Kommentar

kontertext: Reparatur des Planeten

Ariane Tanner © A.T.

Ariane Tanner /  Folgt auf den «Klimanotstand» die «Notfallmassnahme» Geo-Engineering? Von unseligen diskursiven Verknüpfungen.

Zu Recht wird dem Begriff «Klimawandel» nicht mehr zugetraut, die katastrophalen Konsequenzen der menschenverursachten globalen Erwärmung abzubilden. Deshalb sind Klimastreikende, «Fridays for Future» und auch viele Städte weltweit dazu übergegangen, den «Klimanotstand» («climate emergency») auszurufen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass seit vierzig Jahren Wissen über die globale Erwärmung angehäuft wird, sich die politischen Reaktionen darauf aber meist in Absichtserklärungen erschöpfen. Es ist diese Untätigkeit von politischen EntscheidungsträgerInnen, welche die Klimaaktivistin Greta Thunberg anprangert, wie sie unlängst in einem Interview wiederholte («Republik», 7.6. 2019).

‹Fünf nach zwölf›

In die Kluft zwischen Wissen und Handeln springt jetzt ein medial potentes, aber sehr ambivalentes Konzept: «Geo-Engineering» – eine 100 Meter tiefe Mauer vor Westgrönland, um warme Ströme abzuhalten; 10 Millionen Windmühlen, um kalte Ströme unter die Arktis zu leiten; ein künstlich erzeugter Vulkanausbruch («New York Times», 7.6. 2019). Ideen also, die darüber hinausgehen, dass es eine radikale Technologieumstellung im Sinne der «Energiewende» braucht. Geo-Engineering zeichnet sich durch geplante grossräumige, technologisch gestützte Eingriffe in Umweltsysteme aus, die nicht mehr national oder territorial zugeordnet werden können und in ihren Effekten vermutlich globale, vor allem aber schwer abschätzbare (Langzeit)Folgen haben. Frei nach dem Motto «Dem Inschenör ist nichts zu schwör» werden Vorschläge dieser Art seit Jahrzehnten immer wieder mal debattiert. Dass aktuell grosstechnologische Antworten auf einen «Klimanotstand» eine neue Popularität erfahren, hat mit der Geschichte ihres Framings zu tun: Wenn die einen ‹mit ihrem Latein am Ende› sind, machen die anderen halt ‹Nägel mit Köpfen›: Die grosse Stunde des Geo-Engineering, so scheint es, schlägt um ‹fünf nach zwölf›.

Der Atmosphärenphysiker Paul Crutzen stellte im Jahre 2006 in der Zeitschrift «Climatic Change» die Idee vor, durch Ausbringen von Sulfur in hohe Luftschichten die Reflektivität zu erhöhen und somit Strahlung abzuhalten. Crutzen war damals kein Unbekannter: Er entdeckte 1970, dass gewisse Stoffe die Ozonschicht zerstörten, und erhielt für die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zum Schutze der Ozonschicht im Jahr 1995 zusammen mit anderen den Nobelpreis für Chemie; und er gilt seit dem Jahr 2002 als Popularisierer der Epochenbezeichnung «Anthropozän» – also dem menschengemachten Zeitalter. Man könnte also sagen, dass Crutzens wissenschaftliche Biographie illustriert, wie das Wissen über den Treibhauseffekt exponentiell zunahm und die politischen Reaktionen darauf gleichbleibend mangelhaft blieben, während die hochindustrialisierten Länder durch ihren CO2-Ausstoss dem Zeitalter zunehmend den Stempel aufdrückten.
Wie Crutzen den Vorschlag zur Sulfur-Ausbringung rahmte, hat nun genau mit der Diskrepanz zwischen dem wissenschaftlich nachgewiesenen Wissen und dem politischen Handeln zu tun. So schrieb er, dass es weitaus vorzuziehen wäre, das «policy makers’ dilemma» mit der Reduktion von Treibhausgasen zu lösen, aber «so far, attempts in that direction have been grossly unsuccessful.» Trotz Crutzens differenzierter Ausdrucksweise und seiner auch kritischen Beleuchtung von grossformatigen Atmosphärenexperimenten, setzte sich eine populäre Verkürzung durch: Wenn «Plan A» (die Politik), gescheitert ist, braucht es eben einen «Plan B» (die Technologie).

Die Natur als reparaturbedürftige Maschine

Crutzens Text galt als «Tabubruch» und machte ziemlich Furore. Auch Radio SRF fragte in einer Sendung von 2010 «Geo-Engineering: rettet die Technik das Klima?» In der «NZZ» wurde wenige Jahre später davon gesprochen, dass es in Anbetracht der neuen Kohlendioxid-Rekordwerte «Keine Tabus in der Klimapolitik» mehr geben dürfe. Zwar seien Geo-Engineering-Methoden (z. Bsp. «Düngung der Meere, Einbringung von Schwebeteilchen in die Atmosphäre») mit erheblichen Risiken und Unklarheiten behaftet und immer noch sei es das vordringliche Ziel, die Ursachen des Klimawandels zu bekämpfen, aber dennoch gelte es, «Notfallmassnahmen» zu prüfen («NZZ», 20.11. 2013). Ebenfalls 2013 unternahm die Zeitschrift «Independent» eine Umfrage unter verschiedenen WissenschaftlerInnen, die mehrheitlich bestätigt haben sollen, dass jetzt ein neues Vorgehen angezeigt sei: «An emergency ‹Plan B› using the latest technology is needed to save the world from dangerous climate change».

Der Diskurs, dass im Notfall Tabus abgelegt werden müssten, bereitet dem Traum des «technological fix» – der Reparatur des Planeten durch Technik – das Terrain. Dahinter verbirgt sich das Bild einer uns äusserlichen, maschinenhaften Natur, die wir uns durch ausgefeilte Technologien zurechtschustern können (Ökomodernes Manifest). Gleichzeitig werden dadurch auch Hoffnungen auf eine ‹Lösung des Problems› geweckt, die wenige für uns übernehmen, während wir unseren Lebensalltag nicht wesentlich verändern müssen.

Diese Hoffnungen nähren sich auch daraus, dass Methoden, die auf die Rückstrahlungsaktivität zielen oder CO2 aus der Luft filtern wollen, nicht an den Emissionen selbst ansetzen. So ist auch die momentan viel zitierte Technik des «carbon capture and storage» (kurz CCS) eine reaktive Massnahme, die bereits ausgestossenes CO2 einfangen, binden und in den Untergrund verfrachten will. Sich nicht um die Emissionen kümmern zu müssen, aber dennoch vermeintlich ‹etwas fürs Klima zu tun›, kann zu absurden Auswüchsen führen: So verspricht Donald Trump denjenigen Öl- und Gasfirmen Steuererleichterungen, die das bei ihrer Tätigkeit entstehende CO2 auffangen und in nicht mehr gebrauchte Bohrlöcher zurückverfrachten (Stanford University, 18.9. 2018). Was wie ein enorm aufwändig betriebener fossiler ‹Kreislauf› anmutet, wirft in Wirklichkeit viele Fragen auf: Wie viel (nicht erneuerbare) Energie wird aufgewendet, um mit der Methode des CCS das CO2 zu isolieren, zu transportieren und unter den Boden zu bringen? Welche anderen chemischen Stoffe werden gebraucht, um das Treibhausgas zu binden? Was passiert mit den geologischen Schichtungen, was mit dem Grundwasser, was bei möglichen Lecks? (vgl. Liliana Josek auf «Klima der Gerechtigkeit», 8.5. 2019)

Mediales Timing für CCS

Ungeachtet dessen erhielten durch den letzten IPCC-Sonderbericht vom Oktober 2018 so genannte Notfallmassnahmen neuen Aufwind. Eigentlich gab es aus der Sicht des wissenschaftlichen Gremiums nichts Neues zur globalen Erwärmung zu sagen, die Fakten liegen auf dem Tisch, eine globale Erwärmung über 1,5 Grad wäre dramatisch. Aber auf eine Aussage stürzten sich viele: Es werde, wenn man überhaupt noch eine Chance auf die Einhaltung der Ziele von Paris (unter 1,5 Grad Erwärmung) haben wolle, auch «negative emissions» brauchen. Das heisst: Nicht nur CO2 vermindern, sondern aktiv CO2 zum Verschwinden bringen, wobei der IPCC selbstverständlich nicht vorschreibt, welche Methoden dazu angewandt werden sollen (denkbar sind unter Anderem auch Aufforstung, Wiederanlegung von Mooren als natürliche «Senken»).

