Kommentar
Iranischer Januar: Versuch einer Interpretation
Als 2011 die Revolte in den arabischen Ländern ausbrach, bildete sich in den westlichen Medien der Konsens heraus, da handle es sich um einen Volksaufstand. Als 2012 in Ägypten (um ein Beispiel zu nennen) freie Wahlen für die Nationalversammlung stattfanden, zeigte sich: Die aktiv an der Revolution gegen das Mubarak-Regime beteiligten Gruppen erhielten die Zustimmung von lediglich drei bis vier Prozent (die Muslimbrüder dagegen 47 und die Salafisten 24 Prozent). Nun begann das rückwärts gerichtete Hochrechnen: Wie viele hatten im Jahr davor auf dem Tahrir-Platz in Kairo und den grossen Plätzen anderer Städte Ägyptens demonstriert? Etwa 2,5 Millionen. Also auch etwa drei bis vier Prozent der Bevölkerung des Landes, mehr nicht. Also doch kein Volksaufstand?
Jetzt lesen, hören, sehen wir (elektronisch) wieder von Demonstrationen gegen ein Regime im Mittleren Osten, diesmal gegen den Machtapparat Irans. Blättere ich durch ein Dutzend europäischer Zeitungen plus New York Times, erfahre ich von Slogans des Inhalts «Tod dem Diktator», «Iranische Republik ja, islamische Republik nein». Und so weiter. Kein Zweifel, solche Schlagworte, solche Appelle gibt es innerhalb der Reihen von Menschen, die gegen Missstände protestieren. Aber sind es Einzelfälle oder handelt es sich um mehr? Die medialen Erfahrungen mit dem, was einst «Arabischer Frühling» genannt wurde, sollten uns skeptisch stimmen.
Machtkampf zwischen Reformern und Radikalen
Journalistinnen und Journalisten in Europa sowie den USA (das gilt auch für mich) praktizieren derzeit in Bezug auf Iran «remote Control». Einzelne von uns haben darüber hinaus bessere Kenntnisse des Landes, andere geringere (was auch damit zusammen hängt, dass das iranische Regime Visa für Medienleute lange Zeit äusserst restriktiv erteilte und dass es eine wirklich freie Berichterstattung nach wie vor nicht zulässt). Was alle eint ist der Versuch, aus Mosaiksteinen ein Gesamtbild zu machen. Hier ist das meinige:
In Iran spielt sich ein Machtkampf zwischen so genannten Reformern und Radikalen ab, bei dem beide Seiten nur verlieren können. Und der durch eine Mischung von Intrige und Volks-Frustration ausgelöst wurde.
Die Intrige bestand darin, dass das konservative Establishment in der Millionen-Pilgerstadt Mashhad grünes Licht gab für (vermeintlich kontrollierbare) Strassenproteste gegen die Politik des (machtlosen) Reformer-Präsidenten Rohani. Die von Rohani im Dezember verkündeten Preiserhöhungen für Lebensmittel und die Reduktion von Subventionen boten sich für Demonstrationen prächtig an – umso mehr, als sich in der Bevölkerung generell Frustration über den wirtschaftlichen Stillstand ausgebreitet hat. Rohani und die so genannten Reformer (sie bilden im Parlament zwar die Mehrheit, beugen sich aber konsequent den Direktiven der obersten, konservativen Führung von Ayatollah Khamenei) versprachen den fast schon 80 Millionen Menschen Irans, die Aufhebung der Wirtschafts-Sanktionen durch den Westen (erwünschte Folge des mühsam ausgehandelten Vertrags über den Verzicht auf die Atombombenforschung) würden zu einer für alle spürbaren Verbesserung des Lebensstandards führen. Das Resultat für die meisten: sehr bescheiden.
