele Iranerinnen und Iraner Veränderungen erhoffen (Kulturpolitik, Lockerung der Zensur, Lockerung im Strafgesetz), bleibt oder blieb bisher das Parlament passiv.
Aber Khamenei berät sich offenkundig auch in weiterem Rahmen – täte er das nicht, hätte er nicht darauf bestanden, dass der reformerische Aussenminister Zarif im Amt bleiben soll. Und er nimmt auch zur Kenntnis, dass es «unten» Differenzen über die Ausgestaltung des Alltags gibt. Wenn Frauen jetzt, jeweils am Mittwoch, sich demonstrativ für einige Momente des Kopftuchs entledigen, lässt er jedenfalls nicht seine Polizei massiv einschreiten. Es gibt, das hört man überall, zwar gewisse «Ermahnungen», mehr jedoch nicht.
Das Plakat einer religiösen Gruppierung in der Stadt Kashan will Frauen klarmachen: Wer das Kopftuch ablegt, wird vom amerikanischen Teufel gestossen. Die Briten zahlen, die Israeli verbreiten es im Netz. Und die Frau steht am Abgrund … (Bild: Erich Gysling)
Anderseits wurde eine Aktivistin, die Anwältin Nasrin Sotudeh, zu brutaler Strafe verurteilt – offiziell zu sieben Jahren Gefängnis, nach Angaben ihres Ehemanns zu 33 Jahren plus Stockschlägen. Und hängig sind Strafverfahren gegen eine Engländerin und einen US-Amerikaner. Ob das Regime diese Fälle als Faustpfand einsetzt und demnächst Begnadigungen verkündet oder ob es schrecklicher Ernst bleiben wird, kann niemand einschätzen.
Trotz und Resignation
Eine revolutionäre Stimmung gibt es nicht (darauf verwies auch die Korrespondentin der NZZ, Inga Rogg, in ihrem kürzlich publizierten Bericht aus Iran). Es gibt, das ist meine Beobachtung aufgrund von mehr als 25 Reisen durch das Land, vielmehr eine Mischung von Trotz und Resignation. Trotz gegen die internationale Ächtung, das Sanktions-Diktat von Seiten der USA, plus Enttäuschung über die schwache Haltung der Europäer, und Resignation bei vielen, die sagen: In diesem ganzen Mittleren Osten wird’s nie besser – wir sollten emigrieren, je schneller, desto besser.
Nur: Welches andere Land will sie noch, sogar die gut ausgebildeten Iraner und Iranerinnen? Vor einigen Jahren war Kanada noch relativ offen, auch Australien. Das ist vorbei. Und vielleicht ist das ja auch, es mag hart klingen, gut so für Iran – mehr aus der Elite bleiben im Land. Und bringen, vielleicht, doch noch die Anliegen der Reformer irgendwie voran.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Für einmal decken sich unsere Wahrnehmungen im Iran mit denjenigen von Herrn Gysling. Nach rund 40 Reisen und intensiven Kontakten auf allen Ebenen der Gesellschaft im Iran können wir die oben genannten Feststellunen bestätigen. Die iranische Gesellschaft entwickelt sich langsam aber stetig in eine für alle angenehmere Richtung. Das Schlimmste wäre wieder eine ausländische Einmischung wie 1953, 1979 oder 2008. Das würde den Hardlinern sofort wieder Schub geben. Die Perser haben die Invastion des arabischen Wüstenvolkes vor 1300 Jahren noch heute nicht verdaut. Immer öfters werden arabische Wörter durch alte persische Synoyme ersetzt. Immer mehr Iraner besinnen sich in diesem Vielvölkerstaat auf ihre originären Wurzeln und erst kürzlich wurde in Rudbar eine 5000 Jahre alte Kultur entdeckt. Der Iran ist abseits der Touristenautobahn Tehran – Shiraz – Yazd und Esfahn viel ursprünglicher, echter und ehrlicher. Viele Bilder aus unbekannten Gegenden sehen Sie auf der Webseite des Freundeskreises Schweiz – Iran http://www.schweiz-iran.ch. Seit 1874 hat die Schweiz mit dem Iran einen Freundschaftsvertrag und wer etwas zur Völkerverständigung beitragen möchte, der besuche dieses einmalige Land. Mit einem herzlichen Khodahafez aus Emmenbrücke