H7N9 verunsichert die chinesischen Massen
Genau zehn Jahre sind vergangen nach SARS, dem Schweren Akuten Respiratorischen Syndrom mit dem klinischen Bild einer atypischen Lungenentzündung. Die chinesischen Behörden haben ihre Lektion gelernt und schnell reagiert.
China gilt seit eh als Land mit erhöhtem Vogelgrippe-Risiko. Der Grund ist einfach. Das Reich der Mitte ist der weltweit grösste Geflügel-Produzent. Im ländlichen China leben Bauern und Federvieh eng beieinander. Die Ansteckkungsgefahr ist deshalb im direkten Kontakt mit Hühnern, Enten, Gänsen besonders gross. Der H7N9-Vogelgrippe-Virus wurde, wie so oft bei Grippeerregern, in Südchina entdeckt. Anfang März starb ein 87 Jahre alter Mann. Nach Untersuchungen am Nationalen Institut für Krankheitsvorbeugung wurde der Virus als H7N9 identifiziert. Gleich darauf wurde in den sozialen Medien, den Twitterähnlichen Sina Weibo und WeiChat, die ersten Meldungen und vor allem viele Gerüchte verbreitet.
Die Führung hat gelernt und redet nicht mehr klein
Ungleich der SARS-Pandemie konterte die Zentralregierung in Peking mit einer offenen, schnellen Informationspolitik. Noch allzugut erinnerten sich Chinesinnen und Chinesen und vor allem die Führung an SARS. Genau vor zehn Jahren, am 20. April 2003, explodierte die Nachricht am Fernsehen. Nach monatelangem Verdecken und Kleinreden musste die Zentralregierung zugeben, dass SARS bereits vor Monaten in der Südprovinz Guangdong zum ersten Mal aufgetreten ist. Gesundheitsminister Zhang Wenkang und Pekings Bürgermeister Meng Xuenong mussten über die Klinge springen und verloren ihre Jobs. Für Staats- und Parteichef Hu Jintao und Premier Wen Jiabao – damals gerade am Anfang ihrer zehnjährigen Amtszeit – war es ein Propaganda-Desaster erster Güte, obwohl sie ja dafür nicht verantwortlich waren. Die heutige eben erst angetretene neue Führung unter Staat- und Parteichef Xi Jinping und Premier Li Kejiang will einen ähnlichen Informations-Gau verhindern. Vor allem Premier Li, hatte er doch als Gouverneur der Provinz Henan eine andere Gesundheitskrise zu verantworten. Eine von der Henan-Regierung unterstützte Blutspendeaktion endete mit einer Katastrophe. Tausende wurden HIV-infisziert, und die lokalen Behörden versuchten im alten Schlendrian alles zu vertuschen.
Allein in China wurden vor zehn Jahren 5000 SARS-Fälle registriert, die Hälfte davon in Peking. In der Hauptstadt wurden bis zum Abklingen der Pandemie 348 Todesfälle gezählt. Weltweit waren es über 800, die meisten davon in China. Zwischen April und anfangs Juli 2003 war Peking eine von SARS belagerte Stadt. Eine Ausreise war unmöglich, selbst nach Shanghai. Dort wurde man damals, wie Ihr Korrespondent es erlebt hat, im nächsten Flugzeug nach Peking zurückgeschickt. Jeder, der Fieber hatte, wurde gleich in ein Quarantäne-Spital verfrachtet. Nicht selten hat man sich dort erst mit dem SARS-Virus infisziert. Mundmasken waren de rigeur, und Bilder mit Masken tragenden Pekingern gingen um die Welt.