Die Islamische Republik: ein Gemisch von Diktatur und Demokratie
Iran definiert sich als islamische Republik. Konkret heisst das: Die islamischen Rechtsgelehrten haben das letzte Wort. Mehrere Institutionen im Staat anderseits werden durch das Volk bestimmt – der Staatspräsident, das Parlament, der so genannte Expertenrat zum Beispiel. In allen Institutionen gibt es Konservative und Reformer. Bei der letzten Wahl obsiegten die Reformer im Parlament (in Teheran total, aber in Mashhad waren die Konservativen erfolgreich). Seit der Islamischen Revolution, 1979, gingen die Iranerinnen und Iraner mehr als 70-mal an die Wahlurnen. Immer versuchte das konservative Establishment, den Wahlausgang zu beeinflussen, mehrmals aber ohne Erfolg. Rohani wurde gegen die «Empfehlungen» der höchsten Staatsführung gewählt – und dass die Reformer im Parlament die Mehrheit errangen, das widersprach diametral den Wünschen der höchsten Geistlichkeit.
Dafür sind nun allerdings nicht einfach Rohani und die anderen Reformer verantwortlich, sondern ebenso sehr auch Politiker und Bankers in den fernen USA. Sie entschieden, dass erstens alle amerikanischen Sanktionen gegen Iran in Kraft bleiben (aufgehoben wurden lediglich die UNO-Sanktionen und einige in Westeuropa erlassene) und dass, noch wichtiger, auch keine europäische Bank sich erdreisten dürfe, Geschäfte mit Iran zu tätigen. Würden sie diese Warnung in den Wind schlagen, müssten sie mit dem Verlust des Amerika-Geschäfts rechnen. Was dazu führte, dass nur wenige europäische Konzerne das Risiko eingehen wollten, mit Iran bindende Verträge abzuschliessen (die französischen Firmen Total und Renault, teils auch Peugeot, bilden die Ausnahme).
Schuld sind nicht nur die US-Amerikaner
Die Verantwortung für diese Problemlage einzig den US-Amerikanern zuzuschieben, würde allerdings zu kurz greifen – es gibt auch inner-iranische Verwerfungen. Die Pasdaran beherrschen innerhalb des Landes ein riesiges Netzwerk von wirtschaftlichen Beteiligungen. Sie sind in praktisch allen Schlüsselindustrien vertreten, aber auch in zahlreichen Banken. Das heisst konkret, wenn ein westliches Unternehmen via eine iranische Bank Geschäfte abwickeln will, kommt es an den Pasdaran nicht vorbei. Die Pasdaran ihrerseits bilden, mit den ihnen zugehörigen Al-Quds-Brigaden, die Speerspitze der iranischen Eingreiftruppen in Irak und Syrien. Bashar al-Assad verdankt sein Überleben respektive den faktischen Sieg seiner Kräfte gegen die diversen Oppositionsgruppen zu einem guten Teil den Iranern, eben den Pasdaran. Also gibt es, neben der ideologischen Verbohrtheit des konservativen Blocks bei den US-Politikern und den Bankern, auch nachvollziehbare Gründe für das Nein zu Geschäften mit Iran. Wofür es anderseits keine nachvollziehbaren Argumente gibt, ist ein Erlass neuer Sanktionen. Sollte die US-Politik sich dazu entschliessen, versetzt sie dem Atomabkommen mit Teheran (selbst wenn für diesen Fall die Europäer nicht mitziehen sollten) den Todesstoss – und provoziert eine neue Welle von Unruhen.
Staatspräsident Rohani «verkaufte» der Bevölkerung das so genannte Atomabkommen (internationale Kontrolle der Forschung, Reduktion der Uranbestände, Abbau von Anlagen etc.) mit dem Argument, die vereinbarte Aufhebung der Sanktionen werde zu einer rasch spürbaren Verbesserung der Lebensverhältnisse führen. Aber davon ist bis jetzt nicht viel realisiert worden. Die Arbeitslosigkeit bleibt mit fast 13 Prozent relativ hoch, die Jugendarbeitslosigkeit ist noch viel höher (verglichen mit südeuropäischen Ländern allerdings doch noch eher tief oder allenfalls vergleichbar), die Inflation wurde nur teilweise eingedämmt.
2000 tote iranische Soldaten – wozu?
Das ist die eine Seite der Problem-Medaille. Die andere: Die Staatsführung kaprizierte sich auf eine aussenpolitische Risiko-Strategie. Immer mehr Gelder wurden und werden weiterhin in militärisches und wirtschaftliches Engagement im Ausland investiert, in Syrien (Hilfe für das auch in Iran umstrittene Engagement zugunsten Assads), in Libanon und Irak für die dort lebenden Schiiten, in Jemen für die Huthi-Rebellen (auch sie sind Schiiten, allerdings nicht der gleichen «Linie» angehörend wie jene in Iran selbst), hintergründig auch gegen die rivalisierende Macht Saudiarabien. Schon mindestens 2000 iranische Soldaten kamen in den Kriegen in der arabischen Hemisphäre ums Leben, und nun fragen sich mehr und mehr Iranerinnen und Iraner: Wozu? Bei jedem Todesfall, der bekannt wird, entbrennt die Diskussion um Sinn und Unsinn des Engagements in den ungeliebten arabischen Ländern. Und hinzu kommen Fragen über die Kosten der militärischen Operationen im Ausland – das dafür ausgegebene Geld sollte doch, eigentlich, im Landesinneren eingesetzt werden.
All dies, zusammen genommen und instrumentalisiert durch die Anti-Reformer-Front innerhalb des komplizierten iranischen Machtapparats, reichte, um einen Funken ins Pulverfass zu werfen.
Wohin führt das alles? Das Regime wird die Protestwelle mit Härte unterdrücken. Dann gibt es für einige Zeit wieder Ruhe – die Frage ist nur, für wie lange? Und eine zweite Frage lautet: Wird US-Präsident Trump diese Phase von Unsicherheit dazu nutzen, die von seinem Vorgänger Obama mühsam ausgehandelte Atom-Vereinbarung mit Iran zunichte zu machen? Wenn das geschieht, wird Iran in eine lange dauernde Phase von Labilität «schliddern». Mit unabsehbaren Folgen für die ganze mittelöstliche Region.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Trump und Netanjahu sollten sich zwei mal überlegen, bevor sie den IRAN IRAKISIEREN.
MfG
Werner T. Meyer
Quelle:
The Case Against Iraqing Iran
By JO on December 31, 2017No Comment
unter https://transnational.live/ ( https://transnational.live/2017/12/31/the-case-against-iraqing-iran/ )
Die englischen und französischen Demo-Plakate mit oft sichtlich aus dem gleichen Drucker stammenden Plakaten in Farsi lassen doch Zweifel über deren Hintergründe aufkommen – an das iranische Publikum sind sie jedenfalls nicht gerichtet. Auch die Anwendung von medientauglicher Gewalt passt zu genau zu einem Vorgehen, das PR-Agenturen für Irans Gegenspieler wählen würden.
An die Geschichte von den spontanen Demonstrationen habe ich im Falle von Libyen, Ägypten und auch zu Anfang der Syrien-Geschichte noch geglaubt.
Die Finanzkrise 2008 und die nicht erfolgte Kurskorrektur hat mir auch die Zwickmühle klarer gemacht, in der sich der US-Finanzsektor und der militärisch-industrielle Komplex befinden – und damit die plausible Geo-Strategie der USA. Angesichts der vielen historischen «dirty tricks» von US-Konzernen und Geheimdiensten (neben den hier https://www.heise.de/tp/features/Die-CIA-und-das-Oel-3269819.html?seite=all versammelten Beispielen lassen sich Unmengen weitere Stellvertreter-Strategien finden: Finanzierung der «Weissen Revolution» gegen die Kommunisten in Russland, der Putsch in Chile, Aufbau von Nazi-Gruppen in der Ukraine, später von «Mujahedin» in Afganistan gegen den Kommunismus etc.), erscheinen die aktuellen Vorgänge im Nahen Osten doch in einem etwas anderen Licht. Warum sollten die relevanten Kräfte in den USA das «divide and rule» des British Empire nicht noch perfektioniert haben? Ihre Medien demonstrieren jedenfalls fast perfekten Info-Clutter.