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Exterritoriale Anwendung von US-Gesetzen: Die USA sanktionieren europäische Unternehmen und Banken, welche einseitig verhängte Sanktionen der USA gegen Drittstaaten nicht befolgen. © Motortion/Depositphotos

Kommentar: Europa wach auf!

Urs P. Gasche /  Die Europäer sollen fünf Prozent des BIP für Rüstung ausgeben und US-Waffen kaufen. Unternehmen sollen in den USA produzieren.

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Urs P. Gasche

Trumps Rhetorik – wie «5 Prozent des BIP für Verteidigung» – darf Europa nicht beeindrucken. Statt vor Trump den Kotau zu machen, ist es an der Zeit, dass die Staaten Europas dem US-Präsidenten und den USA endlich die gelbe Karte zeigen: «Nicht mit uns!». 

Viel zu oft und zu lange sind europäische Länder nach der Pfeife der USA getanzt. Und Kriege, welche die USA vom Zaun rissen oder unterstützten, haben zu enormen Flüchtlings- und Migrationsströmen geführt. Betroffen waren weniger die USA als vor allem Länder Europas. 

  • In Irak hatten Europäer beim völkerrechtswidrigen Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 in einer «Koalition der Willigen» mitgemacht. Einzig Deutschland unter Kanzler Gerhard Schröder und Frankreich unter Präsident Jacques Chirac widersetzten sich den USA.
    Die Folgen dieses Angriffskriegs bekam Europa zu spüren. Hunderttausende Flüchtlinge aus Irak zogen nicht etwa in arabische Staaten oder in die USA, sondern in Länder Europas. 
  • In Afghanistan folgten die europäischen Nato-Mitglieder den USA in einen 20-jährigen Krieg gegen die Taliban. Hunderttausende Afghanen flüchteten nach Europa.
  • In Libyen unterstützten europäische Nato-Staaten 2011 den Sturz Ghadhafis – unter dem Vorwand der vom UN-Sicherheitsrat verordneten Flugverbotszone. Seither gehen Schlepperbanden ungehindert ihrem lukrativen Geschäft nach und schleusen Hunderttausende von Afrikanern in Richtung Europa.
  • In Saudi-Arabien hofieren europäische Länder ebenso wie die USA die dortigen Machthaber. Wie die USA sahen sie darüber hinweg, dass der saudische Wahhabismus für die weltweite Verbreitung des fundamentalistischen Islams wesentlich verantwortlich war. «Seit Jahren fördert das wahhabitische Königreich gezielt eine rigide Auslegung des Islam – rund um den Globus. Damit bereitet es Extremisten den Boden», analysierte die «Süddeutsche Zeitung» vor acht Jahren.
  • Gegen Iran übernahmen die Staaten Europas die Sanktionen der USA und setzen sich dem Vorwurf aus, mit zwei Ellen zu messen: Sie verteufeln Iran als «mörderisches Regime», während sie gleichzeitig Saudi-Arabien mit Waffen und Kampfflugzeugen versorgen. 
    Die Europäer schauten zu, als Trump während seiner ersten Amtszeit mit Tiraden gegen Iran herzog, das Atomabkommen kündigte und damit in diesem Land mit 80 Millionen Einwohnern die Position der Hardliner stärkte und diejenige der Gemässigten schwächte. Das war nicht im Interesse Europas.

Europa: Kein Abwägen zwischen Nutzen und Schaden

Anstatt sich dem imperialen Machtanspruch der USA unterzuordnen, könnte Europa zusammenrücken und seine eigenen Interessen wahrnehmen.

Das grösste Interesse Europas besteht darin, Kriege zu verhindern.

Mit gemeinsamen Vorschlägen könnten sich die Staaten Europas dafür einsetzen, dass möglichst viele Zonen ohne Atom- und andere schwere Waffen geschaffen werden: beispielsweise in und rings um Nord- und Südkorea, zwischen Indien und Pakistan und möglichst in ganz Afrika. 

Eine solche Zone ohne Atom- und andere schwere Waffen wäre besonders wichtig gewesen längs den Grenzen zwischen Russland und dessen europäischen Nachbarn. Eine Erweiterung der Nato an die russischen Grenzen hätten die europäischen Staaten strikt ablehnen müssen.

Ohne vorangetriebene Nato-Erweiterung wäre es wahrscheinlich nicht zu diesem völkerrechtswidrigen russischen Angriff gegen die Ukraine und diesem fürchterlichen Krieg gekommen. 

Am Nato-Gipfel 2008 in Bukarest opponierten Deutschland und Frankreich zwar gegen einen formellen Nato-Beitrittsplan für die Ukraine, doch stimmten die beiden Staaten auf Druck der USA einem folgenschweren Kompromiss zu. Die USA würden russische oder chinesische Raketen in Mexico, Venezuela, Nicaragua oder Kuba niemals tolerieren. Präsident Trump beansprucht jetzt sogar Grönland, um den Einflussbereich der USA zu sichern.

Um dem russischen Aggressor das Geld für den Krieg ausgehen zu lassen, boykottierten europäische Länder auf Druck der USA russisches Gas und Öl. Das hat die Energiepreise in vielen Ländern Europas massiv in die Höhe getrieben, zu Inflation geführt und die europäische Industrie in die Bredouille gebracht. Die USA dagegen profitieren davon und können Europa ihr teures Fracking-Gas verkaufen. 

Der Gas- und Ölboykott hat Europa enorm geschadet. Diesem folgenschweren Schaden steht ein beschränkter Nutzen gegenüber. Russlands Einnahmen aus dem Export von Gas und Öl waren 2024 zwar nur noch halb so hoch wie 2019, haben das Land im Krieg jedoch nicht merklich geschwächt. 


Das Selbstbestimmungsrecht hochhalten

Seit Beginn des russischen Kriegs unterstützen die Europäer das Maximalziel Selenskys und der USA, den Donbas und die Krim wieder in die Ukraine zurückzuholen sowie Russlands Militär so stark zu schwächen, dass das Land nie mehr einen konventionellen Krieg führen kann.[1]

Doch für die Krim und den Donbas hätte eine andere Lösung versucht werden können: Die Selbstbestimmung. Die betroffenen Bevölkerungen hätten frei entscheiden dürfen, ob sie sich der Russischen Föderation anschliessen oder ob sie zur Ukraine gehören möchten – letzteres allerdings mit einem Status weitestgehender sprachlicher, kultureller, finanzieller und administrativer Autonomie.
Siehe dazu Andreas Zumach vom 27. November 2018: «Wie sich der Konflikt um die Krim entspannen lässt»)

Staatliche Grenzen sind nicht unverrückbar. Der Internationale Gerichtshof IGH lässt die Frage offen, unter welchen Bedingungen Teile eines Staates ein Recht auf Sezession haben. In einem Gutachten von 2010 stellte der Gerichtshof fest, dass im Fall Kosovo die Erklärung der Unabhängigkeit von Serbien nicht gegen geltendes Völkerrecht verstossen habe. Ähnliches kann für die Krim und den Donbas gelten.

Das Selbstbestimmungsrecht hat im internationalen Recht einen hohen Stellenwert. Bei Konflikten um Territorien wie in der Ukraine, der Westsahara, im Kaschmir, in Syrien, Irak, Taiwan oder in einzelnen Ländern Afrikas könnten die ansässigen Bevölkerungen mit international kontrollierten Volksabstimmungen entscheiden, wohin sie gehören wollen.

Europäische Staaten könnten die Initiative für entsprechende Verhandlungen ergreifen. 


Trump braucht den Widerstand der Verbündeten

Der neue US-Präsident, der mit Zöllen, Sanktionen und Vertragsbrüchen droht und vom Völkerrecht wenig hält, muss auf Widerstand aller Verbündeten stossen, die das Selbstbestimmungsrecht hochhalten. Es wäre fahrlässig, auf die häufig zitierten «Checks and Balances» zu vertrauen. Weder die US-Justiz noch der Kongress werden Donald Trump daran hindern, die finanzielle und wirtschaftliche Macht der USA sowie den Dollar als Leitwährung als Machtinstrument einseitig einzusetzen – auch gegen Europa. Sein bevorzugtes Machtinstrument sind Sanktionen, Zölle und erpresste «Deals». Dabei foutiert er sich um Verträge und zwingt die ganze westliche Welt, bei einseitig verhängten Sanktionen mitzuziehen. 


Europa first

Die wichtigsten Staaten Europas sollten gegenüber den USA besser ihre eigenen Interessen wahrnehmen: «Europa zuerst» oder «Europe first». 

Wirtschaftlich muss sich Europa den Zöllen, einseitigen Sanktionen und exterritorialen Anwendungen von US-Gesetzen entgegenstellen. Nur so kann ein europäisches Selbstbewusstsein entstehen.

Allerdings wird die starke Lobby der Atlantiker in Europa dagegenhalten und sich dafür einsetzen, dass Europa Trump fast weitgehend folgt. Seit 2014 wiederholen die Atlantiker mantrahaft, Russland bedrohe Europa. Denn Putin habe es auf das gesamte Gebiet der ehemaligen Sowjetunion abgesehen. Stichhaltige Argumente dafür – ausser ein paar Zitaten russischer Propagandisten und Ideologen – haben sie keine. An vorderster Front ist es der Atlantic Council, der die Erzählung des russischen Imperialismus verbreitet. Seine Aufgabe besteht nach eigenen Angaben darin, «die US-Führungsrolle fördern».

Die Atlantiker sagen, Europa brauche die Atommacht USA, um Russland von einem atomaren Angriff abzuschrecken. Sie verschweigen gerne, dass es im Nato-Bündnisfall keinen Automatismus gibt. Auf einen atomaren Vernichtungskrieg mit Russland werden sich die USA nur einlassen, falls es ihren eigenen Interessen dient («America first»). Es sind die Atommächte Frankreich und Grossbritannien, die eine glaubwürdige Abschreckung leisten könnten. Auch ein beschränkter atomarer Gegenschlag, der ernsthaft droht, genügt.

Selbst in einem konventionellen Krieg benötige Europa die Rückendeckung der USA, sagen die Atlantiker. Diese Rückendeckung will Trump nur noch gewähren, wenn die Europäer 3, 4 oder neustens 5 Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Rüstung ausgeben – am besten für US-Kampfflugzeuge, US-Drohnen und US-Cyberabwehr. Die Aufrüsterei dient primär dem mächtigen militärisch-industriellen Komplex in den USA und dessen Aktionären. 

Es braucht nicht noch mehr Milliarden für das Militär. Die Militärausgaben der europäischen Nato-Staaten liegen schon heute deutlich über jenen von Russland. Europa kann seine Mittel effizienter einsetzen und Waffensysteme gemeinsam beschaffen, anstatt Geld mit nationalen Beschaffungen zu verschwenden. Es reicht eine gemeinsame Rüstungs- und Beschaffungspolitik.

Dass Europa vor Russlands angeblicher Übermacht Angst haben muss, wie es die Atlantiker verbreiten, ist eine Chimäre. Tatsächlich war Russland – obwohl es unterdessen 40 Prozent seiner Wirtschaftskraft allein für Rüstung und Militär ausgibt und der Krieg das Land auslaugt – bisher nicht einmal in der Lage, das ganze Gebiet des beanspruchten Donbas zu besetzen. 
Bis zum Putsch in Kiew vom Februar 2014 hatte kaum jemand im Westen behauptet, Putin habe imperiale Ambitionen. 2008 war Putin sogar als geladener Gast zum Nato-Gipfel in Bukarest eingeladen.

Europa, wach auf! 

Wirtschaftlich muss sich Europa den Zöllen, einseitigen Sanktionen und exterritorialen Anwendungen von US-Gesetzen entgegenstellen. Nur so kann ein europäisches Selbstbewusstsein entstehen.


[1] FUSSNOTE
Ein vom Pentagon finanzierter Bericht der US-Denkfabrik Rand-Corporation aus dem Jahr 2019 schlug Strategien vor, um Russland zu schwächen, darunter auch Massnahmen in der Ukraine. Der Bericht argumentierte, dass es strategisch sinnvoll sei, Russland durch wirtschaftliche Sanktionen und militärische Unterstützung für die Ukraine zu destabilisieren und seine militärischen Fähigkeiten langfristig zu reduzieren.


