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Indonesiens neuer Präsident Joko Widodo muss sich gegen den Macht-Filz behaupten © Rappler/YouTube

Indonesien: Ein «Nobody» tritt gegen die Eliten an

Peter G. Achten /  Präsident «Jokowi» weckt im Volk grosse Hoffnungen. Nun muss der ehemalige Möbelhändler zeigen, dass er seinem Amt gewachsen ist.

Kaum im Amt, wagte sich der neue Präsident Indonesiens Joko Widodo erstmals aufs höchste internationale Parkett. Am Spitzentreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft APEC traf er in Peking die Mächtigen der Welt, darunter Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, US-Präsident Obama, Japans Premierminister Shinzo Abe und Russlands Präsident Putin. Widodo brauchte sich hinter den Politgrössen nicht zu verstecken. Der Inselstaat mit 250 Millionen Einwohnern ist Südostasiens grösste Volkswirtschaft. Zudem gibt es im bevölkerungsreichsten mehrheitlich muslimischen Staat der Welt eine funktionierende Demokratie.

Im Clinch mit den Eliten

Joko Widodo, von seinen Landsleuten «Jokowi» genannt, ist beim Volk sehr beliebt, bei den Macht-, Militär- und Wirtschaftseliten allerdings weniger. Schon kurz nach der Wahl, die Jokowi mit 53,2 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, holte sein Kontrahent, der schwerreiche Repräsentant des Establishments und Ex-General Prabowo Subianto, zum Gegenschlag aus. Im Parlament verfügt Subianto über eine komfortable Mehrheit. Durch einen Parlamentsbeschluss wurden auf Distrikt- und Provinzebene die Direktwahlen von Bürgermeistern und Gouverneuren abgeschafft. Die lokalen Parlamente können wieder das tun, was sie vor 2005 immer getan haben: mit Vetternwirtschaft und Filz Mitglieder der traditionellen Eliten in die Ämter bringen.
Mit dem neuen Wahlprozedere wäre der studierte Forstwart und Möbelhändler Joko Widodo niemals dort, wo er jetzt ist. Vor zehn Jahren wurde er in Direktwahl zum Bürgermeister von Solo und vor fünf Jahren zum Gouverneur der Hauptstadt Jakarta gewählt.
Prabowo Subianto verteidigte die Abschaffung von Lokalwahlen mit schwülstig-ideologischen Argumenten. Direktwahlen, so der Ex-General, widersprächen dem «indonesischen Geist und der indonesischen Kultur». Die Reformen, belehrte er seine Landeskinder, liessen sich besser im «Konsens-Verfahren» erreichen. Der Applaus der noch immer mächtigen Elite war ihm gewiss.
Repräsentative Meinungsumfragen zeigen allerdings, dass das Volk Direktwahlen beibehalten will. Die Zeitung «Jakarta Globe» geisselte in einem Kommentar den Parlamentsentscheid: «Indonesien ist zurückgekehrt zu einer elitären Demokratie, kontrolliert von einer Handvoll korrupter Politiker, die allein ihre eigenen Interessen verfolgen.» Der ganze demokratische Fortschritt der letzten zehn Jahre, so der Kommentator, sei verspielt.
Die seit 2005 geltende Direktwahl des Staatspräsidenten wagten die elitären Demokraten noch nicht anzugreifen. Der javanische Macht-Filz fühlt sich angesichts der grossen Popularität des charismatischen Jokowi (noch) zu schwach.

