Politik der Erpressung
Mit dem Austritt der USA aus der Unesco, der Uno-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, knüpft US-Präsident Donald Trump an die Politik von Ronald Reagan in den Achtzigerjahren an. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Vereinigten Staaten als politische, wirtschaftliche und militärische Führungsmacht der Welt zwar den Gründungsprozess und die ersten 25 Jahre der Uno-Geschichte bestimmt. Doch infolge der Entkolonialisierung erlangten die neuen Nationalstaaten aus dem Trikont Ende der Sechzigerjahre die Mehrheit in der Uno-Generalversammlung und den Mitgliedsgremien der Sonderorganisationen des Uno-Systems.
Mit dieser Mehrheit setzten sie eine Reihe von Beschlüssen durch, die Washington politisch nicht genehm waren. Die Umsetzung dieser Beschlüsse wurde daher von den USA sowie zum Teil auch von Britannien und anderen Industriestaaten des Nordens sabotiert. Das betraf etwa die Entscheidung der Generalversammlung zur Etablierung einer neuen Weltinformationsordnung, Beschlüsse der Organisation für Handel und Entwicklung (Unctad) zur Festsetzung garantierter Mindestpreise auf dem Weltmarkt für Rohstoffe aus den Ländern des Südens oder die Resolution der Generalversammlung von 1977 zur Anhebung der Entwicklungshilfezahlungen der Industriestaaten auf mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts. Eine Resolution, die bis heute lediglich von den skandinavischen Staaten und den Niederlanden umgesetzt worden ist.
Ideologische Motive
Reagan erklärte 1983 ein erstes Mal den Austritt aus der Unesco, was dann unter Präsident Bill Clinton korrigiert wurde. Und mit der – völkerrechtswidrigen – Verweigerung von Pflichtbeiträgen an den Uno-Haushalt in Höhe von zeitweise bis zu 1,7 Milliarden US-Dollars erzwangen Reagan und sein Nachfolger George Bush senior die Schliessung der für das Monitoring multinationaler Konzerne zuständigen Abteilung in der New Yorker Uno-Zentrale und nötigten Generalsekretär Kofi Annan zu massiven Einsparungen und Personalabbau. Die Clinton-Regierung (1992–2000) war zumindest in ihrer zweiten Amtsperiode wieder zur vollen Kooperation mit der Uno bereit. Doch schon unter George W. Bush kehrte Washington wieder zurück zur Politik der Erpressung mittels Kürzung oder völliger Streichung von Geldern für Uno-Organisationen, deren Aktivitäten – wie zum Beispiel die Familienplanungsprogramme – aus ideologischen Gründen abgelehnt werden.
Trump hat diese Politik nun erheblich eskaliert und drastische Kürzungen der US-Zahlungen für aus seiner Sicht überflüssige Programme der Vereinten Nationen angekündigt. Den völkerrechtlich verbindlichen Pflichtbeitrag der USA zum Budget der Friedensmissionen reduzierte Trump bereits um 600 Millionen Dollars mit der nachweislich falschen Begründung, Washington habe bislang einen «überproportional» grossen Anteil an diesem Budget sowie am regulären Haushalt der Uno finanziert.
Der Austritt der USA aus der Unesco, dem, wohl abgestimmt, einen Tag später der Austritt Israels folgte, hat aber noch eine zusätzliche Qualität. Denn zur Rechtfertigung dieses drastischen Schrittes warf die Trump-Regierung der Unesco nicht nur Geldverschwendung und mangelnde Reformen vor, sondern auch Antisemitismus. Als Belege für diesen schwerwiegenden Vorwurf führte die Trump-Regierung lediglich an, die Unesco habe Palästina als Mitglied aufgenommen, die Stadt Hebron im besetzten Westjordanland zum Weltkulturerbe erklärt und die völkerrechtswidrige «Besatzung Ostjerusalems durch Israel» in einer Resolution auch so benannt. Ein Tatbestand, der durch mehrere von den USA mitgetragene Entscheidungen des Sicherheitsrats sowie durch Beschlüsse des Internationalen Gerichtshofs eindeutig geklärt ist.
Wo bleibt die Kritik an Washington?
Offensichtlich versucht Trump, nachdem er im Sommer bereits die von all seinen Vorgängern in den vergangenen fünfzig Jahren zumindest rhetorische Unterstützung für eine Zweistaatenlösung offiziell aufgekündigt hatte, jetzt auch die Besatzung Ostjerusalems zu Fake News umzudeuten. Die bisherigen Reaktionen anderer Staaten auf den Austritt der USA aus der Unesco lassen befürchten, dass sich diese Umdeutung international durchsetzen könnte. Bislang zumindest war aus Paris, Berlin, London, Bern und anderen Hauptstädten keine Kritik an Washington zu hören – sondern lediglich ein «Bedauern», dass die Organisation mit den USA einen «wichtigen Akteur» und bedeutsamen Financier verloren habe.
Auch die Lobby der israelischen Regierung in der Schweiz, Deutschland und anderen Ländern betreibt die Strategie der Leugnung beziehungsweise Umdeutung der völkerrechtswidrigen Besatzungstatsachen und hat mit dieser Strategie teilweise Erfolg. Am Genfer Uno-Sitz verbreitet seit Jahren eine Organisation namens UN Watch die israelische Regierungspropanda.
In einem Kommentar der Sonntagszeitung vom 15. Oktober macht sich Redaktionsleiter Andreas Kunz mehrere Falschbehauptungen von UN Watch zu eigen. Unter anderem schreibt Kunz: «Diesen Sommer zum Beispiel diskreditierte die Unesco Israel als Besatzungsmacht und aberkannte dem Land jeglichen rechtlichen und historischen Anspruch auf seine Hauptstadt Jerusalem.» Das ist falsch. In der vom Weltkulturerbe-Ausschuss der Unesco am 4. Juli 2017 verabschiedeten Resolution werden ausschliesslich die seit dem Junikrieg von 1967 anhaltende völkerrechtswidrige Besatzung Ost-Jerusalems und die dortigen Bauaktivitäten der Regierung Netanjahu kritisiert sowie der Anspruch der Regierung auf ganz Jerusalem als alleinige Hauptstadt Israels zurückgewiesen. Das steht in völligem Einklang mit den Genfer Konventionen und anderen Bestimmungen des Völkerrechts sowie mit den einschlägigen, sämtlich einstimmig verabschiedeten Resolutionen des Uno-Sicherheitsrates, in denen die israelische Besatzung des palästinensischen Ost-Jerusalems, der Westbank und des Gazastreifens als völkerrechtswidrig verurteilt und der Abzug der Besatzungsmacht gefordert wird.
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Eine kürzere Fassung dieses Textes wurde am 19. Oktober 2017 erstmals in der Wochenzeitung veröffentlicht. Für Infosperber hat Andreas Zumach seinen Artikel ergänzt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine