Millionen Palästinenser überleben dank Uno-Hilfswerk UNRWA
Red. In einem ersten Teil legte Andreas Zumach dar, wie Donald Trump als Präsident eine Zwei-Staaten-Lösung endgültig torpedierte. In einem zweiten Teil ging es vom Teilungsplan der Uno im Jahr 2047 über die Osloer Verhandlungen bis zum Gipfeltreffen zwischen Israel und der PLO bei Präsident Bill Clinton in Camp David. Ein dritter Teil dokumentierte das Falschspiel der USA und Israels mit den Palästinensern. Dieser letzte Teil befasst sich mit der UNRWA, Israels Boykott der UN-Menschenrechtsbeauftragten und mit der «Genfer Initiative» für einen Frieden.
Es ist ein Auszug aus dem im Jahr 2021 veröffentlichten Buch «Reform oder Blockade – welche Zukunft hat die UNO?». Zumach war über dreissig Jahre lang Korrespondent bei der Uno in Genf.
UNRWA-Mitarbeiter an Terroranschlägen beteiligt
(upg) 9 von insgesamt 30’000 Mitarbeitenden des Hilfsprogrammsder Uno (UNRWA), davon 13’000 im Gazastreifen, hatten sich an den Terroranschlägen vom 7. Oktober 2023 beteiligt. Das ergab eine Untersuchung der Uno. Die 9 Mitarbeitenden wurden sofort entlassen.
Die Wiederaufbaumassnahmen im Gazastreifen werden im Wesentlichen von humanitären Organisationen der Uno koordiniert und durchgeführt sowie durch das im Gazastreifen sehr aktive Uno-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, UNRWA)
Die UNRWA ist ein temporäres Hilfsprogramm der Uno, das seit seiner Gründung 1949 regelmässig um drei Jahre verlängert wurde. Zuletzt bis zum Juni 2023. Der Hauptsitz der UNRWA war zunächst Beirut. Infolge der Unruhen im Libanon wurde er 1978 zunächst nach Wien und 1996 weiter nach Gaza (Stadt) verlegt. Ein weiterer Hauptsitz existiert in der jordanischen Hauptstadt Amman.
Zur Betreuung palästinensischer Flüchtlinge infolge des ersten Palästinakriegs richtete die Uno am 19. September 1948 zunächst den Sonderfonds UNRPR (United Nations Relief for Palestine Refugees) ein. Das Ziel des Fonds bestand darin, Hilfsmassnahmen zu koordinieren. Da dies jedoch nicht ausreichte, wurde die UNRWA gegründet. Sie nahm ihre Arbeit am 1. Mai 1950 auf und leistet seitdem Unterstützung bei der Befriedigung der Grundbedürfnisse von mittlerweile rund 5,6 Millionen Menschen. Diese Zahl setzt sich zusammen aus den 914’000 Flüchtlingen, die 1950 registriert wurden, sowie deren Nachkommen.
Die UNRWA unterhält Flüchtlingslager und andere Einrichtungen in Jordanien, Syrien, Libanon, dem Gazastreifen und dem Westjordanland. Das reguläre Budget belief sich im Jahr 2020 auf insgesamt etwa 806 Millionen US-Dollar. Dazu wurden weitere 594 Millionen US-Dollar für Projekte benötigt. Das Gros der Finanzierung wurde bis 2018 durch freiwillige Zahlungen der Mitgliedstaaten der Uno sichergestellt.
Hauptgeldgeber USA stürzte die UNRWA in eine Krise
Grösster nationaler Geldgeber mit zuletzt knapp 300 Millionen US Dollar jährlich waren bis 2018 die USA. Doch Anfang 2018 kürzte die Trump-Administration die US-Zahlungen an die UNWRA zunächst und stellte sie im September 2018 ganz ein mit der Begründung, die UNWRA sei «korrupt und ineffizient». Daraufhin erhöhten zwar einige Staaten ihre Beiträge, doch der Ausfall der US-Zahlungen konnte nicht vollständig kompensiert werden.
In den Jahren 2019 und 2020 lag die finanzielle Ausstattung der UNWRA jeweils unter dem Budget des Jahres 2018 . Zugleich waren in diesen Jahren die Anforderungen an die UNWRA gestiegen, vor allem wegen der eskalierenden humanitären Krise im Gazastreifen. Ende 2020 befand sich die UNWRA in der schwersten Finanzkrise ihrer über 70jährigen Geschichte und stand nach Aussagen ihres Generalsekretärs Philippe Lazzarini «kurz vor der Zahlungsunfähigkeit».
Das Hilfswerk wurde als eine Organisation auf Zeit gegründet, die den Flüchtlingen und Vertriebenen bis zu einer politischen Regelung der Palästinafrage durch die Schaffung eines palästinensischen Staates beistehen sollte. Nach dem Nahostkrieg von 1967 übernahm die UNRWA auch die Versorgung vieler Palästinenser in den von Israel besetzten und abgeriegelten Gebieten, bei denen es sich nicht um Flüchtlinge und Vertriebene aus den Jahren 1948/49 oder um ihre Nachkommen handelte.
Die Tätigkeit der UNRWA bestand zunächst in der Bereitstellung von Nothilfe, also Lebensmitteln, Unterkünften, Kleidung und der medizinischen Grundversorgung. Heute geht mehr als 50 Prozent des UNRWA-Jahreshaushaltes in die Erziehung, 20 Prozent ins Gesundheitswesen und 10 Prozent in die Sozialhilfe; mit dem Rest werden die administrativen Kosten bestritten.
An den Amtssitzen der Organisation in Amman und Gaza sind etwa 500 Personen beschäftigt. Der Grossteil der 28’800 Bediensteten sind Palästinenser, nur 153 Dienstposten sind international besetzt.
Die Tätigkeitsfelder der UNRWA im Einzelnen
Erziehung/Ausbildung
Etwa 485’000 Schülerinnen und Schüler besuchen die 666 Grund- und Hauptschulen des Hilfswerks, deren Lehrplan dem der staatlichen Schulen angeglichen wurde. Wegen der grossen Nachfrage nach Schulunterreicht sind in einem UNRWA-Schulgebäude oft zwei Schulen untergebracht. Der Unterricht findet dann in zwei Schichten statt.
Nach der Hauptschule können palästinensische Kinder die Oberstufe einer öffentlichen Mittelschule besuchen und sich um ein UNRWA-Stipendium für eine Hochschule bewerben. Oder sie können versuchen, einen der etwa 5600 Studienplätze in einer der acht Berufsschulen bzw. Lehrerbildungsanstalten des Hilfswerks zu bekommen. Viele Absolventen dieser Schulen fanden Stellen in den Golfstaaten und in anderen arabischen Ländern.
Gesundheit
Die UNRWA betreibt 127 Gesundheitszentren mit 96 Zahnambulatorien, 90 Ausgabestellen für Zusatznahrung, 71 Milchausgabestellen, sechs Entbindungsheime, ein kleines Krankenhaus im Westjordanland und eine Tuberkulosestation in Gaza, diese in Zusammenarbeit mit dem staatlichen Gesundheitswesen. Flüchtlingen oder Vertriebenen, die der stationären Behandlung bedürfen, stehen Betten in 42 öffentlichen und privaten Krankenhäusern zur Verfügung, die von der UNRWA subventioniert werden.
Fürsorge und Sozialdienste
Die UNRWA betreut fast 300’000 Fürsorgeempfänger («special hardship cases») in der Flüchtlings- und Vertriebenengemeinde. Im Gazastreifen versorgte die UNRWA im Jahr 2009 etwa 750’000 Menschen mit Nahrungsmitteln. Die Zahl erhöhte sich infolge der weit gehenden Abriegelung und Wirtschaftsblockade des Streifens durch israelische Sicherheitskräfte stetig weiter. Im November 2012 wurden rund 800’000, im Sommer 2014 etwa 830’000 Menschen im Gazastreifen von der UNRWA mit Lebensmitteln versorgt. Nach dem Gazakrieg vom Sommer 2014 stieg die Zahl der Versorgungsbedürftigen auf über eine Million Menschen.
Kleinkredite
Seit 1991 vergibt UNRWA Kleinkredite an Einzelunternehmer und Kleinbetriebe.
UNRWA im politischen Kreuzfeuer
Die Angriffe der israelischen Luftwaffe auf zivile Ziele im Gazastreifen sowie die Abriegelung des Territoriums und die häufige Blockade der Lieferung von Lebensmitteln und anderen überlebenswichtigen Gütern durch israelische Sicherheitskräfte sind ein schwerer Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht.
Laut Völkerrecht ist Israel als Besatzungsmacht verantwortlich für das Überleben der Menschen in den besetzten Gebieten und für die Sicherung ihrer Grundbedürfnisse. Mit der Abriegelung des Gazastreifens und der Wirtschaftsblockade verstösst Israel gegen diese völkerrechtliche Verpflichtung. Die israelische Regierung versucht, diese Massnahmen, die unterschiedslos alle Einwohner des Gazastreifens treffen, als Strafaktionen für Raketenangriffe der Hamas zu rechtfertigen. Derartige «kollektive Strafmassnahmen» sind durch die 4. Genfer Konvention ausdrücklich verboten.
Diese Verstösse Israels gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen als Besatzungsmacht und ihre negativen Auswirkungen für die Menschen wurden von den Mitarbeitern der UNRWA immer wieder dokumentiert. Und die israelische Regierung wurde von der UNRWA immer wieder aufgefordert, ihre Verpflichtungen als Besatzungsmacht zu erfüllen.
Doch statt dieser Aufforderung nachzukommen, warf die israelische Regierung im Gegenzug der UNRWA oder einzelnen ihrer Mitarbeiter Sympathien für die Hamas vor, ohne jemals Beweise für diese Vorwürfe vorzulegen. Während der Präsidentschaft von George Bush in den Jahren 2001 bis 2008 machten sich auch die USA derartige Vorwürfe zu eigen. 2004 führten Israel und die USA eine regelrechte Kampagne gegen den damaligen UNRWA-Direktor Peter Hansen.
Hansen, ein Däne, der seit 1996 an der Spitze der UNRWA stand, hatte mehrfach das Vorgehen der israelischen Streitkräfte im damals noch von rund 7000 Soldaten besetzen Gazastreifen kritisiert. Der UNRWA-Chef monierte die willkürliche Zerstörung von Wohnhäusern angeblicher Hamas-Sympathisanten und den Beschuss ziviler Ziele durch die israelischen Soldaten. Und er kritisierte, dass die Abriegelung des Gazastreifens zu Hunger unter den dort lebenden Flüchtlingen führe.
Israel muss Fake-Vorwürfe zurücknehmen
Die israelische Regierung sowie auch Abgeordnete im US-Kongress forderten den Rücktritt des UNRWA-Direktors. Im Oktober 2004 veröffentlichte die israelische Regierung ein Video der Armee, auf dem angeblich zu sehen war, wie Hamas-Mitglieder eine Rakete in einem Krankenwagen der UNRWA transportierten. Doch das Video erwies sich als Fälschung, und die israelische Armee musste ihre falschen Vorwürfe gegen die UNRWA zurücknehmen.
Hansen warf der israelischen Regierung daraufhin vor, sie habe «falsche, absichtsvoll aufhetzerische und bösartige Propaganda verbreitet». 2004 stand die Verlängerung von Hansens Amtszeit um weitere vier Jahre durch Uno-Generalsekretär Kofi Annan an. Der beratende Ausschuss der UNRWA, dem Vertreter aus 27 Staaten angehören, stimmte fast geschlossen für eine Verlängerung. Nur die USA, grösster Geldgeber der UNRWA unter den 193 Uno-Staaten, votierte dagegen und lobbyierte zudem bei Annan massiv für die Ablösung Hansens. Annan gab dem Druck aus Washington nach. Im März 2005 musste Hansen den Posten des UNRWA-Direktors aufgeben.
Israel verweigert systematisch Kooperation mit UN-Menschenrechtsbeauftragten
Nach dem Gazakrieg vom Sommer 2014 beauftragte der Uno-Menschenrechtsrat in Genf eine dreiköpfige Kommission unter Vorsitz des kanadischen Professors für internationales Recht, William Schabas, mit der Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen beider Seiten. Doch mit der Begründung, Schabas sei «nicht unparteiisch», verweigert die israelische Regierung jegliche Kooperation mit der Untersuchungskommission. Dazu wäre sie aufgrund ihrer Ratifizierung der einschlägigen Uno-Menschenrechtsabkommen jedoch völkerrechtlich verpflichtet.
Der dreiköpfigen Untersuchungskommission der Uno wird die Einreise in den Gazastreifen wie auch nach Israel verweigert. Daher können weder Zeugen und überlebende Opfer des Krieges im Gazastreifen von der Untersuchungskommission befragt werden noch am Gazakrieg beteiligte Soldaten der israelischen Luftwaffe oder ihre militärischen Vorgesetzten und die politisch Verantwortlichen im Verteidigungsministerium in Tel Aviv.
Bereits nach dem Gazakrieg 2008/09 hatte die israelische Regierung jegliche Kooperation mit der damaligen vierköpfigen Untersuchungskommission des Uno-Menschenrechtsrats unter Leitung des ehemaligen südafrikanischen Verfassungsrichters und Chefanklägers der Uno-Kriegsverbrechertribunale zu Jugoslawien und Ruanda, Richard Goldstone, verweigert.
Goldstone, ein praktizierender Jude und nach eigenen Worten «bekennender Zionist» und «langjähriger enger Freund Israels», legte dem Uno-Menschenrechtsrat im September 2009 trotzdem einen umfangreichen, fast 600 Seiten starken Untersuchungsbericht vor. Dieser Bericht liefert schwerwiegende Indizien für Kriegsverbrechen und mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowohl der israelischen Streitkräfte wie der Hamas.
Zugleich belegt der Bericht, dass Zahl und Umfang der von israelischen Soldaten verübten Verbrechen und der durch sie verursachten Opfer und Zerstörungen deutlich höher waren als jene, für die die Hamas verantwortlich war. Sollten tatsächlich nicht sämtliche Raketenabschüsse der Hamas und ihre Folgen dokumentiert sein, schrieb Goldstone in dem Bericht, liege das allein daran, dass die israelische Regierung im Gegensatz zur Hamas jegliche Kooperation mit der Goldstone-Kommission verweigerte und keine Untersuchungen in von Hamas-Raketen getroffenen Dörfern und Städten im israelischen Kernland zuliess.
Der Bericht basierte auf Aussagen von Zeugen und überlebenden Opfern, die Goldstone wegen der Einreiseverweigerung in den Gazastreifen nur per Videokonferenz oder in Jordanien und anderen Nachbarstaaten befragen konnte.
Die israelische Regierung setzte alles daran, die Verabschiedung des Goldstone-Berichtes durch den Uno-Menschenrechtsrat und seine Weiterleitung an den Sicherheitsrat in New York zu verhindern. Zu diesem Zweck setzte die israelische Regierung auch den Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, massiv unter Druck. Die Regierung drohte, sie werde rund 300 Millionen Dollar Steuern und Warenzölle, die den Palästinensern im Westjordanland zustehen, nicht ausbezahlen, sollte die Resolution im Menschenrechtsrat verabschiedet werden.
Daraufhin ersuchte Abbas die Gruppe der 27 arabischen und muslimischen Mitgliedstaaten des Uno-Menschenrechtsrats unter Führung Pakistans, auf eine Resolution zur Annahme und Weiterleitung des Goldstone-Berichts zu verzichten. Dieselbe Forderung erhob die Obama-Administration in Washington in Demarchen an die Regierungen der europäischen Mitgliedstaaten des Uno-Menschenrechtsrats.
Mit der Begründung, eine Verabschiedung des Goldstone-Berichtes durch den Uno-Menschenrechtsrat würde «den laufenden Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern gefährden». Zuvor hatte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu gewarnt, die Weiterleitung des Berichtes vom Menschenrechtsrat an den Sicherheitsrat würde «jede Chance auf Friedensgespräche vernichten».
