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Die Präsidenten Schwedens und der Türkei anlässlich des Treffens in Ankara am 8. November 2022. © YLE

NATO-Beitritt: Schweden liefert politischen Flüchtling aus

Pascal Sigg /  Schweden lieferte Flüchtlinge an die Türkei aus, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Einer von ihnen war mutmasslich PKK-Mitglied.

Schweden lieferte am vergangenen Freitag zwei Flüchtlinge an die Türkei aus. Dies bestätigte die Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard gegenüber dem Sender «Sveriges Television» (SVT). Beim einen Mann soll es sich um ein mutmassliches PKK-Mitglied handeln, das in der Türkei zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war. Er beantragte im Oktober 2015 eine Aufenthaltsbewilligung in Schweden. Diese wurde im März 2020 abgelehnt. Im Februar 2021 wurde auch sein Rekurs abgelehnt. Am 24. November 2022 wurde er im Rahmen einer Verkehrskontrolle verhaftet.

Sein juristischer Vertreter sagte gegenüber der Nachrichtenagentur TT: «Das ist furchtbar. Dies betrifft nicht nur ihn, sondern vor allem die Demokratie und die Menschenrechte.»

Dem türkischen News-Portal «Duvar» sagte der Mann angeblich, der schwedische Geheimdienst habe ihm mitgeteilt, er würde von der Türkei gesucht und gelte deshalb als gefährlich. Er habe entgegnet, er habe bloss an zwei Demonstrationen teilgenommen. «Ich habe mich auf die Seite der Unterdrückten gestellt und den Kampf für Demokratie unterstützt. Wenn dies Terrorismus ist, dann bin ich ein Terrorist.»

Der Mann wurde bei seiner Ankunft in der Türkei verhaftet. Gemäss dem Türkei-Korrespondenten von SVT berichteten türkische Medien breit über die Auslieferung. «Es wird als grosser Erfolg der Regierung bezeichnet, dass man Schweden im Zusammenhang mit dem NATO-Beitrittsgesuch dazu brachte, dies umzusetzen.»

Türkei fordert weiterhin Auslieferung eines Exiljournalisten

Die Türkei droht, den NATO-Beitritt Schwedens unter Umständen zu verhindern. Eine der Bedingungen der Türkei für den schwedischen NATO-Beitritt ist die Auslieferung von Personen, welche sich in Schweden befinden und von der Türkei als Sicherheitsbedrohung eingestuft werden. Im Frühling zirkulierte eine Liste mit 33 Namen, welche von der Türkei als terrorverdächtig eingestuft wurden. Gemäss SVT befand sich der am Freitag ausgelieferte Mann nicht auf dieser Liste. Anfang November besuchte der neue schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson die Türkei. Dabei sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, er sehe die Bedingungen noch nicht erfüllt.

Anlässlich dieses Treffens nannte Erdoğan auch als einzigen den Namen des Exiljournalisten Bülent Keneş, der seit 2016 in Schweden lebt. Dass Schweden Keneş wegen seiner Verbindungen zur Gülen-Bewegung ausliefert, gilt allerdings als höchst unwahrscheinlich. Im Gegensatz zu den letzte Woche ausgelieferten Männern hat er politisches Asyl erlangt.

Vier ähnliche Auslieferungsbegehren wurden im vergangenen Sommer vom höchsten schwedischen Gericht abgelehnt. Dessen Präsident sagte jüngst, man folge bei der Beurteilung von Auslieferungsbegehren dem geltenden Recht und nicht der Politik. Häufig seien die von der Türkei festgestellten Vergehen der betroffenen Personen in Schweden nicht strafbar. Keneş selber schrieb vor wenigen Wochen in der «Zeit», er glaube, Erdoğan benutze ihn, um andere geheime Zugeständnisse Schwedens zu erhalten.

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

11 Meinungen

  • am 6.12.2022 um 15:38 Uhr
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    Das muss nur gemacht werden, bis die Türkei dem Beitritt von Schweden und Finnland zugestimmt und ihn ratifiziert hat. Danach kann man wieder zur ursprünglichen, PKK freundlichen, Politik zurückkehren.

  • am 6.12.2022 um 15:45 Uhr
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    Traurig zu sehen, wie Schweden und Finnland mit dem Nato-Beitritt erstens ihre Sicherheit, die sie seit 1945 als neutrale Staaten hatten, aufs Spiel setzen, zweitens ihre Militärausgaben (Finnland kauft z.B. gerade 64 F-35 Kampfflugzeuge) zu Lasten ihrer Wohlfahrt erhöhen und drittens das Asylrecht – auf Druck der türkischen Regierung, von der sie momentan völlig abhängig sind – mit Füssen treten.

    • am 8.12.2022 um 12:30 Uhr
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      Ja, traurig, dass dies nötig ist. Immerhin hat der ganz grosse Nachbar Russland vor einigen Monaten eines seiner Nachbarländer überfallen, weil dieses Nachbarland doch früher einmal zum russischen Herrschaftsbereich gehörte. Auch Finnland gehörte lange Zeit zum russischen Herrschaftsbereich. Da ist angesichts der langen russisch-finnischen Grenze ein ähnliches Szenario ja nicht unwahrscheinlich. Dass die «Sicherheit, die sie seit 1945 als neutrale Staaten hatten», eine sehr wacklige Sache ist, dürfte angesichts der Ereignisse der vergangenen Monate klar sein. Auch die Ukraine hatte ja seit 1994 die Zusicherung, dass Russland ihre Grenzen respektieren würde.

      • am 11.12.2022 um 20:24 Uhr
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        es zeugt von geschichtlicher Unkenntnis!
        Angesichts der real-erlebten Greuel in Finnland UND in Leningrad-St.Petersburg durch die NS- UND durch die Stalinistischen Mächte, müsste ein differenziertes Geschichts- und Menschenverständnis möglich sein.
        In einem weiteren Kreis könnten dann die Greuel des UK UND der USA vertieft betrachtet werden.
        Es geht nicht um «Revisionismus», aber um ein möglichst objektives Verständnis, wozu einige Archive endlich zugänglich gemacht werden müssen.
        Nicht zur Rechtfertigung irgendwelcher Greuel, sondern zur Klärung, zum Lernen und zum Verhüten von Wiederholungs-Greueln.

  • am 7.12.2022 um 00:09 Uhr
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    Bei mir kommen beim Lesen dieser Geschichte ganz schlimme Erinnerungen an den Fall Assange auf. Es ist für mich immer noch unerklärlich, was sich da schwedische Polizistinnen und der Polizeiapparat geleistet haben. Staatsanwaltschaft, Polizei und Justiz haben zugeschaut oder sogar gesteuert. – Hier wurden Menschenrechte in schlimmster Weise verletzt. Was mittlerweile aus Assange geworden ist, wissen wir.

  • am 7.12.2022 um 11:21 Uhr
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    Kann meinen drei Vor-Kommentatoren vollständig zustimmen.
    So schlimm steht es mit unserer Welt!
    Es wimmelt nur so von Erpressungen und Schweinereien auf den höchsten Ebenen.
    Und wir kleinen Bürgerinnen können nichts dagegen tun!
    Nicht mal unser Wohlverhalten wird geschätzt, geschweige denn belohnt!
    Wie geht man mit dieser Ohnmacht um?

  • am 7.12.2022 um 12:00 Uhr
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    Man hat den Eindruck, dass es vor allem um den beschleunigten Verkauf US-amerikanischer Rüstungsgüter, besonders der fragwürdigen, überkandidelten und teuren F-35 geht wobei sich hier auch die neutrale Schweiz den Schmer abkaufen lässt. Schweden und besonders Finnland hatten bisher auch post-sowjetische Waffensysteme und teilweise technologisch sehr interessante Eigenentwicklungen im Einsatz. Schweden selbst ist mit SAAB Aero ein unmittelbarer Konkurrent von Lockheed Martin. Die militärischen Folgekosten des NATO-Beitritts werden sehr hoch sein und wiederum die Taschen der Rüstungskonzerne füllen. Schweden büßt seine hochgeachtete und langjährige Neutralität ein, ohne dass es hier einen zwingenden militärischen Grund gibt. Erdogan pokert, blufft und poltert. In vielem wird ihm leider nachgegeben. Zu Zeiten des Kalten Krieges wäre eine militärische Expansion der Türkei nach Nordsyrien und -irak unmöglich gewesen. Da hätten die Supermächte ihm schnell die Flügel gestutzt.

    • am 8.12.2022 um 12:03 Uhr
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      Und wieder werden die Kurden zerrieben, wieder von der Türkei und dem Iran. Schon Trump hat sie 2018 im Stich gelassen, nachdem sie erfolgreich den IS besiegt hatten. Sie werden wohl die 800’000 IS-Extremisten in ihrer Gewahrsam, samt Familien, freilassen. Europa soll sich dann nicht beklagen…

  • am 8.12.2022 um 15:44 Uhr
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    Verraten und verkauft, mehr Werte sind vom Westen nicht mehr zu erwarten.
    China kauft sich überall ein und nimmt politischen Einfluss, über Huawei haben sie überall Ohren und wissen wie sie vorgehen müssen. Was wollen wir noch mit westlichen Werten wenn die kein Geld mehr wert sind?
    Weg mit Demokratie und Menschnerechten solange man noch seinen eigenen Geldbeutel füllen kann bevor es zu spät ist. Der Sozialismus kann das später ja wieder richten und bis dahin hab ich viel Vergnügen.
    Nach dem Gesetzt über das Verbot einer Berichterstattung die die Zwischenstaatlichen Beziehungen verschlechtern könnten, wundert mich in Schweden garnichts mehr.
    Aber die EU hat es mit ihrem Maulkorb über Russland ja auch vorgemacht….

  • am 11.12.2022 um 20:34 Uhr
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    Schweden ist insofern ein Schurkenstaat, dass da seit vielen Jahrzehnten ein Bürgerkrieg herrscht.
    Di Causa Olaf Palme und auch die Causa Estonia wurden noch nicht aufgearbeitet, ebensoweinig die ominösen U-Boot-Schauergeschichten vom kalten Krieg, die noch immer nicht aufgeklärt sind. Die Verschwörungstheorien haben deshalb mehr Substanz als die Theorien der Verschwörer.
    Sowjetische U-Boote in Schwedischen Hoheitsgewässern, die scheints oder angeblich Italienische U-Boote gewesen wären.
    Wer Unsinn für wahr hält, der lügt fast so intensiv, wie die
    , die die Narrative erfinden und publizieren.
    WESHALB werden die alten Geschichten nicht geklärt, aber vergessen gemacht?

  • am 12.12.2022 um 07:19 Uhr
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    Schande! Türkische Produkte kaufe ich schon lange nicht mehr, jetzt auch keine schwedischen.

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