«NZZ am S.» lässt mal einen Putin-Versteher zu Wort kommen
In der NZZ kamen bisher fast nur Autoren, Historiker, Soziologen und Philosophen zu Wort, welche die Position und die Interessen der Nato unterstützten und die Wortwahl und die Darstellungen des militärisch-industriellen Komplexes weitgehend übernahmen.
Wer widersprach oder andere Positionen vertrat, wurde in der NZZ als «Putin-Versteher» oder noch schlimmer als «Putin-Freund» diffamiert.
Doch jetzt durfte ein Russland-Kenner in der «NZZ am Sonntag» vom 30. März auf ganzen zwei Seiten eine andere Sicht darlegen, ohne dass ihn die NZZ als Putin-Versteher verunglimpfte. Es ist Jörg Baberowski, Professor für Osteuropa-Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin. Baberowski spricht russisch, lebte lange in Russland und veröffentlichte Bücher über die Geschichte Russlands.
«Russland wolle und könne Europa erobern, ist vollkommen anachronistisch»
Hier einige Aussagen Baberowskis:
«Wahrscheinlich hätte der Krieg vermieden werden können, wenn man Putin signalisiert hätte, die Ukraine werde nicht Mitglied der Nato und der EU werden, wenn alle Möglichkeiten der Verständigung ausgeschöpft worden wären. Womöglich hätte er sich damit zufriedengegeben.»
«Ich halte es für ausgeschlossen, dass Russland noch andere Länder angreift. Putins Armee ist überhaupt nicht imstande, ein Land wie Polen anzugreifen. Der Nato wäre sie nicht gewachsen. Die Vorstellung, Russland wolle und könne Europa erobern, ist vollkommen anachronistisch. Wozu sollte Putin das tun? Welchen Gewinn hätte Russland von einem solchen Krieg, der in seine Selbstzerstörung führen würde?»
«Es gibt es derzeit nichts, wofür es sich lohnte, in eine Uniform zu schlüpfen und ein Gewehr in die Hand zu nehmen. In den Krieg sollen die gehen, die ihn besingen. Vielleicht lernen sie etwas daraus.»
«Wir erleben eine erstaunliche Aufrüstungs- und Kriegsbegeisterung, weil die Menschen vergessen haben, was Krieg bedeutet.»
«Ich habe mich mit Menschen unterhalten, die vor den Massakern in Syrien geflohen sind, die wissen, was Krieg ist, und die nicht leichtfertig über ihn reden, als sei er eine abstrakte Spielerei. Das trifft auch für all die klugen und umsichtigen Offiziere der Bundeswehr zu, die davon mehr wissen als die kriegstüchtigen ‹Experten› und Politiker.»
«Es wird zwischen Russland und der Ukraine nur Frieden geben können, wenn man die Geschichte ruhen lässt und sich historische Vorrechte auf Territorien und Privilegien nicht länger vorrechnet. Puschkin kannte Putin nicht.»
«Die Deutschen haben sich mit dem Verlust der Ostgebiete erst abfinden können, als sie die Geschichte ruhen liessen. Man muss damit aufhören, Konflikte historisch aufzuladen. Sonst gibt es aus ihnen keinen Ausweg. Wer hat ein Anrecht auf die Krim? Die Tataren? Weil sie schon da waren, bevor Russen und Ukrainer dort erschienen? Vielleicht sollte man einfach anerkennen, dass Menschen im Hier und Jetzt leben und ein Recht darauf haben, dort zu sein, ganz gleich, woher ihre Vorfahren einst gekommen waren. Die friedliche Koexistenz in Europa ist nur möglich, weil die Geschichte ruht.»
«Russland rüstet sich für einen Krieg gegen die Nato»
So lautete eine Schlagzeile auf der Titelseite der «Sonntags-Zeitung» vom 30. März. Die Zeitung zitierte Carsten Breuer, Generalinspektor der deutschen Bundeswehr («Das Ende des Ukraine-Kriegs wird nicht dazu führen, dass wir auf dem europäischen Kontinent wieder Frieden haben»), Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität München («Russland bereitet sich auf einen grossen Krieg vor»), sowie auf Lagebewertungen des Bundesnachrichtendienstes und anderer «westlicher Nachrichtendienste», namentlich Einschätzungen des litauischen Geheimdienstes.
Die drei deutschen Autoren der «Sonntags-Zeitung», Jörg Schmitt, Florian Flade und Manuel Bewarder, stellen selber fest: «Die drei baltischen Staaten sind in Putins Augen ohnehin Teil des russischen Imperiums.»
Der alarmistische Titel darüber lautete: «Geheimdienste warnen immer deutlicher: Russland rüstet sich für eine künftige Auseinandersetzung mit dem Westen. Ein Angriff auf einen Nato-Staat schon in wenigen Jahren gilt als möglich.»
Stimmen, welche diese Einschätzung mit guten Argumenten nicht teilen, kamen in der «Sonntags-Zeitung» nicht zu Wort. Auch keine Fragen etwa zu den Aufrüstungs-Zahlen auf Seiten Russlands im Verhältnis zu den Rüstungs- und Aufrüstungszahlen auf europäischer Nato-Seite.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ich finde es gut, dass Infosperber solche Meinungen publiziert. Dass «Russland Westeuropa nicht angreifen will», ist auch für mich klar. Putin und die russische Elite wollen ihre Macht erhalten und keine Bedrohung vor der Haustür haben. Es ist ein großes Unglück, dass die Ukraine einen solchen Nachbarn hat. Russland wäre ein guter Handelspartner für Europa. Man muss nur lesen und sehen, was Jeffrey Sachs sagt, dann wird das klar. …. Aber es gibt mächtige Kreise, die ein anderes Narrativ verbreiten.