Ein offenes Ohr für die Anliegen des Volkes

Viel hängt jetzt davon ab, wie der neue Präsident die mannigfaltigen Probleme Indonesiens angehen wird und ob er sie lösen kann. So wie früher als Bürgermeister von Solo oder als Gouverneur von Jakarta kann Widodo als Präsident wohl nicht mehr regieren. Jokowis Rezept damals: «Jeden Tag bin ich ein, maximal zwei Stunden im Büro. Danach gehe ich zum Volk. Ich frage die Leute, was sie benötigen.» Die legendären unangemeldeten Besuche (Blusukan) zeigten Erfolg. Es bewegte sich endlich etwas in Solo und Jakarta. Faule und korrupte Beamte verloren ihre Stelle. Projekte wurden ohne Verzögerungen durchgezogen. Auch in Zukunft, so das Versprechen Jokowis, werde er sich wenn nötig «direkt an die Indonesier wenden».
Joko Widodo stimmt seine Landsleute schon einmal auf härtere Zeiten ein. Er habe grossen Respekt vor der Aufgabe, das Land wirtschaftlich und politisch unabhängig zu machen. Er fordert von Indonesierinnen und Indonesiern in unmissverständlichen Worten Engagement: «Rückt zusammen und arbeitet, arbeitet, arbeitet!» Gewaltige Erwartungen lasten auf Jokowi. Er nimmt seine Aufgabe ernst, bleibt aber gelassen: «Meine Richtschnur ist die alte javanische Philosophie des Ojo Kagetan: nur nicht nervös werden.»

Kampf gegen Korruption und Armut

Allerdings türmen sich die Probleme zu Riesengebirgen. Das Wirtschaftswachstum lässt zu wünschen übrig und ist unausgewogen. Die Abhängigkeit von Rohstoffen sollte reduziert und ausländische Investoren mit besseren Rahmenbedingungen angelockt werden. Die allgemeine Schulpflicht und eine minimale Gesundheitsvorsorge stehen weit oben auf der Wunschliste des Volkes. Dazu kommt der Kampf gegen Armut und Unterernährung von Kleinkindern. Zudem leidet Indonesiens Wirtschaft unter einer völlig unzulänglichen Infrastruktur. Und dies vor allem: Korruption auf jeder Ebene, ein Zustand, der das Volk empört und vor allem die Armen trifft.

Natürlich kann der neue Präsident nicht alle Probleme auf einmal angehen. Die geplanten Reformen kosten Geld, und das ist im indonesischen Staatshaushalt Mangelware. Ein Fünftel des Staatsbudgets wird allein in Subventionen für Treibstoff gesteckt. Ob es Joko Widodo wagen wird, die Benzin-Zuschüsse zu kürzen oder gar zu streichen, ist ein erster Test. Dann steht auch eine Diskussion um Mindestlöhne an. Beides sind Tabu-Themen für die Elite, eine Notwendigkeit aber für die Mehrheit, die Armen. Die Zukunft wird zeigen, ob Jokowi die hohen Erwartungen des Volks erfüllen kann.

Jokowi bringt Frauen an die Macht

Mit der Kabinettsbildung legte er jedenfalls einen guten Start hin. Er verkleinerte die Regierung auf 34 Minister, darunter sind acht Frauen. 18 der 34 Posten gingen an ausgewiesene Fachleute, unter anderem die Schlüsselressorts Wirtschaft und Finanzen. Erstmals in seiner Geschichte hat Indonesien mit der Karriere-Diplomatin Retno Marsudi eine Aussenministerin. Sie war zuletzt Botschafterin in den Niederlanden.
Ganz ohne politische Kompromisse ging es aber doch nicht. Megawati Sukarnoputri, die ehemalige Staatspräsidentin und Vorsitzende von Joko Widodos «Demokratischer Partei des Kampfes», konnte einige ihrer Getreuen in der Regierung unterbringen, darunter ihre Tochter Puan Maharani als Ministerin für Kultur, General Ryamizard Ryacudu als Verteidigungsminister sowie Rini Soemarno als Ministerin der Staatsbetriebe.
Die Bekanntgabe des neuen Kabinetts war eigentlich schon eher erwartet worden, hatte sich dann aber verzögert. Das hatte nichts mit Filz und Gemauschel zu tun. Im Gegenteil. Jeder einzelne Minister, jede einzelne Ministerin wurde vor der Ernennung von der Antikorruptionsbehörde durchleuchtet. Jokowi sagt warum: «Wir wollen saubere Leute.» Nicht zufällig präsentierten sich die Damen und Herren des Kabinetts erstmals der Öffentlichkeit in weissen Blusen und Hemden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

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