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Die KP im Irak hat nur einzelne Sitze gewonnen, aber sie gehört zur stärksten Parlamentsfraktion © cc

Irak: Milizenführer schmiedet Koalition mit der KP

Toby Matthiesen /  Der schiitische Milizenführer Muktada al-Sadr wagt mit den Kommunisten einen Neubeginn für das traumatisierte Land. So kam es dazu.

Red. Toby Matthiesen ist Senior Research Fellow für Internationale Beziehungen des Nahen Ostens an der Universität Oxford und Autor mehrerer Bücher zu Saudiarabien und zur Golfregion.

Eine der grossen Überraschungen in der Politik des Nahen Ostens in den letzten Monaten waren die Wahlen im Irak. Vor drei Wochen erzielte dort ein Wahlbündnis zwischen Muktada al-Sadr, einem schiitischen Kleriker, und der Kommunistischen Partei Iraks die höchste Zahl der Stimmen. Die Allianz verpasste zwar die Mehrheit und befindet sich in Koalitionsverhandlungen, die gemäss Verfassung bis am 10. August zu einem Resultat führen müssen. Ihr Wahlsieg hat aber nicht nur viele Beobachter, sondern selbst die Iraker erstaunt.

Die Wahlkommission annullierte Ende Mai wegen Unregelmässigkeiten die Ergebnisse aus mehr als 1000 Wahllokalen. Das entspricht rund zwei Prozent aller Wahllokale, in denen am 12. Mai abgestimmt worden war. Am 10. Juni wurde das Gebäude, indem sich die Urnen mit den nachzuzählenden Stimmen befinden, angezündet. Die Folgen sind noch unklar.
Jetzt verlangen einige Wahlverlierer unterdessen sogar Neuwahlen.
Iraks höchstes Gericht muss das Wahlergebnis bestätigen, bevor das neue Parlament erstmals tagen kann.
Mit einem schiitischen Kleriker und den wiedererstarkten Kommunisten, die im Wahlkampf ­gemeinsam auf die nationale Karte setzten, haben die wenigsten gerechnet. Ihr relativer Sieg ist bemerkenswert, aber nachvollziehbar.

Die 329 Sitze im Parlament verteilen sich nach bisheriger Auszählung wie folgt:








Alliance des révolutionnaires réformistes (Muktada al-Sadr mit den Kommunisten und andern nicht-religiösen Parteien):  56
Alliance Fatah (Unter Führung von Hadi al-Amiri): 54
Alliance de la victoire (Bisheriger Premierminister Abadi):  46
Al-Wataniya: 28
Coalition de l’État de droit: 26
Parti démocratique du Kurdistan: 24
Viele weitere Parteien mit je weniger als 20 Sitze: 95

Die KP wiederbelebt

Es lohnt sich, hier etwas auszuholen. Die Kommunistische Partei (KP) ist die älteste politische Organisation des Landes, und eine der ältesten KP in der arabischen Welt. In der Mitte des ­letzten Jahrhunderts war sie zwar eine starke politische Kraft, wurde dann aber von zwei Seiten bekämpft. Ihre Mitglieder wurden eingekerkert und ermordet.

Auf der einen Seite waren es die schiitischen Kleriker, die in den Kommunisten, die gerade auch in den heiligen Städten der Schiiten, in Najaf und Karbala, zu einer starken Kraft avanciert waren, eine Gefahr sahen. Seit den Fünfzigerjahren gingen die Kleriker mit aller Kraft gegen die Kommunisten vor. Der Schwiegervater von Muktada, Muhammad Baqir al-Sadr, schrieb zwei wegweisende Bücher, die zum Ziel hatten, ein islamisches Gegenprogramm zum Kommunismus zu etablieren. Ein anderer Gross-Ayatollah erliess eine Fatwa, die Schiiten verbot, in die KP einzutreten, und verdammte Kommunisten als Ungläubige. Vor diesem Hintergrund ist die jetzige Allianz bemerkenswert. Auf der anderen Seite war es die Baath-Partei, welche die Kommunisten eliminieren wollte. Auch sie sah in der KP eine starke Bedrohung. Sie verhaftete Tausende Kommunisten und zerschlug die Partei grösstenteils.

Die Wende für die Kommunisten kam jedoch mit dem Einmarsch der USA 2003. Die Amerikaner suchten danach in der Exilopposition nach Verbündeten und fanden sie unter anderem in den Kommunisten, die seither als Partei wieder erstarkten.

Dass die Kommunisten nun ausgerechnet mit einem schiitischen Kleriker eine Allianz bilden, liegt an der Situation im Irak selbst. In Bagdad und in südlichen Städten protestierte die Bevölkerung gegen Korruption und gegen fehlende staatliche Dienstleistungen. Sowohl die Kommunisten als auch Muktada al-Sadr unterstützten die Proteste. Das war der Ursprung des Wahlbündnisses. Zwar versprach Premierminister Haider al-Abadi, den Forderungen der Demonstranten nachzukommen, doch die Lebensbedingungen vieler Iraker verbesserten sich kaum. Das befeuerte den Protest. ­Al-Sadr und die Kommunisten fuhren weiter mit ihrer Anti-­Korruptionsagenda, und ihr ­Vertrauen zueinander wuchs.

Die Allianz hat aber auch einen soziologischen Ursprung. Die KP war vor allem unter Intellektuellen und in den Armenvierteln der grossen Städte sowie in den ­schiitischen Zentren wie Najaf stark. Von Intellektuellen wird sie immer noch geschätzt, und die Massen in den Armenvierteln unterstützen jetzt Muktada al-Sadr. Es sind also dieselben Viertel und Familien, die früher die KP unterstützten, die heute die Sadristen unterstützen; und zumindest die Kommunisten sehen daher in dieser Allianz eine logische Kontinuität.

Ein kontroverser Mann
Umstritten im In- und Ausland ist vor allem Muktada al-Sadr selbst, der Kopf dieser einzigartigen Wahlallianz. Noch ist unklar, ob man ihm als neuem nationalis­tischen Führer trauen kann. Der Prediger war berüchtigt als Führer der schiitischen Mahdi-Miliz. 2003 sollen Anhänger von ihm einen hochrangigen schiitischen Kleriker, der aus dem Exil zurückkam, im Schrein von Najaf gelyncht haben. Das sorgt bei den traditionellen Ayatollahs in Najaf weiterhin für böses Blut. Viele Sunniten erinnern sich vor allem daran, dass al-Sadrs Mahdi-Miliz für viele der Greueltaten im ­konfessionellen Bürgerkrieg von 2006 verantwortlich gemacht wird. Und neben al-Kaida war ­al-Sadrs Mahdi-Miliz einer der erbittertsten und stärksten Gegner der Amerikaner.

Dennoch hat die dezidiert anti-konfessionalistische Wahlplattform in der irakischen Bevölkerung Gehör gefunden. Für Sadr sprach vor allem, dass er von ­Anfang an kritisch gegenüber denjenigen Politikern war, die vor dem Einmarsch der Amerikaner 2003 im Exil waren. Das waren ohne Ausnahme alle Ministerpräsidenten seither. Sein Fokus auf eine dezidiert lokale und irakische Identität hat sich ausgezahlt. Zudem hat er sich auch von Iran, seinem vormaligen Patron, ab­gewandt. Und er ging sogar einen Schritt weiter: Al-Sadr reiste während des Wahlkampfs sogar nach Saudiarabien, um sich mit dem dortigen Machthaber Kronprinz Mohammed bin Salman zu treffen. Dort hat sich al-Sadr für eine weitere Öffnung des Iraks nach Saudiarabien und dem Rest der arabischen Welt ausgesprochen.

Wie erfolgreich das alles sein wird und wer genau die Regierung bilden wird, das wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Klar ist, die letzten Wahlen haben nach dem Trauma des IS und fünfzehn Jahren Missmanagement und Korruption einen neuen Diskurs in die irakische Politik eingebracht. Der Konfessionalismus ist nicht mehr das wichtigste Thema. Doch die Iraker sind nicht naiv. Sie sehen, dass sich hier mit al-Sadr ein früherer schiitischer Milizenführer mithilfe der Kommunisten zur nationalen Integrationsfigur stilisiert. Aber was haben sie denn zu verlieren? Wie an vielen anderen Orten der Welt haben die Wähler für Wandel und ein gehöriges Mass an Ungewissheit gestimmt.
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Diese Analyse von Toby Matthiesen erschien am 27. Mai in der «NZZ am Sonntag»

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