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Wahlsiegerin Aung San Suu Kyi umringt von Anhängern © Htoo Tay Zar/Wikimedia Commons/cc

Myanmar: «Die Lady» will über den Generälen stehen

Peter G. Achten /  Triumphaler Wahlsieg der Oppositionspartei von Aung San Suu Kyi in Myanmar. Doch die härteste Arbeit steht erst noch bevor.

Bereits während des neunwöchigen Wahlkampfs zeichnete es sich ab. Je näher der Wahltag rückte, umso deutlicher wurde, dass die von Friedens-Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi angeführte Nationale Liga für Demokratie (NLD) die von den Streitkräften unterstützte Regierungspartei Union der Solidarität und Entwicklung (USDP) besiegen wird. Die Wahlbeteiligung war mit rund 80 Prozent hoch, der NLD-Sieg klar. Mit über 250 Sitzen verfügt die NLD im 440 Sitze zählenden Unterhaus über eine Mehrheit. Das ist umso bemerkenswerter, da dem Militär ungeachtet des Wahlresultats per Verfassung 25 Prozent oder 110 Sitze zustehen. Die Wahlen verliefen nach dem Urteil von Beobachtern der EU weitgehend ohne grössere Probleme, also frei und fair.
Hartes Ringen um Demokratie
Es ist der dritte Anlauf zur Demokratie seit die ehemalige britische Kronkolonie 1948 unabhängig wurde. Bis zum Militärputsch von General Ne Win 1962 – einem Kampfgefährten des 1947 ermordeten Vaters von Suu Kyi, General Aung San – regierten verschiedene Parteien, denen es im dauernden politischen Hick-Hack nicht gelang, das ökonomisch vielversprechende Burma zu entwickeln. Die einstige Reiskammer Ostasiens versank in Armut und Hunger.
Der von den Generälen verordnete «buddhistische Sozialismus» half nicht weiter. 1988 rebellierten die Studenten. Aung San Suu Kyi – aus dem Ausland zurückgekehrt, um ihrer alten Mutter beizustehen – hielt ihre ersten flammenden Reden vor Studenten in der Shwedagon-Pagode. Die Rebellion wurde von den Militärs blutig unterdrückt, 3000 Menschen kamen ums Leben. Suu Kyi verbrachte die folgenden 17 Jahre entweder im Gefängnis oder unter Hausarrest.
Wohl in der Annahme, sie könnten das Wahlergebnis steuern, setzten die Militärs 1990 überraschend allgemeine Wahlen an. Die NLD errang einen Erdrutschsieg. Die Uniformierten dachten nicht daran, das Wahlergebnis zu validieren. Erst 2010 liess General Nummer 1, Diktator Than Shwe, wieder wählen nach der von den Militärs konzipierten politischen Strategie einer «disziplinierten Demokratie». Die Militärpartei USDP gewann. Die NLD boykottierte auf Geheiss von Aung San Suu Kyi die Wahlen. Einige jüngere NLD-Mitglieder gründeten eine eigene Partei und konnten überraschend einige Sitze erobern.
2011 dann eine neue Überraschung. General Thein Sein, ein enger Vertrauter von Diktator Than Shwe, wurde Präsident. Er tauschte seine Uniform gegen zivile Massanzüge und präsidiert seither eine Regierung, die das Land zügig reformiert hat. Es gab neue Investitionsgesetze, Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit. Politische Gefangene wurden freigelassen, Suu Kyis Hausarrest aufgehoben, die NLD legalisiert und – dies vor allem – Thein Sein suchte das Gespräch mit der Opposition und dem ehemaligen politischen Häftling Nummer 1.
Die Macht der Generäle
Ist somit in Burma-Myanmar der dritte Anlauf zur Demokratie seit 1948 gelungen? Noch ist es zu früh, diese Frage positiv zu beantworten. Das Militär verfügt nach wie vor über immense Macht. Es sind nicht nur die 25 Prozent der Sitze im Unterhaus, die eine Verfassungsänderung verhindern, denn dafür bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit. Der Armeechef kann – unter welchem Präsidenten auch immer – die wichtigsten Ressorts bestimmen, also den Innen- und den Verteidigungsminister sowie den Minister für Grenzsicherheit. Unter gewissen Umständen können die Streitkräfte kurzerhand sogar die Regierung absetzen. Ein Federstrich genügt. Ausserdem sind die Uniformierten sehr stark verstrickt mit der legalen und illegalen Wirtschaft. Kampflos werden die burmesischen Soldaten ihre Privilegien nicht aufgeben, die sie während der 50-jährigen Diktatur errungen haben.
Die siegreiche NLD muss sich wohl in den Niederungen der real existierenden Politik neu erfinden. «Die Lady» Aung San Suu Kyi wird respektiert und im ganzen Land geliebt. Aber innerhalb der Partei gilt sie als autoritär und als kritikresistent. So sind bei den Wahlen Repräsentanten der 88er-Rebellion übergangen worden. Auch hat die NLD keinen einzigen Muslim als Kandidaten portiert.
Gewalt gegen muslimische Minderheit
Der Umgang mit der muslimischen Minderheit ist im buddhistischen Myanmar ein heikles Thema. So durften die muslimischen Rohingyas an den Wahlen nicht teilnehmen, weil sie keine burmesischen Staatsbürger sind. Sie gelten als «bengalische Migranten», obwohl sie seit Generationen, zum Teil seit Jahrhunderten in Burma leben. Rohingyas können kein Land erwerben und dürfen maximal zwei Kinder haben.
Bei Progromen vor drei Jahren in Sittwe und andern Orten kamen Hunderte von Menschen ums Leben, Moscheen, Häuser wurden vom buddhistischen Mob abgefackelt, Tausend wurden verletzt. Die Sicherheitskräfte sahen zu und schritten nicht ein. Zehntausende Rohingyas wurden vertrieben oder in Lager gepfercht.
Seit in Burma wieder Meinungs- und Pressefreiheit gilt, wird im Internet und auf Flugblättern in übelster Weise gegen Muslime gehetzt, angeführt vom mittlerweile landesweit bekannten Mönch Wirathu. Friedens-Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aber schweigt. Nur einmal hat sie sich zu Wort gemeldet. Auf beiden Seiten sei es zu Gewalt gekommen, meinte sie ausweichend. Damit hat sie die Rohingyas gleich nochmals ausgegrenzt und gedemütigt, denn die Gewalt ging eindeutig vom aufgehetzten Mob aus.
Die Demokratie-Ikone Suu Kyi ist in der politischen Realität angekommen. Ein Wort zu viel über die Rohingyas, und sie wäre in den Augen vieler Wähler diskreditiert gewesen. Allerdings wird Suu Kyi die moralische Autorität und Deutungshoheit nur dann wiedergewinnen, wenn sie Ungerechtigkeiten, wo und wie immer sie auftreten, klar und deutlich verurteilt. Der Südafrikaner Nelson Mandela könnte ein gutes Vorbild sein.
«Ich bin über dem Präsidenten»
In den nächsten Wochen und Monaten muss Suu Kyi jedoch erst einmal mit den Militärs zu Ranke kommen, gerade weil der NLD-Wahlsieg so deutlich ausgefallen ist. Die entscheidende Frage ist, wer künftig Präsident sein wird. Die NLD-Chefin sagte gegenüber dem britischen Fernsehen selbstbewusst: «Als Führerin der siegreichen Partei werde ich alle Entscheidungen treffen.» Gegenüber Channel News Asia ging sie noch einen Schritt weiter: «Ich bin über dem Präsidenten.»
Aung San Suu Kyi kann laut Verfassung nicht Präsidentin werden, da ihre beiden Söhne britische Staatsbürger sind. Dieser Verfassungsgrundsatz wurde übrigens nicht, wie oft verbreitet, spezifisch auf Suu Kyi formuliert. Vielmehr fand er sich bereits in jener Verfassung, die noch von ihrem Vater General Aung San mitverfasst worden ist.
Möglich ist, dass Suu Kyi als Vorsitzende des Unterhauses die politischen Fäden ziehen wird. Ein reiner Marionetten-Präsident von Suu Kyis Gnaden ist weniger wahrscheinlich, weil es den Widerstand der Militärs provozieren könnte; überdies wäre es kaum verfassungskonform. Burmesische Beobachter glauben noch an ein anderes mögliches Szenario: Reform-Präsident Thein Sein, der sich mit Aung San Suu Kyi gut versteht, tritt nochmals als Präsident an mit dem unausgesprochenen Versprechen an die NLD, schnell verfassungsmässige Reformen einzuleiten. So wäre auch ein langsamer, ordnungsgemässer und friedlicher Rückzug des Militärs möglich.
Die nahe Zukunft wird zeigen, wie auf der politischen Bühne und hinter den Kulissen das Schicksal Myanmars bestimmt wird. Die Erwartungen in die Nationale Liga für Demokratie, in Aung San Suu Kyi, aber auch in die Streitkräfte sind riesengross. Die Menschen in diesem bitterarmen Land hätten einen demokratischen Neuanfang verdient. Im Februar wird das Parlament in einem komplizierten Prozedere den neuen Präsidenten wählen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

Zum Infosperber-Dossier:

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Myanmar (Burma)

In raschem Tempo gibt das rohstoffreiche Land der Opposition Spielraum und öffnet sich ausländischen Investoren.

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