Martin Läubli beobachtete im letzten Oktober im «Tages-Anzeiger», wie perfektes Timing in Medien geht: Pünktlich zum Sonderbericht des IPCC verkünde das ETH-Spinoff Climeworks eine «Weltneuheit» (hinter Paywall). Die Firma will das CO2 aus der Luft filtern, für kohlensäurehaltige Getränke, anliegende Gewächshäuser verwenden oder aber im Untergrund verpressen. Damit sollen ab 2025 jährlich 300 Millionen Tonnen des Treibhausgases aus der Luft gewaschen werden, was aber nur ein Bruchteil der nötigen 100 bis 1000 Milliarden Tonnen sei (die Spannbreite erklärt sich durch die Geschwindigkeit des Umstiegs auf erneuerbare Energien). Trotzdem ist ein jüngstes Resultat aus dem deutschen Klimakabinett, dass Techniken des CCS geprüft und gefördert werden sollen. Begründet wird das unter anderem damit, dass «die Zeit drängt» («Mitteldeutscher Rundfunk», 29.5. 2019). Fragen der Sicherheit und der ökologischen Verträglichkeit treten in den Hintergrund. Grösstes Problem – wie auch im Artikel zu Climeworks betont – scheint es jetzt zu sein, einen Preis für CO2 zu schaffen, damit sich die Technologie lohne. Das «CCS-Dilemma» wird auf die finanzielle Frage heruntergebrochen, der Klimawandel muss sich rentieren.

Im Gegensatz dazu veröffentlicht «drawdown» eine Liste von 80 Massnahmen «to reverse global warming», geordnet nach der Menge des CO2, das eingespart werden kann. Auf Platz 1 steht der Ersatz von chemischen Stoffen in unseren Kühltechniken, dann folgen Windturbinen und Vermeidung von Food Waste, vegetarische Ernährung, Wiederaufforstung (des Regenwalds) und «girls education». Unter diesen ersten sechs Massnahmen entdeckt man also solche, die durch politische Reglementierung, Investitionen, persönliches Verhalten und soziale Entwicklung lokal zu erreichen sind. CCS taucht erst unter zusätzlichen 20 Vorschlägen auf, die vielleicht in der Zukunft interessant werden könnten.

‹Notlösungen› kassieren demokratische Prozesse

Es gibt gute Gründe, dem Geo-Engineering selbst und seinem ökonomischen Versprechen kritisch gegenüber zu stehen. Erstens lenkt es von der Aufgabe ab, die Emissionen zu vermindern, was ein Bericht des Umweltbundesamtes von 2011 bereits betonte: Mit Geo-Engineering drohe ein «Paradigmenwechsel in der Klimaschutzpolitik», der «die bisherige Einigkeit, dass Minderungsmassnahmen in erheblichem Ausmass erforderlich sind, in Frage stellt.» Der «Plan B» könnte seine Legitimierung gerade aus der Tatsache schöpfen, dass «Plan A» nicht wirklich ausprobiert wurde. Zweitens legt der «technological fix» die Delegierung der Verantwortung und Einflussnahme an einen «Steuermann» nahe, den es eigentlich gar nicht gibt. Das Vorgehen könne nur darin bestehen, internationale Abkommen als staatliche und private «Leitschnur» anzuerkennen, während die Umweltprobleme selbst am besten «dezentral», d.h. lokal angepasst und demokratisch legitimiert gelöst würden («NZZ», 24.12. 2015). Das führt direkt zum dritten Einwand, der mit der tendenziell undemokratischen Struktur von «Geo-Engineering» zu tun hat, die im schlechtesten Fall neue Formen von Nichtdemokratie und Imperialismus installiert («WOZ», 2.11. 2017), der sich bis in die tiefsten Tiefen der Meere und die höchsten Höhen der Atmosphäre erstreckt.

