Monarchien mobilisieren Massen
Olympische Spiele und Fussball-Weltmeisterschaften sehen im Vergleich zur britischen Monarchie alt aus: Geschätzte drei Milliarden Menschen führen sich das Hochzeitsspektakel im Hause Windsor vom 29. April am Fernsehen oder im Internet zu Gemüte. Aber es sind nicht nur Prinz William und Kate Middleton, die die Herzen der Menschen höher schlagen lassen. Jeder Staatsbesuch in Bern zeigt es aufs Neue: Ist ein gekröntes Haupt bei der Schweizer Regierung zu Gast, strömen sehr viel mehr Leute auf den Bundesplatz als bei einem demokratisch gewählten Staatschef.
Prunk ist nicht alles
Monarchien mobilisieren Massen. Auf glamouröse Inszenierungen verstehen sich die britischen Royals ganz besonders. Rührgeschichten wie so genannte Traumhochzeiten, zwischendurch gewürzt mit Familien-Interna und mit kleineren oder grösseren Skandalen, halten Medien und Publikum auf Trab. Doch Prunk, Pop und Promi-Faktor sind nicht der alleinige Grund für die internationale Ausstrahlung der britischen Monarchie, die in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu ihrer politischen Bedeutung steht. Tiefere Gründe liegen in der gelungenen Koexistenz von jahrhundertealten demokratischen mit monarchischen Herrschaftsformen. Grossbritannien ist eine der ältesten Demokratien und gleichzeitig die wohl traditionsreichste Monarchie der Welt. Sie hat alle Revolutionen überlebt, sich geschickt den wechselnden Verhältnissen angepasst und die offene Auseinandersetzung mit den anderen staatlichen Gewalten möglichst gemieden.
Der gefühlte Staat
Die als vormodern geltende Staatsform ist weltweit immer noch sehr präsent. Rund ein Viertel aller Staaten haben einen Monarchen oder eine Monarchin mit sehr unterschiedlichen Kompetenzen an der Spitze. Der Glamour-Faktor allein kann es also nicht sein, dass diese Staatsform immer noch grosse Attraktivität besitzt – vor allem dort, wo ihre tatsächliche politische Macht gegen null tendiert. «Hier geht es nicht um Argumente, sondern um Emotion, nicht um den realen Staat, sondern um den gefühlten», wie das deutsche Nachrichtenmagazin «Spiegel» schreibt und den prominenten britischen Labour-Abgeordneten und Historiker Tristram Hunt zitiert: «Monarchie und Britishness gehen Hand in Hand, jetzt sogar noch mehr als vor wenigen Jahren.»
Vor Kritik nicht gefeit
Trotz der weitgehenden Akzeptanz: Ganz alles verzeiht man auch dem Hochadel nicht. Als die um Würde und Zurückhaltung bemühte Queen der an Hysterie grenzenden öffentlichen Trauer nach dem Unfalltod von Prinzessin Diana nicht in gleichem Masse verfiel wie ihre Untertanen, brachte sie die Monarchie in ernsthafte Gefahr. Und dem schwedischen König Carl XVI. Gustaf bekamen die angeblichen «Herrenabende» in Stripbars und eine angebliche aussereheliche Beziehung zu einer Popsängerin nicht gut: Die Zustimmung zur Monarchie fiel Ende letzten Jahres trotz der «Traumhochzeit» von Kronprinzessin Victoria mit dem Bürgerlichen Daniel Westling von 74 auf 70 Prozent; noch 2005 lag dieser Wert bei 80 Prozent.
Entpolitisiert, entrückt, mythisch
Das sind allerdings immer noch Zustimmungsraten, von denen jeder demokratisch gewählte Politiker weit entfernt ist. Das Erfolgsgeheimnis der in die parlamentarische Demokratie eingebetteten Monarchie liegt eben gerade in ihrer entpolitisierten Funktion. Als weitgehend positiv gewertet wird der Umstand, dass das höchste Staatsamt dem «Parteienstreit» – der allerdings essentiell zur Demokratie gehört – enthoben ist. Ein König ist weder für Erfolg noch Misserfolg im politischen Tagesgeschäft verantwortlich. Gerade in unsicheren Zeiten, wo sich die Politik immer grösseren Herausforderungen gegenübersieht, kann der Monarchie eine identitätsstiftende Funktion zukommen. Die Krone steht für Tradition und Kontinuität, in gewissen Fällen gar für eine mythisch-religiöse Verankerung des Staates. Das kann sogar in einem Staat funktionieren, der keine Monarchie mehr ist, wie das Beispiel Ungarn zeigt. In der neuen, Mitte April verabschiedeten Verfassung nimmt die Präambel Bezug auf König Stefan den Heiligen, der vor rund tausend Jahren gekrönt worden war. Gemäss Präambel verkörpert die Krone, die bereits vor einigen Jahren ins Parlament übergeführt worden ist, die verfassungsmässige staatliche Kontinuität. Damit ist ein äusseres Symbol der einstigen Monarchie zur Staatsreliquie avanciert.
