Israels Armee tötete absichtlich israelische Geiseln
Im Lauf des 7. Oktober, als Hamas-Terroristen israelische Geiseln entführten, zerstörte die israelische Armee Fahrzeuge der Hamas, die nach Gaza zurückkehrten. Die Befehlshaber wussten, dass sich in einigen der Fahrzeuge Geiseln befanden. Zu diesem Schluss kam im Juli eine grössere Recherche der Zeitung «Haaretz».
Erstaunlich oder bezeichnend: Grosse westliche Medien haben bisher nicht darüber informiert.
Einzig über einen israelischen Angriff auf Geiseln noch innerhalb Israels wurde berichtet: Im Haus von Pessi Cohen im Kibbutz Be’eri wurden am 7. Oktober 14 Geiseln festgehalten, als die Israel Defense Forces IDF das Haus angriffen, wobei 13 der Geiseln getötet wurden. Nächstens soll die IDF Ergebnisse ihrer Untersuchung des Vorfalls veröffentlichen. «Haaretz» vermutet, dass schon dort die Doktrin der «Hannibal-Direktive» angewandt wurde.
Laut Direktive sind israelische Kommandeure und Soldaten angehalten, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um eine Gefangennahme zu verhindern, selbst wenn dies den Tod des Gefangenen nach sich zieht. Nach der Anwendung dieser «Hannibal-Direktive» in Rafah im Jahr 2014 wurde die Direktive dahingehend interpretiert, dass die israelische Armee alles tun müsse, einen israelischen Gefangenen zu töten, wenn sie ihn nicht unmittelbar befreien kann.
Aus Sicht der Armee sei ein toter Soldat besser als ein gefangener Soldat, der die Armee und Israel zwingen könnte, im Rahmen eines Austausches tausende Gefangene freizulassen, um seine Freilassung zu erwirken.
Der genaue Wortlaut der Direktive ist nicht öffentlich bekannt. Journalisten durften laut Wikipedia 17 Jahre lang nicht darüber berichten.
Konkrete Befehle am 7. Oktober
«Haaretz» stützt sich auf erhaltene Dokumente, Zeugenaussagen von Soldaten und mittleren und höheren IDF-Offizieren. Laut «Haaretz» belegen viele Befehle, welche die Gaza-Division – das Südkommando – und der IDF-Generalstab bis zu den Nachmittagsstunden des 7. Oktober erlassen haben, dass die «Hannibal-Direktive» an manchen Orten entlang der Grenze angewandt wurde.
Der wahrscheinlich erste Befehl erging um 7.18 Uhr, nachdem ein Beobachtungsposten des Aussenpostens Yiftah gemeldet hatte, dass am Grenzübergang Erez, in der Nähe des Verbindungsbüros der IDF, eine Person entführt worden sei. Der Befehl lautete: «Hannibal in Erez […] Schickt ein Zik». Das Zik ist eine unbemannte Angriffsdrohne. Die Bedeutung dieses Befehls war laut «Haaretz» klar.
Wenige Minuten später, um 7.41 Uhr, doppelte das Südkommando nach: Angriff auf den Grenzübergang und den Stützpunkt, damit keine weiteren Soldaten entführt werden. Es folgten weitere solche Befehle.
Um 10.32 Uhr erging ein neuer Befehl, demzufolge alle Bataillone in der Region mit Mörsergranaten in Richtung des Gazastreifens feuern sollten.
Ein weiterer Befehl erging um 11.22 Uhr: «Kein einziges Fahrzeug darf nach Gaza zurückkehren.» In der Folge wurden Lastwagen und Autos, die nach dem Terrorangriff bei ihrer Rückfahrt die Grenze bereits wieder überschritten hatten, von der Luftwaffe und von Drohnen angegriffen. «Jeder wusste zu diesem Zeitpunkt, dass solche Fahrzeuge entführte Zivilisten oder Soldaten transportieren könnten», so eine Quelle im Südkommando gegenüber Haaretz.
Trotz Anwendung der «Hannibal-Direktive» gelang es den Palästinensern, wahrscheinlich sieben israelische Soldatinnen und Soldaten zu entführen. Israel gibt die Zahl nicht bekannt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Eine solche Doktrin klingt haarsträubend – aber aus militärischer Sicht ist sie realistisch. Das hängt damit zusammen, daß – soweit ich mich erinnere – es schon bei den ersten Kriegen, die Israel führte, eine Devise gab «kein israelischer Soldat in Gefangenschaft wird vergessen». Das war damals ein wichtiger Faktor für die Einsatzbereitschaft der SoldateInnen der noch nicht sehr große Armee – die aber ziemlich erfolgreich war. Man hätte aber wissen können, welche Konsequenzen das langfristig haben würde – und DIE sind nun eingetreten.Im Grunde ist das – wie überhaupt die gesamte auf militärische Dominanz ausgerichtete israelische Politik – nur Ausdruck der Sackgasse, in die sich Israel manöveriert hat. Die für die Rückführung der Geiseln kämpfenden Angehörigen müßte sich das eigentlich eingestehen.
Mit der Sprachlupe bietet Infosperber eine Kolumne, die aufzeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen oder unbedacht verwendet werden. In diesem Sinne würde ich hier nicht von «israelischen Gefangenen», sondern von «israelischen Geiseln» sprechen. Daraus ergibt sich die Frage, ob es überhaupt eine «richtige» Art gibt, mit Geiselnahmen umzugehen. Offensichtlich ist nur, dass eine Geiselnahme unter keinen Umständen zum Erfolg der Geiselnehmer führen darf.
«Offensichtlich ist nur, dass eine Geiselnahme unter keinen Umständen zum Erfolg der Geiselnehmer führen darf.»
Tatsächlich?
Inwiefern ist das offensichtlich?
Steht das auf den mosaischen Gesetzestafeln?
Ich kann nur den Kopf schütteln über solch leichtfertig dahin geschriebene Weisheiten.
Schließlich hat das Dilemma, in dem sich Entscheidungsfinder (seien es Militärs oder Politiker) in einer vergleichbaren Situation finden können, schon zu mannigfachen Erörterungen und Streitgesprächen -auch literarischen- geführt.,
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Darstellung der Sachlage korrekt wiedergegeben wird. Ich kenne den erwähnten «Befehl» nicht, ich weiss aber, dass es nichts Schlimmeres für die IDF und Israel gibt, als einen eigenen Soldaten oder eine eigene Soldatin zu verlieren. Ich finde es zynisch dies hier so darzustellen. Ja es gibt eigene Tote in jedem Krieg und es gibt Situationen bei denen man auf einen Gegner schiesst ohne sicher zu sein, ob er noch eine Geisel bei sich hat. Dies ist dann eine Abwägung und diese muss dann eindeutig jeder Soldat selber machen im Wissen um seinen Auftrag, aber ihm dann zu unterstellen er hätte kaltschnäuzig in Kauf genommen einen seiner Kameraden zu töten ist in meinen Augen sehr gewagt. Bevor wir diesen Befehl selber lesen können, kann hier niemand das Recht in Anspruch nehmen hier zu urteilen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Darstellung der Sachlage korrekt und nicht zynisch ist. Diese Hannibal-Direktive gibt ja nicht erst seit Oktober ’23 zu reden. Ich finde es eher zynisch den Soldaten zu unterstellen, dass sie den Tod eines Kameraden «kaltschnäuzig» in Kauf nehmen.
In seinem Buch «Le déluge d’Alaqsa», erklärt J. Baud (ehemaliger Oberst in der CH-Armee) ausführlich, wie die israelische Armee funktioniert. Er bestätigt auch die «Hannibal»-Praktik.
Zum Begriff «Geiseln»: soll man hier von «Geiseln» oder «Gefangenen» sprechen? Dann sind die mehreren Tausenden Palästinenser, die grundlos, ohne Anwalt, ohne Prozess nach Israel in Gefängnislagern monatelang festgehalten werden, auch «Geiseln» !
Falls dieser Befehl wirklich existiert und derzeit zur Anwendung kommt, wird es einen riesigen Protest der Angehörigen der getöteten Geiseln und Soldaten geben. Man versetze sich einmal in die Gefühlswelt einer Mutter, die auf diese Weise einen Sohn verliert; getötet von den eigenen Leuten, nicht vom Feind; der noch am Leben sein könnte, wenn die Regierung ihn ausgetauscht hätte. Die IDF nimmt ohne Not den Tod hunderter Zivilisten in Kauf um einen einzigen Hamas-Kommandeur zu töten, der Gazastreifen ist «overbombed» in einer schlimmeren Weise als Deutschland 1945. Die Kriegsführung ist von einer nie dagewesenen Brutalität gegen Wehrlose, da würde es nicht wundern, wenn diese «Hannibal-Direktive» auch noch oben drauf kommt. Man muss derzeit auf alles gefasst sein – es gibt in diesem Konflikt nichts was nicht möglich ist.
=>Walter Knutti, Savognin
am 26.08.2024 um 17:43 Uhr
Theoretisch ist Ihnen zuzustimmen : Urteilen ohne zu wissen ist …… nun ja, ist immer fragwürdig im direkten Sinn dieses Wortes. ABER : SO ist das Leben eben. Wir müssen sehr oft, meistens – jedenfalls als einfache Bürger – vor allem in der Politik urteilen, also eine MEINUNG bilden, ohne zu wissen (im vollen Umfang). Was wir daher machen ist die Beurteilung von WAHRSCHEINLICHKEITEN. Und diese Wahrscheinlichkeit ist im Falle der «Hannibal-Direktive» sehr hoch daß sie existiert – in welcher Dokumentationsform auch immer. Zu diesem Urteil habe ich mich jedenfalls durchgerungen.