Parler: Die App, die User, der Gründer und das Geld
Alleine am vergangenen Samstag sollen sich 1,5 Millionen Menschen beim Kommunikationsdienst Parler registriert haben – viele von ihnen teilten die Videos vom Sturm auf Capitol von letzter Woche. Jetzt ist Parler so gut wie tot.
Parler speicherte Software und Daten auf den Servern der Webhosting-Abteilung von Amazon. Amazon ist der Meinung, dass Parler die Vertragsbestimmungen verletzt hat und beendete die Zusammenarbeit einseitig – und hat den Dienst damit bis auf Weiteres aus dem Internet ausgesperrt.
Parler ist ein soziales Netzwerk und funktioniert wie Twitter. Die Nutzer können anderen Mitgliedern des Netzwerks folgen, Inhalte publizieren und publizierte Inhalte weiterverbreiten. Anders als bei Twitter werden die Inhalte aber kaum kontrolliert. Je nach Warte ist Parler eine der wenigen Social-Media-Plattformen, auf denen die Meinung noch frei ist und auch kritische Geister unzensiert reden dürfen – oder aber eine Plattform, auf der man unkontrolliert Lügen und rassistische Hetze verbreiten darf. Je öfter Twitter die Posts von Donald Trump mit Warnhinweisen versah, desto mehr neue Nutzer registrierten sich bei Parler. Im November waren laut «Tages Anzeiger» 10 Millionen Nutzer registriert, bis zum Shutdown vor zwei Tagen dürften es wohl 12 bis 13 Millionen gewesen sein. Ein Klacks im Vergleich zu Twitter, wo Donald Trump alleine 88 Millionen Follower hatte. Und dennoch beachtlich, wenn man bedenkt, dass die Plattform erst 2018 gegründet wurde.
«Wir brauchen einen Scharfschützen»
Natürlich gibt es auch auf Parler Regeln. Pornografie und Werbung für Marihuana sind laut den Nutzungsbestimmungen verboten, ebenso «falsche Gerüchte», wobei die Behauptung, die Demokraten hätten die Wahl gestohlen, offenbar nicht als falsches Gerücht eingestuft wird. Doch Hass und Hetze wird als freie Meinungsäusserung geschützt. So soll der Sturm aufs Capitol auf Parler organisiert worden sein. Amazon will auf Parler 98 Posts gefunden haben, die zur Gewalt aufrufen und die Vertragsbestimmungen von Amazon verletzen. Im Internet kursieren Screenshots mit entsprechenden Inhalten. Demnach schrieb User ColonelTPerez am 6. Januar nach den Ausschreitungen: «Viele von uns werden am 19. Januar [zum Capitol] zurückkehren, wir werden Waffen tragen und die Entschlossenheit unserer Nation unterstützen.» Er zeichnet seinen Post mit «The American Patriot». Der User Ambler3 schrieb später: «Wir brauchen einen Scharfschützen an der Inaugurationsfeier.»
Parler positioniert sich als Plattform für politische Debatten. «Parler ist», so die Selbstdeklaration, «ein unvoreingenommenes, freiheitliches soziales Medium, das sich auf den Schutz der Rechte der Nutzer konzentriert.» So avancierte das Netzwerk in den letzten 18 Monaten zum Lieblingsspielplatz der Republikaner. Mit Ausnahme von Donald Trump selbst sind viele seiner Kollegen, Mitarbeiter und Anhänger dort. Rand Paul, Ted Cruz und Rudy Giuliani zum Beispiel, sein ehemaliger Wahlkampfmanager Brad Parscale und auch sein früherer Berater Steve Bannon («I’d Put Anthony Fauci’s Head On A Pike As A ‘Warning’»). Nach rechts sind die Grenzen völlig offen. David Duke, Gründer der Knights of the Ku Klux Klan, hetzte auf Parler, zahlreiche Mitglieder der rechtsextremen Miliz Proud Boys tauschen sich dort aus und die Verschwörungsideologen von QAnon ebenso. Und Jake Angeli, der fotogene Pfundskerl, der das Capitol mit Fellmütze und Kuhhörner stürmte? Natürlich.
26-jährigen Hackerin macht Ärger
Wann Parler wieder online geht, ist ungewiss. Jene Provider, die über genügend Server verfügten, würden Parler als Kunden ablehnen, erklärte Gründer John Matze gegenüber Fox News. Und selbst wenn Parler einen Provider finden sollte oder eigene Server kaufen könnte, ist es alles andere als sicher, dass Parler überlebt. Apple und Google haben die App fürs Handy aus ihren App-Stores ausgesperrt – das heisst, dass die Apps nicht mehr auf Apple- und Android-Handys heruntergeladen werden können. Ob Parler mit einer webbasierten Version noch wachsen könnte, ist äusserst fraglich.