Im Kino schlagen die Menschen in Not Alarm, worauf eine schwarz gewandete, bis unter die Nasenspitze ausgerüstete Spezialeinheit irgendwo auf der Welt aus ihrem Versteck hervorspringt, um zu retten, was noch zu retten ist und sich bei der Erfüllung ihrer Mission mit Verweis auf die Ausnahmesituation Notrechte herausnimmt. So eine Reaktionskette wäre für die «bottom-up»-Bewegungen und die Abertausenden von Jugendlichen und Erwachsenen, die in den vergangenen Monaten demonstrieren, fatal. Eine technologische ‹Notlösung für das Problem›, ausgeführt von wenigen, kassierte die gesamte demokratische und gesellschaftspolitische Debatte und nivellierte die regionalen, ökologischen, geographischen und sozialen Unterschiede, die in der Bekämpfung der globalen Erwärmung lokal zu berücksichtigen sind. «There is no planet B» schreiben Klimastreikende auf ihre Transparente. «There is no plan B without plan A», möchte man dem hinzufügen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ariane Tanner ist Historikerin und Texterin aus Zürich. Aktuell wandert sie zwischen Forschung, Unterricht und Kunst. Interessensbindungen: Keine.

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.

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2 Meinungen

  • am 12.06.2019 um 21:45 Uhr
    Permalink

    Wenn uns das Überleben keine Verhaltensänderungen wert ist – und damit sind nicht Monströsita(e)ten wie US-Geoengineering gemeint, sondern Leichtmachbares wie «Laubbläser/Rasenmäher verbieten» (stattdessen Biomasseparadies, und wenn überhaupt Ziegen/Schafe ohne Glocken; oder Sense/Schere) – dann fände ich Sterbehilfe, auch die liegt im Argen, müsste verbessert und verfügbarer werden, die logische Konsequenz.
    https://www.aargauerzeitung.ch/leben/leben/verzichten-fuer-eine-bessere-welt-dieser-oekonom-erklaert-warum-das-nicht-furchtbar-ist-133844351
    Warum dieser Zeitungs-Artikel in der Klimaschülerumweltgesundheitskrankenkassen-Debatte nicht zuoberst-zuvorderst verbreitet wird immer wieder, ist mir ein Rätsel (die Klimaschüler reden von Notstandsgesetzen und Systemwechsel, beherzigen aber offenbar nicht mal das Naheliegendste: dass ich seit Jahren Gesundheits-Wohnen ohne Lärm/Abgase der Gartenarmadaindustrie fordere, ohne dass mir irgendjemand oder gar diese Schüler helfen würde, na Leute, wenn ihr nicht mal das Kleineeinfache anpacken wollt, dürften eure Planetdimensionsambitionen ebenso Worthülsen bleiben, wie die Politik der letzten 40 Jahre. Zudem: Der man-made Klimawandel dürfte als Initialzünder (wie bei Wasserstoffbombe) für Permafrost"kernschmelze» dienen, und dann ists eh zappenduster exponenziellerweise (Autoaufkleber: Unser Auto fährt auch ohne Klima). Oje! Dabei sagten es doch bereits der Kinofilm «Silent Running» und das Experiment «Universum 25» längst voraus.

  • am 13.06.2019 um 14:02 Uhr
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    Der sprichwörtliche –Tropfen auf den heissen Stein–.
    Die angeforderten kleinen Massnahmen von den Klimaschülern bringen auch schon fast gar nichts, angesichts der gewaltigen anderen Miss-Stände.

    Synthetische Brenn- u. Treib-Stoffe aus Bioreaktoren mit Mikroalgen sind die Lösung.
    Der Flächenverbrauch für diese Biomasse ist 20 mal geringer als bei anderen Pflanzen. Ausserdem kann viel CO2 fix zurückgebunden werden, denn aus den Mikroalgen können auch die Grundstoffe für Kunststoffe hergestellt werden.
    Daraus können die Gestelle u. Schläuche der Biorektoren hergestellt werden.
    Die Stoffe in diesem System fliessen weitestgehend im Kreis und es funktioniert auch auf Flächen die für klassische Landwirtschaft ungeeignet sind.
    Da sich nur die Quelle der Brenn- u. Treibstoffe ändert von fossil zu natürlich (Sonne u. Algen) kann danach alles beim alten u. gewohnten bleiben. vorhandenen Investit

    In Massenproduktion und mit Robotern ist das Preisniveau heutiger fossiler Energien erreichbar.
    Allerdings werden die heutigen fossilen Konzerne obsolet und es entstehen Neue.
    Warum soll die kreative Zerstörung nach Schumpeter auch immer nur die kleinen Leute treffen ?

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