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Studentendemonstration in Minneapolis, 1. Mai 2015 © Fibonacci Blue/flickr/cc

Rassismus in den USA: Das Ende der Farbenblindheit

Franziska Meister /  US-Rassismus: Schwarzer tötet weisse Polizisten – grosse Aufruhr. Polizisten erschiessen unbewaffnete Schwarze – meist straffrei.

Tatort: Dallas. Hier wurde John F. Kennedy am 22. November 1963 mit mehreren Schüssen getötet. «The chickens have come home to roost», kommentierte der radikale schwarze Bürgerrechtler Malcolm X damals – böse Taten fallen auf den Übeltäter zurück. Am 7. Juli 2016, über fünfzig Jahre später, erschiesst ein schwarzer Armeeveteran in Dallas fünf weisse Polizisten. Und man ist geneigt, Malcolm X zu zitieren. Seine Worte zielten nicht auf den US-Präsidenten, sondern auf das rassistische und imperialistische System, für das er stand. Dieses System existiert noch immer. Ein sichtbarer Ausdruck ist die grassierende Polizeibrutalität, die fast immer ungeahndet bleibt.

Immerhin ist Wegsehen schwieriger geworden. Seit nunmehr zwei Jahren dokumentiert die Bewegung Black Lives Matter Fälle von Polizeigewalt, die unbewaffnete Schwarze das Leben gekostet hat. Sie tut dies mit Bildern, Videos und Livestreams im Internet und organisiert über soziale Medien gleichzeitig auch den Protest auf der Strasse. Die jüngsten Fälle liegen nur wenige Tage zurück: Philando Castile aus Falcon Heights, Minnesota, starb in seinem Auto durch mehrere Schüsse, die ein Polizist aus nächster Nähe durch das geöffnete Wagenfenster auf ihn abgegeben hatte. Alton Sterling wurde auf einem Parkplatz in Baton Rouge, Louisiana, von zwei Polizisten zu Boden geworfen und buchstäblich exekutiert. Der Tod der beiden Männer war Anlass für die friedliche Protestkundgebung in Dallas vergangene Woche, an deren Rand – aber nicht aus deren Mitte – die fünf Polizisten getötet wurden.

Das Ghetto als Kolonie

Und plötzlich machen KommentatorInnen aus dem rechtsextremen wie konservativen Lager die Anwälte der Opfer zu Tätern. Black Lives Matter sei eine terroristische Gruppierung, die aus Hass Verbrechen begehe, hetzte der rechtsextreme Radiomoderator Rush Limbaugh über den Äther. Mit seiner Show erreicht er nahezu zwanzig Millionen AmerikanerInnen. Die Demonstrationsmärsche gegen Polizeibrutalität müssten sofort aufhören, fordern auch liberalere Stimmen. Stattdessen sei Versöhnung angesagt. «All lives matter», heisst es – und in Anspielung auf die Farbe der Polizeiuniformen: «Blue lives matter.»

Was für ein scheinheiliger Unsinn! Versöhnung setzt voraus, dass man sich gleichberechtigt und auf Augenhöhe begegnen kann. Die viel beschworene «colorblindness» als vermeintlich liberale Ideologie entpuppt sich hier einmal mehr als das, was sie tatsächlich ist: blind für die alltäglichen Erfahrungen und existenziellen Nöte von Schwarzen, wie sie etwa Ta-Nehisi Coates in seinem Buch «Zwischen mir und der Welt» eindrücklich schildert (siehe WOZ Nr. 5/16). «Race» bleibt ein Tabuthema. Besonders irritierend ist, mit welcher Vehemenz selbst Barack Obama als erster schwarzer Präsident daran festhält.

Und so droht sich die Geschichte zu wiederholen. 1965 hatte der damalige Präsident Lyndon B. Johnson den Voting Rights Act – der den Schwarzen das Stimm- und Wahlrecht einräumte – unterzeichnet und die Ziele der Bürgerrechtsbewegung für erreicht erklärt. Wenige Wochen später brach im Stadtteil Watts in Los Angeles die erste grosse Ghettorevolte los. Ihr Auslöser: Polizeibrutalität. Ein junger Schwarzer war wegen eines harmlosen Verkehrsdelikts festgenommen worden.

Ein Jahr später begannen die Black Panthers im nördlich gelegenen Oakland damit, die schwarze Bevölkerung mit bewaffneten Patrouillen vor Übergriffen der Polizei zu schützen. Sie bezeichneten die schwarzen Ghettos als interne Kolonien und die Polizei als Besatzungsarmee, die nicht die Aufgabe habe, die Ghettobevölkerung zu beschützen, sondern sie zu terrorisieren und zu unterdrücken – um Macht und Privilegien der Weissen zu sichern. Nur indem sie der Polizei mit Waffen gegenüberträten, könnten sie die Situation ausgleichen, glaubten die AktivistInnen. Der Staat Kalifornien verbot daraufhin sofort das öffentliche Tragen von Waffen, und das Los Angeles Police Department legte mit der Schaffung der landesweit ersten Swat-Spezialeinheit den Grundstein für die rasante Aufrüstung und Militarisierung der Polizei.

Und die Black Panthers? J. Edgar Hoover, damaliger Chef der Bundespolizei FBI, erklärte sie zum «Staatsfeind Nummer eins» und stempelte sie mithilfe lokaler Polizeibehörden, Medien und Gerichte zu Kriminellen ab.

Systematische Kriminalisierung

Fast fünfzig Jahre später scheint Black Lives Matter dasselbe Schicksal zu drohen. Weil sie tun, was bereits die Black Panthers versuchten: den strukturellen Rassismus in den USA sichtbar machen. Polizeibrutalität ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Viel beunruhigender ist die Tatsache, dass heute in vielen US-Städten bis zu achtzig Prozent aller jungen schwarzen Männer vorbestraft sind und jeder zweite in den Mühlen des Justizsystems gefangen ist – also entweder tatsächlich im Gefängnis sitzt oder auf Bewährung draussen ist. Wer heute schwarz, jung sowie männlich ist und im Ghetto aufwächst, besitze eine mindestens 75-prozentige Wahrscheinlichkeit, im Verlauf seines Lebens im Gefängnis zu landen, schreibt die Juristin und Bürgerrechtsaktivistin Michelle Alexander in ihrem Buch «The New Jim Crow» (2012). So wird eine ganze Bevölkerungsgruppe systematisch kriminalisiert.

Der Vorwurf der Polizeibrutalität beinhaltet dabei eine ganze Palette an Formen von Gewalt: Philando Castile war vom Polizisten, der ihn später erschoss, wegen eines defekten Rücklichts angehalten worden. Bereits zum 32. Mal hatte die Polizei ihn aus dem Verkehr gezogen. Für über sechzig geringfügige Verkehrsverletzungen war er zuvor bereits angezeigt worden. Abgesehen davon besass er keinerlei Vorstrafen. Und Alton Sterling war zwar vorbestraft, zum Zeitpunkt seines Todes aber als harmloser Hustler unterwegs, der CDs auf der Strasse verkaufte, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen – dies, weil er aufgrund seines Strafregistereintrags keinen Job fand.

Die Diskriminierung kartografieren

Das junge AktivistInnenkollektiv Mapping Police Violence sammelt und dokumentiert solch individuelle Geschichten von Opfern und macht so die dahinterliegende Systematik der Diskriminierung sichtbar. Über hundert unbewaffnete Schwarze starben allein 2015 durch die Hand von PolizistInnen – im Verhältnis zur Bevölkerungszahl sind das fünfmal mehr Schwarze als Weisse.

97 Prozent aller PolizistInnen, die einen unbewaffneten Schwarzen erschossen haben, wurden in keiner Weise juristisch belangt. Schwarze hingegen, die vorbestraft sind, werden vom Justizsystem politisch, sozial und ökonomisch entmündigt und marginalisiert: Sie besitzen kein Stimmrecht, finden kaum Arbeitsmöglichkeiten oder Zugang zu subventionierten Wohnungen. Das Justizsystem reproduziert und garantiert so die seit jeher bestehende Hierarchie, wie Michelle Alexander in ihrem Buch aufzeigt.

«Diese Nation wurde auf der Basis der Überzeugung errichtet, dass Freiheit und Gerechtigkeit nur für einige und nicht für alle gelten», hat Alexander vor wenigen Tagen auf Facebook geschrieben – «some lives don’t matter.» Sie glaubt nicht länger daran, dass die Polizei oder das Justizsystem reformierbar sind.

Nach den Ereignissen in Dallas wird die Bewegung den Protest mehr denn je in die Strassen tragen und den Rassismus immer wieder sichtbar machen müssen. «Race» darf nicht länger ein Tabuthema bleiben. Mit Sprüchen wie «all lives matter» und «blue lives matter» wird der strukturelle Rassismus ignoriert und unter den Teppich gekehrt. Die Ideologie der «colorblindness» hat ausgedient. Black lives matter.

Dieser Text erschien erstmals in der Wochenzeitung vom 14. Juli 2016.


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5 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 20.07.2016 um 12:21 Uhr
    Permalink

    Der Beitrag ist parteiisch und schiesst insofern über das Ziel hinaus. Hochideologisch und sektiererisch mutet es an,, aus Feminismuswahn heraus in diesem Fall von PolizistInnen zu schreiben. Gegen 97% der Polizisten, die auch in Europa gefährliche Täter erschiessen, sozusagen auf beiden Seiten der Front immer Männer, kommen ebenfalls straffrei davon. Natürlich werden jetzt die in Amerika vorgefallenen Attentate auf Polizisten in nächster Zeit eine entsprechende unfriedliche Wirkung haben und zum Beispiel Trump Wähler zutreiben. Das muss man objektiv analysieren können. Die Leute, die man bei uns mehr oder weniger in Verhöhnung einstiger Asylkriterien reinlässt, mit lächerlichen Alters- und Identitätsangaben in der Art des Würzburg-Täters, finden zwar subventionierte Wohnungen und müssen keine Krankenkasse und kein Zwangsabonnement des Fernsehen bezahlen, werden aber auf lange Sicht in vielen Fällen ebenfalls keine Arbeit finden und sich dann halt überproportional mit einer entsprechenden Kriminalitätsrate schadlos halten. Insofern werden diese Probleme noch verstärkt auf uns zukommen. Man beachte mal die Blogs in Deutschland und Österreich z.B. über Würzburg, die zwar von den meisten Medien unterdrückt werden. Was da aber zum Vorschein kommt, verheisst für die Zukunft nichts Gutes.

    Der Unterschied zu den USA ist, dass die dortigen Schwarzen nicht freiwillig zugereist sind und es ihnen tatsächlich und objektiv dreckiger erging und geht als es bei uns heute der Fall wäre.

  • am 20.07.2016 um 13:32 Uhr
    Permalink

    Danke, Franziska Meister, für diesen treffenden Beitrag. Lassen Sie sich nicht von hinterhältigen Hass-Repliken, die von pauschalen Unterstellungen und schlecht kaschiertem Rassismus triefen, in die Enge treiben.
    Gar keine Frage: Wer Ihren Beitrag liest und sich ärgert, wurde offensichtlich am falschen Fuss erwischt. Fasst er dies dann noch in Worte, wird alles klar …

  • am 20.07.2016 um 23:34 Uhr
    Permalink

    Danke Frau Meister für diesen Beitrag. Der Bügerkrieg in den USA steht vor der Tür. Schön wie geplant. Egal wer Präsident wird, denn das interessiert nur, wer wirklich nichts vo US-System verstehen will.

    Herr Meier, einfach den eigenen Text nochmals ganz durchlesen und merken, dass hier nur einer über das Ziel hinaus schiesst und sektiererisch und hochideologisch anmutet. Dann die Eselsohren anziehen und ins Schämieggeli stehen, bis der Hass- und Angst-Lehrer sie wieder davon befeit.

    Es ist wirklich an der Zeit, dass die besteuerte Bevölkerung die systematische Unterdrückung, Hassbildung und Angstmache erkennt, die sie mittels Märchen und Mechanismen der «Überschicht» (2% besitzen gleich viel wie die restlichen 98%) in geradezu aussichtlose Abhängigkeit treibt. Oder glauben Sie wiklich, dass schwarz (zugewandert) und weiss (einheimisch) gleichbedeutend sind in der Gesellschaft? Solange der (Coca Cola) Nikolaus weisser als weiss aus dem Schornstein klettert, kann da einfach etwas nicht stimmen. Die Rede von H. Rap Brown anlässlich der Befreiungskundgebung für Huey Newton (Vorsitzender der Black Panthers for Self Defense) präsentiert den einen oder anderen Anhanltspunkt diesbezüglich und zeigt dass auch 1968 klar war, dass es den USA und wohl allen an der Macht «etablierten» Schichten nie und nimmer um Gleichberechtigung ging und gehen wird .. (H. Rap. Brown : http://www.lib.berkeley.edu/MRC/rapbrown.html )

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 21.07.2016 um 08:49 Uhr
    Permalink

    @Öffner. Es ist bekannt, dass bei sprachlich hochmoralistisch besetzten Gesichtspunkten wie Feminismus und Rassismus die Andersdenkenden ins «Schämieggeli» gestellt werden, das Problem des Meinungsverbrechens. Es ist klar, dass parteiische Quellen, selbst wenn sie auf der Seite der «Guten» stehen, nicht absolut zum Nennwert genommen werden können. Ich werde bei meinem heutigen Referat über die Todesstrafe (in Luzern) trotzdem auf die sozial und kulturell höchst einseitige Zusammensetzung der zum Tode Verurteilten in den USA zu reden kommen und die Sache jedenfalls nicht aus der Sichte eines weissen Rassismus darstellen.

    Im übrigen, was noch die ebenfalls sehr heikle Einwanderungs- und Terrordebatte betrifft, so habe ich mich dazu in http://www.etwasanderekritik.ch mit insgesamt 9300 Zeichen geäussert, was für eine etwas differenziertere Darstellung unausweichlich ist. Da ich mich aber für meine Meinung schämen muss, wird es sowieso falsch sein, was ich schreibe. Immerhin betrachte ich den Infosperber-Beitrag eines Lehrers der Kategorie unbegleiteter jugendlicher Asylbewerber als lehrreich, weil aus direkter Erfahrung schöpfend. Ich habe im Schuljahr 2012/13 ebenfalls noch Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht. Und Frau van Gent, wenn sie über die Türkei schreibt, muss nicht noch gleichzeitig unpassende feministische Sprachbekenntnisse ablegen, weil sie zu den Publizistinnen gehört, die man ernst nimmt. Das sind Beiträge, für die ich auch gern mal was für Infosperber einzahle.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 21.07.2016 um 08:49 Uhr
    Permalink

    @Öffner. Es ist bekannt, dass bei sprachlich hochmoralistisch besetzten Gesichtspunkten wie Feminismus und Rassismus die Andersdenkenden ins «Schämieggeli» gestellt werden, das Problem des Meinungsverbrechens. Es ist klar, dass parteiische Quellen, selbst wenn sie auf der Seite der «Guten» stehen, nicht absolut zum Nennwert genommen werden können. Ich werde bei meinem heutigen Referat über die Todesstrafe (in Luzern) trotzdem auf die sozial und kulturell höchst einseitige Zusammensetzung der zum Tode Verurteilten in den USA zu reden kommen und die Sache jedenfalls nicht aus der Sichte eines weissen Rassismus darstellen.

    Im übrigen, was noch die ebenfalls sehr heikle Einwanderungs- und Terrordebatte betrifft, so habe ich mich dazu in http://www.etwasanderekritik.ch mit insgesamt 9300 Zeichen geäussert, was für eine etwas differenziertere Darstellung unausweichlich ist. Da ich mich aber für meine Meinung schämen muss, wird es sowieso falsch sein, was ich schreibe. Immerhin betrachte ich den Infosperber-Beitrag eines Lehrers der Kategorie unbegleiteter jugendlicher Asylbewerber als lehrreich, weil aus direkter Erfahrung schöpfend. Ich habe im Schuljahr 2012/13 ebenfalls noch Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht. Und Frau van Gent, wenn sie über die Türkei schreibt, muss nicht noch gleichzeitig unpassende feministische Sprachbekenntnisse ablegen, weil sie zu den Publizistinnen gehört, die man ernst nimmt. Das sind Beiträge, für die ich auch gern mal was für Infosperber einzahle.

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