Labors in den Provinzen, gute Noten von der UNO
In der Zwischenzeit hat die chinesische Regierung schnell dazu gelernt. Ein hypermodernes Nationales Zentrum zur Pandemie-Prävention wurde gegründet, und in allen Provinzen sind entsprechende Labors eingerichtet worden. Die internationale Zusammenarbeit wurde intensiviert und erhält heute von der UNO-Weltgesundheitsorganisation WHO durchwegs gute Noten. Selbst die ansonsten kritischen und politisch inkorrekten Bloggers verteilen mittlerweile manchmal gar Lob: «Wir sollten eine gute Note geben, die Regierung hat ihre Lektion gelernt und ist erwachsen geworden». Hu Shuli, eine der bekanntesten und kritischsten Journalistinnen der Volksrepublik, kommentierte im angesehenen Wirtschaftsmagazin «Caijing»: «Die offene Einstellung zu H7N9 ist total verschieden zu jener gegenüber SARS; wir können einen grossen Fortschritt feststellen».
Natürlich gibt es immer Gewinner und Verlierer. Bei den ersten Gerüchten wurden auf allen Internet-Kanälen gute Ratschläge in Windeseile verbreitet. Die Verkäufe von Essig zum Beispiel zeigten steil nach oben, weil ein Blogger das als Mittel gegen Vogelgrippe angepriesen hatte. Mundschutz aller Art sind der absolute Verkaufsrenner und ungleich früher nicht mehr nur in Apotheken und Drogerien sondern jetzt in jedem kleinen Laden, an Tankstellen und andern öffentlich hoch frequentierten Orten zu kaufen. Der ultimative Renner allerdings sind Banlangen-Wurzelpräparate. Das in der traditionellen chinesischen Medizin seit 2000 Jahren verwendete Kraut soll schützen. Doch Ke Huixing, Lungenspezialist an einem Pekinger Spital, sagt klipp und klar, klinische Tests hätten noch keinesfalls bewiesen, dass Banlangen gegen Grippeviren und vor allem H7N9 wirksam sei. Trotzdem: Balangen war selbst im bis vor kurze noch H7N9-freien Peking ein Bestseller.
Social Media als Gerüchteschleudern
Weniger glücklich sind natürlich Hühner-, Enten-, Gänse- und Tauben-Züchter. Der Absatz ging markant zurück. In Shanghai und Umgebung wurde gekeult, was das Zeug hielt. Geflügel-Märkte wurden dicht gemacht. Die Behörden liessen verlauten, dass Hühner, Enten und Tauben gut gekocht keinerlei Gefahr darstellten. Chinesischen wie internationalen Imbissketten freilich nützt das wenig. Der Umsatz mit Hühnerfleisch ist eingebrochen. McDonald’s zum Beispiel und Kentucky Fried Chicken (KFC) haben ihre Menüs umgehend verändert und den neuen Umständen angepasst. Mein liebstes Enten-Restaurant Xi Li in der Pekinger Altstadt hat wegen stark nachlassender Nachfrage sogar die Preise gesenkt.
Der grosse Unterschied zu SARS machen die sozialen Medien aus. Im Guten wie im Bösen. Fakten aber auch Gerüchte verbreiten sich heute in einem Tempo, das der Regierung wenig Spielraum lässt. Glaubwürdigkeit der roten Mandarine auf provinzieller, vor allem aber auf nationaler Ebene ist deshalb das A und O des Erfolgs. Bislang hat das gut geklappt. Informationen kamen schnell und präzis. Premierminister Li Kejiang hat nun festgestellt, dass der «Ausbruch von H7N9 erfolgreich unter Kontrolle ist». Eine Mensch zu Mensch Übertragung ist bis jetzt noch nicht festgestellt worden. Von Epidemie oder Pandemie will derzeit noch niemand reden. An einem Impfstoff wird in China fieberhaft gearbeitet. Auf die Frage, wie schlimm es noch werden könne, halten die Wissenschafter keine wohlfeile Antwort bereit. Neuester Stand am Wochenende: 50 Fälle in Ostchina, ein Fall in Beijing, 11 davon mit tödlichem Ausgang. Gleichzeitig sind – um den Kontext herzustellen – allein in Shanghai an hundskommuner Grippe in einer Woche 27 Menschen gestorben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine