Nepal will Anschluss an Chinas «Himmelsbahn»
Nepals Ministerpräsident Khadga Prasad Sharma Oli schritt im März gut gelaunt über den roten Teppich, den ihm die chinesischen Gastgeber ausgerollt hatten. Die Gespräche mit Chinas Premier Li Kejiang liefen über Erwarten gut. Kein Wunder. Nepal will ein klein wenig von der einseitigen Abhängigkeit des grossen südlichen Nachbarn Indien wegkommen, und für China ist Nepal das Einfallstor zu Südasien. Das ist, um es Neudeutsch auszudrücken, eine Win-Win-Situation. Die vereinbarten Abkommen und Absichtserklärungen fügen sich überdies nahtlos ein in die von Staats- und Parteichef Xi Jinping vor zwei Jahren skizzierte Vision von der «Neuen Seidenstrasse zu Land und zu Wasser». Danach soll Eurasian umfassend vernetzt und verbunden werden.
Mehr als ein Luftschloss
Sino-nepalesische Abkommen wurden vor allem im Energiesektor – Lieferung von Öl und Gas – abgeschlossen. Auch Infrastrukturprojekte waren unterschriftsreif, so der internationale Flughafen in Pokhara, der zweitgrössten nepalesischen Stadt sowie verschiedene Strassenprojekte. Am interessantesten war jedoch die Diskussion über Eisenbahnpläne. Konkret wurde über eine Verbindung innerhalb Nepals von Ost nach West sowie über eine grenzüberschreitende Linie von Tibet nach Nepal gesprochen. Im Abschluss-Communiqué findet dazu auch eine «ernsthafte» Absichtserklärung Aufnahme.
Die NZZ titelte einen Bericht über die nepalesisch-chinesischen Eisenbahn-Gespräche faktenfern und süffisant mit der Überschrift «Luftschlösser im Himalaja». Aus der Sicht Indiens mag das wohl zutreffen, denn dort benötigen solche Mega-Projekte zwanzig bis vierzig Jahre Vorlaufzeit. Nicht so in China, wie die Lhasa-Bahn – auch «Himmelsbahn» genannt – anschaulich zeigt.
Gigantisches Bahnprojekt
Schon der «Grosse Steuermann» und Utopist Mao Dsedong hatte davon geträumt. Doch damals – 1949 bis 1976 – war China weder technisch noch wirtschaftlich in der Lage, ein solch gigantisches Projekt zu stemmen. Erst mit dem wirtschaftlichen Aufschwung durch die Politik der Reform und Öffnung nach Aussen wurde der Traum reanimiert. In den 1990er-Jahren war es soweit, und es vergingen keine zehn Jahre, bis die 3,8 Milliarden Dollar teuere Bahn im Jahre 2006 realisiert war.
Die 1946 Kilometer lange Strecke von Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai, nach Lhasa, dem Hauptort der Autonomen Region Tibet, führt über schwierigstes Gelände. 960 Kilometer der Strecke liegen auf über 4000 Meter Höhe, 550 Kilometer führen über Permafrostböden, und über 200 Kilometer machen Brücken und Tunnels aus. Die Tibetbahn ist ein Eisenbahn-Trassee der Superlative. Der weltweit höchstgelegene Tunnel liegt 4905 Meter über Meer, der höchste Bahnhof Tanggula auf 5068 m.ü.M., und der Scheitelpunkt auf 5072 m.ü.M.
Fortschritt bringt Veränderungen
Die Himmelsbahn auf das Dach der Welt soll das bringen, was Bahnbau seit dem 19. und 20. Jahrhundert in Europa, Amerika und auf andern Kontinenten gebracht hat: wirtschaftliche Entwicklung, industrieller Aufbau, Gewinnung und Transport von Bodenschätzen sowie Mehrung des allgemeinen Wohlstands. Zugleich wird die Mobilität der Bevölkerung gefördert und seit wenigen Jahrzehnten auch der Tourismus angekurbelt.
Mit der Eisenbahn soll ohne Zweifel das abgelegene Tibet auch enger an China gebunden werden. Es erstaunt deshalb nicht, dass Exil-Tibeter die Lhasa-Bahn scharf kritisieren. Allerdings gibt es heute nirgendwo auf der Welt noch weisse Flecken. Wirtschaftlicher Fortschritt bringt – nicht nur in Tibet notabene – wirtschaftliche und soziale Veränderungen. Leider geht dabei auch viel von der ursprünglichen Kultur verloren, wenn man nicht auf der Hut ist. Warnendes Schweizer Beispiel: die rhätoromanische Kultur. Zur Lösung dieser schwerwiegenden Probleme braucht es jedoch einen Dialog statt Konfrontation. Doch in der Tibet-Frage ist man davon leider auf beiden Seiten noch sehr weit entfernt.
Bald mit dem Zug von Peking nach New Delhi?
Die Streckenführung der Lhasa-Bahn fand schon bald eine Fortsetzung. Bereits 2010 begann man mit dem Bau der 253 Kilometer langen und umgerechnet 1,8 Milliarden Dollar teuren Verlängerung zur Stadt Xigaze. Auch dieser Abschnitt führt durch schwierigstes Gelände. 155 Kilometer der Linie führen über Brücken und durch Tunnels. Der erste fahrplanmässige Zug rollte schon 2014 von Lhasa nach Xigaze.
Bereits jedoch wird weiter geplant und gebaut. Von Xigaze aus sollen 540 Kilometer Schienen an die Grenze zu Nepal verlegt werden. Kostenpunkt: rund 4 Milliarden Dollar. Auch auf dieser geographisch heiklen Strecke sind die chinesischen Ingenieure und Tunnelbauer gefordert. Vom Grenzort Gyirong verbleiben dann nur noch 84 Kilometer bis in Nepals Hauptstadt Kathmandu. Unabhängig davon plant oder realisiert China weitere Grossprojekte, so eine zweite Bahnlinie vom tibetischen Hochland an die Grenze von Indien und Buthan oder eine 1629 km lange Zugverbindung von Chengdu (Provinz Sichuan) nach Lhasa mit geplanter Inbetriebnahme 2021. Wer weiss, vielleicht ist in nicht allzu ferner Zukunft eine bequeme Zugreise von Peking nach New Delhi möglich.
Fazit: China baut zwar da und dort ein Luftschloss, doch weit mehr noch entstehen in schneller Folge Tunnels, Brücken, Eisenbahnlinien, Flughäfen und Autobahnen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.