Warum ist die Ukraine eine Bedrohung für die Machthaber in Moskau?
Weil sie den Menschen in Russland als Anschauungsbeispiel dienen könnte. Weil die Menschen in Russland dann auf die Idee kommen könnten, auch sie sollten einmal wählen können, ohne dass das Resultat schon im Vornherein feststeht.
P.S.: Die Nato hätte schon das Potential, Russland abzuschrecken. Die Nato hätte allerdings auch das Potential, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie ihr Territorium verteidigen könnte. Was fehlt ist die Entschlossenheit. Ohne Entschlossenheit wird die Nato auch einen Mitgliedstaat nicht verteidigen können.
In den meisten Regierungsverlautbarungen und Medien der «wertebasierten Welt» werden die Tatsachen umgedreht: Nicht Russland bereitet sich auf einen Einmarsch in die westlich seiner Grenzen gelegenen Länder vor, sondern die EU- und Nato-Staaten planen einen Krieg gegen Russland. Schon heute militärisch personell und waffenmäßig weit überlegen, wird eine weitere gigantische Rüstungsspirale und Propagandamaschinerie in Gang gesetzt, die bei den unmündigen und kriegsunerfahrenen Menschen auf fruchtbaren Boden fällt. Die verschwindend geringen Teilnehmerzahlen bei Antikriegsdemonstrationen sind ein Beweis dafür. Offensichtlich gehört Kriegssucht zur DNA der Mächtigen. Prof. Baberowski, Patrik Baab oder Harald Kujat reihen sich ein in die erfolglosen Bemühungen von Gandhi bis Antje Vollmer. Im herrschaftlichen Denken überwiegen nach wie vor die Macht- und Profitinstinkte und nicht Vernunft und Verantwortungsbewusstsein, schon gar nicht Sachverstand und Empathie.
2021 sagte Putin, er werde es nicht akzeptieren, dass die Ukraine ein Natomitglied wird. Der Westen ignorierte dies und verweigerte ihm Verhandlungen. Nuland wurde durch die USA eingesetzt auf dem Maidan einen Putsch zu organisieren. Ziel: Den gewählten Präsident Janukowitsch zu stürzen weil der einen Natobeitritt ablehnte. Nuland spielte auch eine Schlüsselrolle bei der Bewaffnung der Ukraine. Sie befürwortet radikal erhöhte Militärausgaben, die Erweiterung der NATO, propagiert Feindseligkeit gegenüber Russland und Bemühungen, die russische Regierung zu stürzen.
Da vergab Europa eine riesige Chance. Damit es klar ist : Ich verurteile den russischen Einmarsch in die Ukraine auf’s schärfste, beleuchte aber auch Hintergründe.
Betreffend «Nato-Mitgliedschaft», siehe dazu die amtliche Veröffentlichung «Declaration of State Sovereignty of Ukraine» der Werchowna Rada der Ukraine, in der deutschen Übersetzung steht, Zitat: «Die Ukrainische SSR erklärt feierlich ihre Absicht, ein dauerhaft neutraler Staat zu werden, der sich nicht an Militärblöcken beteiligt und drei atomwaffenfreie Prinzipien befolgt: keine Atomwaffen zu akzeptieren, zu produzieren und zu kaufen.» Damit war Russland einverstanden und lies die Ukraine gehen und jetzt will die Ukraine in die NATO, wo ist dieser «dauerhaft neutrale Staat geblieben?»
Die Sezession der Ukraine erfolgte mit ausdrücklicher Zustimmung der UdSSR. Die West-Ukraine ist ihrerseits nicht mit der Sezession der Ost-Ukraine einverstanden, was zum aktuellen Krieg führt.
Es ist sicher richtig, dass eine Zeitung in wichtigen Fragen beide Seiten zu Wort kommen läst, unabhängig davon, was die Meinung der Redaktion ist. So gesehen ist der Gastbeitrag von Jörg Baberowski mehr als angemessen.
Die Frage ist, warum die Meinung eines renommierten deutschen Professors der deutschen Humboldt-Universität in einer schweizerischen Zeitung veröffentlicht wird. Da scheint die Schweizer Presse doch noch ein wenig neutraler als die deutschen Mainstream-Medien zu sein. Hier in Deutschland darf(bis heute) niemand öffentlich gegen das Narrativ schreiben, dass es sich bei dem Ukraine-Krieg um einen unprovozierten Angriffskrieg Putins handelt. Die Vorgeschichte wird immer noch totgeschwiegen….
Sehr erstaunlich, dass die NZZ einmal eine andere als die NATO-Sichtweise übernommen hat!
Mit welchen Truppen sollte Russland die europäischen NATO-Länder angreifen?
In der gesamten Berichterstattung wurde seit mehr als drei Jahren Russland als Aggressor bezeichnet gegen eine unschuldige Ukraine. Wahrscheinlich hätte es tatsächlich bessere Lösungen für russische Interessen gegeben als einen kriegerischen Überfall.
Mit der Aufnahme der Ukraine in die NATO stünde ein feindliches Militärbündnis an der russischen Grenze, was sie nun in Nordeuropa allerdings auch tut. Hätte sich Russland in Bezug auf amerikanisches Hoheitsgebiet ähnlich wie die USA verhalten und seine Streitkräfte in Mexico oder Kanada stationiert, wären die USA in den Krieg gezogen. Russland tut nun mehr oder weniger dasselbe.