Den wohl schwersten Schlag kassierte Parler aber nicht von Amazon, Google und Apple, sondern von @donk_enby. Das ist der Twittername einer angeblich 26-jährigen Hackerin, die enorme Mengen von Parler-Daten heruntergeladen und veröffentlicht hat, um sie den Strafverfolgungsbehörden zugänglich zu machen. Auf Twitter erklärte sie, jeden einzelnen Post auf Parler vom 6. Januar archiviert zu haben – auch jene, die später wieder gelöscht wurden. @donk_enby verfügt laut eigenen Angaben über 1,1 Millionen Videos und besitzt auch die Metadaten, etwa die GPS-Koordinaten der Videos. (Mehr dazu auf Gizmodo oder Watson)
Trump-Finanziererin Rebekah Mercer mit an Bord
So misslich die Lage von Parler, so unklar sind die Besitzverhältnisse. Gegründet wurde Parler 2018 vom damals 25-jährigen John Matze und seinem College-Kumpel Jared Thomson. Unterstützt wurden sie dabei von Rebekah Mercer, einer sehr, sehr, sehr reichen und sehr, sehr, sehr konservativen Trump-Unterstützerin. Die Tochter von Milliardär und Hedge-Fond-Manager Robert Mercer unterstützte schon den Aufbau des News-Portals «Breitbart», das gegenüber Fake News und rechtsextremen Positionen offener ist als «Fox News». Die Familie unterstützte Trumps ersten Wahlkampf mit mehreren Millionen Dollar und finanzierte auch Cambridge Analytica, die Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern sammelte und damit den US-Wahlkampf 2016 zugunsten Donald Trump beeinflusst haben soll.
Doch Aufbau und Betrieb einer solchen Plattform kosten mehr, als Mercer in Breitbart und Cambridge Analytica zusammen investiert hatte. Bekannt sind die Namen zweier angeblicher Investoren (Dan Bongino, Jeffrey Wernick), doch auch ihnen trauen viele nicht zu, über die nötigen Mittel zu verfügen. Und schliesslich wird auch der Namen einer Firma herumgereicht, die an Parler beteiligt sein soll und über die niemand Näheres weiss: NDMASCENDANT LLC.
Mindestens so fraglich ist, wie Parler Geld verdienen will. Werbung gibt es keine, das Portal soll mittels «Influencer» finanziert werden, erklärte der Gründer im Sommer gegenüber CNBC. Inserenten sollen nicht direkt auf der Plattform Werbung machen, sondern mit reichweitenstarken Nutzern in Verbindung gebracht werden, die dann deren Inhalte im Netzwerk verbreiten. Ob Parler damit bisher tatsächlich Einnahmen generieren konnte, bleibt ein Rätsel.
Spekulationen statt Transparenz
Also bleibt die Frage: Woher kommt das Geld für dieses Netzwerk, das eindeutig rechtskonservativ ausgerichtet ist und auf dem bis vor drei Tagen über bewaffnete Angriffe aufs US-Capitol und die Erschiessung des gewählten Präsidenten Joe Biden diskutiert wurde? An diesem Punkt unternehmen wir einen kurzen Ausflug in die Gerüchteküche. Der Unternehmer Dave Troy, der in den USA Konferenzen organisiert, spekulierte im November öffentlich über Verbindungen von Parler-Gründer John Matze nach Russland (hier). Matze soll demnach 2017 seine jetzige Frau Alina geheiratet haben, eine Russin, Tochter einer «langjährigen Staatsfunktionärin». Fotos aus Alina Matzes Instagram-Profil legen zwar die Vermutung nahe, dass sie Beziehungen zu Russland pflegt (und automatische Waffen mag), doch das taugt natürlich bei Weitem nicht als Beweis, dass Parler eigentlich einem russischen Oligarchen oder gar dem Kreml gehört. Obwohl Troy die Medien dazu aufgerufen hat, diese angeblichen Zusammenhänge zu untersuchen, sind sie bisher nicht bestätigt worden.
Allerdings: Mit Transparenz könnte der Gründer John Matze solchen Spekulationen leicht entgegenwirken. Dass er es unterlässt, darf durchaus kritisch gewürdigt werden. Wer antritt, um die freie Meinungsäusserung zu verteidigen, aber verschleiert, in wessen Interesse er operiert, hat offensichtlich etwas zu verbergen.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Keine.
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