Das Netz der Atlantiker

Viele Politiker Europas sind Atlantiker und beziehen ihre Informationen von einem Netzwerk von Organisationen und «Think-Tanks». Viele derer Informationen und Analysen sind gut recherchiert und nützlich, stellen jedoch den globalen Machtanspruch der USA kaum je in Frage. Einige dieser Quellen sind folgende:

Rand Corporation
Ein Think-Tank in den USA, der nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet wurde, um die Streitkräfte der USA zu beraten. Rand-Experten spielten eine Rolle im Koreakrieg und der Propaganda des Kalten Krieges. In Europa ist die Rand Corporation in Cambridge und Brüssel vertreten. Zu den von Rand bearbeiteten Themen gehörten in den letzten Jahren unter anderem Strategien zur Destabilisierung Russlands und Überlegungen zum Krieg mit China (zitiert nach Wikipedia).
Die grössten Geldgeber der Rand Corporation sind die US-Armee, die US-Air-Force und das US-Verteidigungsdepartement. Sie berät die US-Streitkräfte und veröffentlichte am 24. April 2019, also vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, ein Strategiepapier. Dieses analysiert, wie die USA Russland schwächen und aus dem Gleichgewicht bringen können.

National Endowment for Democracy
Diese Lobby-Organisation wird vom US-Kongress finanziert. Sie wurde von Ronald Reagans CIA-Chef Bill Casey gegründet und finanziert nach eigenen Angaben oppositionelle NGOs in über hundert Ländern, auch in Ungarn, Rumänien, Georgien («um Demonstrationen in der Hauptstadt Tbilisi zu organisieren») und früher sogar «als Top-Priorität» in der Ukraine, «um demokratische Reformen zu fördern».

Atlantic Council
Nach eigenen Angaben: «Der Atlantic Council fördert die US-Führungsrolle und das Engagement in internationalen Angelegenheiten auf Basis der zentralen Rolle der atlantischen Gemeinschaft bei der Bewältigung der internationalen Herausforderungen. […] Bis zu seiner Nominierung am 27. Februar 2013 als US-Verteidigungsminister war Chuck Hagel Vorsitzender.»

European Council of Foreign Relations

Dieser «Think-Tank» wird zu etwa zwei Drittel von privaten Stiftungen finanziert. Darunter die Open Society Foundations (gegründet von George Soros), die Stiftung Mercator, die Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung, der Rockefeller Brothers Fund). Fast ein Viertel der Finanzmittel steuern europäische Aussenministerien bei.

Young Leaders Programme von Atlantik-Brücke und Weltwirtschaftsforum Siehe Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags: «Die Veranstaltungen sollen […] ein Netzwerk von Führungspersönlichkeiten schaffen, das sich aktiv an der Pflege der transatlantischen Beziehungen beteiligt.»

Bilderberg-Konferenzen
Die meisten Teilnehmenden kommen seit jeher aus Nato-Staaten. Seit 1989 nehmen zunehmend Personen aus anderen Ländern an den jährlichen Konferenzen teil. Anmerkung von Wikipedia: «Durch die Diskussionen soll ein Konsens über eine gemeinsame Denk- und Handlungslinie erreicht werden.»

Hudson Institute
Selbstdarstellung: «Hudson Institute is a research organization promoting American leadership for a secure, free, and prosperous future […] Hudson seeks to guide policymakers and global leaders in government and business through a robust program of publications, conferences, policy briefings, and recommendations.»
Finanziert u.a. von privaten Stiftungen, Konzernen wie ExxonMobil und Millionären. Das Institut gibt nicht alle Sponsoren bekannt. Es ist wahrscheinlich, dass auch der militärisch-industrielle Komplex zu den Zahlenden gehört.

Carnegie Endowment for International Peace in Washington
Zusätzlich zu seinen Büros in Washington, D.C. und Kalifornien hat Carnegie globale Zentren in Neu-Delhi, Beirut, Berlin und Brüssel eingerichtet. Als einzigartig globaler «Think-Tank» nutzt Carnegie sein Netzwerk von über 170 Experten, um die Bedrohungen und Chancen, die sich auf die globale Sicherheit und das Wohlergehen auswirken, besser zu verstehen und die nächste Generation aussenpolitischer Führungskräfte durch Schulungen und Mentoring vorzubereiten.

Geldgeber gemäss Annual Report 2023:

Open Society Foundations
Carnegy Corporation of New York
Pritzker Traubert Foundation
Robert & Ardis James Foundation
Bill and Melinda Gates Foundation
Stand Together Trust founded by Charles Koch
European Commission
Etc..


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor hat Studien der Internationalen Beziehungen in Genf mit dem Master abgeschlossen.
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