Nordkoreanische Olympia-Diplomatie zum Neujahr
Die nordkoreanische Klimaerwärmung ohne Resultate erfolgt seit dem Machtantritt von Kim Jong-un Ende 2011 jeweils zum Jahresanfang. In seiner Rede zum neuen Jahr gab sich der «oberste Führer» wie bereits sechsmal zuvor selbstbewusst. In diesem Jahr freilich so selbstbewusst wie noch nie. «Der Atomknopf», so Kim in typisch-grotesker nordkoreanischer Propaganda-Wortwahl, «ist immer auf meinem Tisch». An die Adresse des Intimfeindes im Weissen Haus zu Washington setzt er noch eins drauf: «Unsere Atomwaffen sind keine Erpressung, sondern Realität». Nordkorea habe, so der von US-Präsident Trump in seinem typisch-grotesken Zwitscherstil als Raketenmann apostrophierte Kim, eine «starke atomare Abschreckung, die in der Lage ist, die USA davon abzuhalten, mit dem Feuer zu spielen». Folglich, so Kim, «müssen wir jetzt Atomsprengköpfe und Raketen massenhaft produzieren und stationieren».
Friedensharfe
Dann griff der «junge General» wie sechsmal zuvor in Neujahrsansprachen mit einer Versöhnungsgeste zur Friedensharfe an die Adresse Südkoreas. Er hoffe, so milde der Oberbefehlshaber der nordkoreanischen Streitkräfte, dass «die Olympischen Winterspiele im Pyeonchang zu einem Erfolg für den Süden» werden. Nicht nur das, er bot auch die Entsendung nordkoreanischer Wintersportler an und zeigte sich bereit für Gespräche. Die Zeit drängt, denn die Spiele beginnen bereits am 9. Februar. Südkoreas Präsident Moon Jae-in, seit Amtsantritt im Mai 2017 im Gegensatz zu seinem Vorgänger ein eifriger Befürworter für den innerkoreanischen Dialog, ging auf das Angebot sofort ein.
Hochrangig
Südkoreas Minister für Wiedervereinigung Cho Myong-yon sagte, Seoul sei «unabhängig von Zeit, Ort und Format zu Gesprächen bereit». Ein «hochrangig besetztes Treffen» soll nun am 9. Januar in Panmunjon an der entmilitarisierten Zone stattfinden. Es wäre das erste hochrangige Treffen – Minister oder allenfalls Vize-Minister – zwischen Nord und Süd seit Dezember 2015. Unterdessen hat Nordkorea auch ein direktes rotes Telefon in Panmunjon nach jahrelangem Unterbruch wieder funktionstüchtig gemacht.
Eisschmelze
Die medial verbreitete koreanische Eisschmelze zu Neujahr ist wie zuvor der Kriegshype im vergangenen Sommer dem dank Cyberspace fortwährend beschleunigten Nachrichten-Zyklus und dem täglichen Gezwitscher von US-Präsident Trump zu verdanken. Atemloses News-Hecheln anstelle von Analyse also. Mit seinen deftigen Twitters hat Trump in den letzten Monaten Nordkorea geradezu zu einer atomaren Gefahr für den Weltfrieden hochstilisiert und Marschall Kim stärker gemacht, als er im Augenblick tatsächlich ist. Raketen- und Atomwaffen-Experten in Ost und West gehen zwar davon aus, dass Nordkorea Fortschritte gemacht hat, aber noch relativ weit davon entfernt ist, Atomsprengköpfe auf Interkontinentalraketen nach Amerika ins Ziel zu bringen.
Bedingungen
Ob die Gespräche in Panmunjon am 9. Januar zu einer nordkoreanischen Teilnahme an den Olympischen Winterspielen führen werden, ist offen. Südkoreas Präsident Moon jedenfalls hat bereits wissen lassen, dass er eine «offene Diskussion über Themen gemeinsamen Interesses», also wohl auch die nordkoreanischen A-Waffen, wünsche. Vermutlich wird auch Nordkorea Bedingungen stellen, etwa Aufhebung einiger Sanktionen, die Wiederaufnahme gemeinsamer Wirtschaftsprojekte oder gar die Einstellung der jeweils im März stattfindenden südkoreanisch-amerikanischen Manöver. Die wohl unwahrscheinliche nordkoreanische Teilnahme in Pyeonchang – für Sportfans: Eiskunstlauf, Eisschnellauf und Skilanglauf – würde jedenfalls den Beginn der Eisschmelze bedeuten.
Der Atomknopf
Bislang hat Washington erst zurückhaltend reagiert. «Wir werden sehen», gab sich zwitschernd der Oberkommandierende der US-Streitkräfte gelassen. Zuvor aber hat Trump als Antwort auf Kims «Atomknopf auf dem Pult» mächtig auf die Pauke gehauen: «Könnte bitte jemand von seinem ausgelaugten und hungernden Regime ihn informieren, dass auch ich einen Atomknopf habe». «Mein Knopf», so der täubelnde Trump, «ist deutlich grösser und mächtiger – und der funktioniert».
China wiederum begrüsst die «Anstrengungen beider Koreas, ihre Beziehungen zu verbessern». Peking macht allerdings auch klar, die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel bleibe das Ziel. Doch beim heutigen Stand der Dinge und nach über zwei Jahrzehnten fruchtloser diplomatischer Bemühungen glaubt niemand mehr daran, dass Nordkorea seine Atombewaffnung aufgeben wird – weder die USA noch Japan, Südkorea, China oder Russland. Atombewaffnung ist die Lebensversicherung für Kim Jong-un und für jene, je nach Schätzung, ein bis drei Millionen Nordkoreaner und Nordkoreanerinnen, die zu den Privilegierten des darbenden 25-Millionen-Volkes gehören.
Optionen
Was bleibt, ist nur noch Diplomatie, Gespräche also zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea. Die militärische Option, die in Washington immer auf dem Tisch bleibt, wird von den meisten Politikern und Diplomaten als unwahrscheinlich eingestuft. Allerdings zeigt die Geschichte, dass Unwahrscheinliches in zwischenstaatlichen Konflikten nicht selten dennoch Tatsache wurde. In Korea wäre das ein Szenario mit unabsehbaren Folgen.
Sport verbindet
Sport verbindet bekanntlich. Vor dem chinesisch-amerikanischen Tauwetter 1972 unter Präsident Nixon und dem Grossen Vorsitzenden Mao Dsedong wirkte die Ping-Pong-Diplomatie. Ob jetzt die Olympia-Diplomatie zum Ende der koreanischen Eiszeit führen wird? Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Hingegen hat wiederum, wie wir ja alle wissen, Sport nichts, rein gar nichts mit Politik zu tun.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Wie immer ein äusserst aufschlussreicher, interessanter Artikel von Peter Achten.
Wenn ich mir allerdings vorstelle, was für zwei ewig Pubertierende an den (jeweils grösseren) Atomknöpfen sitzen – dann wünsche ich mir, Herbert Grönemeyers Text „Kinder an die Macht“ würde Wirklichkeit.