Medien können auch Israels Angaben nicht «unabhängig prüfen»
upg. Autor Michael Lüders ist Politik- und Islamwissenschaftler. Von 2015 bis 2022 war er Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Seit Anfang 2024 gehört der dem erweiterten Parteivorstand des Bündnis Sahra Wagenknecht an.
Als Beispiel soll ein Artikel dienen, den ich auf «Zeit Online» am 2. August 2024 entdeckte. Er trug die Überschrift «Israel bezeichnet getöteten Journalisten als Hamas-Kämpfer». Der Titel hätte in fast jedem Medium in Deutschland stehen können. Es wurde der israelische Informations-Minister zitiert. «Zeit Online» ergänzte nicht etwa, dass diese Angabe «nicht unabhängig überprüft werden kann».
Der gleiche Minister hatte im Juni den TV-Kanal Al-Jazeera als «Sprachrohr des Terrorismus im Dienst der Hamas» bezeichnet.
Das ist die gängige Erzählung: Es sind Terroristen. Israel bekämpft nur Terroristen. Wo ist denn das Problem?
Gegen das Bekämpfen von Terroristen kann man nichts einwenden. Allerdings geht die israelische Seite mit dem Begriff Terrorismus sehr grosszügig um. Der israelische Vertreter bei der Uno bezeichnete sogar die Uno als einen Hort des Terrorismus.
Und für Israel ist auch die Flüchtlingshilfe-Organisation für die Palästinenser UNRWA eine Terror-Organisation. Deshalb sollen ihre Aktivitäten verboten werden. Es gibt dafür allerdings keinerlei Belege. [Eine Untersuchung der Uno ergab, dass sich 9 von insgesamt 13’000 Mitarbeitenden der UNRWA an den Terroranschlägen vom 7. Oktober 2023 beteiligt hatten. «Der Vorwurf Israels, die UNRWA sei eine Terrororganisation, ist polemisch und haltlos», erklärt Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von SRF.] Das Ziel ist eben, die UNRWA zu zerschlagen. Denn wenn niemand mehr da ist, der die Menschen im Gazastreifen mit Lebensmitteln versorgen kann, dann werden die Leute verhungern oder gehen. Das ist das, was die israelische Politik beabsichtigt.
Aber zurück zu «Zeit Online». Wie andere Medien verwendet «Zeit Online» regelmässig den Hinweis, die Angaben der palästinensischen Seite nicht überprüfen zu können:
«Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seit dem 07. Oktober 2023 mehr als 39’400 Menschen getötet. Ob es sich dabei um Zivilisten oder Hamas-Kämpfer handelt, wird nicht mitgeteilt.»
Ich meine, dass eine solche Berichterstattung an Perfidie grenzt. Denn zunächst einmal, wenn es heisst «diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen»: Bei allem Respekt vor denjenigen Journalisten in diesem Land, die ihren Job gut und richtig machen – nämlich aufklärend und hintergründig: Seit wann sind deutsche Medien dafür bekannt, dass sie irgendetwas gründlich überprüfen würden? Meistens geben die Leitmedien doch 1:1 wieder, was die jeweils als richtig empfundene Regierungslinie sein mag. Diesen subjektiven Eindruck kann man jedenfalls oft gewinnen.
Zurück zur Gesundheitsbehörde, die von der Hamas kontrolliert wird, wonach mehr als 39’400 Menschen getötet wurden. Diese Angabe lasse sich nicht unabhängig überprüfen. Dieser Zusatz wird nur so verstehen: Es könnten auch viel weniger sein.
Das ist wohl ein kleiner Scherz. Man muss doch nur eine einfache Google-Recherche anstellen, mit Blick auf Angaben der Uno. Die Hamas-Angaben sind ziemlich korrekt, wie auch die Angaben der UNRWA. Es gibt genügend Hilfsorganisationen, die dort vor Ort sind, und diese Angaben bestätigt haben. Die Zahl ist nicht einfach Propaganda, sondern sie ist sogar eher konservativ geschätzt. Denn wir wissen nicht, wie viele Leichen unter den Trümmern noch liegen.
Tatsächlich können wir dies nicht unabhängig genau überprüfen. Aber wenn umgekehrt ein israelischer Regierungssprecher irgendetwas erzählt (beispielsweise, im zerbombten Haus mit vielen Frauen und Kindern hätten sich Hamas-Terroristen versteckt}, dann wird das 1:1 wiedergegeben – und nicht die Formel angehängt, die Aussagen des Ministers seien «nicht unabhängig überprüfbar».
Und dann wird – wie im Artikel auf «Zeit Online» – oft angefügt: Ob es sich bei den 39’400 Menschen, die getötet wurden, um Zivilisten oder Hamas-Kämpfer handelt, «wird nicht mitgeteilt».
Ich darf daran erinnern, dass 70 Prozent der Toten im Gazastreifen Frauen und Kinder und Minderjährige sind. Mindestens 16’000 Kinder sind in diesem Krieg gestorben.
Und über 21’000 Kinder im Gazastreifen werden nach Angaben von Save the children noch vermisst. Man weiss nicht, was aus ihnen geworden ist. Sei es, dass sie noch unter den Trümmern liegen. Sei es, dass sie durch die Strassen irren, weil sie ihre Familien verloren haben und die letzten Überlebenden sind. Man weiss es nicht.
Auf jeden Fall ist die Lage für Kinder besonders desaströs. Und hier lautet also die Kritik, die Hamas habe nicht mitgeteilt, ob es sich bei den Getöteten um Zivilisten oder Hamas-Kämpfer handelt.
Bei 16’000 getöteten Kindern stellt sich die Frage: Besteht der Skandal darin, dass die Hamas nicht mitteilt, ob es sich dabei um getötete Zivilisten oder um Kämpfer der Hamas handelt?
Was wir hier erleben, ist ein moralischer Bankrott unserer freiheitlich demokratischen Ordnung, die für Werte eintritt. Eigentlich können nur noch die Naiven ernsthaft annehmen, dass unsere Politik mit Werten zu tun habe.
Die Unglaubwürdigkeit unserer Haltung zeigt sich in unserem Umgang mit den Krisen auf der Welt. Was hier im Nahen Osten geschieht, ist nicht nur ein Verbrechen an den Palästinensern. Die israelische Regierung steht im Begriff, einen Krieg vom Zaun zu brechen, der die gesamte Region in den Abgrund ziehen kann und es wahrscheinlich auch tut.
Und wir schauen passiv zu.
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Obiger Artikel ist ein aus der mündlichen Ausdrucksweise auf Youtube in schriftliche Form übertragener Text. Erstveröffentlichung am 2. August 2024.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Siehe am Anfang des Artikels.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ich bin dran gewöhnt, dass die Angaben von palästinensischer Seite immer anzuzweifeln sind, und dass die vom israelischen Militär herausgegebenen Statements etwas Autoritätsvolles sind, und dass der Grund natürlich immer Terrorismusbekämpfung ist, alternativ heißt es auch Strafaktion.
Auf der anderen Seite gibt es den 7. Oktober 2023, wo die größte Anzahl der wahrscheinlich Wehrlosesten abgeschlachtet wurde – und – es gibt keinen palästinensischen Offiziellen, der das vorsichtig als großen Fehler bezeichnet hätte und darüber große Trauer empfände. Man sollte sich das immer wieder aus Sicht ganz normaler Einwohner Israels vorstellen.
Bei allen Niederlagen, Enteignungen und Tötungen, die die Palästinenser erfahren, gibt es im Vorlauf immer auch den Kampfeswillen auf palästinensischer Seite, der nicht vor Grausamkeit gegen israelische Zivilisten zurückschreckt.
Israels maßloses Handeln ist durch die Hamas konditioniert! Nur, sollen die Palästinenser etwa mit Staatlichkeit belohnt werden?
zit.Michael Lüders(«….Und wir schauen passiv zu!»)
Natürlich weiß ich, wie er das meint : als summarisches Urteil über die deutsche Politik Aber dennoch möchte ich daran erinnern, daß das SO GANZ nicht stimmt – schon wenn man die mehrheitlichen Kommentare hier liest – meine eingeschlossen. Sicher,diese Kommentare sind kein gewaltiger Hebel, aber die lassen doch erkennen, daß keine ABSOLUTE Passivität besteht. Wir erheben unsere Stimme – immerhin. Wie weit das bis zu den politischen Aktivisten durchdringt, weiß ich nicht. Aber vielleicht werde diese Stimmen mehr beobachtet als man denkt.
Vielen Dank für diesen Beitrag. Nur, ich suche immer noch nach der Stelle in dem Uno Berricht, in der die Beteiligung von 9 Unrwa Angestellten an den Angriffen des 7. Oktobers «nachgewiesen» wird. Es wird nähmlich lediglich von Hinweisen, dass sie daran beteiligt hätten sein können, gesprochen, und zwischen Verdacht und Beweis liegt doch noch ein wesentlicher Unterschied. Und selbst wennn sie sich eines Tages als erwiesen herausstellen würden, bezweifle ich, dass irgendeine andere Organisation die Situation besser hätte händeln können. Die Unrwa ist einzigartig in ihrem Management und ihrer Erfahrung in dieser Krisenregion. Dank Israels Vernichtungszug ohne Plan haben die Kinder und Jugendlichen in Gaza bereits jetzt ein Jahr Zugang zu Bildung verpasst. Sollte eines Tages tatsächlich der Versuch unternommen werden, die UNRWA zu ersetzen, ist das Chaos vorprogrammiert, und was man ihr heute vorwirft, dürfte dann aber tatsächlich eintreffen.
Der Artikel ist sehr richtig. Wir sprechen weiterhin von demokratischen Werten, von Menschenrecht, Völkerrecht, aber das sind substanzlose Worte geworden. In der Praxis verhält sich der Westen – auch die Schweiz – äusserst menschenverachtend und unmoralisch. Aber unaufhörlich erteilen wir anderen Ländern Lektionen über Völkerrecht, Menschenrechte und demokratischen Werten, wir verurteilen sie, nur weil diese Länder ihre eigenen Werte haben. Unterstützer von Völkermord sollten endlich damit beginnen, ihre «Werte» in Frage zu stellen, bevor der Boomerang zurückschlägt.
„Israels maßloses Handeln ist durch die Hamas konditioniert! Nur, sollen die Palästinenser etwa mit Staatlichkeit belohnt werden?“ (Lesermeinung vom 15.9.) Man soll nicht das Pferd vom Schwanz her aufzäumen. Es waren seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Zionisten, welche die einheimische arabische Bevölkerung aus Palästina vertrieben haben. Es gab von der Jewish Agency gar einen „Transferausschuss“.
ich dachte immer Krieg wäre wenn 2 verschiedene Völker aufeinander mit Waffen losgehen und sich gegenseitig töten. Jetzt hat die israelische Armee doch eine Überlegenheit, zu Wasser, zu Lande und zu Luft und die Palästinenser sitzen in dem kleinen Gaza Streifen und wehren sich mit was? Wo sind deren Panzer, Satellitentechnik und bestens ausgerüstete Armee mit wöchentlichem Nachschub? Wie die Hasen werden Sie von einem «sicheren Ort» zum nächsten gejagt und bombardiert. Vielleicht sind die Al Jazeera Videos alle in Hollywood gedreht? Ob dies so geschieht lässt sich nur unabhängig durch die IDF überprüfen. es begann übrigens nicht am 7.10.