Monarchen machen Politik
Dass Monarchien aber auch im demokratischen Europa in speziellen Situationen eine historische Rolle ausüben können, zeigt das Beispiel Spaniens: Beim Staatsstreichversuch 1981 stellte sich der noch von General Franco eingesetzte König Juan Carlos unmissverständlich hinter die demokratische Verfassung und erstickte den Putsch im Keim. Eine einmalige Rolle spielte der letzte bulgarische König Simeon II.: Er wurde 1946 abgesetzt, kehrte 1996 unter dem bürgerlichen Namen Sakskoburggotski – gebildet aus dem Namen des Hauses Sachsen-Coburg-Gotha, dem auch die britische Königin Elisabeth II. angehört – wieder nach Bulgarien zurück und wurde 2001 zum Ministerpräsidenten gewählt. Das Comeback dauerte allerdings nur bis 2005. Demokratisch gewählte Ex-Monarchen mögen zwar einen Start-Bonus haben, aber keine Wiederwahlgarantie. Sakskoburggotski ist jedoch der einzige abgesetzte Monarch der Geschichte, der demokratisch gewählt an die Macht zurückkehrte.
Gute Noten
Monarchie und Demokratie haben sich, zumindest in Europa, auf eine friedliche Koexistenz verständigt. Selbst unverdächtige Zeitgenossen stellen den Monarchien gute Noten aus. Der damalige französische Kulturminister Jack Lang, ein Sozialist, stellte 1993 fest, «dass die konstitutionellen Monarchien die demokratischsten Länder Europas sind.» Auch der grosse marxistische Historiker Eric Hobsbawm ist der Ansicht, die Monarchie ohne Regierungsgewalt biete liberalen Demokratien einen «verlässlichen Rahmen». Und der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk erklärte der Illustrierten «Stern» im Januar 2010 zur Bedeutung der Monarchie: «Ich würde sagen, das ist die Staatsform, die den modernen Europäern aufs Ganze gesehen am besten getan hat – im Sinne der konstitutionellen Monarchie.»
Keine restaurative Grundwelle
Trotz der Stabilität der traditionellen europäischen Monarchien gibt es keine ernstzunehmende Grundwelle zur Restauration untergegangener König- und Kaiserreiche. In Deutschland und Österreich existieren zwar konservative Vereinigungen, die für die Monarchie einstehen. Aber ihr Wirkungsradius ist beschränkt, ihre Mitgliederzahlen bemessen sich eher in Hunderten denn in Tausenden. Die deutsche Vereinigung «Tradition und Leben» etwa sieht die Monarchie als «einigendes Band um die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen». Durch ihre internationalen verwandtschaftlichen Verflechtungen sei die Monarchie «zudem ein Garant für das Zusammenwachsen Europas.» Das ist allerdings ein schlechtes Argument und historisch falsifiziert: Verwandt ist Europas Hochadel schon seit Jahrhunderten; aber Kriege verhindert hat das trotzdem nicht.
Grosses hat auch die «Schwarz-Gelbe Allianz» (SGA) in Österreich vor: Wie die Farben im Namen bereits signalisieren, geht es der SGA um die Restauration der einst mächtigsten Dynastie der Welt, der Habsburger. Und da diese den Kaisertitel trugen, schwebt der SGA nichts Geringeres als ein Staatenbund zwischen Österreich, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Kroatien und Slowenien vor, ein bedeutender Teil der früheren k.u.k. Monarchie also. Monarchisten scheinen in der Tat ein Flair für die Produktion von Traumwelten zu haben – seien es Hochzeiten oder zukünftige Reiche.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine