«Je suis Pékin» – Pressefreiheit auf Chinesisch
Ohne Wenn und Aber hat die Volksrepublik China das Pariser Attentat «tief schockiert in aller Härte» verurteilt. Der Sprecher des Aussenministeriums Hong Lei sagte: «China stellt sich klar gegen jede Form von Terrorismus und unterstützt Paris beim Bestreben, die nationale Sicherheit zu bewahren.» Staats- und Parteichef Xi Jinping hat in einem Telefongespräch mit Frankreichs Präsident François Hollande «den Terrorismus resolut» gebrandmarkt. Pressefreiheit, ja gar «je suis Charlie», kam dagegen weder im Ferngespräch Pékin–Paris noch bei der Pressekonferenz im Aussenministerium vor.
«Prinzipienlose Satire nicht akzeptabel»
In Paris hatten sich medienwirksam Staats- und Regierungschefs versammelt und haben gegen Terrorismus und – zum Teil wenig überzeugend weil heuchlerisch – für die Pressefreiheit demonstriert. China blieb dem Anlass fern. Pressefreiheit war aber in China sehr wohl ein Thema, allerdings in einem ganz anderen Sinne als im Westen.
Die amtliche Nachrichten-Agentur Xinhua (Neues China) gab für die Medien landesweit den Ton an. Nach der Attacke auf Charlie Hebdo hätten «westliche Gesellschaften viel Unterstützung für die Pressefreiheit geäussert». Das Pariser Attentat, so der parteikonforme Kommentar, zeige jedoch klar, dass Pressefreiheit Beschränkungen bedürfe. Charlie Hebdo habe mit kontroversen Karikaturen Proteste und gar Revanche-Angriffe provoziert. «Für ein friedliches Zusammenleben», so Xinhua, «ist gegenseitiger Respekt essentiell». Was Charlie Hebdo offensichtlich nicht realisiert habe, schreibt der Pariser Xinhua-Korrespondent Ying Qiang, sei die Tatsache, dass die Welt vielgestaltig sei und die Pressefreiheit deshalb nicht grenzenlos sein könne. Ying präzisiert: «Uneingeschränkte und prinzipienlose Satire, Sarkasmus, Demütigung und Erniedrigung und deshalb total freie Rede sind nicht akzeptabel.» In einem weiteren Xinhua-Kommentar heisst es, dass wir in einer «Realität leben, die in der Massenkommunikation einen elementaren Respekt und Vorsicht gebietet, um interkulturelle und interreligiöse Missverständnisse und Misstrauen zu vermindern». Missverständnisse und Misstrauen könnten leicht von Terroristen missbraucht werden.
Respekt vor Religionen
Das offizielle englischsprachige Regierungsorgan «China Daily» hat ähnlich wie Xinhua reagiert und rhetorisch gefragt: «Was um Himmels Willen sind die Grenzen zwischen Respekt für Religionen und der Pressefreiheit?» Die Tageszeitung «Global Times» – ein Ableger von «Renmin Ribao» (Volkszeitung), dem Sprachrohr der Partei – formuliert es so: «Die Redaktion steht fest hinter den Europäern und verurteilt den Terrorismus. Nichts in der Welt kann einen Akt des Terrorismus rechtfertigen.» Der Kommentator fügt indes hinzu, dass die Anstrengungen im Kampf gegen den globalen Terrorismus «nicht auf einen Kampf der Ideologien ausgedehnt werden kann».
Auch in den sozialen Medien Chinas war Charlie Hebdo ein Thema. Politisch inkorrekte Blogs und Wortmeldungen wurden natürlich wie immer ziemlich schnell zensiert. Auffallend immerhin, dass die Mehrzahl der Äusserungen mit den Kommentaren der Nachrichten-Agentur Xinhua einig ging. «Wenn du den Glauben anderer nicht respektierst», hiess es etwa, «werden andere dein Leben nicht respektieren.» Die Attacke auf Charlie Hebdo, so ein anderer Eintrag, «war kein terroristischer Akt, sondern Rache». Ein Blogger fragte, warum in den USA und Europa bei Terror-Attacken in China nicht die gleiche Sympathie-Welle für die Opfer feststellbar sei wie jetzt in Frankreich. Ein anderer fand, dass in der westlichen Welt nach einem «Doppel-Standard» (Heuchelei) geurteilt werde.
«Terroristen» und Terroristen
In der Tat ist in der Berichterstattung der westlichen Medien über Terror-Attacken in China meist von «Terroristen» und kaum je von Terroristen (ohne Anführungszeichen) zu lesen. Explodiert hingegen eine Bombe in Boston oder in einer europäischen Stadt, ist sofort von islamistischen Terroristen die Rede. Wer sich die Mühe nimmt, die diffizile und brisante Minderheiten-Frage zum Beispiel in der muslimischen Autonomen Region Xinjiang näher zu analysieren, wird bald einmal feststellen, dass extreme, in Zentralasien ausgebildete Islamisten einsickern und Attentate verüben. In Urumqi zum Beispiel, aber auch in Kunming oder gar auf dem Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen in Peking. Dabei gab es in den letzten Jahren Dutzende von Toten, Opfer waren sowohl Han-Chinesen wie auch Muslime. Im Westen war von «Terroristen», oder «angeblichen Terroristen» oder «wie China behauptet Terroristen» die Rede. Die Minderheiten-Politik Pekings wird verantwortlich gemacht. Die Nachrichten-Agentur Xinhua meint jedoch, wohl zu Recht: «Es ist höchste Zeit für die westliche Welt, die Ursachen des Terrorismus zu erkennen, um noch mehr Gewalt in der Zukunft zu verhindern.»
Deutungshoheit bleibt bei der Partei
Die limitierte Pressefreiheit im Reich der Mitte dient dazu, der Kommunistischen Partei die Deutungshoheit sowohl in grossen als auch in kleinen Angelegenheiten zu erhalten. Das allerdings wird im digitalen Zeitalter selbst für eine allmächtige Partei immer schwieriger. Dies wohlverstanden trotz immer engerer Gängelung der Medien und Journalisten und trotz Zensur. Bei der Frage um Terror, Charlie Hebdo und Pressefreiheit allerdings ist die Meinung der Partei wohl ziemlich nahe der Vox Populi. Respekt vor anderen Meinungen ist die Zauberformel, die in den sozialen Medien immer wieder zu lesen ist.
Die einzigen, die in Peking öffentlich «je suis Charlie» skandierten, waren einige Auslandkorrespondenten. Die vom Foreign Correspondent Club of China organisierte Sympathie-Kundgebung für die Charlie-Hebdo-Kollegen fand abseits des grossen Publikums statt. Wohl die einzigen Chinesen, welche die Mini-Demo mitbekommen haben, waren die freundlichen zivilen und uniformierten Pekinger Polizisten…
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.