Der Menschenrechtsrat verschob die Abstimmung über den Goldstone-Bericht und seine Weiterleitung an den Sicherheitsrat in New York schliesslich vom Oktober 2009 auf März 2010. Stattdessen stellte sich die Uno-Generalversammlung im November 2009 in einer mit grosser Mehrheit verabschiedeten Resolution hinter den Goldstone-Bericht. Die USA, Deutschland und weitere 14 der damals 27 EU-Staaten stimmten dagegen, der Rest enthielt sich. Die Schweiz votierte als eines der wenigen westlichen Länder für die Resolution.
Israel startet Verleumdungskampagnen
Neben diesen politischen Manövern, um die Behandlung des Untersuchungsberichts im Uno-Sicherheitsrat zu verhindern, orchestrierte die israelische Regierung mithilfe einiger israelischer Medien sowie ihrer gut organisierten Lobby in den USA und anderen Ländern eine Verleumdungskampagne gegen Goldstone.
Die israelische Zeitung Yedioth Ahronoth veröffentlichte die Lügenbehauptung, Goldstone habe als Richter während der Apartheid-Zeit in Südafrika insgesamt 28 Todesurteile verhängt und vier Angeklagte zu Peitschenstrafen verurteilt. Daher habe Goldstone nicht das Recht, die israelische Politik zu beurteilen. Die Verleumdungskampagne diskreditierte Goldstone in den Augen von Teilen der jüdischen Bevölkerung in seinem Heimatland Südafrika.
Israel verweigerte in zahlreichen Fällen auch die Kooperation mit den regulären thematischen Sonderberichterstattern des Uno-Menschenrechtsrats. Noch aggressiver als gegen den südafrikanischen Juden Richard Goldstone verhielt sich die israelische Regierung gegen den US-amerikanischen Juden Richard Falk.
Von 2008 bis Ende 2014 war Falk – ein inzwischen emeritierter Völkerrechtsprofessor – der Uno-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtssituation in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten. In seiner gesamten Amtsperiode erhielt er nicht einmal ein Einreisevisum von der israelischen Regierung, die zuvor vergeblich versucht hatte, die Berufung Falks zum Sonderberichterstatter zu verhindern. Denn Falk hatte die Belagerung und Abriegelung des Gazastreifens, die von der israelischen Regierung als Reaktion auf Raketenbeschuss durch die Hamas gegen das israelische Kerngebiet gerechtfertigt wird, als eine «kollektive Strafmassnahme» kritisiert, die durch die 4. Genfer Konvention verboten ist.
Bei seinem ersten Versuch, in seiner Funktion als Uno-Sonderberichterstatter die besetzte Westbank und den Gazastreifen zu besuchen, wurde Falk am 14. Dezember 2008 am Flughafen von Tel Aviv von israelischen Sicherheitsbehörden festgenommen, 15 Stunden zusammen mit anderen Gefangenen in eine kleine, stinkende Zelle gesperrt und am nächsten Tag in ein Flugzeug Richtung USA gesetzt. Mit diesem bislang einmaligen Vorgang in der Geschichte der Uno demonstrierte die israelische Regierung der Weltorganisation deutlich ihre Missachtung.
Auch der Schweizer Soziologe und Publizist Jean Ziegler fiel bei der israelischen Regierung in Ungnade, nachdem er in seiner Funktion als Sonderberichterstatter der Uno für das Recht auf Nahrung (von 2000 bis 2008) die Abriegelung des Gazastreifens als Verletzung dieses Menschenrechts durch Israel kritisiert hatte.
Zuletzt verweigerte die israelische Regierung Mitte Januar 2015 der «Sonderberichterstatterin des Uno-Menschenrechtsrats über Gewalt an Frauen, ihre Ursachen und Konsequenzen», Rashida Majoo, das Visum für die Einreise in die Westbank und den Gazastreifen. Majoo, Professorin für öffentliches Recht an der Universität in Kapstadt, Südafrika, wurde 2009 zur Uno-Sonderberichterstatterin ernannt. Eine Begründung für die Verweigerung ihrer Einreise gab die israelische Regierung nicht.
Die Uno wird im Nahostkonflikt noch gebraucht
In keinem anderen Konflikt der letzten siebzig Jahre wurden die Uno und ihre für die Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit zuständigen Gremien so häufig aus der Suche nach einer politischen Lösung ausgegrenzt und wurden die humanitären Unterorganisationen und Sonderberichterstatter so häufig in der Ausübung ihres Mandats behindert wie im israelisch-palästinensischen Konflikt.
Doch trotz dieser Erfahrung, die auch für Generationen von Mitarbeitern der Weltorganisation höchst frustrierend war und ist: Die Uno wird zur Überwindung dieses Konfliktes noch gebraucht, auch wenn die israelische Regierung sowie weite Teile der veröffentlichten Meinung und der Bevölkerung des Landes das noch nicht wahrhaben wollen.
Sollte die Biden-Administration in Washington zum Ziel einer gerechten Zweistaatenlösung zurückkehren – sei es auf Basis der Vorkriegsgrenzen von 1967 oder anderer vereinbarter Gebietsaufteilungen –, wird die Uno gebraucht, um eine solche Lösung abzusichern.
Entlang der Grenze zwischen diesen beiden Staaten wird auf lange Zeit eine robuste Blauhelmtruppe der Uno mit einem starken Kontingent US-amerikanischer Soldaten, wenn nicht sogar unter Kommando der USA stationiert werden müssen, um die israelischen Sicherheitsbedürfnisse zu befriedigen. Die Chancen einer für Israel akzeptablen Zweistaatenlösung würden zudem wachsen, wenn der künftige Staat Palästina auf den Aufbau eigener Streitkräfte verzichten würde – im Gegenzug zu Sicherheits- und Beistandsgarantien der Uno im Fall eines militärischen Angriffs auf diesen Staat.
Die Genfer Initiative – eine Blaupause für einen Uno-Friedensplan
Eine Blaupause für einen Uno-Friedensplan liegt bereits seit Ende 2003 vor in Form der «Genfer Initiative». Dieses umfassende Konzept für eine gerechte Zweistaatenlösung ist das Ergebnis von mehr als zweijährigen vertraulichen Verhandlungen zwischen versöhnungs- und friedensbereiten Israeli und Palästinensern – unter ihnen der ehemalige israelische Justiz- und Aussenminister Jossi Beilin und der frühere Minister der Palästinensischen Autonomiebehörde Jassir Abed Rabbo. Die Verhandlungen wurden in erheblichem Masse finanziell und logistisch von der Schweiz unterstützt unter Federführung der damaligen Bundesrätin und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.
Am 1. Dezember 2003 wurde der Vertragsentwurf im Genfer Uno-Palast der Öffentlichkeit vorgestellt.
[Red. Im Januar 2022 gab der Bundesrat bekannt, sich schrittweise aus der Finanzierung der Genfer Initiative zurückzuziehen: «Die Schweiz setzt sich im Rahmen ihres Kooperationsprogramms 2021–2024 weiterhin für Dialog und Frieden im Nahen Osten ein. Sie unterstützt die vom UNO-Sicherheitsrat formulierte Vision einer Region mit zwei demokratischen Staaten, Israel und Palästina, die Seite an Seite in Frieden und innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen leben.»]
Doch auch alternative Modelle einer gerechten Lösung – seien es ein gemeinsamer Staat, eine Föderation oder andere Varianten – bedürfen zu ihrer Aushandlung und Umsetzung eine aktive internationale Begleitung durch glaubwürdige Vermittler und durch verlässliche Schutzgarantien.
Für diese Rolle wird die Uno benötigt. Der Glaube, der israelisch-palästinensische Konflikt lasse sich nachhaltig befrieden und politisch lösen durch den von der Trump-Administration vorgelegten «Friedensplan» sowie mit Hilfe der unter dem Druck dieser Administration herbeigeführten diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und einigen arabischen Golfstaaten, ist im besten Fall unrealistisch und naiv.
Im schlimmsten Fall wird das Festhalten an dieser Illusion eine gefährliche Gewalteskalation des Nahostkonflikts in den nächsten Jahren befördern.
Andreas Zumach: «Reform oder Blockade – Welche Zukunft hat die Uno?
Rotpunktverlag 2021. Printausgabe 24.80 CHF/ 24 Euro. e-Book 25.00 CHF.
Aus dem Verlagstext: «Die UNO befindet sich in der schwierigsten Lage seit der Gründung vor 75 Jahren. Ihr mächtigstes Mitglied, die USA, hat mit der UNO-feindlichen ‹America first›-Politik von Trump die Weltorganisation erheblich geschwächt. Zugleich stellt die Corona-Pandemie die 193 Mitgliedsstaaten sowie die Weltgesundheitsorganisation und die anderen humanitären Programme der UNO vor bislang ungekannte Herausforderungen. Wichtige Reformvorhaben zur Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit liegen unerledigt auf dem Tisch. Zudem beschädigt das Versagen des Sicherheitsrates im nun schon zehn Jahre währenden Syrienkrieg die Glaubwürdigkeit der UNO. Mit dem rasanten Machtzuwachs Chinas sowie dem Konflikt zwischen Washington und Peking droht erneut eine Totalblockade des Sicherheitsrates und anderer Teile des UNO-Systems wie im Kalten Krieg. Über all die Probleme geraten die vielen grossen Verdienste der Weltorganisation aus dem Bewusstsein. Und es wachsen die Zweifel, ob multilaterale Kooperation, wie sie 1945 mit der UNO institutionalisiert wurde, unter veränderten Rahmenbedingungen überhaupt eine Chance hat. Wird die Weltorganisation sich reformieren können und wieder handlungsfähig sein?»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Das ist eine sehr gute und ausführliche Dokumentation, wie Israel regelmäßig größeres Unrecht begeht, als die Führungsleute der Palästinenser. Man weiß, dass Netanyahu über längere Zeit die Hamas gefördert hat, von denen er sicher erwarten konnte, dass sie die terroristische Aktionsform fortsetzen würden. Also es war die Dominanz der Falken auf beiden Seiten angesagt
.
Was wird in den Schulen der UNRWA auch gelehrt? radikalisierter Islam
Was wird mit dem Geld für Hamas und UNRWA auch finanziert? Tunnel und allerlei Kriegsgerät
Was ist zu erwarten, wenn Raketen die Zivilbevölkerung Israels regelmäßig terrorisieren? Dass Israel heftigst zurückschlägt.
Was ist nach einem jeden zivilisatorischen Ansatz verhöhnenden Angriff wie dem 7.10. zu erwarten?
Was nach den palästinensichen Freudentänzen zum Angriff des Irak auf Kuweit 1990, oder der Tötung israelische Sportler 1972?
Wer will so einen Staat als Nachbarn?
Das Elend der Palästinenser*innen ist systematisch selbst mitverursacht!
Vielen Dank für diesen detaillierten Bericht, der klar aufzeigt, dass Israel die internationalen Menschenrechts-und Friedens – Institutionen verachtet.
Zu Uwe Mannke: Nein, in den Schulen der UNWRA wird nicht radikalisierter Islam gelehrt, ich habe mehrere UNWRA-Schulen besucht, die den Schülern Wissen vermitteln, wie bei uns. Wie es der Artikel auch sagt, die UNWRA Gelder fliessen alle in Nahrung, Kleider, Ausbildung, medizinischer Versorgung usw. Was man auch zu wenig schreibt in unseren Medien, sind die regelmässigen «präventiven» Bombenanschläge auf Gaza. Dass da Raketen aus Gaza antworten, ist verständlich.
Kurz: würde die Besatzung endlich aufhören und die Palästinenser sich frei bewegen und entfalten könnten, dann gäbe es keine Raketen mehr auf Israel. In der Charta der Hamas von 2017 steht, übrigens klar geschrieben, dass Palästina sich einen Staat wünscht, wo alle Religionen zusammen leben könnten – so, wie es vor der Besatzung war.
Nähme mich wunder, was genau in israelischen Schulen über Geschichte gelehrt wird, ausser dass ihr Gott ihnen dieses Land vor ein paar tausend Jahren versprochen habe. Was lernen sie über die lange Geschichte Palästinas vor der zionistischen Landnahme? „Wir werden die Teilung (welche europäische Kolonialmächte 1917 vorgenommen hatten) abschaffen und uns auf ganz Palästina ausdehnen mit Maschinengewehren“, liess Ben Gurion verlauten.