Modi hat an Wähleranteilen gewonnen – nur weniger Sitze
Bei den Wählerinnen und Wählern hat Premierminister Narenda Modi keine Einbussen erlebt, sondern sogar leicht zugelegt. Von einer «herben Schlappe» zu reden, wie es die ARD-Tagesschau tat, oder von «Wahlschlappe», wie die Schweizerische Depeschenagentur titelte, ist deshalb nur die halbe Wahrheit. Sie trifft nur für die ergatterten Parlamentssitze zu.
Indien kennt das Mehrheitswahlrecht. Wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, ist gewählt. Je mehr und zersplitterter die KandidatInnen sind, desto weniger Prozent der Stimmen reichen zum Sieg. Es könnten 20 Prozent der Wahlstimmen für einen Sieg genügen.
Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren genügten der BJP landesweit 37,4 Prozent der Stimmen, um im Unterhaus (Lok Sabha) mit 303 der 543 Sitze die absolute Mehrheit klar zu gewinnen. Doch dieses Mal reichten 38 Prozent der Stimmen nur für 240 der 543 Sitze.
Aufatmen bei den Minderheiten
Insbesondere die Minderheit der 200 Millionen Muslime oder 15 Prozent der 1,4 Milliarden Einwohner bangten um ihre Zukunft. Mit 400 Sitzen oder einer Zweidrittels-Mehrheit hätte Modi Indiens Verfassung ändern können. Allerdings wäre dafür auch die Zustimmung des Oberhauses nötig.
Der Slogan von Modis Partei Bharatiya Janata Party BJP lautete «Hindu (Religion) – Hindi (Sprache) – Hindustan (Territorium)». Alle drei sollen den Staat bilden. Ein verstärkter Trend in Richtung autoritärer Staat, Diskriminierung von Minderheiten und Einschränkungen der Meinungsfreiheit wäre vorgezeichnet gewesen.
Weil Modi die lautstark geforderten 400 Sitze oder die Zweidrittelsmehrheit im Unterhaus nicht erreichte, kommt dies für ihn trotz des gehaltenen Wähleranteils einer Niederlage gleich.
Demokratie mit grossen Defiziten
Andreas Babst, Indien-Korrespondent der NZZ, beschrieb Modis Herrschaft am 5. Juni wie folgt:
«Die BJP hat in den vergangenen zehn Jahren ein System geschaffen, das ihre Macht zementieren soll. Kritischer Journalismus ist in Indien seit Jahren unter Druck, Die populären TV-Sender sind alle auf Regierungslinie […] Oppositionspolitiker wurden vor den Wahlen festgenommen, die Konten der oppositionellen Kongress-Partei eingefroren.»
Der frühere NZZ-Korrespondent und Buchautor Bernard Imhasly, der seit über dreissig Jahren in Indien lebt, hatte dies noch präzisiert:
«Die Regierung Modi hat Journalistinnen und Journalisten dem Gesetz gegen Terrorismus (Unlawful Activities Prevention Act) unterstellt. Seither können Medienleute ohne Richter in Polizeihaft genommen und ruhiggestellt werden, bis ein Gericht in einigen Jahren über die Rechtmässigkeit entscheidet. Eine Freilassung auf Kaution ist die Ausnahme.
Die Regierung Modi hat praktisch alle staatlichen Fernseh- und Radiosender mit Gewährsleuten der Hindutva–Bewegung besetzt.
Alle privaten, meist regionalen TV-Kanäle wurden von Oligarchen gekauft, deren Unternehmen von Aufträgen der Regierung abhängig sind und Modi unterstützen.
Einen eingeschränkten Freiraum gibt es noch auf Youtube. Obwohl bereits einige Konten gelöscht wurden, findet man dort Informationen, die ein anderes Bild der Realität wiedergeben. Allerdings sind diese Informationen meist auf Englisch. Wenige wie Ravish Kumar, Dhruv Rathee und Akash Banerjee sprechen auf Hindi und erreichen Millionen von Menschen.
Die Leitung von vielen akademischen Institutionen, Universitäten, Filminstitute oder Museen wurden in den letzten zehn Jahren mit regierungsnahen beziehungsweise Hindutva-freundlichen Menschen besetzt. Universitäten, welche von den Bundesstaaten geführt werden, sind weniger betroffen als die von der Zentralregierung geführten.
In der Hauptstadt Delhi wurden muslimische Strassennamen ersetzt und im Nationalmuseum muslimische Objekte entfernt.»
Wer die Majorzwahlen in den verschiedenen Bezirken gewann
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.