UBahnPeking

Die U-Bahn in Peking befördert täglich 10 Millionen Passagiere © Pete Chiang/Flickr/cc

ÖV auf Chinesisch

Peter G. Achten /  Für 30 Rappen konnte man in Peking das gesamte U-Bahn-Netz befahren. Jetzt sind die Tickets teurer geworden. Das Volk ist empört.

Täglich benützt Ihr Korrespondent die Pekinger Metro. Um sich in der 20-Millionen-Megalopolis den Autostaus zu entziehen und relativ schnell zu bewegen, ist die Pekinger Röhre das öffentliche Verkehrsmittel par excellence. Seit 2007 kostet das Einzelfahrtticket zwei Yuan, umgerechnet dreissig Rappen, unabhängig von der Distanz. Die Stadtväter spekulierten ein Jahr vor der Durchführung der Olympischen Spiele damit, dass immer mehr Mehr Menschen mit der U-Bahn fahren und so das oberirdische Verkehrschaos etwas vermindern würden.
Was die Passagierzahlen angeht, ging die Rechnung auf. Die Zahl der U-Bahn-Benützer stieg zwischen 2007 und 2013 um satte 350 Prozent. Im vergangenen Jahr nutzten täglich über 10 Millionen Pekinger die heute insgesamt 16 Linien des Pekinger U-Bahn-Netzes. Das sind 3,2 Milliarden Passagiere in einem Jahr. Eine andere Rechnung hingegen ging nicht auf. Die Subventionen der Stadtregierung für U-Bahn- und Bus-Verkehr stiegen von 13,5 Milliarden Yuan (umgerechnet 1,95 Mrd. Franken) im Jahr 2010 auf 20 Milliarden Yuan im Jahr 2013.

Die längste U-Bahn der Welt

Die mit einem Streckennetz von derzeit über 500 Kilometern längste U-Bahn der Welt kostet Geld, viel Geld, zumal weitere 11 Linien mit einer Länge von 206 Kilometer im Bau sind und bis ins Jahr 2022 nochmals rund 250 Kilometer geplant sind. Die Pekinger Metro kann dank den Zuschüssen weltweit durchaus als Vorbild gelten. Zum Beispiel für New York oder für die Londoner Röhre (the Tube), die älteste U-Bahn (1863) der Welt. Angefangen bei der Sicherheit, über das moderne Rollmaterial, die Sauberkeit, die Frequenz, die Disziplin der Benützer. Keine Schmierereien wie in NY oder im Schweizer Trämli, denn in Chinas Hauptstadt kommen Fehlbare ins Bootcamp, wo Disziplin und Respekt gepaukt werden. Mit Erfolg notabene, was wohl psychologisierende Sozialtherapeuten und Anhänger der Kuscheljustiz in der Schweiz erstaunen mag. Doch zu Stosszeiten kann auch das vorbildliche Pekinger Röhrensystem nicht den ganzen Ansturm locker bewältigen. Im Gegenteil. Zwischen sieben und neun Uhr morgens und zwischen fünf und sieben Uhr abends platzt das System mit einer Auslastung von 144 Prozent aus allen Nähten.

Shitstorm im Netz

Nach gut einem Jahrzehnt des massiven Ausbaus stösst Pekings Stadtregierung an finanzielle Grenzen. Nur ein Viertel der tatsächlichen Kosten, so rechnet die Metro-Administration vor, könne durch den Ticket-Verkauf wieder hereingeholt werden. Bereits vor einem Jahr kündigte die Entwicklungs- und Reformkommission der Hauptstadt deshalb eine baldige Preiserhöhung an. Die pendelnden Massen waren schockiert und stinksauer. Sina Weibo, das chinesische Pendant zu Twitter, wurde von einem Shitstorm erster Güte in den Grundfesten erschüttert. Die Zensurbehörden schritten sofort ein und blockierten den Suchbegriff «Preiserhöhung». Kein Wunder, denn Preiserhöhungen sind in China politisch ein heisses Eisen. Unruhen und Aufbegehren sollen verhindert werden. Das ganze laufende Jahr über wurden repräsentative Umfragen in Auftrag gegeben und Versammlungen an der Basis abgehalten, so etwas wie eine breite Vernehmlassung auf Chinesisch.
Ende November standen die neuen U-Bahn-Tarife fest, die seit dem 28. Dezember gelten. Der Preis eines Einzeltickets wurde von zwei auf drei Yuan angehoben. Viel schlimmer jedoch: Konnte man seit 2007 für zwei Yuan (30 Rappen) unlimitiert das ganze Netz befahren, wird neu die Distanz berechnet. Für drei Yuan kommt man 6 Kilometer weit, für vier Yuan 12 Kilometer, für fünf Yuan 22 Kilometer, für sechs Yuan 32 Kilometer, für sieben Yuan 52 Kilometer, für acht Yuan 72 Kilometer und für neun Yuan bis ans Ende der Röhre. Natürlich gibt es für diverse Kategorien – Kinder, Studenten, Alte, Soldaten, Behinderte etc. – Rabatte zwischen 20 und 75 Prozent. Und auch nach der Preiserhöhung ist U-Bahn fahren in Peking verglichen etwa mit Shanghai, Kanton oder gar Hong Kong immer noch spottbillig.
Pendeln belastet Budget und Nerven
Verbraucher und Stadtverwaltung betrachten das komplexe Thema der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs natürlich aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Hauptbenutzer der U-Bahn sind Vertreter und Vertreterinnen des mittleren und unteren Mittelstandes. Sie leben in Schlafstädten wie etwa dem über 20 Kilometer entfernten Tongzhou im Osten Pekings und pendeln jeden Tag in die Innenstadt an ihre Arbeitsplätze. Bei meinen Bekannten, dem Ehepaar Cheng, addierten sich die Fahrkosten bei einem Ticketpreis von bislang zwei Yuan bei 22 Arbeitstagen auf insgesamt 176 Yuan pro Monat. Mit dem neuen Tarif wird das erheblich teuerer, nämlich 440 Yuan pro Monat. Bei einem gemeinsamen Einkommen von knapp über 10‘000 Yuan pro Monat mag das nicht viel erscheinen, doch die Chengs sind wie so viele Chinesinnen und Chinesen wegen der tieferen Wohnungspreise aus der Innenstadt weggezogen. Das tägliche Pendeln von drei bis vier Stunden ist eine zusätzliche Belastung und längst nicht so bequem wie zur ärgsten Stosszeit in einem Schweizer Tram, Vororts- oder S-Bahn-Zug. Die Entwicklungs- und Reform-Kommission der Stadt kommt zum Schluss, dass beim Billettpreis von 2 Yuan fürs Pendeln bislang 2,6 Prozent des durchschnittlichen verfügbaren Einkommens aufgewendet werden mussten. Nach der Preiserhöhung werden es 5,4 Prozent sein.

Nur 50 Prozent der Betriebskosten gedeckt

Für Pekings Stadtverwaltung wiederum ist die Preiserhöhung überfällig, weil andere Aufgaben wie Erziehung, Gesundheit oder Pensionen schwer auf dem städtischen Budget lasten. Anders ausgedrückt: Der Abstand zwischen der U-Bahn fahrenden Mittelklasse und den weniger Begüterten dürfe nicht noch grösser werden. Auch mit der nun erfolgten Preiserhöhung werden die Betriebskosten der Pekinger Röhre nur zu 50 Prozent und der Busbetrieb zu 62 Prozent gedeckt. Massive Zuschüsse sind auch für die kommenden Jahre zu erwarten. Aber nicht ad infinitum. Nach dem Prinzip der «sozialistischen Marktwirtschaft Chinesischer Prägung» behalten sich die Stadtväter eine Überprüfung der Ticket-Preise vor. Jährlich. Streng nach chinesischen Marktverhältnissen selbstverständlich und – nicht zu vergessen – der Laune der Massen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

Zum Infosperber-Dossier:

Flagge_China

Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

Bahn_Tre

Öffentlicher Verkehr

Der Stellenwert, den Bahn, Busse oder Trams haben sollen. Der Nutzen, die Kosten, die Preise.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

  • am 8.01.2015 um 10:50 Uhr
    Permalink

    Chinesen mit Velo viel fahren,
    Doch nicht nur zum Energiesparen
    Sobald sie Geld haben,
    So braucht ’s einen Wagen.
    Das mussten wir leider erfahren.

    Bevölkerung wächst zu geschwind.
    Erlaubt ist drum nur noch ein Kind.
    Denn man hat erkannt,
    So gross auch das Land,
    Ressourcen unendlich nicht sind.

    Wenn wir durch die Felder so schweifen,
    Dann hör’n wir kaum Vögel, die pfeifen.
    Denn sie sind verschwunden
    In Kochtöpfen runden.
    Wir können es gar nicht begreifen.

    Ja China will unten nicht bleiben,
    Drum muss jetzt die Umwelt sehr leiden.
    Das Grundwasser sinkt,
    Die Stadtluft, die stinkt.
    ’S wär‘ besser, sie blieben bescheiden.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...