Jemen: USA gefährden Hilfe von IKRK und Unicef
Immer wieder werden in den Krisengebieten der Welt westliche Bürger anscheinend willkürlich gekidnappt. Von einigen hört man nie wieder. Scott Darden hatte Glück. Nach sechsmonatiger Gefangenschaft im Jemen wurde der US-Bürger, der im Auftrag eines Logistikunternehmens für zwei Hilfsorganisationen gearbeitet hatte, vor zwei Jahren wieder freigelassen.
Jetzt wird bekannt, dass Darden neben seinem Einsatz für das internationale Rote Kreuz IKRK und das UN-Kinderhilfswerk Unicef eine weitere Funktion hatte: er arbeitete auch für das US-Militär. Die Hilfsorganisationen wussten davon nichts, schreibt die «New York Times» (NYT).
Alle Warnungen ignoriert
Darden, angestellt bei «Transoceanic Development» war im März 2015 in den Jemen eingereist – wenige Tage vor seiner Entführung. Warnungen vor der unsicheren Lage im Land hatte er ignoriert.
Der Zeitpunkt hätte nicht ungünstiger sein können. Mit der «Operation Decisive Storm» gegen die Huthi-Rebellen begann am 26. März 2015 der jemenitische Bürgerkrieg, der bis heute andauert. Die Militärintervention der von Saudi-Arabien geführten Koalition, der neben Saudi-Arabien damals acht arabische Staaten angehörten, wurde auch von den USA unterstützt.
Am 27. März kontaktierte Darden Sam Farran, Sicherheitsexperte bei Transoceanic und ehemaliger Mitarbeiter der seit Februar 2015 geschlossenen US-Botschaft im Jemen. Dieser brachte Daren in ein sicheres Haus. Nur wenige Stunden später wurden beide Männer entführt oder vielleicht besser: festgenommen. Am 20. September 2015 wurden sie wieder freigelassen.
Transoceanic, Dardens Arbeitgeber, hatte noch im September 2015 in einer Stellungnahme bekannt gegeben, Darden habe «als Teil seiner Arbeit in der internationalen Logistik im Jemen die Lagerung und den Transport humanitärer Hilfe koordiniert». Was Transoceanic nicht erwähnte: geheime Verträge des Unternehmens mit dem US-Militär, mit dem Auftrag, Transporte für US-Elite-Truppen im Jemen durchzuführen, und Dardens Rolle dabei.
Einer muss den Job ja machen
Das Logistikunternehmen «Transoceanic Developement» mit Hauptsitz in New Orleans ist eines der wenigen, die an die gefährlichsten Orte der Welt liefern und dort logistische Unterstützung anbieten. Sie liefern Hilfsgüter an die hungernde Bevölkerung in Krisengebieten und stellen gleichzeitig Netzwerke für geheime militärische Operationen des Stils «Kill-or-Capture» zur Verfügung.
Eine solche Doppelrolle ist keineswegs unüblich. «Es gibt nicht viele Unternehmen, die diese Dienstleistungen an Orten wie dem Jemen anbieten können», sagte Gerald M. Feierstein, 2015 der zweithöchst platzierte US-Diplomat in der Nahostpolitik und ehemaliger Botschafter im Jemen, der «New York Times». Mit anderen Worten: Einer muss den Job ja machen.
Die Helfer des US-Militärs
Auch nicht unüblich ist, dass sich das Pentagon oder die US-Spionage-Einheiten auf US-Amerikaner wie Darden verlassen, um in ihrem Auftrag Geld und Material zu verschieben.
Darden, ein in Florida geborener Konvertit, studierte Arabisch in Saudi-Arabien und spricht die Sprache fliessend. Er sei über eine Anstellung bei der Transport- und Logistikfirma Maersk in Kuwait zur militärischen Logistik gekommen, sagt seine damalige Frau, Diana Loesch. Von seiner zweiten Rolle im Jemen wusste sie nichts. Darden selbst beantwortet keine Fragen nach seiner Beziehung zum US-Militär.
Helfer und Berater wie Darden arbeiten zu Hunderten in den quasi gesetzlosen Kriegsgebieten der Welt wie in Somalia, in Libyen oder eben im Jemen. Im Jemen, wo die USA seit Langem aktiv sind, waren zum Zeitpunkt vor Dardens Entführung etwa 125 «Special Operations Adviser» tätig. Dennoch sei es «nicht so, dass einem die Leute wegen dieser Aufgaben die Tür einrennen», sagte Feierstein der NYT. Er gab an, von Dardens Beziehung zum US-Militär nichts gewusst zu haben.
Verdeckte Operationen gefährden Hilfsmissionen
Geheimdienste, die humanitäre Hilfe als Deckung verwenden, untergraben das Vertrauen und gefährden humanitäre Missionen. Für Mitarbeitende der Hilfsorganisation können sie ein tödliches Risiko bedeuten. Nachdem die CIA im Jahr 2011 enthüllte, dass sie einen pakistanischen Arzt angestellt hatte, der unter dem Deckmantel einer Impfkampagne an die DNA von Osama Bin Ladens Familie gelangen sollte, wurde Gesundheitspersonal in Pakistan angegriffen. Die CIA sagte in der Folge, sie würde keine Impfkampagnen mehr als Tarnung verwenden.
Welche Art von logistischer Unterstützung Darden und Transoceanic dem US-Militär genau geliefert haben, ist nicht klar. Der Vertrag ist geheim. Sprecher des Pentagons, der US-Kommandos wie auch Transoceanic wollten sich gegenüber der NYT nicht darüber äussern. Welche Sicherheitsüberprüfung «Subunternehmer» wie Darden durchlaufen, bevor sie mit Sondereinsatzkommandos in Übersee arbeiten, wollte das Pentagon ebenfalls nicht beantworten. Derzeitige und ehemalige US-Staatsangestellte äusserten sich nur anonym.
Bessere Kontrolle der Sondereinsätze gefordert
Die unklare Auskunftslage stösst teilweise auf Unverständnis. Die Geheimniskrämerei hat einige US-Anwälte dazu gebracht, eine bessere Überprüfung der geheimen Sonderkommandos zu fordern. «Es gibt keinen ausreichenden Überblick», sagte auch Seth Moulton, demokratischer Kongressabgeordneter aus Massachusetts, Mitglied des Armed Services Comitee des Repräsentantenhauses und Veteran des Irak-Krieges.
Neben einigen offiziellen Stellen waren auch die Hilfsorganisationen Unicef und das IKRK ahnungslos. «Die Aufgabe von Transoceanic war streng auf die Erledigung von Papierkram beschränkt», sagte eine Sprecherin des IKRK. Das Unternehmen habe dem Roten Kreuz als Mittler zur jemenitischen Regierung gedient, um Zollformalitäten zu erledigen.
Unicef: «Keine Verträge, die Mitarbeiter gefährden»
Najwa Mekki, Sprecherin von Unicef, sagt, die Kinderhilfsorganisation habe bis September 2016 mit Transoceanic einen Vertrag über «Lagerdienstleistungen im Jemen» gehabt. Sie wusste nicht, dass das Unternehmen auch für das US-Militär arbeitete. «Wir würden keine Verträge abschliessen, die ein Risiko für unsere Mitarbeiter oder unsere Tätigkeit darstellen», sagte sie in einer Stellungnahme.
Darden kehrte in aller Stille nach Hause zurück. Von seiner Zeit in den Huthi-Gefängnissen habe er nur wenig gesprochen, sagt seine damalige Frau Diana Loesch, von der er sich mittlerweile getrennt hat. Er wohnt mit seinem elfjährigen Sohn in Dubai, reist viel und arbeitet als Logistik-Manager.
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Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts der «New York Times» erstellt. Grosse Medien in der Schweiz haben bisher nicht darüber berichtet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine